Fußballmythen in Medien und Literatur am Beispiel von Borussia Mönchengladbach


Magisterarbeit, 2008

108 Seiten, Note: 1,85


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung
1. Die ruhmreiche Fohlen-Elf – Ein Mythos lebt Vom Provinzklub zum europäischen Spitzenverein

Hauptteil
2. Mythos und Helden/Heroen – Definition und Bedeutungsvielfalt
2.1 Die lexikalische Einordnung des Begriffs Mythos
2.2 Der traditionelle Mythosbegriff – der Mythos im engeren Sinne
2.3 Der Mythos und seine Bedeutungsvielfalt – Mythos im modernen Sinn
2.4 Helden, Vorbilder, Idole und Stars – die Veränderung der Helden-Sichtweise im Laufe der Zeit
2.5 Lexikalische Einordnung des Heldenbegriffs
2.6 Charakteristika von Helden, Stars und Idolen im Fußball
3. Sport und Medien – Fußball in den Massenmedien
3.1 Die Vertreter der Massenmedien
3.2 Die Darstellung des Fußballs in den Medien: TV, Print und Internet
4. Zur Historie von Borussia Mönchengladbach
5. Die Mannschaft von Borussia Mönchengladbach – Helden oder nur Idole?
5.1 Der sportliche Erfolg der Mannschaft
5.2 Das Image von Borussia Mönchengladbach
5.3 Die mythische Geschichte Borussia Mönchengladbachs
5.3.1 Der Pfostenbruch am Bökelberg
5.3.2 Der Büchsenwurf gegen Inter Mailand
5.3.3 Die Selbsteinwechslung Netzers im Pokalfinale 1973
6. Fußball und Literatur
6.1 Ror Wolf: So kann es kommen
6.2 Die Aufstellung Borussias im Himmel
6.3 Schicksalswege eines Fans – Peter Chladeks´ Roman Abstieg
7. Schlussbemerkungen
8. Literaturverzeichnis

Einleitung

1. Die ruhmreiche Fohlen-Elf – Ein Mythos lebt. Vom Provinzklub zum europäischen Spitzenverein

Aus welchem Grund befasst man sich bei einer Magister-Abschlussarbeit mit dem Thema Mythos und Fußball, und explizit mit der Elf von Borussia Mönchengladbach, obwohl die legendäre Mannschaft und die Erfolge der Gladbacher Borussia längst der Vergangenheit angehören? Die Antwort liegt auf der Hand: Der Ruf der Fohlen-Elf[1] hallt immer noch nach, wenn bei Fans, Spielern sowie Medien von der niederrheinischen Borussia gesprochen wird und ebenfalls in der Literatur ist der Glanz des Vereins greifbar, auch wenn der Fußball einen schweren Stand in der Literatur besitzt.

Die goldenen Zeiten des Erfolges versprühen immer noch einen Hauch von Ehrfurcht, wenn vom kleinen Provinzverein des Niederrheins die Rede ist, auch wenn die sportlichen Glanzzeiten des Traditionsvereins mittlerweile verblasst sind und sich der VfL Borussia Mönchengladbach 1900 e.V. nach einjährigem Aufenthalt in der 2. Liga zwar wieder zu den Teams der 1. Fußball-Bundesliga zählen kann, aber seit mehr als zehn Jahren keinen Titel mehr gewonnen hat. Trotz alledem erfreut sich der Mönchengladbacher Verein immenser Beliebtheit und gehört zu den Vereinen in Deutschland mit der größten Anhängerschaft und den meisten Sympathisanten.

Aber was macht den Ruhm dieser Fohlen-Elf aus? Die sportlichen Erfolge allein können nur bedingt die Beliebtheit dieses Vereins erklären, obwohl es an sportlichen Erfolgen nicht mangelt: 5maliger Deutscher Meister (1970,1971, 1975, 19776, 1977), Deutscher Pokalsieger 1960, 1973 und 1995, Europapokalsieger (UEFA-Cup) in den Jahren 1975 und 1979 sowie Deutscher Superpokalsieger 1977.

Was macht diese Mannschaft sonst zur Legende? Borussia ist eben anders. Während beispielsweise die Deutsche Nationalmannschaft oder Bayern München mit Kraft, Kampf und Disziplin erfolgreich sind, verzaubern die Fohlen vom Niederrhein die Fußballwelt mit Lust, Leidenschaft und einer zuvor nicht da gewesenen Ästhetik des Fußballspiels. Ganz im Gegensatz zu den Bayern aus München, denen man einen gewissen Konservatismus vorwirft und dem Kapitalismus zugewandt ist, steht die Borussia für einen veränderten Lebensstil in Deutschland.

All jene ,progressiven¢ Veränderer, die den protestierenden Studenten, den rebellierenden US-Schwarzen, den haschrauchenden Hippies Sympathien entgegenbrachten und den Taumel der tief verunsicherten BRD-Gesellschaft genüsslich goutierten, hielten es sportlich gesehen denn auch mit Borussia statt mit Bayern, Bremen oder Braunschweig. Ihnen erschien der riskante Hoppla-Hopp-Fußball der Fohlen wie eine Fortsetzung des politischen Umbruchs mit fußballerischen Mitteln.[2]

Gerade die privat anheimelnde Atmosphäre des Bökelberges und die geringen finanziellen Mittel des Vereins, die immer wieder zu Verkäufen der Top-Spieler führt und keine großen Transfers ermöglicht, macht den Verein sympathisch und interessant für die einfachen Leute, die eine Parallele zu den eigenen Lebensumständen sehen. „Mit dem Einkommen auskommen“, wie Helmut Grashoff, der langjährige Manager von Mönchengladbach, in seiner Biographie treffend beschreibt[3] und die Devise des Gladbacher Vorstand-,Dreigestirns‛ Dr. Helmut Beyer, Dr. Alfred Gerhards und Helmut Grashoff darstellt.

Aber auch das ständige Auf und Ab, die zahlreichen grandiosen Siege und vor allem die dramatischen Niederlagen und Ereignisse brennen sich in die Herzen der Fußball-Fans im In- und Ausland und verschaffen dem kleinen Provinzverein aus Mönchengladbach über die Grenzen Deutschland hinaus Ruhm und Anerkennung. „Noch heute lebt der Verein in der Beliebtheitsskala vom Image der 60er und 70er Jahre, von der damals erfrischend offensiven Spielweise. Sie entsprach genau dem Publikumsgeschmack und ließ im Stadion kaum Langeweile aufkommen.“[4]

Diese Arbeit unternimmt den Versuch den Mythos der Fohlen-Elf zu beleuchten und somit zu erhellen und vor allem die literarische Auseinandersetzung mit dem Verein offen zu legen. Im ersten Teil sollen vor allem die theoretischen Grundlagen zur Definition des Mythos- und des Helden-Begriffes geschaffen werden, die von Bedeutung sind für das immer noch ruhmreiche Image des Vereins Borussia Mönchengladbach.

Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Entwicklung und dem Einfluss der Massenmedien im Bezug auf den Sport und insbesondere dem Fußball. Die Meinung der Rezipienten beziehungsweise das Vereins-Image im Allgemeinen und insbesondere der Fohlen-Elf wird durch die Berichterstattung der Medien nachhaltig beeinflusst. In diesem Kapitel werden die Medienvertreter und die von ihnen gewählte Darstellung des Fußballs vorgestellt.

Der dritte sportwissenschaftlich angelehnte Teil bemüht sich, die in den beiden Kapiteln zuvor entworfenen und dargestellten Theorien auf die Historie des Gladbacher Traditionsvereins anzuwenden und den Mythos Fohlen-Elf zu stilisieren. Dabei werden beispielhaft drei mythische beziehungsweise mythosbehaftete Ereignisse der Gladbacher Historie Pate stehen für die Mythos-Bildung des Vereins. Berichterstattungen der Printmedien sowie Schilderungen aus den Biographien zweier bedeutender Männer des Vereins (Netzer und Grashoff) unterstreichen die Darstellungen.

Im vierten Teil schließlich manifestiert sich der Ruhm der Gladbacher Borussia und zeigt ihren Weg in die Literatur anhand verschiedener literarischer Texte. Da wäre zunächst eine Textkollage von Ror Wolf, die den entscheidenden Titelkampf zwischen Bayern München und Borussia Mönchengladbach am letzten Spieltag der Saison 1970/71 zum Thema hat und die diversen Möglichkeiten der Entscheidung diskutiert. Die zweite literarische Quelle ist einem Krimi entnommen, in dem der Protagonist seine Gladbacher Aufstellung für den Himmel und einem Spiel im Jenseits verfasst und die Mannschaft somit dem Diesseits entrückt. Abschließend wird ein Roman behandelt, der die enge Verknüpfung eines Fans zu seinem Verein darstellt und die Verflochtenheit des eigenen Schicksals mit dem Schicksal der Mannschaft vergleicht.

2. Mythos und Helden/Heroen – Definition und Bedeutungsvielfalt

Allen Nationen und Völkern sind Mythen ein Begriff und es gibt zahlreiche Erzählungen über Götter und Helden, die Entstehung der Erde und des Universums sowie Erklärungen für Naturphänomene. Doch dies gehört – so werden viele einwenden – der Vergangenheit an und liefert allenfalls ein geschichtliches und poetisches Spiegelbild damaliger Gesellschaften und ihres Welt- beziehungsweise Naturverständnisses sowie Wertesystems. In unserer heutigen Zeit werden Donner und Blitz nicht mehr als Gottesgroll angesehen, sondern sind wissenschaftlich erklärbar.

Doch trotz unserer aufgeklärten, wissenschaftlich erklärbaren Welt scheint es immer noch einen Hang zum Mythischen, zur Übersteigerung gewisser Phänomene zu geben, eine Tendenz zum Phantastischen. Wie anders sollte sich der moderne Starkult der Unterhaltungsindustrie - wozu unbestritten der Fußball gehört - erklären, der dem Heroenkult damaliger Zeiten sehr ähnlich ist. Wenn der Begriff Mythos doch nur ein Abbild vergangener Zeiten ist, wieso taucht der Begriff immer häufiger in den Medien auf und unterstreicht den immer inflationäreren Gebrauch des ,Modewortes‛[5], wie z.B. beim Mythos Diana, dem Mythos Che Guevara oder dem Mythos des Wunders von Bern?

Kurt Hübner ist der Meinung, dass der Mythos „unserer wissenschaftlich-technischen Welt weitgehend entrückt“[6] ist. Aus der Sicht der Mythos-Gegner gehört er zu einer längst überwundenen Vergangenheit. „Das ändert jedoch nichts daran, daß er unverändert ein Gegenstand dumpfer Sehnsucht geblieben ist.“[7] Ein zwiespältiges Verhältnis schreibt er der heutigen Zeit zum Mythos zu.

Auf der einen Seite verweist man den Mythos in das Reich der Fabel, des Märchens, auf jeden Fall des Nicht-Überprüfbaren. Er entstamme eher der Tiefe des Gefühls, des Unbewussten, der Phantasie, ja, er sei mit Begriffen überhaupt nicht fassbar. […] So flüchten sich auf der anderen Seite viele in mythenähnliche Ersatzreligionen, Heilslehren oder politischen Doktrinen, von denen man sich in dieser Lage Entlastung erhofft.[8]

Schon diese kurze Ausführung macht das Dilemma der Bedeutungsvielfalt des Mythos-Begriff anschaulich und die Unfähigkeit, die heute noch herrscht, was der Mythos eigentlich ist und was sein Wesen ist soll und kann in dieser Arbeit nicht geklärt werden. Vielmehr soll aufgezeigt werden, dass der Mythos heute noch aktuell ist und vor allem im Bereich des Starkults des Unterhaltungsbereichs beziehungsweise Sports lebendig ist. „Alles kann also Mythos werden?“, fragt Roland Barthes und beantwortet auch unmittelbar die Frage.

Ich glaube, ja, denn das Universum ist unendlich suggestiv. Jeder Gegenstand der Welt kann von einer geschlossenen, stummen Existenz zu einem besprochenen, für die Aneignung durch die Gesellschaft offenen Zustand übergehen, denn kein – natürliches oder nichtnatürliches – Gesetz verbietet, von den Dingen zu sprechen.[9]

Dabei ist jedoch offensichtlich, dass „unter ,Mythos‛ oder ,Mythen‛ offenbar recht unterschiedliche Größen verstanden werden“[10], die Peter Tepe in seiner Untersuchung offen legt und eine eindeutige begriffliche Erklärung des Phänomens Mythos in weite Ferne rückt. Mehr als 70 Bedeutungen des Begriffes Mythos hat Peter Tepe in seinem Buch „Mythos und Literatur – Aufbau einer literaturwissenschaftlichen Mythosforschung“ anhand von Medientexten herausgefiltert[11].

Im Folgenden soll eine kurze Definition zum Mythos- und Helden- beziehungsweise Heroen-Begriff gegeben werden, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Untersuchung beziehungsweise Feststellung Tepes erfolgen soll, die für diese Untersuchung der Erhöhung und Verehrung von Sportlern, genauer Fußballern am Beispiel der Mannschaft von Borussia Mönchengladbach – der Fohlen – von Bedeutung ist. Fußball und Mythos? Fußballmythen? Wie passt dies zusammen?

Kinder brauchen Märchen. Männer brauchen Mythen. […], ganz klar, was ein Mythos ist: Fußball! Phantastisches, Naives, Symbolhaltiges, Zeitloses von Göttern und Menschen – und das auch noch, anders als die Sagen des klassischen Altertums, nicht alle paar Jahrhunderte, sondern jede Woche neu und frisch[12]

Fußball ist reich an Mythenschätzen und modernes Theater für alle Schichten und Generationen und das unvorhersehbare Ende eines jeden Spiels zieht Woche für Woche Millionen in seinen Bann. Fußball ist Schauspiel, Schicksalsspiel sowie Trauerspiel und reich an Dramatik „Das Theater des Fußballs hat eine große, klar umrissene Bühne. Es steht fest, wann der Vorhang aufgeht, wann er fällt. […] In diesen 90 Minuten ist Platz für alle möglichen Wendungen der Dramaturgie. Auch deshalb also Fußball.“[13]

2.1 Die lexikalische Einordnung des Begriffs Mythos

Das Wort Mythos „ist eine Entlehnung aus griech.(-lat.) mythos“, existiert daneben noch „mit latinisierter Endung Mythus und eingedeutscht Mythe“[14] und bedeutet soviel wie Wort, Rede, Gespräch, Erzählung, Fabel, Märchen, Legende oder kurz „sage, unbeglaubigte erzählung“[15]. Beim Mythos handelt es sich, so die einhellige Meinung, um eine „mündliche oder schriftliche Überlieferung eines Volkes von seinen Vorstellungen über die Entstehung der Welt, seine Götter, Dämonen, usw.“[16]

Der Plural Mythen wird bereits „um 1800 mit Götter- und Heldensagen übersetzt“[17]. Vor allem die Mythen der Griechen[18] stoßen auf großes Interesse der Rezipienten. Zu den elementaren Themen des Mythos zählen „der Sinn des Lebens, Unglück, Erfolg, Grausamkeit, Liebe und Fruchtbarkeit, Tod, das Leben nach dem Tod […], der Gegensatz zwischen Alt und Neu, das Verhältnis der Menschen zu den Göttern, Magie, Macht, Schicksal“.[19]

Der Mythos bezeichnet ebenso die in den Götter- und Heldensagen ausgesprochene „Weltdeutung“[20], die als Mittel für die menschliche Werte- und Identitätsfindung dient. Daneben hat der Ausdruck Mythos jedoch noch eine andere Bedeutung und dies ist die „meist glorifizierende und oft kultisch verbrämte reaktionäre ideologische Legende zur irrationalistischen Deutung und Propagierung historischer Erscheinungen“[21].

Das große Wörterbuch der deutschen Sprache der Duden -Redaktion definiert Mythos auch als „Person, Sache, Begebenheit, die (aus meist verschwommenen, irrationalen Vorstellungen heraus) glorifiziert wird, legendären Charakter hat“[22]. Ähnlich deutet auch der Brockhaus den Mythos und sieht in ihm das Ergebnis einer sich zu jeder Zeit „vollziehenden Mythisierung im Sinne einer Verklärung.“[23]

Diese Definition verdeutlicht, dass der Mythos zu allen Zeiten Konjunktur hat und die neuen Mythen vor allem durch Verklärung zu Stande kommen. Mythos-Vertreter sind teils der Auffassung, dass Mythen lebenswichtige Funktionen erfüllen und das Streben nach völliger Entmythisierung abgelehnt werden muss. „So wird angenommen, dass jede Zeit einen Mythos brauche, um ihre Sehnsüchte und Hoffnungen auszudrücken.“[24]

Vor allem der „inflationäre Gebrauch des Begriffes M. in den Medien und in politisch-kulturellen Debatten“[25] lassen den Mythos entweder in einem negativen oder einem positiven Licht erscheinen. Der negativ besetzte Begriff ist im Sinne der Täuschung zu verstehen, der positiv besetzte Ausdruck im Sinne des Legendären.

2.2 Der traditionelle Mythosbegriff – der Mythos im engeren Sinne

Traditionell gesehen ist der Mythos, wie bereits bei der lexikalischen Begriffs-Einordnung erwähnt, eine „Überlieferung aus der Vorzeit eines Volkes in Form von Dämonen-, Götter- und Heldensagen, zur Legende Gewordenes“[26]. Mythos ist aber auch, wie angesprochen „die sich darin aussprechende Weltdeutung eines frühen (myth.) Bewusstseins“[27].

Dies entspricht ebenfalls den ersten beiden Bedeutungsdefinitionen in Peter Tepes Untersuchung „Mythos & Literatur“. Als Bedeutung 1 bezeichnet er die „Erzählung von Göttern, Heroen und anderen Gestalten und Geschehnissen aus vorgeschichtlicher Zeit“[28], wohingegen die zweite Bedeutung gemäß der vorherigen die „Gesamtheit der Götter- und Heldengeschichten eines Volkes beziehungsweise einer Kultur“[29] ist. Ebenfalls einbezogen werden kann die Bedeutung 6, wonach der Mythos als „mythisches Denken, mythische Weltauffassung“[30] verstanden werden kann.

Meist sind Mythen mündliche Kommentare von Kulthandlungen, also Erzählungen, die „die ,letzten Fragen‛ des Menschen nach sich und seiner als übermächtig, geheimnisvoll und von göttl. Wirken bestimmt empfundenen Welt artikulieren und dieses Ganze von seinen Ursprüngen her verständlich zu machen suchen (ganzheitl. Weltverständnis).“[31]

Mythen sind, so lautet eine These, durch Erscheinungen entstanden, die sich Menschen nicht vernunftmäßig erklären konnten. Aus einem Gewitter wird somit der Zorn der Götter und das rational nicht beziehungsweise noch nicht erklärbare Naturphänomen wird deutbar gemacht, um ihm den Schrecken zu nehmen und die Furcht der Menschen zu regulieren und abzuschwächen. „Im Mythos wird die Welt der Erscheinungen in Zusammenhang mit einer Welt des Göttlichen und der Götter gebracht und dadurch in ihrem Sein begründet oder beglaubigt.“[32]

Im traditionellen Mythos ist die Erscheinung und der Begriff des Numinosen stets enthalten und bildet ein elementares Charakteristikum für die Mythos-Definition. Der Begriff des Numinosen steht für das Übernatürliche, das Göttliche. „Das Numinose: Das Göttliche als unbegreifliche, zugleich Vertrauen und Schauer erweckende Macht.“[33] Die Hauptakteure im Mythos sind Götter oder Helden. Die Helden werden als Halbgötter bezeichnet, denen eine göttliche Verbindung zugeschrieben wird und die den Göttern ähneln. Der Unterschied zu den Göttern besteht lediglich im weltlichen Dilemma zu altern und sterben zu müssen.

„Je nach dem Inhalt unterscheiden wir mehrere Typen von Mythen. Eine erste Gruppe bilden die anthropogonen Mythen“[34], die von den Menschen und ihren Anfängen berichten. Es gibt Schöpfungsmythen, auch kosmogonische Mythen genannt, die vom Anfang der Welt berichten oder auch von ihrem Ende (eschatologische Mythen). Mythen handeln vom Entstehen der Götter (theogonische Mythen) und ihren Werken[35].

„Schließlich kennen wir noch Personenmythen, das sind Erzähltraditionen, die sich um konkrete Personen bilden; das können wirklich lebende oder idealisierte Personen der ,Vorzeit‛ bzw. der ,Traumzeit‛ sein.“[36] Helden und Heroen, die für die Gruppe oder Sippe große Taten vollbracht haben, stehen im Mittelpunkt dieser Mythen und haben Menschen in großer Not gerettet oder Feinde besiegt, Feuer gebracht oder Tiere gezähmt.

Mythen haben zentrale Ereignisse und Situationen des menschlichen Lebens zum Thema, wie Geburt und Tod, Ehe und Familie „Liebe und Hass, Treue und Verrat, Strafe und Vergeltung, Krieg und Frieden, […] vom kommenden Heilsbringer (soteriolog. Mythen), […], den Taten ihrer Heroen, den Anfängen und Riten, […] sowie staatl. und gesellschaftl. Ordnung (aitiolog. Mythen).“[37]

Anzumerken ist, dass den Mythen eine Aufgabe zuteil wird, die dem Menschen seine Stellung im Weltgefüge zu erklären versucht. Ein besonderes Augenmerk soll dabei in dieser Arbeit auf Heroenmythen, also Heldengeschichten gelegt werden, die großartige Taten von Helden beziehungsweise Heroen zum Thema haben. Dazu jedoch im Kapitel zur Heldendefinition mehr.

Wie bereits erwähnt, kann und soll diese Arbeit keinen vollständigen Erklärungsversuch des Begriffs Mythos geben, das würde den Umfang dieser Arbeit sprengen. Relevant ist jedoch im Hinblick auf den Mythos seine Präsenz und sein inflationärer Gebrauch in den Medien und die Vielfalt seiner Bedeutungen in diesem Kontext.

2.3 Der Mythos und seine Bedeutungsvielfalt – Mythos im weiteren Sinn

Wer den Mythos in eine ursprüngliche, weit zurückliegende Zeit verbannt, macht es sich sehr einfach. „Die mythische Dimension unserer Erfahrung ist auch in der technischen Welt nicht aus der Welt, sondern – insbesondere bei Störungen von Funktionsabläufen – in der Ausweglosigkeit des Raumes besonders nah.“[38] Wenn heutzutage die Zeitung aufgeschlagen wird, verwundert es niemanden dort etwas von einem Mythos zu lesen. Die Medienlandschaft hat den Begriff für sich entdeckt und der inflationäre und häufige Gebrauch des Begriffes Mythos macht bereits deutlich, dass der Rezipient quasi nach Mythen und Helden verlangt. Logik und Mathematik erleuchten die Wahrheit der Welt nicht, „denn die Wahrheit bedarf, […], immer des Bildes, der Gestalthaftigkeit, der Ganzheit.“[39]

Es gibt einen Mythos Marilyn Monroe, einen Mythos Diana, einen Mythos Che Guevara, den Mythos Titanic, das Wunder von Bern von 1954, aber auch Fitnessmythen, politische Mythen und noch viele mehr. „Die heutige Spontaneität im Gebrauch des Wortes Mythos, die ein Zeichen seiner Gegenwärtigkeit ist, beruht weitgehend auf einem Zustand, der nicht mehr ,heutig‛, sondern ,gestrig‛ und in unserem Gedächtnis […] dennoch durchaus gegenwärtig ist.“[40] Mythen überall und mit zahlreichen unterschiedlichen Bedeutungen. „Sie [die Mythosforscher – F.L.] hatten doch alle ihren eigenen Mythosbegriff und sie versuchten höchstens diesen Begriff dem Zuhörer näher zu bringen, ungeachtet der Unterschiede in der Begriffsbestimmung, die auf diese Weise entstehen mußten.“[41]

Diese Mythisierung ist jedoch kein Produkt des 20. beziehungsweise 21. Jahrhunderts, sondern ist ein immer währendes und zu jeder Zeit wahrnehmbares Phänomen, auch wenn in der Aufklärung der Mythos als „kindliche Denkform“ angesehen wird „und somit einer aufgeklärten Vernunft nicht angemessen“[42] ist. Trotzdem wird der Mythos durch die um 1800 beginnende ästhetische Moderne rehabilitiert und das Verlangen nach ihm „ist seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts immer stärker geworden.“[43] Die Mythos-Dimension hat sich natürlich im Laufe der Zeit verändert, aber dennoch ist er in neuen Formen präsent.

Offensichtlich lebt im Menschen der Drang nach Verehrung, ja nach Kult so unzerstörbar, daß sich der Mensch immer wieder, wenn er den Weg zum lebendigen Gott nicht findet, eine Weltgestalt zuwendet, sei es einer großen Erscheinung der Natur, sei es einem individuellen Menschen, sei es der menschlichen Gesellschaft als solcher, und dabei jene Haltung einnimmt, welche wir die Anbetung nennen. Auch die Kinder der Technik sind davon nicht befreit, ja gerade sie hungern nach dem Geheimnis, um so mehr, je nüchterner und verständlicher, je durchschaubarer oder überschaubarer die Erde und der ganze Kosmos werden.[44]

Der Mythos ist eben „das Resultat einer sich zu allen Zeiten, auch in der Moderne (,neue Mythen‛) vollziehenden Mythisierung im Sinne einer Verklärung von Personen, Sachen, Ereignissen oder Ideen zu einem Faszinosum von bildhaftem Symbolcharakter.“[45] Dieses unzutreffendes, verklärendes Bild entspricht auch dem Ergebnis von Peter Tepe, der diesen Punkt in seiner Untersuchung als Bedeutung 18 einordnet und von großer Wichtigkeit für diese Arbeit zum Fußballmythos ist: „Im Mythos (im verklärenden Bild) findet jeder ein Stück dessen, was ihn persönlich bewegt. Das macht die Leidenschaft aus, die Mythen zu wecken vermögen.“[46]

Der Konsum der Ware Mythos, der Genuss der Legende und der Bilder ist meist der eigentliche Antrieb des Konsumenten, da der Mythos in die heutige Zeit passt, „die nicht mehr viele Gewissheiten kennt, und er passt den Zeitgenossen, die zwischen Suche nach Orientierung und Sucht nach Ablenkung schwanken.“[47] Selbst Günther Netzer mutmaßt in seiner Biographie: „Es wurde mal geschrieben, dass unserer Spielweise auch immer das Scheitern innewohnte. Mag sein, mag auch sein, dass wir Fohlen gerade deshalb später zum Mythos verklärt wurden, aber ich wollte nicht scheitern, ich wollte nicht immer nur hochgelobter Zweiter sein.“[48]

Wie bereits zu Anfang von Kapitel 2 erwähnt, hat Peter Tepe mehr als 70 Mythos-Bedeutungen in seiner Arbeit „Mythos & Literatur“ herausgefiltert, zu viele um diese alle vorzustellen. Daher soll hier nur ein kurzer Überblick zu den für diese Arbeit relevanten Bedeutungseinordnungen gegeben werden. Erwähnt wurde ja bereits das unzutreffende, verklärende Bild. Des Weiteren wären noch die Bedeutungen 28, 29 und 30 von besonderer Wichtig­keit für diese Arbeit.

In der Bedeutung 28, die den Mythos beziehungsweise die Legende als Ruhm beziehungsweise Berühmtheit deutet, sieht Peter Tepe eine wichtige Funktion: „Der Verweis auf den Ruhm, beziehungsweise die Berühmtheit von X spielt im Mythos-Sprachgebrauch eine gewichtige Rolle, […].“[49] Ohne die Bekanntheit und sicherlich auch ohne den Erfolg oder das tragische Scheitern würden die Fohlen nicht Fohlen sein, und doch ist die Mannschaft von Borussia selbst in den glanzlosen letzen Jahren immer wieder so bezeichnet worden und macht ihr Image aus.

Die beiden nächsten Bedeutungseinteilungen (29 und 30) haben in der Untersuchung Peter Tepes einen Artikel von Borussia Mönchengladbach zur Grundlage, der den Titel „Abschied von einem Mythos“ trägt. Die Bedeutungen teilen den Mythos-Sprachgebrauch zum einen in „Muster, Schema, Modell“[50] (Bedeutung 29) und zum anderen in „Image, Bild in der Öffentlichkeit“[51] (Bedeutung 30) ein.

Gerade in der Bedeutungskategorie Muster, Schema, Modell spiegelt sich der Wunsch vieler wider, es den ,Großen‛ mal zu zeigen, wie einst die Mannschaft Borussia Mönchengladbachs. David gegen Goliath – der finanzschwache Verein aus der niederrheinischen Provinz auf der einen Seite, die kapitalistischen und finanzverwöhnten Bayern aus der großen Metropole München auf der anderen Seite. Ein Klassenkampf, ein Kampf der Systeme, der den gesellschaftlichen Status im sportlichen Duell widerspiegelt.

Das Bild in der Öffentlichkeit, das Image, das die Fohlen hinterlassen und das ihnen Ruhm und Ehre verleiht, ist zum einen der Mythos des Kleinen, aber auch der Mythos der unbeschwerten Angriffsfußballer, die das Spiel zelebrieren und leben, eben wie wilde, ungezügelte Fohlen auf einer Weide, mit Lust und Leidenschaft. Eine Spielweise, die die Fußballfans den Alltag vergessen lässt.

Handelt es sich dabei nicht gerade um eine Flucht aus der Wirklichkeit? Einer Flucht aus einer fragwürdigen Welt in eine illusionäre Wirklichkeit und „sind nicht die Spiele, selbst in ihren größten Massenveranstaltungen, wie etwa die großen Fußballspiele, Äußerungen eines solchen Bedürfnisses, in einer Welt der Imagination vereint zu sein, in der uns andere Gesetze wichtiger sind als die von der Wissenschaft ermittelten?“[52]

Es ist der Wunsch dem Alltag zu entkommen, sich der Illusion der Freiheit hinzugeben

und in Momenten des Glücksgefühls die Zeit als stillstehend zu erleben. Der Lauf der Zeit, der für einen glücklichen Augenblick aufgehoben wird – […] – dieses Erleben ist jenseits alles Verstandeswissens ein elementares Bedürfnis unseres Geistes. Nicht umsonst webt das mythische Denken solche Zeitlosigkeit in seine Bilder vom geglückten Dasein der Menschen hinein.[53]

2.4. Helden, Vorbilder, Idole und Stars – die Veränderung der Helden-Sichtweise im Lauf der Zeit

Im Kapitel 2.1 wurde bereits geschildert, dass die traditionelle Bedeutung des Mythos die Götter- und Heldengeschichten einer Gesellschaft zum Inhalt hat. Göttergeschichten der Griechen, Römer oder der Germanen haben ihren Platz im Geschichtsunterricht eingenommen, aber die Verehrung von Helden ist auch in der heutigen Zeit aktuell.

Die Helden sind heutzutage zwar nicht von göttlicher Geburt, aber herausragende Fähigkeiten und große Taten bilden immer noch das Charakteristikum der modernen Helden, die aus den Bereichen Politik, Entertainment sowie des Sports kommen und das Interesse der Öffentlichkeit genießen.

Dabei ist zu beachten, dass eine Abgrenzung zwischen den Begriffen Held, Idol und Star beziehungsweise Sternchen gemacht wird, die häufig synonym gebraucht werden, obwohl sie an einigen Stellen unterschiedliche Charaktereigenschaften beinhalten. Gerade die zunehmende Kommerzialisierung und Medialisierung von Sport und Sportereignissen ist ein Nährboden für Helden- beziehungsweise Starkreationen, die jedoch auch in der heutigen schnelllebigen Zeit rasch wieder verglühen können, wenn die Leistung abflacht oder ausbleibt.

Anfang des 19. Jahrhunderts beispielsweise dient der Sport ausschließlich der körperlichen Ertüchtigung und vor allem die Turnbewegung um Turnvater Jahn genießt großen Zulauf. Fußball wird als dumme Balltreterei abgetan. Helden dieser Zeit kommen aus einem völlig anderen Bereich. Heldenverehrung genießen überwiegend Akteure auf der politischen Bühne und nicht die Athleten der Leibesertüchtigung. Den Wunsch des Volkes nach Heldentum bedient der Kaiser persönlich.

Die Bedeutung politischer Helden nimmt jedoch während der aufkommenden Industrialisierung ab und macht Platz für völlig neue Heldentypen, die vor allem aus den Bereichen der Unterhaltungsindustrie und des Sports kommen. Grundstock für diese ,Heldenverschiebung‛ bildet zum einen die wachsende Medialisierung und zum anderen den durch die Verkürzung der Arbeitszeit gewonnene Freizeitzuwachs.

Herausragende körperliche Fähigkeiten, große Taten während des Wettkampfs und Erfolge bilden die Basis für die Verehrung von Sportlern, die zu Vorbildern, Idolen und Helden werden. „Das Sportidol als Träger herausragender körperlicher Fähigkeiten hat teil an dem, was die Idole der beiden anderen Bereiche [Showbusiness und Macht – F.L.] repräsentieren, an der Unterhaltung und der Macht.“[54]

2.5 Lexikalische Einordnung des Helden Begriffs

Der Held ist laut Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm unter anderem, „der durch tapferkeit und kampfgewandtheit hervorragende krieger“[55]. Des Weiteren aber ist der Held jedoch auch im geistigen Sinne[56] zu verstehen oder steht im Mittelpunkt eine Begebenheit oder einer Handlung vor allem im Drama und Epos.

Außerdem ist der Held laut grimmschen Wörterbuch „verallgemeinert zu dem begriff mann überhaupt, entsprungen aus der anschauung der allgemeinen wehrhaftigkeit“[57]. Von besonderer Bedeutung für diese Arbeit jedoch ist die Erläuterung 3 im Wörterbuch der Brüder Grimm, in der der Begriff Held sich auf jemanden überträgt, „der in irgend einem gebiet etwas ausgezeichnetes, hervorragendes leistet, so im guten und nützlichen“[58].

In der Brockhaus Enzyklopädie wird der Held erläutert, als „jemand, der sich mit Unerschrockenheit und Mut einer schweren Aufgabe stellt oder eine ungewöhnl., bewunderungswürdige Tat vollbringt“ oder der „im allgemeinen Sinn Hauptperson und Handlungsträger in einem literar. (epischen oder dramat.) Werk“[59] ist. Ebenso als „durch kühne Taten sich auszeichnender Mann, tapferer Kämpfer“[60] wird der Held von Wolfgang Pfeifer beschrieben.

Eine Abgrenzung zu den Ausdrücken Vorbild und Idol sowie Star ist von Nöten, um die Bedeutung des Ausdrucks Held zu erfassen. Ein Vorbild ist eine lebende oder überlieferte Persönlichkeit, „die aufgrund ihrer Lebensführung bzw. ihrer Leistungen zur Bezugsperson wird, also für Einstellungen und Verhaltensweisen eines Individuums Orientierungen, Modelle und Maßstäbe vorgibt, dadurch motiviert und Standards setzt.“[61] Es handelt sich also um eine Person, die andere anspricht und die sympathisch wirkt „oder aufgrund der sozialen Macht, die sie besitzt […], von uns zum nachahmenswerten Modell gewählt wird.“[62]

Der Begriff des Idols ist alltagsprachig eher negativ besetzt und bedeutet ursprünglich „1. Gottes-, Götzenbild [in Menschengestalt] 2. a) Abgott; b) [falsches] Ideal“[63]. Das Idol kann jedoch auch als Ersatzvorbild angesehen werden, das vor allem Kindern und Jugendlichen als Leitfigur dient und meist aus der Unterhaltungsbranche kommt. „Als Ersatz für nachahmenswerte Vorbilder wählen Kinder und Jugendliche oft Stars aus der Film-, Schlager- und Showbranche als Idole, die sie dann gelegentlich fanatisch verehren und deren Kleidung, Gang und Sprechweise sie nachahmen.“[64]

Der Begriff des Stars umfasst berühmte Persönlichkeiten, die vornehmlich aus den Bereichen Film, Musik, Sport aber auch aus der Politik kommen. Prominenz allein reicht jedoch nicht aus, um ein Star zu sein. Vielmehr muss der betreffenden Person auch ein gewisses Maß an Beliebtheit, Bewunderung oder Verehrung zuteil werden. Eine gewisse Nähe des Helden-Phänomens ist dabei offensichtlich. „Die Rituale der Verehrung und Bewunderung werden auch als Kult im säkularen Sinne bezeichnet, der um die Stars betrieben wird. Ähnlich wie beim religiösen Kult nährt sich dieser Kult häufig aus einer Vielzahl von Mythen, die sich um den Star ranken.“[65]

2.6 Charakteristika von Helden, Stars und Idolen im Fußball

Das sich der Helden-Begriff im Laufe der Geschichte gesellschaftlich verändert hat ist nahe liegend und soll an dieser Stelle auch nicht weitergeführt werden.[66] Wichtiger ist es auf die Charakteristika der Sporthelden und vor allem Fußballhelden hinzuweisen und diese zu definieren. Dabei ist es von immenser Bedeutung welch einzigartigen Stellenwert der Sport und insbesondere der Fußball in der heutigen Zeit inne hat und wie der Begriff Held zu denen von Star und Idol abgegrenzt wird.

Der Heldenbegriff kann somit in eine weite und eine enge Definition eingeteilt werden.[67] Zu den Charakteristika beider Definitionen können der sportliche Erfolg, der Charakter und die damit verbundene Aura der Athleten sowie die mythische Geschichte des Sportlers beziehungsweise der Mannschaft gezählt werden. Die mythische oder mythosbehaftete Geschichte umfasst bei Sportlern und Vereinen meist eine Verklärung oder besser gesagt eine Überhöhung[68] der sportlichen Leistung und wird medial aufgebaut, denn ohne Medien ist kein moderner Mythos möglich.

Die Sporthelden weisen zum Teil Parallelen zum Typ des klassischen Helden auf, stellen jedoch in großem Maße einen Sonderfall innerhalb der Heldenanalyse dar, da ihre erbrachten Leistungen als zu alltäglich im Vergleich zu anderen Heldentypen gelten. Bereits im antiken Griechenland gelten die siegreichen Athleten der Olympischen Spiele als Helden und werden wie Götter verehrt. „Die mythologische Bildproduktion war um Olympia herum kaum noch zu bremsen. Der Sieger erhielt gottähnliche Züge, der Verlierer blieb namenlos.“[69]

Der sportliche Erfolg ist bei den Griechen bereits Voraussetzung für die Heldenschaffung und Verehrung von Athleten. Eine Heldenkreation ist nur möglich, wenn nennenswerte Erfolge und Siege für die entsprechende Sportart verbucht werden können. Im Fußballsport sind nationale und internationale Siege in Meisterschaften oder Pokalwettbewerben von Vereinsmannschaften oder Nationalteams Garanten für herausragende sportliche Ereignisse, die im kollektiven Gedächtnis verankert sind.[70]

Als klassisches Beispiel für eine mediale Starkreation und ein Beleg für die Inszenierung des Sports als Showsport dient die ehemalige russische Tennisspielerin Anna Kurnikova, die es durch ihre anfänglichen Teilerfolge und erotische Ausstrahlung zu einem so genannten Tennisstar gebracht hat. Ihre jedoch dürftigen sportlichen Erfolge[71] im Tennis verhindern den Aufstieg in den Rang einer Heldin. Sie ist ein Star der Unterhaltungsindustrie, der von profitorientierten Management und den Medien inszeniert wird, aber kein sportliches Idol.

Großer sportlicher Erfolg und grandiose Siege nutzen einem Athleten jedoch nichts, wenn sein Charakter und seine Aura nicht medien- und fantaugliche genutzt werden kann. Der Diskuswerfer Rolf Dannenberg muss dies am eigenen Leib erfahren. Obwohl er bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles die Goldmedaille gewinnt, gelingt es ihm nicht die Gunst der Massen und Sponsoren zu erobern.[72]

Ausschlaggebende Charaktereigenschaften eines Sportlers sind nicht so einfach festzulegen, sondern unterscheiden sich von Rezipient zu Rezipient. Subjektive Bewertungen sind dabei ausschlaggebend und es muss sich nicht unbedingt um einen positiven und „selbstlosen Charakter“[73] handeln, wie Kerstin Hermes bei ihren Ausführungen zur Heldenkreation vertritt.

Der Fußballer Stefan Effenberg[74], bekannt als ,Tiger‛ Effenberg und für seine nicht immer positiven Ausschweifungen auf dem Fußballfeld und Privat berühmt, erfüllt trotz negativer Darstellung in der Presse immer noch die Kriterien eines Helden und dies verdankt er seinem stark ausgeprägten Charakter. Traurige Berühmtheit erlangt Effenberg bei der WM 1994 in den USA. Im Viertelfinalspiel gegen Bulgarien wird Effenberg ausgewechselt und es kommt zu einem Eklat, der die negativen Charakterzüge des ,Tigers‛ offenbart.

Die zahlreichen Pfiffe der deutschen Zuschauer, die seine Leistung honorieren, quittiert Effenberg auf seine Art und Weise und zeigt den weit mitgereisten Deutschen Fans den mittlerweile als ,Effe‛ bekannt gewordenen Mittelfinger.[75] Dies bedeutet zwar ein Beispiel für die negativen Charaktereigenschaften des Sportlers Stephan Effenberg, aber gleichzeitig gilt diese Gefühlsregung als Ausdruck seiner Emotionalität und Kennzeichen seiner Persönlichkeit.

[...]


[1] Der Begriff Fohlen beziehungsweise Fohlen-Elf wird von dem Journalisten Wilhelm August Hurtmanns vor dem Bundesligaaufstieg 1965 geprägt. Der Beiname bezieht sich auf das junge Durchschnittsalter der Gladbacher Mannschaft und ihre unbekümmerte, leichtfüßige und ungestüme Art, Fußball zu spielen. Vgl. Holger Jenrich: „Das Borussia Mönchengladbach Lexikon“, Göttingen 2007, S. 76.

[2] Holger Jenrich/Markus Aretz: „Die Elf vom Niederrhein“, Göttingen 2005, S. 30.

[3] Vgl. hierzu Helmut Grashoff : „Meine launische Diva“, Norderstedt 2005, S. 32.

[4] Helmut Grashoff: ebd., S. 144.

[5] Vgl. Peter Tepe: „Mythos & Literatur - Aufbau einer literaturwissenschaftlichen Mythosforschung“, Würzburg 2001, S. 15.

[6] Kurt Hübner: „Die Wahrheit des Mythos“, München 1985, S. 15.

[7] Kurt Hübner: ebd., S. 15.

[8] Kurt Hübner: ebd., S. 15.

[9] Roland Barthes: „Mythen des Alltags“, Frankfurt/Main 1964, S. 85/86.

[10] Peter Tepe: „Mythos & Literatur - Aufbau einer literaturwissenschaftlichen Mythosforschung“, Würzburg 2001, S. 14.

[11] Vgl. dazu Peter Tepe: ebd., S. 16 ff.

[12] Christian Eichler: „Lexikon der Fußballmythen“, München 2004, S. 411.

[13] Christian Eichler: ebd., S. 10f.

[14] Der Duden in 12 Bänden, Band 7, Etymologie, Mannheim; Wien; Zürich 1989, S. 477

[15] Jacob und Wilhelm Grimm: „Deutsches Wörterbuch“, Sechsten Bandes Zweite Abtheilung, Leipzig 1877, S. 2848.

[16] Gerhard Wahrig/Hildegard Krämer/Harald Zimmermann (Hg.): „Brockhaus Wahrig – Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden. Vierter Band“, Stuttgart 1982, S. 761.

[17] Wolfgang Pfeifer (Hg.): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Berlin 1989, S. 1145.

[18] Bekanntester Vertreter der griechischen Mythologie ist Homer mit der „Ilias“ und „Odyssee“.

[19] Arthur Cotterell: „Die Welt der Mythen und Legenden“, München 1990, S. 7.

[20] Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 19, Leipzig/Mannheim 2006, S. 213.

[21] Günter Kemp>

[22] Günther Drosdowski (Hg.): „Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in sechs Bänden. Band 4“, Mannheim 1976-1981, S. 1839.

[23] Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 19, Leipzig/Mannheim 2006, S. 213.

[24] Peter Tepe/Helge May: „Mythisches, Allzumythisches – Theater um alte und neue Mythen 1“, Ratingen 1995, S. 39.

[25] Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 19, Leipzig/Mannheim 2006, S. 218.

[26] Wolfgang Pfeiffer (Hg.): „Etymologisches Wörterbuch des Deutschen“, Berlin 1993, S. 1145.

[27] Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 19, Leipzig/Mannheim 2006, S. 213.

[28] Peter Tepe: „Mythos & Literatur - Aufbau einer literaturwissenschaftlichen Mythosforschung“, Würzburg 2001, S. 16.

[29] Peter Tepe: „Mythos & Literatur - Aufbau einer literaturwissenschaftlichen Mythosforschung“, Würzburg 2001, S. 17.

[30] Peter Tepe: ebd., S. 19.

[31] Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 19, Leipzig/Mannheim 2006, S. 213.

[32] Herbert Uerlings/Silvio Vietta: „Vorwort“, In: Silvio Vietta/Herbert Uerlings (Hg.): „Moderne und Mythos“, München 2006, S. 7.

[33] Peter Tepe/Helge May: „Mythisches, Allzumythisches – Theater um alte und neue Mythen 1“, Ratingen 1995, S. 16.

[34] Anton Grabner-Haider: „Strukturen des Mythos: Theorie einer Lebenswelt“, Frankfurt am Main 1989, S. 86.

[35] Vgl. dazu Peter Tepe/Helge May: „Mythisches, Allzumythisches – Theater um alte und neue Mythen 1“, Ratingen 1995 oder Anton Grabner-Haider: „Strukturen des Mythos: Theorie einer Lebenswelt“, Frankfurt am Main 1989.

[36] Anton Grabner-Haider: „Strukturen des Mythos: Theorie einer Lebenswelt“, Frankfurt am Main 1989, S. 88.

[37] Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 19, Leipzig/Mannheim 2006, S. 213.

[38] Silvio Vietta: „Mythos in der Moderne – Möglichkeiten und Grenzen“, In: Silvio Vietta/Herbert Uerlings (Hg.): „Moderne und Mythos“, München 2006, S. 22.

[39] Michael Hochgesang: „Mythos und Logik im 20. Jahrhundert“, München 1965, S. 58.

[40] Karl Kerényi: „Das Wesen des Mythos und die Technik“, In: Kurt Hoffman (Hg.): „Die Wirklichkeit des Mythos“, München/Zürich 1965, S. 129.

[41] Karl Kerényi: ebd, S. 127.

[42] Herbert Uerlings/Silvio Vietta: „Vorwort“, In: Silvio Vietta/Herbert Uerlings (Hg.): „Moderne und Mythos“, München 2006, S. 7.

[43] Michael Hochgesang: „Das neue mythische Zeitalter. Mythisches Denken in Literatur, Kunst, Musik, Philosophie. Versuche künstlicher Mythenschöpfung. Intellektualismus und Mythos“, In: Michael Hochgesang: „Mythos und Logik im 20. Jahrhundert“, München 1965, S. 55.

[44] Michael Schmaus: „Mythos und Offenbarung“, In: Kurt Hoffman (Hg.): „Die Wirklichkeit des Mythos“, München/Zürich 1965, S. 117.

[45] Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 19, Leipzig/Mannheim 2006, S. 213.

[46] Vgl. Peter Tepe: „Mythos & Literatur - Aufbau einer literaturwissenschaftlichen Mythosforschung“, Würzburg 2001, S. 32.

[47] Vgl. Peter Tepe: ebd., S. 32.

[48] Günter Netzer mit Helmut Schümann: „Aus der Tiefe des Raumes. Mein Leben“, Reinbek bei Hamburg 2005, S. 62.

[49] Peter Tepe: „Mythos & Literatur - Aufbau einer literaturwissenschaftlichen Mythosforschung“, Würzburg 2001, S. 40.

[50] Peter Tepe: ebd., S. 42.

[51] Peter Tepe: ebd., S. 42.

[52] Adolf Portmann: „Mythos und Wissenschaft“, In: Kurt Hoffman: „Die Wirklichkeit des Mythos, München 1965, S. 75.

[53] Adolf Portmann: ebd., S. 76.

[54] Gunter Gebauer (Hg.): „Körper- und Einbildungskraft: Inszenierungen d. Helden im Sport“, Berlin 1988, S. 132.

[55] Jacob und Wilhelm Grimm: „Deutsches Wörterbuch“, Vierten Bandes Zweite Abtheilung, Leipzig 1877, S. 931.

[56] Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm: ebd., S. 932 f.

[57] Jacob und Wilhelm Grimm: ebd., S. 934.

[58] Jacob und Wilhelm Grimm: ebd., S. 933.

[59] Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Band 12, Leipzig/Mannheim 2006, S. 266.

[60] Wolfgang Pfeifer: „Etymologisches Wörterbuch des Deutschen“, Berlin 1989, S. 672.

[61] Horst Schaub/Karl G. Zenke: „Wörterbuch zur Pädagogik“, München 1995, S. 367.

[62] Josef A. Keller/Felix Novak: „Kleines Pädagogisches Wörterbuch. Grundbegriffe – Praxisorientierungen – Reformideen“, Freiburg 1996, S. 362.

[63] Günther Drosdowski: „Fremdwörterbuch. Herkunft und Bedeutung der Fremdwörter.“, Wien 1984, S. 191.

[64] Hartmut Griese: „Personale Orientierung im Jugendalter – Vorbilder und Idole.“ In: Uwe Sander (Hg.): „Jugend im 20. Jahrhundert. Sichtweise, Orientierung, Risiken.“, Neuwied 2000, S. 213.

[65] http://de.wikipedia.org/wiki/Star_(Person)

[66] Eine umfangreiche Analyse der Bedeutung und des Bedeutungswandels zum Begriff Held liefert die Arbeit von Kerstin Hermes: „Die Kreation eines Helden durch Sportmedien und –literatur am Beispiel von Fritz Walter“, Düsseldorf 2004: zu finden unter http://www.mythos-magazin.de/mythosforschung/kh_walter.pdf, S. 4ff.

[67] Hier beziehe ich mich auf die bisher unveröffentlichte Magisterarbeit von Tobias Laxa: Fußball-Mythen in der Sportberichterstattung“, Düsseldorf 2005, S. 41ff.

[68] Vgl. dazu die Ausführungen zu Überhöhungen bei politischen Helden, die sich ebenfalls auf den Bereich des Sports anwenden lassen in Peter Tepe: „Entwurf einer Theorie des politischen Mythos – 4. Überhöhungen bei politischen Helden“, In: Prof. Dr. Peter Tepe/Dr. Thorsten Bachmann/Dr. Birgit zur Nieden/Tanja Semlow/Dr. Karin Wemhöner (Hg.): „Mythos No. 2. Politische Mythen“, Würzburg 2006, S. 59ff.

[69] Gunter Gebauer: „Die Mythen-Maschine“. In: Volker Caysa (Hg.): „Sportphilosophie“, Leipzig 1997, S. 291.

[70] Meist handelt es sich beim Fußball um den Sieg im Finale und nicht um irgendein gewonnenes Spiel.

[71] Anna Kurnikova erreicht in ihrer gesamten Tennis-Karriere keinen einzigen Einzeltitel.

[72] Vgl. Erhard Thiel: „Sport und Sportler – Image und Marktwert. Einsatzmöglichkeiten im Marketing“, Landsberg/Leech 1991, S. 19.

[73] Kerstin Hermes: „Die Kreation eines Helden durch Sportmedien und –literatur am Beispiel von Fritz Walter“, Düsseldorf 2005: zu finden unter http://www.mythos-magazin.de/mythosforschung/kh_walter.pdf, S. 62.

[74] Stephan Effenberg spielt von 1987 bis 1990 und von 1994 bis 1998 bei Borussia Mönchengladbach.

[75] Klaus Theweleit: „Das Tor zur Welt – Fußball als Realitätsmodell.“, Köln 2004, S. 115.

Ende der Leseprobe aus 108 Seiten

Details

Titel
Fußballmythen in Medien und Literatur am Beispiel von Borussia Mönchengladbach
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Neuere Deutsche Litertaurwissenschaft)
Veranstaltung
Mythosforschung
Note
1,85
Autor
Jahr
2008
Seiten
108
Katalognummer
V122129
ISBN (eBook)
9783640270965
ISBN (Buch)
9783640271030
Dateigröße
785 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fußballmythen, Medien, Literatur, Beispiel, Borussia, Mönchengladbach, Mythosforschung
Arbeit zitieren
Magister Artium Frank Lemke (Autor:in), 2008, Fußballmythen in Medien und Literatur am Beispiel von Borussia Mönchengladbach, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122129

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