Als der Frankfurter Nervenarzt und Schriftsteller Heinrich Hoffmann 1844 die Geschichte vom Zappelphillipp schrieb, konnte er kaum ahnen, dass er möglicherweise der häufigsten psychischen Störung auf der Spur war, unter der Kinder heute leiden. Rund sechs bis acht Prozent der Jungen und drei bis vier Prozent der Mädchen1 sind heute nach Schätzungen der Wissenschaft von der so genannten Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätstörung betroffen.
In der Literatur wird dieses Verhaltensbild meist kurz als ADHS bezeichnet, andere sprechen vom Zappelphillipp-Syndrom oder schlichtweg von Hyperaktivität. Seit einigen Jahren steht ADHS im Licht der Öffentlichkeit. Einige Wissenschaftler klagen, dass zu viele, möglicherweise hyperaktive, Kinder medikamentös behandelt würden. "Pillen für den Zappelphillipp" titelte die "Morgenwelt Wissenschaft"2. Und die Bundesärztekammer fragte im Januar 2002 in einer Pressemitteilung: "Zappelphillipp einfach ruhig gestellt?"3 Eltern und Lehrer treibt die Frage umher, ob ihr Kind lediglich ausgesprochen lebhaft ist oder tatsächlich hyperaktiv. Die Bundesärztekammer rief deswegen auf, betroffene Kinder umfangreich zu untersuchen - anstelle pauschal Beruhigungsmittel zu verabreichen. Die Sorge scheint nicht unberechtigt.
[...]
Inhaltsangabe
I.1.Zappelphillipp und Wackelkind: ADHS bei Kindern
I.2.Definition ADHS und Verhaltenstherapie
II. Hauptteil
II.1. Überblick über ADHS-Diagnosen
II.2. Auswirkungen von ADHS auf das Verhalten des Kindes – Warum Verhaltenstherapie helfen kann
II.3. Vertiefung verhaltenstherapeutischer Maßnahmen an ausgewählten Beispielen
II.4. Aufmerksamkeitstraining
II.5. Das integrierte Therapiekonzept nach Lauth und Schlottke
II.6. Andere verhaltenstherapeutische Maßnahmen
III. Fazit
IV. Literatur
I.1.Zappelphillipp und Wackelkind: ADHS bei Kindern
"Ob der Philipp heute still
wohl bei Tische sitzen will?"
Also sprach in ernstem Ton
der Papa zu seinem Sohn,
und die Mutter blickte stumm
auf dem ganzen Tisch herum.
Doch der Philipp hörte nicht,
was zu ihm der Vater spricht.
Er gaukelt
und schaukelt,
er trappelt
und zappelt
auf dem Stuhle hin und her,
"Philipp, das mißfällt mir sehr!"
Als der Frankfurter Nervenarzt und Schriftsteller Heinrich Hoffmann 1844 die Geschichte vom Zappelphillipp schrieb, konnte er kaum ahnen, dass er möglicherweise der häufigsten psychischen Störung auf der Spur war, unter der Kinder heute leiden. Rund sechs bis acht Prozent der Jungen und drei bis vier Prozent der Mädchen[1] sind heute nach Schätzungen der Wissenschaft von der so genannten Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätstörung betroffen.
In der Literatur wird dieses Verhaltensbild meist kurz als ADHS bezeichnet, andere sprechen vom Zappelphillipp-Syndrom oder schlichtweg von Hyperaktivität. Seit einigen Jahren steht ADHS im Licht der Öffentlichkeit. Einige Wissenschaftler klagen, dass zu viele, möglicherweise hyperaktive, Kinder medikamentös behandelt würden. „Pillen für den Zappelphillipp“ titelte die „Morgenwelt Wissenschaft“.[2] Und die Bundesärztekammer fragte im Januar 2002 in einer Pressemitteilung: „Zappelphillipp einfach ruhig gestellt?“[3] Eltern und Lehrer treibt die Frage umher, ob ihr Kind lediglich ausgesprochen lebhaft ist oder tatsächlich hyperaktiv. Die Bundesärztekammer rief deswegen auf, betroffene Kinder umfangreich zu untersuchen – anstelle pauschal Beruhigungsmittel zu verabreichen. Die Sorge scheint nicht unberechtigt.
„It has recently been estimated that 1.5 million children annually, or 2,8 % of the school-age population, may be using stimulants for behavior managment.“[4]
Wolfram Kinze erklärt, das ADHS selten schnell erkannt und richtig behandelt werde:
„Die Diagnostik sollte daher durch einen kinderpsychiatrisch entsprechend Erfahrenen erfolgen. Die Eltern und ihr hyperkinetisches Kind haben hierauf einen Anspruch.“[5]
Das Interesse von Bevölkerung, Wissenschaft, Literatur und Betroffenen am Thema Hyperaktivität ist ungebrochen groß. Vor diesem Hintergrund ist diese Hausarbeit angelegt. Sie möchte die Frage beleuchten, wie ADHS durch Verhaltenstherapie behandelt werden kann. Außerdem soll aufgezeigt werden, welchen Platz die Verhaltenstherapie unter den anderen Therapieformen bei der Behandlung von ADHS einnimmt.
I.2. Definition ADHS und Verhaltenstherapie
Auch wenn es rund um ADHS ein ganzes Potpourri an Begriffen gibt: Sie beschreiben meist alle die gleiche Verhaltensstörung. Um Irrtümern vorzubeugen, sei hier eine treffende Definition und Herleitung des Begriffes genannt.
„Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom verwenden wir als Oberbegriff für Symptome, deren eines das Hyperkinetische, in weiterer Fassung das Hyperaktive ist. ADS wird als Reizauswahlschwäche verstanden, die es dem Betroffenenen schwer macht, den Fokus ihrer Aufmerksamkeit ausdauernd auf ein Thema zu richten. (...) ADS-Betroffene fühlen sich von allen Reizen der Umgebung gleichzeitig und mit ungefilterter Stärke überrannt.“[6]
Folglich lassen sich ADS-Betroffene leicht ablenken. Laut Holowenko ist ADS durch drei primäre Symptome gekennzeichnet: Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität. Sekundäre Symptome bei Kindern seien: Verhaltensschwierigkeiten, Lernschwierigkeiten, schlechte Beziehung zu Gleichaltrigen und ein niedriges Selbstwertgefühl.[7] In dieser Hausarbeit werden die Begriffe ADHS, ADS oder ADHD abwechselnd verwendet. Es handelt sich hierbei nicht um eine inhaltliche Differenzierung.
Die Verhaltenstherapie, die in ihren Ursprüngen schon mehr als 100 Jahre alt ist[8], hat bei der Behandlung von ADHS in den vergangenen Jahren eine bedeutende Rolle eingenommen. Der Grund hierfür ist ebenso einfach wie einleuchtend.
„Weil Aufmerksamkeitsstörungen als Handlungsbeeinträchtigungen und eine Entwicklungsgefährdung gesehen werden, liegt es nahe, die Therapie als Entwicklungsintervention zu planen. Dies bedeutet, daß im >Kampf gegen die Symptome< der Aufmerksamkeitsstörung nur wenig Sinn gesehen wird, stattdessen erscheint es vordringlich, die Fähigkeit des Kindes, eigenständig, selbstreflexiv und situationsgemessen zu handeln, zu verbessern.“[9]
Einfach gesagt, handelt es sich bei der Verhaltenstherapie um ein Experte-Schüler-Modell. Es funktioniert nach dem Prinzip der Instruktion. Der Therapeut zeigt im Falle ADHS also dem Kind, wie es sich zu verhalten hat. Regeln werden aufgestellt. Mittel der Therapie sind die Situations- und Verhaltensanalyse, Informations – und Strategienvermittlung und Verhaltenstraining an sich. Als „therapeutische Material“ wird das Verhalten des Kindes verwendet. Die Therapeuten arbeiten demnach an der Motorik, an den kognitiven Fähigkeiten des Kindes sowie mit und an der Kommunikation. Die Therapie ist dabei situationsabhängig und gegenwartsbezogen.[10]
Folgendes einfaches Beispiel veranschaulicht die Funktionsweise:
„Jeden Tag wird zu einer festen Zeit ein bestimmtes Spiel geplant: Das Kind holt das Spiel, baut es auf und dann wird gemeinsam gespielt. Anschließend räumt das Kind das Spiel selbst auch wieder weg, und zwar an den festgelegten Ort. Täglich wird die Zeit für das Spiel um ein geringes ausgedehnt. Das Kind lernt, ausdauernder bei einer Sache zu bleiben.“[11]
Bei den hier beschriebenen Therapieformen handelt es sich allgemein um kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahmen. Als kognitiv werden laut Eisert[12] jene Maßnahmen bezeichnet, die dem Kind Strategien vermitteln, mit einer Situation angemessen umzugehen. Ein verhaltenstherapeutisches Instrument sei es, wenn Verstärker zur Belohnung und zur Bestrafung eingesetzt werden. Dieser Methode wiederum[13] liegt die Idee der Konditionierung zu Grunde.
[...]
[1] vgl. HOLOWENKO, Henryk, Das Aufmerksamkreis-Defizit-Syndrom (ADS). Wie Zappelkindern geholfen werden kann, Hemsbach, 1999, Seite 1
[2] http://www.morgenwelt.de/wissenschaft/010723-zappelphilipp.htm (14. August 2002)
[3] http://www.bundesaerztekammer.de/25/20020111/20010119.html (14. August 2002)
[4] DuPAUL, J. George, BARKLEY, A. Russell, CONNOR, F. Daniel, Stimulants, in: BARKLEY, A. Russell (Hrsg.), Attention-Deficit Hyperactivity Disorder. A Handbook for Diagnosis and Treatment, New York, 1998, Seite 510
[5] KINZE, Wolfram, Hilfe für Eltern zur Behandlung, Ernährung und Auswahl helfender Institutionen, in: CZERWENKA, Kurt (Hrsg.), Das hyperaktive Kind: Ursachenforschung – pädagogische Ansätze – didaktische Konzepte, Basel, 1994, Seite 92
[6] KNOTT, Heinrich, AD-Syndrom – das hyperkinetische Kind, in: Schulmagazin 5 bis 10, München, 6/1999, Seite 52
[7] HOLOWENKO, Henryk, Das Aufmerksamkreis-Defizit-Syndrom (ADS). Wie Zappelkindern geholfen werden kann, Hemsbach, 1999, Seite 27
[8] vgl. SCHORR, Angela, Die Verhaltenstherapie. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Weinheim/Basel, 1984, Seite 15ff
[9] LAUT, Gerhard W., LINDERKAMP, Friedrich, Diagnostik und Therapie bei Aufmerksamkeitsstörungen, in: STEINHAUSEN, Hans-Christoph, Hyperkinetische Störungen im Kindes- und Jugendalter, Stuttgart, 1995, Seite 150
[10] Die Informationen stammen aus dem Seminar: Verhaltenstherapeutische Ansätze und Verhaltensmodifikationen. Das Seminar wurde an der Universität Erfurt im Sommersemester 2002 von Dr. Silvia Andrèe angeboten.
[11] SKRODZKI, Klaus, Langzeitbeobachtungen bei Kindern mit HKS, in: PASSOLT, Michael, Hyperaktive Kinder: psychomotorische Therapie, München, 1997, Seite 150
[12] vgl. EISERT, Hans G., Kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung hyperaktiver Kinder, in: STEINHAUSEN, Hans-Christoph, Hyperkinetische Störungen im Kindes- und Jugendalter, Stuttgart, 1995, Seite 164
[13] ERWIN, Ruth A., BANKERT, Christine L., DuPAUL, George J., Treatment of Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder, in: REINECKE, Mark A., DATTILIO, Frank M., FREEMAN, Arthur (Hrsg.), Cognitive Therapy with Children and Adoloscents. A Casebook for clinical practice, New York, 1996, Seite 38
- Arbeit zitieren
- Kai Oppel (Autor:in), 2002, Verhaltenstherapeutische Ansätze bei hyperaktiven Kinder: Gemeinschaftsaufgabe für Kinder, Eltern, Lehrer und Therapeuten., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12225
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