Die Individualisierungsdebatte

Die Kontroverse um die Individualisierungstheorie Ulrich Becks


Hausarbeit, 2008

24 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Was bedeutet Individualisierung?

II. Die Individualisierungsthese Ulrich Becks

III. Kritik an der Individualisierungstheorie Ulrich Becks
III.1. Kritik am Mangel begrifflicher Exaktheit sowie an subjektiv gefärbter Argumentation
III. 2. ‚Fehlen der Operationalisierung und empirischer Überprüfung’
III. 3. Kritik am Fehlen der Herausarbeitung von Verursacherfaktoren
III. 4. ‚Ausblenden der Analyse soziologischer Vorläufertheorien’
III. 5. Weitere Kritikpunkte an der Individualisierungstheorie Becks
III. 6. Positive Kritik an Ulrich Becks Individualisierungsthese

IV. Verlauf der Individualisierungsdebatte

V. Ergebnisse der Individualisierungsdebatte?!

VII. Quellen/ Literatur

Quellen:

Literatur:

Einleitung

Besonders im deutschsprachigen Raum hat Ulrich Becks Werk ‚Die Risiko-gesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne’ (Beck 1986) dazu beigetragen, das Thema der „Individualisierung“ zu einem zentralen Gegenstand sozialwissenschaftlicher Diskussion und vor allem empirischer Forschung zu machen. Viele Autoren stellten bis dato die Frage ob und inwiefern die so genannte Individualisierungsdebatte die deutsche Soziologie bereichert oder ob sie diese in ihrer Arbeit und Entwicklung aufgehalten habe - ob die Diskussion inzwischen Früchte trage oder ob sie sich im Kreis drehe.

„Der Streit um die Individualisierungsthese ist so alt wie die These selbst.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Wir glauben nicht, dass er durch dieses Buch beendet wird. Dazu ist die These, wie viele Kritiker zu Recht anmerken, zu schillernd, und in der Diskussion werden beinahe so viele Interpretationen gehandelt, wie es Befürworter und Gegner gibt.“[1]

Becks Publikationen haben sowohl fachintern als auch fächerübergreifend zahlreiche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen dazu ermutigt seine Thesen zu überprüfen und zu hinterfragen. Angestoßen durch die Frage nach der Stichhaltigkeit der von ihm vorgestellten Analysen und Theoriebausteine sind sie auf Lücken sowohl auf theoretischer als auch auf empirischer Ebene gestoßen.

Im Gegensatz zur kritischen Auseinandersetzung mangelt es jedoch an system-atischen Darstellungen der Debatte. Die vorliegende Arbeit soll die Debatte um die Individualisierungsthese chronologisch nachvollziehen - aber hauptsächlich die Kritik an Ulrich Becks Individualisierungstheorie systematisieren. Der erste Teil soll einen kurzen Überblick geben, was allgemein unter ‚Individualisierung’ verstanden wird – der zweite Teil erläutert Ulrich Becks Theorie und sein Wirken in der Individualisierungsdebatte. In einer systematischen Darstellung soll an einigen disziplininternen Beispielen exemplarisch verdeutlicht werden welche die Haupt-kritikpunkte an der Individualisierungsthese sind. Diesen werden gegebenenfalls Becks Reaktion auf den Kritikpunkt oder die Verteidigung der These durch andere Wissenschaftler/-innen gegenübergestellt.

Eine Kurzdarstellung wie diese führt unweigerlich zu Generalisierungen und Verkürzungen und möchte nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Doch um die Übersichtlichkeit zu erhöhen folgt der systematischen Darstellung eine Übersicht der Entwicklung der Debatte seit 1986. Schließlich soll ein Zwischenstand die Schwierigkeit der Gegenwartsdiagnose verdeutlichen und demonstrieren, dass die Individualisierungsdebatte keineswegs abgeschlossen ist. Doch zunächst soll das grundlegende Verständnis für die Kontroverse geschaffen werden.

I. Was bedeutet Individualisierung?

Die Soziologie, schon immer am Verhältnis von Individuum und Gesellschaft interessiert, geht davon aus, dass es sich hierbei um ein Verhältnis im Sinne einer Relation handelt. Das Individuum betrachtend, hat man immer auch die Gesellschaft im Blick - und umgekehrt. Was sich nun seitens des Individuums in Relation zur Gesellschaft geändert hat, wird in Analysen zur modernen Gesellschaft als ‚Individualisierung’ bezeichnet (vgl. Beck 1986, Beck/ Beck-Gernsheim 1994, Beck/Sopp 1997, Friedrichs 1998, Kippele 1998).[2]

Der Begriff ‚Individualisierung’ meint ein Ensemble gesellschaftlicher Entwicklung-en und Erfahrungen, das hauptsächlich von zwei Erscheinungen gekennzeichnet ist: Die Auflösung vorgegebener sozialer Lebensformen (Kategorien wie Klassen, Stände oder Geschlechterrollen) sowie neuartige institutionelle Anforderungen, Zwänge und Kontrollen bezüglich des Individuums. Diese überlagern und überschneiden sich sowohl in der Realität als auch in der Diskussion immer wieder.

Grundlegend ist die Vielfältigkeit der Individualisierung. Wenn von ‚der’ Individualisierung die Rede ist, hat man es bereits mit einer sprachlicher Ver-einfachung zu tun, da es sich vielmehr um eine Vielzahl von Individualisierungs-prozessen und deren Diagnosen handelt.[3]

„Individualisierung meint: Die Biographie der Menschen wird aus traditionellen Vor-gaben und Sicherheiten, aus fremden Kontrollen und überregionalen Sitten-gesetzen herausgelöst, offen, entscheidungsabhängig und als Aufgabe in das Handeln des Einzelnen gelegt. Die Anteile der prinzipiell entscheidungs-verschlossenen Lebensmöglichkeiten nehmen ab, und die Anteile der entscheidungsoffenen, selbst herzustellenden Biografie nehmen zu.“[4]

Ein solcher Individualisierungsprozess kann bis ins Mittelalter zurückverfolgt werden. In verschiedenen Schüben wurden die Voraussetzungen für die Entwickl-ung der Idee des Individuums, der Individualität und der Identität geschaffen. Das Individuum wird als Gestalter seiner sozialen Welt gesehen. Die Autonomie der und des Einzelnen rückt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Als Indikator für die Pluralisierung der Lebensformen dient häufig die Familie. Seit den Fünfziger Jahren haben sich vielfältige Alternativen zur bürgerlichen Klein-familie entwickelt: Nichteheliche Lebensgemeinschaften, gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, Leben als Single, Alleinerziehende oder Partnerschaften mit getrennten Wohnsitzen.

Zu unterscheiden ist zwischen Individualisierung als einem kulturellen und einem sozialstrukturellen Phänomen.[5] Als Veränderungen in den sozialstrukturellen Gegebenheiten gilt zum Beispiel die zunehmende Arbeitsmarktindividualisierung.

Kulturelle Individualisierung umschreibt die alltagsweltliche Annahme, dass das Individuum für das, was in seinem Leben geschieht, selbst verantwortlich ist.

Als soziologischer Begriff ist Individualisierung der Versuch eine pointierte Zeit-diagnose zu stellen und als Gegenwartsbild ein beliebtes und zugleich umstritten-es Schlagwort der öffentlichen, wissenschaftlichen und privaten Diskussion über die gesellschaftliche Entwicklung geworden. Ulrich Beck hat hierzu einen ganz entscheidenden Beitrag geleistet: Er hat die ganze Debatte angestoßen.

II. Die Individualisierungsthese Ulrich Becks

Ulrich Beck, geboren 1944, promovierte 1972 zum Dr. Phil. an der Universität München. Nach Professuren für Soziologie in Münster und Bamberg ist er heute Professor an der Universität München. Er hat außerdem einen Lehrstuhl an der London School of Economics inne.

In Becks wissenschaftlichem Wirken sind mehrere Phasen zu erkennen. In den 1970er und 1980er Jahren engagierte er sich in der ‚Theorie-Paxis-Debatte’ inner-halb der Soziologie und auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Ab 1983 entwickelte er im Zuge der Diskussion über soziale Ungleichheit eine neue Variante der Individualisierungsthese. Ähnlich wie seine Vorgänger, die sich mit dem Thema befassten, versteht Ulrich Beck Individualisierung als einen gesell-schaftlichen Veränderungsprozess in welchem der Wandel der Selbstverhältnisse der einzelnen Individuen aus einem Wandel der sozialen Strukturen resultiert. Um Becks Individualisierungstheorie verstehen zu können, ist belangreich, dass er im Gegensatz zu anderen Theoretikern nicht die traditional-vormoderne Gesellschaft der modernen Gesellschaft gegenüberstellt sondern die klassisch-moderne mit der spätmodernen Gesellschaft kontrastiert.[6]

Hier wenden sich nämlich nun die Prinzipien der Modernisierung[7] selbst auf die moderne Gesellschaft an. Während sich zuvor, die Modernisierung begleitend, jeweils neue Traditionen, Institutionen und Lebensformen neu bildeten, geraten diese in der Spätmoderne ebenso unter Auflösungsdruck. Im Gegensatz zur weit verbreiteten Annahme, die entwickelten Industriestaaten befänden sich auf dem „Gipfel der Gesellschaftsgeschichte“[8], diagnostiziert Beck einen Bruch innerhalb der Moderne. Diesen Prozess der Modernisierung bezeichnet Beck, in Anlehnung an Luhmann, als ‚reflexive Modernisierung’ . Jedoch ist ihr Ergebnis nicht die Auflösung der ‚ersten’, industrie-gesellschaftlichen Moderne in eine Post-Moderne, sondern in eine andere - die ‚Zweite Moderne’ .

Es handelt sich um den Übergang der Industriegesellschaft zur „Risikogesell-schaft“[9]. Ein besonderes Charakteristikum der Zweiten Moderne ist das Dominant-werden bisheriger Nebenfolgen der Modernisierung. Es entsteht eine Vielzahl neuer Risiken wie Arbeitslosigkeit oder Umweltkatastrophen. Auch wächst die Unsicherheit der Individuen hinsichtlich ihres eigenen Lebenslaufs.

Die, durch Fortschrittseuphorie gekennzeichnete, ‚erste Moderne’ setzte die Individuen zuvor aus den traditionellen Milieus und ständischen Vorgaben frei und befähigte sie damit zur freien Berufswahl, zur eigenen Familiengründung und zur freien religiösen Glaubens- sowie politischen Willensbildung, was eine eigene und stabile Persönlichkeitsentwicklung ermöglichte. Es handelte sich um eine bewusste und gewollte Abkehr von Tradition sowie den Versuch der Überwindung materiellen Mangels und wird somit weithin positiv bewertet.

In der ‚Zweiten Moderne’ hingegen kommt es zu einem zweiten Individuali-sierungsschub, der die Beständigkeiten der Individuen erodieren lässt. Entscheidend für diesen Freisetzungsprozess war der Anstieg des materiellen Wohlstands, die Bildungsexpansion sowie der Ausbau des Sozialstaates in den 1950er und 1960er Jahren, welche eine generelle Verbesserung des Lebens-standards in Deutschland bewirkten . Beck bezeichnet dies als „Fahrstuhleffekt“[10], da fast alle sozialen Schichten einen nahezu automatisierten sozialen Aufstieg erlebten. Dieser verursachte eine Chancenneuverteilung, die jedoch weder die Klassenstrukturen aufbrach noch die soziale Ungleichheit beseitigte.

„Der Modernisierungsprozeß wird ‚reflexiv’ sich selbst zum Thema und Problem.“[11]

Reflexivität kann hier als Selbstkonfrontation übersetzt werden.[12] Es handelt sich dabei nicht um eine gezielte Überwindung der vorigen Stufe gesellschaftlicher Ent-wicklung, sondern um einen eigendynamisch im Verborgenen verlaufenden Prozess, der die Modernisierung weiter vorantreibt.

„Die Risikogesellschaft ist keine Option, die im Zuge politischer Auseinander-setzungen gewählt oder verworfen werden könnte. Sie entsteht im Selbstlauf verselbständigter, folgenblinder, gefahrentauber Modernisierungsprozesse.“[13]

Dadurch steigen jedoch der Entscheidungszwang und die Selbstverantwortlichkeit.

Jeder Einzelne ist somit betroffen von sozialem Aufstieg sowie den Risiken. Es gebe keinen erwartbaren Normalverlauf, keine Normalbiographie mehr, so Beck. Jeder werde somit zum eigenverantwortlichen „Planungsbüro und Handlungs-zentrum“[14].So wird zum Beispiel Arbeitslosigkeit (auch positiv: beruflicher Erfolg) nicht mehr dem Staat sondern der Verantwortung beziehungsweise Schuld des Individuums zugeschrieben, dessen Abhängigkeit von externen, aus der Perspektive der Akteure, schwer einsehbaren Entscheidungsvorgängen wächst.

[...]


[1] Beck, Ulrich/ Sopp, Peter(Hrsg.)(1997): Individualisierung und Integration. Neue Konfliktlinien und neuer Integrationsmodus? Leske und Budrich. Opladen, S. 9

[2] Kron, Thomas(2002): Individualisierung – allgemeine Tendenzen und der deutsche Sonderweg; In: Volkmann, Ute/ Schimank, Uwe(Hrsg.): Soziologische Gegenwartsdiagnosen I. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden, S. 257

[3] Junge, Matthias(2002): Individualisierung. Campus Verlag. Frankfurt/ Main, S. 9

[4] Beck, Ulrich/ Beck-Gernsheim, Elisabeth(1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Suhrkamp Verlag. Frankfurt/ Main, S.13

[5] Junge, Matthias(2002), S. 43

[6] Vgl. Rosa, Hartmut/ Strecker, David/ Kottmann, Andrea(2007): Soziologische Theorien. UVK Verlagsgesellschaft. Konstanz.

[7] Individualisierung, Domestizierung, Rationalisierung, Differenzierung sowie Globalisierung oder Beschleunigung

[8] Beck, Ulrich(1991): Politik in der Risikogesellschaft. Suhrkamp. Frankfurt/ Main, S.167

[9] Beck, Ulrich(1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp. Frankfurt/ Main, S.26. Im vierten Teil dieser Arbeit, der Systematisierung der Kritik, wird zu einem großen Teil auf die Kritik an diesem Werk eingegangen werden

[10] Beck, Ulrich(1986), S. 122

[11] Ebd., S. 26

[12] Volkmann, Ute(2007): Das schwierige Leben in der „Zweiten Moderne“ – Ulrich Becks „Risikogesellschaft“; In: Diess./ Schimank , Uwe: Soziologische Gegenwartsdiagnosen I. Eine Bestandsaufnahme. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden, S. 24

[13] Beck, Ulrich(1993): Die Erfindung des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung. Suhrkamp. Frankfurt/ Main, S. 36

[14] Beck, Ulrich (1986), S. 217

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Individualisierungsdebatte
Untertitel
Die Kontroverse um die Individualisierungstheorie Ulrich Becks
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Soziologie)
Veranstaltung
Sozialer Wandel: Multiple Modernities und Individualisierung
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
24
Katalognummer
V122295
ISBN (eBook)
9783640273461
Dateigröße
472 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Individualisierungsdebatte, Sozialer, Wandel, Multiple, Modernities, Individualisierung
Arbeit zitieren
Lilli Leopold (Autor:in), 2008, Die Individualisierungsdebatte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122295

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