Moderne Gesellschaften. Grundlagen und Charakteristika, Wandel in Familie sowie Religion, Herrschaft und Macht


Seminararbeit, 2020

19 Seiten, Note: 2


Leseprobe

Inhalt

Einleitung

Grundlagen der Gesellschaft - Historie, Entstehung und Charakteristika
Historischer Überblick
Wahrnehmung/Entstehung einer Gesellschaft
Charakteristika moderner Gesellschaften

Wandel der Familie
Von alteuropäischer Ökonomik des Oikos und dessen Untergang
Sozialer Wandel der Familie nach Scheuch

Wandel der Religion
Grund und Funktion der Religion
Sozialer Wandel der Religion nach Scheuch

Herrschaft und Macht

Conclusio

Literaturverzeichnis

Einleitung

Der Gebrauch von „Modernen Gesellschaften“ kommt zwar in der Soziologie oft vor, dennoch ist es schwierig ihn abzugrenzen. Man kann aber nicht abstreiten, dass sie bestimmte Merkmale aufweisen – demokratische Staatsformen, hoher Grad an Arbeitsteilung, ausgebautes Bildungssystem, positives Recht zu Konfliktregelung und kapitalistisch organisierte Ökonomien.1 Daneben weisen sie weitere, tiefergehende Charakteristika auf, die von den Klassikern der Soziologie intensiv diskutiert wurden. Moderne Gesellschaften zu definieren und abzugrenzen, aufzeigen von welchen Merkmalen sie prägt sind und was für eine Dynamik sie haben, können unter anderem als interessante Aspekte betrachtet werden, die es zu untersuchen gilt.

Diese Seminararbeit soll einen Überblick über die Grundlagen und Charakteristika moderner Gesellschaften geben. Dabei werde ich neben bestimmten Definitionen von einigen Klassikern der Soziologie, hauptsächlich auf die Überlegung von Berger und Luckmann eingehen. Es soll der Entstehungsprozess von einer Gesellschaft und die Integration des Einzelnen in diese Gesellschaft dargestellt werden, bevor ein Einblick auf die Charakteristika moderner Gesellschaften stattfindet. Am Ende gehe ich auf drei Grundbegriffe – Familie, Religion und Macht – ein und versuche in den Diskussionsabschnitten Zusammenhänge darzustellen sowie gewisse Entwicklungen in diesen Bereichen kritisch zu hinterfragen.

Grundlagen der Gesellschaft - Historie, Entstehung und Charakteristika

In diesem Kapitel möchte ich zunächst einen Überblick über die verschiedenen Typen von Gesellschaften im historischen Kontext geben. Im Anschluss werde ich auf die Wahrnehmung von Gesellschaften eingehen und orientiere mich dabei an den Ausführungen von Berger und Luckmann. Der letzte Abschnitt soll die Charakteristika moderner Gesellschaften nach Nassehi verdeutlichen, wobei diese auch durch die Ansichten der Klassiker der Soziologie ergänzt werden. Am jeweiligen Ende dieser drei Abschnitte wird eine kurze Diskussion eingebaut, um meine persönliche Ansicht einzubringen.

Historischer Überblick

Industrialisierung, Urbanisierung und Rationalisierung sind nur einige aber sehr dominante Merkmale moderner Gesellschaften. Sie sind kaum von unserem Alltag, unserer Realität wegzudenken. Dennoch werde ich für dieses Kapitel in einer Zeit einsteigen, wo diese Begriffe nicht einmal existierten. 50.000 v.u.Z. lebten die Menschen noch als Jäger und Sammler in kleinen Gruppen, wo Rangunterschiede von Alter und Geschlecht bestimmt wurden und wenig Ungleichheit innerhalb der Gruppe herrschte. Bestimmte Entwicklungen, wie z.B. Kultivierung gewisser Pflanzen, führten zur Bildung von Agrargesellschaften – kleine ländliche Gemeinschaften ohne Städte, die ihren Lebensunterhalt mit Ackerbau sowie Jagen und Sammeln verdienten. Über Weidegesellschaften entwickelten sich schließlich traditionelle Gesellschaften, die bis ins 19. Jahrhundert andauerten. Diese Gesellschaften sind von größeren Einwohnerzahlen, bedeutenden Ungleichheiten und einem gewissen Grad der Urbanisierung geprägt, wobei die Landwirtschaft immer noch im Zentrum der Wirtschaft steht. Von Jägern und Sammlern über Agrar- und Weidegesellschaften bis hin zu traditionellen Gesellschaften, diese sind die Typen vormoderner Gesellschaften. Das besonders Interessante bei dieser Entwicklung ist, wie mit der Sesshaftigkeit und steigendem Wohlstand, die Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft immer größer werden bis sie in Traditionellen Gesellschaften die Spitze erreichen.

Mit der Entstehung der „Ersten Welt“ im 18. Jahrhundert beginnt auch die Geschichte der modernen Gesellschaften. Die Erste Welt lässt sich anhand der Industriellen Revolution, die in dieser Zeit in Fahrt kam, einer hohen Urbanisierung und der Entstehung von Nationalstaaten kennzeichnen, wobei immer noch ein bedeutender Klassenunterschied – auch wenn der Unterschied im Vergleich zu traditionellen Gesellschaften abgenommen hatte - vorhanden ist. In Folge der russischen Revolution 1917 entwickelt sich die Zweite Welt, mit der Sowjetunion im Fokus. Diese moderne Gesellschaft basierte auf eine zentral geplante industrielle Produktion (Planwirtschaft), mit hoher Urbanisierungsrate und mit bedeutenden Klassenunterschieden. Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1989 fand auch in diesen Gesellschaften ein Wandel nach dem Vorbild der Ersten Welt statt. Entwicklungs- und Schwellenländer sind die Gesellschaften, die im Modernisierungsprozess aufgrund von unterschiedlichen Gründen, deren Erläuterung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, nicht mitgekommen sind. In Entwicklungsländer ist die Mehrheit der Bevölkerung noch in der Landwirtschaft tätig, wobei die Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte die einzigen Güter sind, die sie am Weltmarkt anbieten können. Schwellenländer unterscheiden sich im Entwicklungsgrad von den Entwicklungsländern, da sie ihnen etwas voraus sind. Sie befinden sich im Wandel nach dem Vorbild der Ersten Welt.

Anzumerken ist, wie die Erste Welt sich in einer Vorbildrolle etablieren konnte, die von anderen Ländern gejagt wird. Besonders bedeutend war die Trennung zwischen der ersten und zweiten Welt und ihrer Bedeutung für den Entwicklungsdiskurs der dritten Welt nach dem zweiten Weltkrieg. Der anfängliche Anspruch der entwickelten Länder die Ungleichheits- und Ausbeutungsverhältnisse zwischen ihnen und der dritten Welt auszubessern, erledigte sich sehr rasch als die dritte Welt zwischen den Fronten des West-Ost-Konflikts geriet und der Entwicklungsdiskurs zu einem Ideologiekampf mutierte.2

Wahrnehmung/Entstehung einer Gesellschaft

Mit der Entstehung von modernen Gesellschaften und der Soziologie hatte man auch den Anspruch den Begriff Gesellschaft zu definieren und abzugrenzen. Emile Durkheim bezeichnet die Gesellschaft als eine eigene Art der Realität und eine „moralische Institution“. Max Weber hingegen ging bei seinen Überlegungen davon aus, dass das soziale Handeln der Ausgangspunkt für die Entstehung gesellschaftlicher Strukturen ist.3 Für diese Arbeit werde ich die Gesellschaft im Verständnis von Berger und Luckmann präsentieren und aufzeigen, wie die Autoren durch einen Zusammenhang zwischen Wissen und Realität, die gesellschaftlichen Strukturen herleiten. In Bezugnahme auf die Überlegungen von Durkheim und Weber – sowie anderen Klassikern – versuchen die Autoren durch die Analyse des Wissensvorrats in einer Gesellschaft, eine Neukonzeption der Alltagswirklichkeit. Dabei erkennen sie die Bedeutung des unterschiedlichen Wissensvorrats und untersuchen aufgrund welcher Gründe dieser sich als das Konstrukt der gesellschaftlichen Wirklichkeit etablieren konnte. Bei Ihren Überlegungen erkennen sie einen Doppelcharakter der Gesellschaft (objektive und subjektive Charakterzüge) und führen an:

„Die Gesellschaft hat eine doppelgründige Wirklichkeit. Sie ist eine objektive Gegebenheit infolge der Objektivierung der menschlichen Erfahrung im gesellschaftlichen Handeln, in sozialen Rollen, Sprache, Institutionen, Symbolsystemen. Obwohl die letzteren Produkte menschlichen Handelns sind, gewinnen sie eine Quasi-Autonomie. So übt Gesellschaft auf den Einzelnen Zwang aus, während sie zugleich Bedingung seiner menschlichen Existenz ist. Denn Gesellschaft ist auch eine subjektive Wirklichkeit: sie wird vom Einzelnen in Besitz genommen, wie sie von ihm Besitz ergreift.“4

In diesem Zusammenhang stellen sie daher eine berechtigte Frage:

„Wie ist es möglich, dass subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität wird?“5

Eine Analyse der „Wirklichkeit des Alltags“ bietet auf diese Frage eine gewisse Antwort, wenn man sich die Merkmale anschaut, von denen sie geprägt ist:6

- Intersubjektivität: Wir sind uns bewusst, dass jeder die Welt aus einer Ich-Perspektive wahrnimmt, wodurch mehrere Wirklichkeiten vorhanden sind. Die Wirklichkeit des Alltags steht an oberster Stelle dieser Wirklichkeiten und dringt am massivsten ins Bewusstsein.
- Raum und Zeit: Die Wirklichkeit des Alltags ist nach Raum und Zeit strukturiert, wobei der zeitliche Aspekt bedeutender ist. Der Einfluss der Zeit ist so enorm, dass sich meine Wirklichkeit zwangsweise daran orientieren muss.
- Typisierungen: Sie helfen dem Individuum in der Wirklichkeit des Alltags sich zu orientieren und andere zu erfassen. Akte und Akteure werden typisiert und Verhaltensmunster objektiviert.

Objektive Wirklichkeit der Gesellschaft

Da der Mensch im Mittelpunkt der Realitätswahrnehmung steht, muss auch dieser gewisser Maßen definiert werden. Das Menschenbild bei Berger und Luckmann wird anhand von drei Schlüsselbegriffen definiert:7

- Weltoffeneinheit: ist eine anthropologische Gegebenheit und bezieht sich auf die Beziehung des Menschen auf seine Umwelt und die anderen.
- Instinktreduzierung: im Gegensatz zu anderen Tieren hat der Menschen sehr schwache Instinkte. Man kann von einer Reduzierung der Bedeutung der Instinkte für den Menschen sprechen, da unser Handeln nicht rein biologisch bestimmt ist.
- Exzentrische Positionalität: der Mensch hat die anthropologischen Grundsätze, um zu erlernen, sich selbst von oben zu beobachten und sich in Wechselwirkung mit der Umwelt und den anderen wahrzunehmen und diesen Umstand zu reflektieren.

Vor diesem Hintergrund erkennen Berger und Luckmann, dass gesellschaftliche Ordnung kein Produkt der Natur, sondern eine Erfindung des Menschen ist. Den Ursprung der Institutionalisierung sehen die Autoren in der Habitualisierung. Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Jede Typisierung, die auf diese Weise vorgenommen wird, ist eine Institution.“ Bei diesem Prozess werden nicht nur die Akte, sondern auch die Akteure typisiert und werden somit zum Allgemeingut. Diese habitualisierten Handlungen entstehen im Laufe einer gemeinsamen Geschichte, wobei sie allein durch ihre Existenz das menschliche Verhalten unter Kontrolle behalten und ihm eine Orientierungshilfe leisten. Institutionalisierung hilft dem Menschen Handlungen und Ereignisse vorauszusehen und damit sein Gehirn für Innovationen und Fortschritt zu entlasten.8

Subjektive Wirklichkeit der Gesellschaft

Berger und Luckmann deuten die Gesellschaft als einen „dialektischen Prozess“, bestehend aus drei Komponenten; Externalisierung, Objektivation und Internalisierung. Am Beginn des Integrationsprozess steht die Internalisierung. Diese findet in der primären Sozialisation statt, in dem der Mensch die Regeln und Vorstellungen innerhalb der Gesellschaft durch die „signifikanten Anderen“ kennenlernt. Die primäre Sozialisation ist damit abgeschlossen und die subjektive Wirklichkeit der signifikanten Anderen – die sie als objektiv wahrnehmen – wird Teil meiner objektiven Wirklichkeit.9 In der sekundären Sozialisation wird das Wissen von institutionellen Subwelten der Gesellschaft internalisiert, beispielsweise das benötigte Wissen für eine gewisse Rolle, wobei in dieser Phase eine Legitimation vorhanden sein muss, wie z.B. die Sprache.10

Der Doppelcharakter der Gesellschaft - wie subjektiv gemeinter Sinn, als objektive Faktizität angesehen wird – und dass der kulturelle Wissensbestand, der die Gesellschafft formt, nicht a priori existiert, sondern durch menschliches Handeln produziert wird, sind dabei die zentralen Punkte. Die Dialektik von Gesellschaft und Mensch im Sinne von, die Gesellschaft ist zwar ein menschliches Produkt, aber auch der Mensch ist ein Produkt der Gesellschaft, wird verdeutlicht. Doch bestimmte Aspekt werden etwas vernachlässigt, besonders im Bereich der Integration des Individuums in die Gesellschaft. Es scheint, dass der Mensch den signifikanten Anderen schutzlos ausgeliefert ist, ohne dass eine Wechselwirkung stattfindet. Dementsprechend können Veränderung nur von signifikanten Anderen ausgehen, je nachdem was sie der nächsten Generation vermitteln. Dabei wird dem Menschen die Fähigkeit zugesprochen, sich exzentrisch positionieren zu können. In dieser Position müsste er auch in der Lage sein, die Werte der signifikanten Anderen zu hinterfragen und wenn nötig zu ändern. Die Ausführungen von Berger und Luckmann sind nur eine Perspektive auf die Entstehung bzw. Wahrnehmung der Gesellschaft. Um die Realität in ihrer gesamten Komplexität besser verstehen zu können, muss man sie auch aus anderen Perspektiven betrachten.

Charakteristika moderner Gesellschaften

Bestimmte Charakteristika, die zweifelsfrei zu modernen Gesellschaften zugeordnet werden können sind unter anderem demokratische Staatsform, hoher Grad d. Arbeitsteilung/Differenzierung und Urbanisierung.11 In diesem Abschnitt werde ich zwei wichtige Charakteristika der Moderne von Nassehi vorstellen, bevor ich zusätzlich auf die Ansichten der Klassiker wie Weber und Comte eingehen werde. Zu Beginn geht Nassehi auf das Doppelgesicht der Moderne 12 ein. Denn die Selbstbeschreibung der Moderne war von Beginn an von einer starken Ambivalenz geprägt. Zum ersten Mal in der Geschichte, hat der Mensch die Initiative und versucht die Geschehnisse der Welt, mit von ihm erschaffenen Werkzeugen (Wissenschaft, Politik, ...) zu lenken. Man befreit sich von den geistigen Ketten der Vormoderne, gewinnt an Selbstbewusstsein dazu und ist voller Tatendrang. Diese rasante Entwicklung sorgt aber auch für gewisse Verunsicherung. Rationalisierung und Versachlichung nehmen überhand und Traditionen verlieren immer mehr an Bedeutung, ein Sinn- und Gemeinschaftsverlust findet statt. Ein Umstand der für Manche lähmend, statt motivierend wirkt und genau darin lässt sich die Ambivalenz der Moderne deutlich erkennen.

Daneben hat die Moderne für ein neues Zeitbewusstsein 13 gesorgt, das Nassehi sehr betreffend mit dem Ausdruck " Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ auf den Punkt bringt. Mit der Beschleunigung der gesellschaftlichen Dynamik entwickelt sich ein neues Zeitbewusstsein. Besonders ausschlaggebend waren die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen, die einen Bedarf nach einem neuen Zeitkonzept erweckten. In dieser Phase setzte sich auch die Uhr durch und mit ihr eine lineare Weltzeit, die zu einer wesentlichen Veränderung des Alltags beitrug.

[...]


1 Nassehi 2001, S. 208.

2 Bachinger/Matis 2009, S. 96.

3 AG Soziologie 1999, S. 162.

4 Berger/Luckmann 1980, VI.

5 Berger/Luckmann 1980, S. 20.

6 Berger/Luckmann 1980, S. 24ff.

7 Berger/Luckmann 1980, S. 49ff.

8 Berger/Luckmann 1980, S. 56ff.

9 Berger/Luckmann 1980, S. 139ff.

10 Berger/Luckmann 1980, S. 148ff.

11 Nassehi 2001, S. 208.

12 Nassehi 2001, S. 211ff.

13 Nassehi 2001, S. 214ff.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Moderne Gesellschaften. Grundlagen und Charakteristika, Wandel in Familie sowie Religion, Herrschaft und Macht
Hochschule
Wirtschaftsuniversität Wien
Note
2
Autor
Jahr
2020
Seiten
19
Katalognummer
V1223212
ISBN (Buch)
9783346650795
Sprache
Deutsch
Schlagworte
moderne, gesellschaften, grundlagen, charakteristika, wandel, familie, religion, herrschaft, macht
Arbeit zitieren
Engin Dudu (Autor:in), 2020, Moderne Gesellschaften. Grundlagen und Charakteristika, Wandel in Familie sowie Religion, Herrschaft und Macht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1223212

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Im eBook lesen
Titel: Moderne Gesellschaften. Grundlagen und Charakteristika, Wandel in Familie sowie Religion, Herrschaft und Macht



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden