Untersuchungen zur Sozialstruktur der Wisentherde (Bison bonasus) im Tierpark Berlin


Examensarbeit, 2007

116 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theorie
2.1 Tiere und Haltungsbedingungen
2.1.1 Biologie derWisente
2.1.1.1 Zoologische Systematik
2.1.1.2 Charakterisierung der Art
2.1.1.3 Gefahrdung des Wisents
2.1.2 Das Gehege der Wisente
2.2 Tagesablauf der Herde
2.3 Verhaltensbiologische Grundlagen

3. Material und Methoden
3.1 Vorstellung der Beobachtungstiere
3.2 Methoden
3.2.1 Datenerfassung
3.2.2 Verhaltenskatalog
3.2.3 Datenauswertung

4. Ergebnisse
4.1 Die sozialen Verhaltensweisen in der Herde
4.2 Soziogramme
4.3 Ubersichten zur Verteilung der positiven und negativen Verhaltensweisen
4.4 Verhalten und Beziehungen zwischen den Kiihen
4.4.1 Die Rangordnung
4.4.2 Das Kontaktverhalten
4.5 Die soziale Stellung des Bullen „Spurter" in der Herde
4.6 Verhalten und Beziehungen zwischen dem Jungtier und den anderen Tieren
4.6.1 Die Mutter-Kind-Beziehung
4.6.2 Beziehungen zu den anderen Tieren

5. Diskussion
5.1 Die sozialen Verhaltensweisen in der Herde
5.2 Verhalten und Beziehungen zwischen den Kiihen
5.2.1 Die Rangordnung
5.2.2 Das Kontaktverhalten
5.3 Die soziale Stellung des Bullen „Spurter" in der Herde
5.4 Verhalten und Beziehungen zwischen dem Jungtier und den anderen Tieren
5.4.1 Die Mutter-Kind-Beziehung
5.4.2 Beziehungen zu den anderen Tieren
5.5 Methodendiskussion

6. Zusammenfassung

7.QueIIenverzeichni s
7.1 Literaturverzeichnis
7.2 Verzeichnis der Internetadressen
7.3 Abbildungsverzeichnis
7.4 Tabellenverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

Die soziale Organisation ist ein Phänomen fast aller in Gruppen lebenden Tiere. Dabei ist das Sozialverhalten der Tiere wichtig für das Zusammenleben in jeder noch so kleinen Tiergruppe.

Der Wisent (Bison bonasus Linnaeus, 1758) ist der größte Herbivore Europas und zudem der letzte Vertreter der Wildrinder. Ursprünglich war er nahezu in ganz Europa verteilt. Aufgrund wirtschaftlicher Veränderungen, die sich nach dem ersten Weltkrieg ergaben, wurden die letzten Tiere dieser Art in Bialowieza (Polen) und dem Kaukasus getötet (PUCEK, 1986). Um dem Aussterben der Art entgegenzuwirken, wurde aus den wenigen Tieren in Zoos und Wildparks eine neue Population gegründet. Die Basis dieses Programms ist das internationale Zuchtbuch (European Bison Pedigree Book) mit ca. 3000 eingetragenen Tieren. In Deutschland werden in 75 Zuchtstationen 450 Tiere gehalten. In Polen, Litauen, Russland und der Ukraine wurden bereits erfolgreich Wisente in freier Natur etabliert (PUCEK et al., 2002; RACZYNSKI 2001).

In den letzten Jahren nimmt das Interesse am Bison bonasus L. ständig zu. Bisherige Kenntnisse über das Verhalten der Art stammen überwiegend von den frei lebenden Exemplaren im Nationalpark von Bialowieza (KRISCHKE, 1984) sowie aus Beobachtungen in Gehegehaltung (GEBCZYNSKA et al., 1974). Die Verhaltensstudien sind notwendig, um das Sozialverhalten der Wisente eingehender verstehen zu können, und somit das gewonnene Wissen bei der Erhaltung und Wiedereinbürgerung der Art zu berücksichtigen.

Aus diesem Grund sollen in der vorliegenden Arbeit Verhaltensweisen der Beobachtungstiere, die in Zusammenhang mit sozialen Interaktionen und Beziehungen in der Gruppe stehen, beschrieben und quantifiziert werden, um sie für den Umgang mit den Tieren nutzbar zu machen. Des Weiteren stehen das Rangverhalten der aus neun Tieren zusammengesetzten Herde, die soziale Stellung des einzigen Bullen sowie das MutterKind-Verhalten im Vordergrund.

Zuerst erfolgt eine Charakterisierung sowie in einem kurzen Abriss der Verlauf des Aussterbens in der Natur und der anschließenden Etablierung der Art. Dann werden die für die Beobachtung ausgewählten Tiere näher vorgestellt und die Methoden erläutert. Danach werden die Ergebnisse präsentiert und diskutiert. In einer abschließenden Zusammenfassung werden die gewonnenen Erkenntnisse komprimiert dargelegt.

2. Theorie

2.1 Tiere und Haltungsbedingungen

Im Folgenden finden sich allgemeine Informationen zur Tierart des Wisents (Bison bonasus Linnaeus, 1758) und deren Haltungsbedingungen im Tierpark Berlin- Friedrichs- felde.

2.1.1 Die Biologie der Wisente

Die nachstehende Übersicht soll einen Überblick über die Stellung des Bison bonasus

L. in der Systematik des Tierreiches darstellen.

2.1.1.1 Zoologische Systematik

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In der verwendeten Literatur gibt es ab der Gattung verschiedene Ansichten der zoologischen Einordnung des Wisents. Die folgende Systematik ist meines Wissens die am weitesten verbreitetste.

Zur Gattung Bison gehören zwei Arten, der amerikanische Bison (Bison bison, Linnaeus, 1758) und der europäische Wisent (Bison bonasus, Linnaeus, 1758). Als Unterarten des Bisons sind der Waldbison (Bison bison athabascae, Rhoads, 1898) und der Präriebison (Bison bison bison, Linnaeus, 1758) bekannt. Die drei Unterarten des Wisents sind der Flachlandwisent (Bison bonasus bonasus, Linnaeus, 1758) sowie die beiden bereits ausgestorbenen Unterarten, der Bergwisent (Bison bison caucasicus, Turkin et Satunin, 1904) und der Karpatenwisent (Bison bonasus hungarorum, Kretzoi, 1946) (www.wwf.de; www.diss.fu-berlin.de; http://www.wisente-rothaargebirge.de).

2.1.1.2 Charakterisierung der Art

Der Bison bonasus L. gehört systematisch zu den Bovinae (Wildrinder). Alle Wildrinder zählen zu den Hornträgern (Bovidae) und sind Wiederkäuer. Vor rund zehn Millionen Jahren, im Tertiär, traten sie in Nordamerika und in Europa auf und sind phylogenetisch eine relativ junge Gruppe. Im Quartär, vor einer Million Jahren, waren sie am stärksten ausgeprägt (BUCHHOLTZ, 1988).

Die Rinder sind durch ihre Größe und den plumpen, tonnenförmigen Rumpf gekennzeichnet. Ihre Kopf-Rumpf-Länge, die Länge von der Schnauzenspitze bis zur Schwanzwurzel, liegt zwischen 160 und 350 cm. Die Schwanzlänge variiert innerhalb der Gattungen von 18- 110 cm. Die Schulterhöhe reicht von 60 cm bis 280 cm, das Gewicht von 150 bis 1350 kg. Der Schädel ist breit und verjüngt sich nur minimal zur Schnauze hin. Bei beiden Geschlechtern sind Hörner vorhanden. Das Flotzmaul, die Verbindung zwischen Naseneingang und Oberlippe, ist unbehaart und feucht. Bei den Männchen ist es stärker ausgebildet. Das Fell ist größtenteils kurzhaarig und glatt anliegend. Die Farbgebung des Haarkleides differiert innerhalb der Gattungen. Die typische Zahnformel für die Unterfamilie Bovinae lautet [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]Schneidezähne und die Eckzähne des Unterkiefers werden zum Abbeißen von Gras benutzt. Im Oberkiefer besitzt das Rind eine Hornplatte, die als Gegenlager beim Kauen dient. Die Backenzähne spielen beim Wiederkäuen eine wichtige Rolle (WÜNSCHMANN, 1968; www.wikipedia.de).

Die meisten Arten der Rinder bewohnen Asien, der Urheimat dieser Unterfamilie. Dort und in Afrika leben sie heute noch in freier Wildbahn. Wildrinder Europas und Nordamerikas wurden in der Vergangenheit in der Natur nahezu ausgerottet. Nur in Schutzgebieten und Zoos konnte ihr Überleben gesichert werden (WÜNSCHMANN, 1968). Viele Arten bewohnen dichte Waldungen, aber auch Grassteppen und Gebirgsregionen (bis 6000 m). Die Rinder sind, wie die meisten Tiere der Erde, an Wasser gebunden.

Die Bovinae ernähren sich omnivor. Vor allem Gräser, Kräuter, Laub, Knospen, Triebe und Rinde von Bäumen, Sträucher, Sumpf- und Wasserpflanzen, Flechten und Moose werden als Hauptnahrung bevorzugt (WÜNSCHMANN, 1968; BUCHHOLTZ, 1988).

Der Geruchs- und Gehörsinn sind bei Rindern am ausgeprägtesten. Durch die Geruchskontrolle, vorzugsweise durch Beschnuppern des Afters, kann z.B. die Mutter ihr Kalb identifizieren. Mit Hilfe des Beschnupperns der Geschlechtsregion des Weibchens erkennt der Bulle die Brünstigkeit (flehmen). Das Sehvermögen ist verhältnismäßig gut ausgebildet und lässt die Farben Blau, Rot, Grün und Gelb erkennen. Zur Orientierung werden die Augen weniger genutzt. Unbewegte Gegenstände können nur aus der Nähe wahrgenommen werden (BUCHHOLTZ, 1988; http://lexikon.meyers.de).

In der Fortpflanzungszeit sind unter den Bullen Kämpfe zu beobachten, in denen der Sieger Vorzug beim Decken der Weibchen genießen darf. Ein bis zwei Kälber kommen nach neun bis elf Monaten mit dem Kopf zuerst zur Welt und können schon nach kurzer Zeit laufen, um der Mutter sowie der Herde zu folgen (WÜNSCHMANN, 1968).

Fast alle Rinder sind Herdentiere, die aus maximal drei dutzend Mitgliedern besteht. Innerhalb eines Jahres können drei verschiedene Arten von Zusammensetzungen unterschieden werden: die gemischten Gruppen, Verbände aus Weibchen und Jungtieren sowie Bullenvergesellschaftungen. In der Brunstzeit schließen sich die Männchen den Weibchengruppen an. Innerhalb einer Herde herrscht eine relativ stabile Rangordnung, wobei die Stellung eines Tieres in dieser Hierarchie durch Körpermerkmale (z.B. Größe, Gewicht) bestimmt wird. Um die Rangstellung in der Gruppe zu bewahren bzw. anzuzeigen, haben die Rinder eine Fülle an Ausdrucksmitteln. Hierbei hat die Haltung des Kopfes und der Hörner zum Hals und zum Rumpf eine entscheidende Bedeutung in der Intention des Tieres zu einem anderen. Zum Beispiel wird beim Drohen plötzlich der Kopf gesenkt und die Hörner nach vorn gerichtet. Um direkte Auseinandersetzungen zu vermeiden, werden Ausweichdistanzen von rangniederen zu ranghöheren Tieren eingehalten und sind Ausdruck des Respekts (Distanztiere) (BUCHHOLTZ, 1988; WÜNSCHMANN, 1968; SAMBRAUS, 1991). Zur Ausbildung und Aufrechterhaltung sozialer Interaktionen lässt sich das soziale Lecken vor allem am Kopf, Hals und den Schultern nennen. Diese Körperregionen kann das Tier selbst nicht erreichen (BUCHHOLTZ, 1988).

Der Bison bonasus L.- Wisent

Merkmale

Der Wisent ist die größte und schwerste Art der Bovidae in Europa. Die Kopf-Rumpf- Länge kann maximal 300 cm betragen. Die Standhöhe beläuft sich bei erwachsenen Tieren auf 180 bis 195 cm. Ein deutlicher Geschlechtsdimorphismus lässt sich u.a. im Gewicht erkennen. Männchen können bis zu 920 kg wiegen, Weibchen dagegen nur maximal 540 kg. Seine Lebensdauer in Gefangenschaft beträgt bis zu 28 Jahre, in Freiheit bis zu 24. Die Weibchen werden im Vergleich zu den Männchen älter.

Der Vorderkörper des Wisents ist massig. Die Rückenlinie fällt vom höchsten Punkt, dem Widerrist, der die Sacralregion um bis zu 20 ± 25 cm beim Männchen (12- 15 cm beim Weibchen) übersteigt, nach hinten ab. Seinen Schädel trägt er tiefer als den Widerrist. Der Brustkorb ist seitlich komprimiert und tief (vgl. Abb.1). Bei beiden Geschlechtern sind Hörner am Kopf ausgebildet. Sie sind schwarz, klein und rundlich nach innen gebogen. Die Ohren sind kurz, dicht beharrt und im Kopfhaar verborgen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Der Körperbau- Ticara (Ƃ, links XQG 6SXUWHU ƃ %LOG :HVWSKDO

Die Grundfarbe des Haarkleides ist dunkelbraun mit rötlicher (bei Kälbern) bis graubrauner Schattierung, nur der Vorderkörper, der Bauch, die Mähne und die Extremitätenenden sind etwas dunkler gefärbt. Das Haar ist glatt und zottelig lang, bestehend aus Lei t-, Grannen- und stark gekräuselten Wollhaaren an den Kopfseiten und den Ohren. An der Kehle und der Brust ist das Fell verlängert. Der so genannte Kehlbart kann bei einem erwachsenen Bullen eine Länge von bis zu 40 cm erreichen. Einmal jährlich, stets im Frühjahr, wechseln die Tiere ihr Haarkleid. Die Dauer ist von der Kondition des Tieres abhängig. Der Schwanz reicht mit bis zu 80 cm bis zum Tarsal- gelenk (MOHR, 1952; KLÖS 1968; PUCEK, 1986; http://lexikon.meyers.de).

Verbreitung, Lebensraum und Nahrung

Durch Fossile konnte belegt werden, dass Vertreter der Gattung Bison zum Ende der Eiszeit (Plioz ä n) in Südasien zu finden waren. Das damalige Verbreitungsgebiet erstreckte sich von Spanien über Mitteleuropa bis ins westliche Sibirien. Er war bis auf einer Höhe von 2100 m zu finden. Im 5./ 6. Jahrhundert war der Wisent auch in England verbreitet (siehe Abb.2). In diesen Gebieten war er sowohl in offenen Wäldern als auch auf Wiesen zu finden. Durch Wilderei wurde der Wisent in dichte Wälder verdrängt. Heutzutage leben Populationen in Polen, Weißrussland, dem Baltikum und im Kaukasus, die aus Zuchtprogrammen der Zoos stammen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Einstiges Verbreitungsgebiet des Wisents (aus BUCHHOLTZ, 1988).

Als Lebensraum präferiert der Wisent primäre Laub- und Mischwälder mit feuchten Lichtungen und gut entwickeltem Unterholz, da die Wälder ein gutes Nahrungsangebot bieten.

Als Nahrung dienen dem Wisent Kräuter, Laub, Triebe von Sträuchern und Bäumen, Rinden sowie Flechten. Im Frühjahr und Sommer stellen Grünpflanzen den größten Teil ihrer Nahrung dar. Im Herbst und Winter dagegen werden Triebe und Rinden von Bäumen sowie Flechten bevorzugt. Der tägliche Nahrungsbedarf eines erwachsenen Tieres beträgt 30 bis 45 kg und darunter bis zu vier kg holzige Nahrung. Durch die Nahrungsaufnahme ZLUG GLH ÄWDJHspeULRGLVFKH $NWLYLWlWVYHUWHLOXQJ³ (BUCHHOLTZ, 1988: S.405) bestimmt, d.h. im Sommer erfolgt das Fressen morgens und abends und im Winter zwei- bis fünfmal am Tag. Die Tiere verbringen die meiste Zeit, wie es in Abb. 3 verdeutlicht wird, mit Ruhen, was 60 % des Tag ausmacht (PUCEK, 1986; BUCHHOLTZ, 1988).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Lebensweise

Wisente leben in kleinen Verbänden von ca. zwanzig Tieren, die aus Kühen, zwei- bis dreijährigen Jungtieren beiderlei Geschlechts und Kälbern bestehen. Gewöhnlich werden die Herden von der ältesten Kuh angeführt. Die Beziehungen untereinander können als friedlich gewertet werden. Die Bindung zwischen Jungtier und Mutter ist bis zum dritten Lebensjahr erkennbar.

Die älteren Bullen sind meist Einzelgänger (solitär). Die Männchen, die im Frühjahr und Sommer nicht in den Muttergruppen integriert sind, schließen sich im August und September ihnen an, um sich mit den Kühen zu paaren. Zwischen konkurrierenden Bullen können in dieser Phase Hornkämpfe beobachtet werden. Jüngere Bullen können auch in so genannten Junggesellenverbänden aufgefunden werden. In dieser Gemeinschaft bleiben sie, bis sie konkurrenzfähig gegenüber anderen Bullen sind und als Sieger bei Kämpfen privilegiert sind, Herden zu führen.

Jungtiere spielen oft miteinander, indem sie z.B. einander verfolgen oder sich gegenseitig schieben. Sie orientieren sich an dem Verhalten der Älteren und ahmen es nach.

Auseinandersetzungen sind überwiegend an Futterstellen zu beobachten, wobei hochrangigere Tiere die rangniederen mit Hornstößen vertreiben. Deshalb wird angenommen, dass ranghohe Tiere aggressiver sind (BUCHHOLTZ, 1988).

Fortpflanzung

In der Brunstzeit, die von August bis Oktober dauert, können die Bullen die Ä%HUHLWVFKDIW³ GHU .XK GXUFK JHQLWDOHV %HULHFKHQ XQG GHP DQVFKOLH‰HQGHQ )OHKPHQ feststellen. Ist dies der Fall, ZLUG GLH .XK YRP %XOOHQ ÄJHK WHW³ +LHUbei legt der Bulle zeitweise seinen Kopf auf den Rücken des Weibchens. Die Geschlechtsreife tritt sowohl beim Weibchen als auch beim Männchen mit drei Jahren ein.

Nach einer 264- bis 268-tägigen Tragzeit bringen die Weibchen von Mai bis September zumeist ein Kalb mit einem durchschnittlichen Geburtsgewicht von 22 kg zur Welt. Drei bis vier Tage vor Geburt sondert sich die Kuh von der Herde ab. Erst nach drei bis vier Wochen wird das Kalb in die Herde integriert. Es ist nach sechs bis acht Monaten entwöhnt. Ein Bulle ist mit ca. acht Jahren ausgewachsen.

Erwachsene Tiere haben keine Feinde, wohingegen die Kälber vor Wölfen und Luchsen durch den Herdenverband geschützt werden müssen (KLÖS, 1968; PUCEK, 1986; www.wikipedia.de; http://lexikon.meyers.de).

2.1.1.3 Gefährdung des Wisents

Schon im 8. Jahrhundert begann das Aussterben des Wisents in West- und Südeuropa durch Jagd und Wilderei, bis Ende des 19. Jahrhunderts nur noch zwei Wisentpopulationen europaweit existierten, der Bison bonasus L. im polnischen Urwald von Bialowieza und der B.b. caucasius im Westkaukasus. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden auch dort die letzten Tiere in der freien Wildbahn getötet (www.wwf.de).

1924 existierten nur noch 54 reinrassige Tiere (29 männlich, 25 weiblich), die von einer ursprünglichen Population aus zwölf Tieren abstammen. Der Genombestand der Art war demzufolge limitiert (PUCEK, 1989). Infolge dieser erschreckenden Befunde wurde GLH ,QLWLDWLYH Ä,QWHUQDWLRQDOH *HVHOOVFKDIW ]XU 5HWWXQJ GHV :LVHQWV³ JHJU QGHW XQG mit der Zucht sowie des Wiederaufbaus der Art begonnen. Erste Erfolge zeichneten sich etwa 30 Jahre später ab, als die ersten Individuen im Urwald von Bialowieza ausgewildert werden konnten. Auch im Kaukasus erfolgten derartige Maßnahmen, so dass 1965 wieder 449 reinrassige Wisente in der Natur lebten (www.wwf.de).

In der nachstehenden Abbildung wird deutlich, dass in den ersten Jahrzehnten des Schutzes die globale Individuenzahl nur langsam anstieg. Ein einschneidendes Ereignis war der Zweite Weltkrieg, währenddessen eine Bestandsvermindung zu verzeichnen war. Danach erfolgte ein exponentielles Wachstum.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.4: Zunahme des Weltbestandes des Wisents von 1924- 1984. Schraffiert dargestellt ist die Menge der frei lebenden Tiere (aus PUCEK, 1989).

Polen ist das Land, welches bei der Weiterverbreitung des Wisents eine herausragende Rolle spielte. Im Zeitraum von 1947 bis 1986 wurden 247 Tiere in zwanzig Ländern verteilt. Neben der Sowjetunion, Frankreich und anderen Ländern erhielt die Bundesrepublik Deutschland knapp ein Drittel der 247 Tiere. Es lebte 1985 ca. die Hälfte aller Wisente in Zuchtgehegen (PUCEK, 1989). Um 1990 konnte sich der Bestand im heutigen Russland auf rund 2.000 frei lebende Exemplare erholen.

1996 wurde das „European Endangered Species Program" in iiber 30 Landern gegriindetgegründet, die das Hauptziel der Nachzucht in zoologischen Gärten und in Gehegen unterstützt. Der Gesamtbestand des reinrassigen Europäischen Wisents belief sich im Jahr 2005 auf ca.3.500 Individuen (www.wwf.de).

Durch eine akribische Zuchtbuchführung, die die deutsche Zoologin Erna Mohr (1894- 1968) ins Leben gerufen hatte, ist eine Reinerhaltung der Bestände gesichert und garantiert. Bislang ist die Individuenzahl der reinrassigen Wisente so weit angestiegen, dass die vorher völlig ausgewilderten Wisent-Reservate in Bialowieza und Pszczyna (Pleß) mit Tieren erneut besiedelt werden konnten. Heutzutage existieren 30 registrierte frei lebende Herden (www.wwf.de; PETZSCH, 1992). Nach PUCEK (1989) ist an dieser Stelle anzumerken, dass alle Wisente entweder Nachkommen vom Flachlandwisent oder von Mischlingen aus Flachland- und Bergwisent sind (PETZSCH, 1992).

) U GLH (UKDOWXQJ GHU :LVHQWH LVW ÄQXU HLQH UlXPOLFK ZHLWH nbsp; 9HUWHLOXQJ der :LVHQWKHUGHQ³ PUCEK, 1989: S.263) über die Erde notwendig. Zudem sind mehr isolierte Herden in der Natur für eine Bestandserhöhung essenziell. Hier muss aber beachtet werden, dass in kleinen Gruppen Inzucht vermieden muss und sich nicht einzelne Genome verlieren. Zum Schutz einer Art müssen genetische Eigenschaften, ihre Diversität und die langfristige Fitness bewahrt werden. Diesbezüglich muss eine Kreuzung der Linien des Wisents so lange wie nur möglich umgangen werden.

Nach PUCEK KDEHQ GLH 6FKXW]PD‰QDKPHQ EHZLUNW ÄGD‰ die Art nicht mehr in der ,IUCN-Liste der gefährdeten Tiere von 1986` geführt wird.³

(PUCEK,1989: S. 265

2.1.2 Das Gehege der Wisente

Die Anlage gehört neben der der Präriebisons zu den ältesten Freianlagen des Tierparks, der am 2. Juli 1955 eröffnet wurde. Ziel des Tierparks war es, Freianlagen für Herdentiere zu schaffen, die dann dort auch als Herde gehalten werden kann (BLASZKIEWITZ, 1999).

Die von einem Wassergraben umrandete Wisentanlage befindet sich direkt am Eingang des Bärenschaufensters (vgl.Abb.5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.5: Die Wisent-Freianlage am Bärenschaufenster. Links ist die Präriebison-Anlage zu sehen. (erstellt mit Google Earth 4.0; www.chip.de/downloads/c1_downloads_13015193.htm)

Durch die gitterlose Freianlage ist ein ungestörter Blick auf die Tiere gewährleistet. Der Wassergraben ist natürlich gewunden und mit Sumpfpflanzen am Rand bestückt. Dadurch wurde ein naturnaher Eindruck erzeugt. Zudem können zahlreiche Wasservögel auf dem Wasserlauf beobachtet werden.

Die große Freianlage mit rund 4000 m² bietet der Herde genügend Freiraum. Im vorderen Bereich der Anlage befinden sich überdachte Futterkörbe, die jeden Morgen mit Heu versehen werden (vgl.Abb.6). Weiterhin stehen zahlreiche durch Steine oder Zäune geschützte Bäume im Gehege, welche die Tiere zum Teil zur Körperpflege benutzen, in dem sie sich daran reiben. Auch liegende Baumstümpfe werden als Hilfsmittel zur Fellpflege genutzt (vgl.Abb.7).

Im hinteren Bereich der Anlage befindet sich die Tür zu den überdachten, nicht für Besucher zugänglichen Tierboxen, wo die Tiere ihre Nächte verbringen. Weiterhin finden die Tiere in diesem Bereich einen Wasserbehälter. Zum größten Teil trinken die Tiere das Wasser aus dem Wassergraben. Hierzu ist an bestimmten Stellen der Wall des Wassergrabens abgeflacht, sodass ein Hinuntergehen möglich wird. Zudem befindet sich im hinteren Teil ein Tor, über welches die Tierpfleger die Freianlage betreten können. Ein direkter Kontakt zwischen Tierpflegern und den Wisenten wird vermieden, da sie gefährlich für den Menschen werden können (vgl.Abb.8, 9)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.6: Der vordere Bereich der Anlage mit den Futterkörben. (Bild: Westphal 2007)

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Abb.7: Das Wisentgehege. Im vorderen Bereich ist eine Stelle am Wassergraben zu sehen, zu dem die Tiere einen leichteren Zugang haben. (siehe Pfeil; Bild: Westphal 2007)

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Abb.8: Die linke Seite des hinteren Bereiches der Anlage. (Bild: Westphal 2007)

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Abb.9: Liegende Baumstämme innerhalb der Anlage, die zur Körperpflege genutzt werden. In dem Haus im Hintergrund verbringen die Tiere in Boxen die Nächte. (Bild: Westphal 2007)

2.2 Tagesablauf der Herde

Die Tagesaktivität lässt sich in mehrere Phasen einteilen. Vorrangig werden diese durch das Angebot an Nahrung bedingt.

Im Sommer fressen die Wisente überwiegend in den Morgen- und Abendstunden. Im Winter äsen sie bis zu fünfmal täglich. Im Anschluss an die Nahrungsaufnahme erfolgt das Wiederkäuen, was im Mittel 30 Minuten andauert. Dann erfolgt eine Ruhephase. Die Aktivitäten einer Herde sind vor allem beim Ruhen und Wandern synchronisiert. Einzeltiere können auch, während die anderen Herdenmitglieder ruhen, äsen. Allgemein haben Witterungseinflüsse einen geringen Einfluss auf die Aktivität der Wisente.

In der Brunftzeit verändert sich das Verhalten der Bullen, in dem sie sehr aktiv sind und selten ruhen und äsen (PUCEK, 1986; BUCHHOLTZ, 1988).

Mit der Öffnung des Tierparks um 9:00 Uhr werden die Wisente nacheinander aus ihren Boxen gelassen. Im hinteren Teil des Geheges hat zuvor ein Tierpfleger Brötchen, Obst oder Gemüse auf den Boden verteilt. Hier verbringen die Tiere im Durchschnitt 15 bis 30 Minuten, bis sich ein hochrangiges Tier in den vorderen Bereich des Geheges zu den Körben mit frischem Heu bewegt. Ein Großteil der Herde folgt. Dort stehen sie dicht gedrängt, und infolgedessen können hier die meisten Interaktionen zwischen den Tieren beobachtet werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.10: Die Wisentherde bei der Nahrungsaufnahme. (Bild: Westphal 2007)

Von ca. 9:15 bis 10:30 Uhr erfolgt die Nahrungsaufnahme an den Futterkörben (vgl. Abb.10). Gegen 10:30 Uhr bewegt sich oft ein Tier in die Mitte des Geheges und legt sich dort nieder, um wiederzukäuen und zu ruhen. Die anderen Herdenmitglieder folgen dann häufig nacheinander. Gegen 11:00 Uhr ruht meist die gesamte Herde (vgl. Abb.11).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.11: Die Herde beim Ruhen. (Bild: Westphal 2007)

*HJHQ 8KU HUKHEW VLFK GDQQ RIW HLQ 7LHU PHLVWHQV GDV Į-Tier oder der Bulle) und läuft in den hinteren Bereich des Geheges. Kurze Zeit später folgen dem Tier die anderen. Dort warten sie bis ca. 16:00 Uhr,, bis sie dann in ihre Boxen geleitet werden.

2.3 Verhaltensbiologische Grundlagen

Häufig stehen Verhaltensforscher vor der Frage, weshalb man das Verhalten von Tieren studiere und wem die gewonnenen Daten etwas nützen würden. Die Antwort darauf lautet größtenteils, dass es sich dabei um Grundlagenforschung handelt.

An dieser Stelle soll detaillierter darauf eingegangen werden, was Verhalten ist, und warum nicht nur die Biologen am Tierverhalten Interesse zeigen. Die teilweise triviale Antwort auf die Frage, was Verhalten ist, beantworten HALL & HALLIDAY PLW ÄDOOHV ZDV 7LHUH WXQ³ RGHU ÄDOOHV ZDV WRWH 7LHUH QLFKW WXQ³ 'LHV LVW in meinen Augen nicht zufrieden stellend. Vielmehr ist Verhalten nach KAPPELER als Interaktion eines Individuums mit seiner Umwelt in Form von Bewegungen und Signalen sowie deren Kontrolle zu verstehen (KAPPELER, 2005). Noch sorgfältiger wird diese Definition, wenn beachtet wird, auf welchen Ebenen umfassende Aktionen eines Tieres beschrieben werden können. KAPPELER verweist dabei auf NIKLAAS TINBERGEN. Seine Fragen bezüglich der Erläuterung von Verhalten bezogen sich einerseits auf die proximalen Ursachen (die kontrollierenden Mechanismen einer Verhaltensweise), auf die Entwicklung einer Verhaltensweise (die ontogenetische Ausbildung einer Verhaltensweise) sowie andererseits auf die ultimate Funktion (nach der gegenwärtigen Wirkung und der Bedeutung bezüglich der Steigerung von Überlebens- und Fortpflanzungschancen) und abschließend nach den phylogenetischen Urspr ü ngen von Verhaltensweisen (KAPPELER, 2005).

Auf die Frage nach der Ursache einer bestimmten Verhaltensweise gibt es viele Antworten. Fast ausnahmslos alle Bereiche der Biologie müssen in der Forschung nach den Gründen oder Auslösern einer Verhaltensweise beachtet werden. Zusammenfassend könnte das Verhalten als ein Mechanismus zur Anpassung an den Lebensraum bezeichnet werden (KAPPELER, 2005).

Für das gänzliche Verständnis der Biologie eines Organismus ist es nicht nur wichtig genetisch, sinnesphysiologische oder andere Grundlagen zu erforschen. Das Untersuchen des Verhaltens ist essenziell für das Verstehen eines Lebewesens. Verhaltensforschung beinhaltet vielfältigen Nutzen für den Menschen. Als Beispiel ist die biologische Schädlingsbekämpfung zu benennen. Weitere Gründe für das Betreiben von Verhaltensforschung sind in der Abb. 12 nach KAPPELER aufgeführt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.12: Auflistung der Gründe für die Verhaltensforschung von Tieren. (nach KAPPELER, 2005)

Bedeutungsvoll für die wissenschaftliche Untersuchung von Verhalten ist die Definition von messbaren Einheiten. Dabei gilt es zunächst zwischen Ereignissen und Zuständen zu unterscheiden. Während Ereignisse kurz sind und beispielsweise durch eine Strichliste nach der Häufigkeit ihres Auftretens gemessen werden (z.B. Drohen, Boxen), zeichnen sich Zustände über ihre jeweilige Dauer aus und werden quantitativ erfasst (z.B. die Dauer des Saugvorganges oder des Hornens). Dabei bilden Verhaltenskategorien, die als Ereignisse oder Zustände gemessen werden können, die natürliche Einheit von Verhalten. Doch auch bei der Festlegung der jeweiligen Verhaltenskategorien gibt es zwei verschiedenen Möglichkeiten. Zum einen können Verhaltensweisen nach ihrer Form, d.h. beschreibend erfasst werden, und zum anderen können sie auf der Basis von Fachliteratur nach ihrer Funktion dargestellt werden (IMMELMANN, 1996). Bei der vollständigen Erfassung aller arttypischen Verhaltenskategorien einer Art entsteht ein Ethogramm.

U. Lundberg beschrieb 1979 in seinem Artikel „Diagnostische Grundkategorien des auBeren Verhaltens von Tieren" unterschiedliche Grundmethoden. Dabei kam er zu der Erkenntnis, dass die Grundfragen einer ethologischen Verhaltensanalyse „Was tut das Tier?", „Wo tut das Tier etwas?" und „Wann tut es etwas?" vorrangig zu beantworten sind. Sie sind objektiv und deskriptiv zugleich. Den drei Fragen ordnete lundberg eine ethometrische Grundkonstituente zu, die nun auf der Basis des Artikels lundbergs naher erlautert wird.

Dem Ethogramm (auch Aktionskatalog) wird die Frage „Was tut das Tier?" zugeordnet und lasst sich in das Ethogramm 1. Ordnung, welches eine Liste der Verhaltensereignisse und ihrer absoluten und relativen Haufigkeiten beinhaltet und das Ethogramm 2.Ordnung, eine Liste der Ubergangs- und Folgehaufigkeiten der im Ethogramm 1.Ordnung unterschiedenen Verhaltensereignisse aufgliedern.

Das Topogramm (Raumkatalog) beschaftigt sich mit dem „Wo?" und wird ebenfalls in zwei Ordnungen unterschieden. Das Topgramm l.Ordnung ist eine Liste der Auftrittsereignisse mit einer primaren und sekundaren Tafel der ortsspezifischen Auftrittshaufigkeiten. Das der 2.0rdnung stellt eine Liste mit einem Verzeichnis der Ubergangshaufigkeiten zwischen dem Topogramm l.Ordnung unterschiedenen Auftrittsereignissen dar.

Dem Chronogramm (Zeitkatalog) wird die Frage „Wann tut das Tier etwas" zugeordnet, aber auch die Frage „Wie lange tut es etwas?" ist in diese Grundkonstituente einzuschlieBen. Die Listen der Ereigniszeiten und Ereignisdauern umschreibt das

Chronogramm 1.Ordnung und die zusammenfassende Darstellung der Aktivitätsdynamik das der 2.Ordnung.

Nun können laut LUNDBERG die drei Grundkategorien einer Verhaltensdiagnose auch miteinander kombiniert werden (Etho- Topogramm, Etho-Chronogramm, TopoChronogramm). Beim Etho-Topo-Chronogramm werden alle drei Kategorien gleichzeitig berücksichtigt, und es lässt sich ein Raum-Zeit-System des Verhaltens erfassen.

Bei der Untersuchung zur Sozialstruktur der Wisente handelt es sich um eine verhaltensbiologische Untersuchung. In dieser Untersuchung steht das Sozialverhalten der einzelnen Herdenmitglieder im Vordergrund. Unter Sozialverhalten versteht man allgemein die „Gesamtheit aller auf einen interaktionsfahigen und in der Regel artgleichen Partner gerichtete oder von diesem ausgelosten Verhaltensweisen" (Gattermann, 1993:.S.264). Die Verhaltensweisen lassen sich zum groGten Teil verschiedenen Funktionskreisen zuordnen, z.B. dem Fortpflanzungsverhalten (genitales Beriechen, flehmen). Weiterhin soil das Mutter-Kind-Verhalten untersucht werden, welches die Summe der Verhaltensweisen zusammenfasst, die Ausdruck aller Interaktionen zwischen der Mutter und dem Jungtier sowie dem Nachwuchs und seiner Mutter sind (Gattermann, 1993).

Im Folgenden werden die Hypothesen aufgelistet, die der vorliegenden Arbeit zu Grunde liegen und auf ihre Richtigkeit hin untersucht wurden.

- Soziale Aktivitäten sind gehäuft am Morgen und in den Abendstunden zu erwarten. x Es dominieren Verhaltensweisen ohne Körperkontakt.

- Es können soziopositive und sozionegative Tiere unterschieden werden. x In der Herde ergibt sich eine lineare Rangordnung.

- Der Rang eines Weibchens wird durch seine Aggressivität, aber nicht durch das Alter bestimmt.

- In der Herde sind Tiere bevorzugt in Interaktionen involviert.

- Ein Weibchen präferiert zu jedem Artgenossen bestimmte Verhaltensweisen.

- Unterschiede im Verhalten verwandter und nicht verwandter Tiere sind zu erkennen. x Einzelne Tiere haben bevorzugte Liegepartner.

- Der Bulle hat gleichwertige Beziehungen zu den Herdenmitgliedern.

- Die sozialen Beziehungen unterscheiden sich zwischen verwandten, ausgewachsenen, geschlechtsreifen Tieren und zwischen Jungtier und verwandten, ausgewachsenen, geschlechtsreifen Tieren.

- Das Jungtier bevorzugt bestimmte Herdenmitglieder im Kontaktverhalten.

3. Material und Methoden

3.1 Vorstellung der Beobachtungstiere

Derzeit leben insgesamt neun Wisente im Tierpark Berlin-Friedrichsfelde auf einer Freianlage. Die Herde am Beobachtungsort besteht aus dem Wisentbullen Spurter, sieben ausgewachsenen Kühen und einem Kalb namens Tingel.

Spurter

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Laica

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Tictac

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Ticara

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Tigana

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Tirana

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Tilse

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Tipsi

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Tingel

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3.2 Methoden

3.2.1 Datenerfassung

Für die Untersuchung und Prüfung der aufgestellten Hypothesen müssen zu Beginn jeder verhaltensbiologischen Arbeit grundlegende Überlegungen zur Methodik erfolgen, um eine systematische Untersuchung der Hypothesen zu garantieren. Die Auswahl geeigneter Beobachtungsmethoden sowie Zeitintervallen und anderem richtet sich nach der Tierart, Gruppengröße und Gehegeausstattung und muss von jedem Beobachter nach eigenem Ermessen getroffen werden (GANSLOßER, 1997).

Die Beobachtungen, die im Rahmen dieser Arbeit durchgefuhrt wurden, konnen keinesfalls alle im vorherigen Kapitel genannten Fragen TlNBERGENS beantworten. Weiterhin soil kein vollstandiges Ethogramm der Tierart erstellt werden, da dies den Umfang einer Examensarbeit iibersteigen wiirde. Aufgrund dessen wurden fur das Erreichen der Zielstellung wesentliche Aspekte ausgesucht. Diesbeziiglich wurde festgelegt, dass die Raumnutzung (Topogramm) zur Uberprufung der Hypothesen keine Bedeutung aufweist. Lediglich sind Beobachtungen zu den Fragen „Was?" (Ethogramm) und „Wann?" (Chronogramm) wertvoll, die sich auf die Verhaltensweisen und Haufigkeit zur Interaktion zwischen den Herdenmitgliedern beziehen.

In der Vorbeobachtung wurde dann entschieden, wann sich die sozialen Interaktionen zwischen den Herdenmitgliedern häufen. Diesbezüglich orientierten sich dann in der systematischen Beobachtung die Zeiträume. Durch die Beschreibung und Quantifizierung der Verhaltensweisen, die im Zusammenhang mit den sozialen Kontakten der Tiere stehen, soll unter anderem eine Grundlage geschaffen werden, Ansatzpunkte für weitere Forschungsarbeiten zu bieten.

Die Vorbeobachtung wurde mit zwei Wochen festgesetzt. In der ersten Woche wurde das Hauptaugenmerk auf die Unterscheidung der Tiere gelegt, die teilweise nur an der Form der Hörner zu unterscheiden waren. In diesem Zuge konnten die Zeiträume für die systematische Beobachtung festgelegt werden, in welchen mit einer hohen Sozialaktivität zu rechnen war. Solche Situationen ergaben sich bei der Fütterung an den Körben und kurz vor Einlass in die Boxen. Des Weiteren fand eine Erfassung der auftretenden Verhaltenweisen, in denen die Tiere interagiert haben, statt, indem diese protokolliert wurden, wenn sie zu sehen waren. Natürlich muss hier angenommen werden, dass nicht alle Verhaltensweisen protokolliert werden konnten. In der systematischen Beobachtung musste die Liste erweitert werden. In der zweiten Woche wurden dann verschiedene Methoden und Protokolle erprobt.

Während des Beobachtungszeitraumes vom 05.03.07 bis 23.04.07 wurde an drei Wochentagen jeweils zur Fütterungszeit zwischen neun und elf Uhr und am Nachmittag in der Zeit von 14 bis 16 Uhr beobachtet.

Es wurde die Methode des behaviour sampling verwendet, d.h. es wurden die Verhaltensweisen, die von Interesse sind, quantitativ notiert mit einer Zeitangabe und gegebenenfalls der Dauer, was von dem zu beobachteten Verhalten abhängig war (z.B. Säugen, soziales Lecken). Die Gruppe war in sich sehr überschaubar, so dass alle Tiere simultan im Blickfeld waren. Der Fall einer Absonderung eines Tieres von der Gruppe war in diesem Fall irrelevant, da Interaktionen zwischen mindestens zwei Tieren zu notieren waren. Bei einer Trennung der Herde in zwei Gruppen entschied ich nach eigenem Ermessen, welche der beiden Gruppen interessanter hinsichtlich der sozialen Interaktionen werden könnte. Des Weiteren ist anzumerken, dass sicherlich beim Protokollieren Verhaltensweisen entgangen sind.

Die Art der Protokollierung kam dem Grundprotokoll nach TEMBROCK (1987) gleich. Beim Grundprotokoll liegt keine Arbeitshypothese zu Grunde und es werden alle Verhaltensvorgänge unselektiert erfasst. Der Vorteil liegt in der universellen Nutzbarkeit unter verschiedenen Fragestellungen. Auf der anderen Seite ist es schwer zu handhaben.

Hinsichtlich der Zeitverteilung der unterschiedenen Verhaltensweisen konnten gültige Aussagen getroffen werden (Etho-Chronogramm). Das spielte bei der Entscheidung des geeigneten Beobachtungszeitraumes eine wesentliche Rolle. Keine gültigen Aussagen konnten jedoch zum Aspekt der Abhängigkeiten zwischen Ereigniszeit und ±dauer (Chronogramm 2.Ordnung) getroffen werden. Das erwies sich als schwierig, da die meisten Verhaltensereignisse als Kurzzeitverhalten aufgefasst werden.

Während der Hauptbeobachtungszeit wurden elf Liegepläne erstellt, in dem die ruhenden/ wiederkäuenden Tiere in ihrer Position zum Nachbarn und die Blickrichtung aufgezeichnet wurden. In einigen Liegeplänen konnte nicht zu allen Tieren der Liegepartner ermittelt werden, weil diese zum Zeitpunkt der Protokollierung zum Beispiel in der Nähe der Futterkörbe standen.

In der ersten Hälfte des Beobachtungszeitraumes wurde die gesamte Herde beobachtet. Dem folgend wurden spezifische Aspekte im Zusammenhang mit der Beantwortung der Hypothesen in den Vordergrund der Beobachtung gestellt. Um Aspekte der Mutter-Kind- Beziehung näher analysieren zu können, wurde an fünf Beobachtungstagen am Vormittag das focal sampling innerhalb einer Nächsten-Nachbar-Analyse angewendet. Hier wurde ein Intervall von 20 Minuten für ein Tier festgesetzt und jede vierte Minute der nächste Nachbar protokolliert. Entscheidend hierfür war die Kopfregion. Teilweise war eine Bestimmung eines nächsten Nachbarn nicht möglich, da sich das Tier zu weit von den anderen befand.

Während des Beobachtungszeitraumes kam es an der Freianlage zu Störungen. An diesen sechs Tagen konnte die Beobachtung durch Bau- und Sanierungsarbeiten nicht durchgeführt werden, da die Tiere in ihren Boxen bleiben mussten. Des Weiteren waren die Beobachtungen vom Wetter abhängig und mussten an Regentagen ausfallen. Als Hilfsmittel dienten zur Erfassung der Dauer der Verhaltensweisen eine Stoppuhr und zur Identifizierung der Tiere das Spektiv Optolyth TBS 100.

Im Anschluss an die Vorbeobachtung wurde ein Verhaltenskatalog der Verhaltensweisen, die in Zusammenhang mit sozialen Kontakten stehen, erstellt, der im Laufe der Beobachtungszeit ergänzt werden musste.

3.2.2 Verhaltenskatalog

Die Benennung einer Verhaltensweise erfolgte überwiegend nach ihrer Form, d.h. objektiv beschreibend, wie z.B. Verfolgen, Kopfnicken. Die Einteilung der Verhaltensweisen wurde in soziale Beziehungssysteme vorgenommen. Den Verhaltensweisen wurde zusätzlich eine positive (+) bzw. negative (-) Wertung zugeordnet. Als negativ gewertet werden solche, die beabsichtigen, dem Gegner einen Schaden oder Schmerzen zuzufügen (aggressive Verhaltensweisen), wohingegen positive Verhaltensweisen die Zuwendung eines Tieres zu einem anderen anzeigen oder Aggressionen durch bestimmtes Verhalten vermieden werden.

Geruchliche Beziehungen

Informationsübertragung auf der Basis chemischer Signaleigenschaften (GATTERMANN, 1993)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Optische Beziehungen

Informationsübertragung auf der Basis von Bewegungen, Mimik, Gestik, Formen- und Farbänderungen (GATTERMANN, 1993)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]

Ende der Leseprobe aus 116 Seiten

Details

Titel
Untersuchungen zur Sozialstruktur der Wisentherde (Bison bonasus) im Tierpark Berlin
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Biologie und Biochemie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
116
Katalognummer
V122393
ISBN (eBook)
9783640865710
ISBN (Buch)
9783640866243
Dateigröße
2983 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
untersuchungen, sozialstruktur, wisentherde, tierpark, berlin
Arbeit zitieren
Steffani Westphal (Autor:in), 2007, Untersuchungen zur Sozialstruktur der Wisentherde (Bison bonasus) im Tierpark Berlin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122393

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