1. Einleitung
In der Mitte des 18. Jahrhunderts kamen die Enzyklopädisten zusammen und schufen ein Werk, welches den Anspruch vertrat, alle Fortschritte der Erkenntnis systematisch zu vereinigen. In der so genannten Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers war das gesamte Wissen der damaligen Zeit gebündelt. Anders als in der Zeit vor der Reformation gab es im Zeitalter der Aufklärung Denker, welche Wissen nicht auf der Basis der christlichen Überlieferung suchten, sondern die ein säkulares System der Welterklärung aufbauten. Die Rolle Gottes und der Kirche wurde damit für das Denken und für das gesellschaftliche Leben wesentlich verändert.
Diese Seminararbeit befasst sich mit der Religionskritik der Enzyklopädisten im 18. Jahrhundert in Frankreich. Die wichtigsten Aspekte dieser Arbeit werden darauf beschränkt sein, verschiedene Aspekte der Religionskritik zu veranschaulichen.
Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die, ob die Kritik der französischen Aufklärer und Enzyklopädisten sich gegen die Religion im Allgemeinen oder gegen die Kirche als Institution gerichtet hat.
1.1. Verhältnis zwischen Aufklärung, Religion, Kirche und Staat
Das Christentum war seit ihrer Entstehung mit den verschiedenen Meinungen von Philosophen verbunden, die die Offenbarung verneinten und somit die Grundlage des Christentums angriffen. Bis ins frühe 8.Jahrhundert waren Apologeten wie Justinus und Tertullian, aber auch später Augustinus, bemüht, die Offenbarung mit den Meinungen der damaligen Philosophen zu vergleichen, um die Richtigkeit und den übersinnlichen Charakter des Christentums zu belegen.[1]
Diese Öffnung des Christentums hin zur Philosophie war auch im Mittelalter sichtbar. Die zur damaligen Zeit hoch geachteten Theologen wie z.B. Thomas von Aquin und Albert der Große waren um eine Synthese aus Theologie, Philosophie, Glaube und Verstand bemüht, damit sowohl die Philosophie als auch die Theologie sich als zwei unterschiedliche Wissenschaften entwickeln konnten. Im späteren Mittelalter kam es zu einer Spaltung dieser Koexistenz. Diese Aufteilung verstärkte z.B. Martin Luther, der der philosophischen Reflexion der Religion wenig Wert beimaß und die Ansicht vertrat, dass sich die Philosophie eher mit den irdischen Tatsachen befassen und die religiösen Aspekte außer Acht lassen sollte. Zur Vertiefung dieser Aufteilung trug auch das Werk Dictionnaire Historique et Critique von Pierre Bayle bei, der hierin Argumente gegen die Religion aufführte, welche durch die Enzyklopädisten weiterentwickelt wurden.[2] In der Aufklärung wurde die, wie schon erwähnt, frühe Aufteilung zwischen Theologie und Philosophie immer weiter vertieft.
Um die Mitte des 18. Jahrhunderts kam es im Denken und Handeln der Denker und Philosophen zu einem Wendepunkt: sie richteten ihre Bemühungen auf die Umgestaltung der Gegenwart und auf die Grundlegung der Zukunft. Die Aufklärer, die sich ihrer geschichtlichen Situation bewusst waren, schufen die Idee einer Wissenschaft, „in der alle zerstreuten Fortschritte der Erkenntnis und ihrer Anwendungen planvoll vereinigt sind “.[3] Viele Historiker, die das 18. Jahrhundert oder die Aufklärung als eine epochale Bewegung darstellen wollten, griffen in erster Linie die Feindlichkeit der Autoren der Aufklärung gegenüber den christlichen Lehren und dem Glauben auf.[4] Ein Grund, der zu solch einer feindlichen Haltung der Philosophen des 18.Jahrhunderts gegenüber jeglichen staatlichen und kirchlichen Autoritäten geführt hat, war, dass der Autorität der Kirche und somit der Theologie eine große Bedeutung beigemessen wurde. Da die Philosophen der Aufklärung diese fest etablierte Tradition außer Kraft setzen wollten, um eine Freiheit des Denkens zu erreichen, musste es zwangsweise zu einer Ablehnung von Tradition und Autorität und zu einem Glauben an den Fortschritt kommen. Die Encyclopédie von Diderot und d`Alembert ist repräsentativ für diese Entwicklung: die Menschheit als das aus Wissen handelnde Subjekt ihrer eigenen Geschichte.
Der erste Schritt zur Wahrheit hin war für die Enzyklopädisten der Zweifel an dem, was bisher ohne exakte Prüfung für wahr gehalten wurde, vor allem der Zweifel an den Dogmen der katholischen Kirche. Gegen sie waren die Angriffe der Enzyklopädie gerichtet. In den Artikeln wurden z.B. Namen als sinnlos bezeichnet, mit denen sich kein exaktes Wissen verband, so z.B. „Acalipse“, „Alcatrace“[5] etc.
Des Weiteren stellten sie auch die sich widersprechenden Lehrmeinungen der katholischen Kirche in ihren Artikeln nebeneinander (z.B. im Artikel Adam).[6] Diese Liste ließe sich noch weiter fortführen doch zusammenfassend kann man sagen, dass die Enzyklopädisten der Überzeugung waren, die Religion sei in jedem Fall Gegner des intellektuellen Fortschritts. Mit ihren Ansichten und der Verbreitung dieser in der Enzyklopädie wollten die Enzyklopädisten das Bewusstsein der Menschen von Dogmen, Irrtümern und Vorurteilen befreien. Dadurch sollte Platz geschaffen werden für die Aufnahme von Wissen über die Natur und Gesellschaft. Mit Hilfe der Wissenschaften soll der Mensch lernen, sein Leben auf Erden so einzurichten, dass er sich selbst das höchste Gut bescheren kann: Glück. Die in der Enzyklopädie vertretene Moralphilosophie bricht mit allen auf das Jenseits gerichteten Leitbildern. Sie gipfelt in dem humanistischen Grundsatz, dass der Wert des menschlichen Lebens im Leben selbst liegt. Der Mensch braucht also nur den Geboten der Vernunft zu folgen, um sich vervollkommnen zu können und das Licht der Aufklärung sollte im Bewusstsein möglichst aller Menschen entzündet werden. Diese revolutionäre Kraft der Encyclopédie war u.a. darauf begründet, dass in ihr die Hauptprobleme der französischen Bevölkerung formuliert wurden, wie z.B. die Überwindung des absolutistischen Regimes. In Artikeln wie Politische Autorität, Bürger, Repräsentanten und Natürliche Gleichheit geht hervor, dass die Enzyklopädisten neben den religiösen auch die politischen Verhältnisse auf reformatorischem Weg zu erneuern versuchten.[7] Die Enzyklopädisten forderten die Abschaffung der Privilegien und gleiche Rechte für alle. Der politische Einfluss des Adels und der Geistlichkeit sollte soweit wie möglich eingedämmt werden.[8] Dem König wurde das Recht abgesprochen, im Namen Gottes zu regieren, das monarchistische Prinzip als solches wurde aber nicht angetastet. Man verlangte vom König, dass er nicht mehr die Interessen der Privilegierten, sondern die der produktiven Bevölkerungsteile vertrete, soweit diese besitzend waren.[9] Obwohl die Enzyklopädie die ökonomischen und politischen Interessen des Bürgertums vertrat, war die Herausgabe des Werkes von großer Bedeutung für die ganze Nation, denn die Interessen des Bürgertums ähnelten objektiv gesehen denen des gesamten französischen Volkes. Dieser Ansicht von Naumann schließt sich Waldemar Cislo nicht an, der es eher als Enttäuschung empfindet, dass diese Ideale der Enzyklopädisten nach ihrem Gefühl nur für das Bürgertum als eine neue Elite bestimmt waren.[10]