Das Transfermodell - Ein Wirkungsmodell für Computerspiele und virtuelle Welten


Studienarbeit, 2008

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Reiz des Computerspielens
2.1 Spielanlässe – warum werden Computerspiele gespielt?
2.2 Über ‚Frust‘ und ‚Flow‘ – welche Emotionen begleiten das Spiel am Computer?

3. Das Transfermodell
3.1 Was sind ‚Transfers‘?
3.2 Wann finden Transfers statt?

4. Der kulturwissenschaftliche Blick: Das Encoding/Decoding-Modell von Stuart Hall – ein Exkurs
4.1 Medienaneignung im soziokulturellen Kontext
4.2 Drei hypothetische Lesarten von Medientexten

5. Zusammenfassung und Fazit

Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Der Umgang mit dem Computer ist heutzutage eine Selbstverständlichkeit. Ob wir sie nun sehen können oder nicht – überall in unserem Alltag begegnen wir Computertechnik. Der Umgang bzw. das Bedienen von Computern ist somit zweifelsfrei zur Schlüsselkompetenz bzw. kulturellen Praxis geworden. Denn auch in unserer Freizeit haben Computer längst Einzug gehalten. Hier stehen wir nun aber offenbar vor einem Dilemma: Denn während vor allem Eltern, Erzieher und Pädagogen sich durchaus dafür einsetzen, dass Kinder und Jugendliche im Umgang mit dem Computer als Arbeitsgerät gefördert werden, indem sie beispielsweise verstärkt in der Schule in den Unterricht mit einbezogen werden, so sieht die gleiche Gruppe es oftmals gar nicht gerne, wenn der Nachwuchs zum Freizeitvergnügen vor dem Bildschirm sitzt. Denn wird das Gerät zum reinen Spielen benutzt, weckt das nicht selten die Sorge bzw. Furcht, der Computer könne aggressiv machen oder zur Vereinsamung des Kindes führen. Werden Kinder oder Jugendliche hinsichtlich ihrer Gewaltbereitschaft besonders auffällig – trauriges Beispiel wären hier insbesondere die Schreckensszenarien von Amokläufen an Schulen – so dauert es meistens nicht lange, bis in den Medienberichten enthüllt wird, dass der oder die Täter mit Vorliebe stark gewalthaltige Computerspiele gespielt haben soll(en). In diesem Zusammenhang ist auch der inzwischen schon geläufige Begriff des „Killerspiels“ entstanden. So widmete der Kultursender ARTE am 28.07.08 einen ganzen Themenabend dem Zusammenhang zwischen Gewalt und Computerspielen. Als Überschrift für diese Sendestrecke wählte man provokativ "Digital spielen - Analog morden".

Nach einer kurzen, einleitenden Erörterung der Frage, was den Reiz des Spielens am Bildschirm eigentlich ausmacht, soll in der vorliegenden Arbeit aufgezeigt werden, dass starre, monokausale Wirkungsmodelle die Prozesse während des Computerspiels nur unzureichend zu fassen und zu erklären vermögen.[1] Anhand des von Jürgen Fritz und seinen Mitarbeitern auf der Basis herkömmlicher Lerntransfers entwickelten sog. „Transfermodells“ soll schließlich ein neuer Ansatz der Medienwirkungsforschung für Bildschirmspiele vorgestellt werden. Ein kleiner Exkurs zum „Encoding/Decoding“-Modell der Cultural Studies ergänzt die Arbeit.

2. Der Reiz des Computerspielens

2.1 Spielanlässe – warum werden Computerspiele gespielt?

Als Einstieg in die Thematik möchte ich zu Beginn die Frage anreißen, warum überhaupt Computerspiele gespielt werden. Was macht den Reiz des Spielens in virtuellen Welten aus? Warum ziehen Computer- und Videogames Millionen von Spielern in ihren Bann? Und was bewegt uns dazu, Platz vor dem Bildschirm zu nehmen?

Laut Fritz haben alle Spiele – sei es nun klassisch oder virtuell – eines gemeinsam: Das Ringen mit einem Gegner. Spielhandlungen lassen sich somit als Versuche beschreiben, auf eine Machtbalance einzuwirken – genauer: Versuche, diese Machtbalance zu seinen Gunsten zu verändern. Es geht im (Computer-)Spiel also in erster Linie um Macht. Und damit um die virtuelle Entsprechung einer Kraft, die mehr oder weniger alle Arten von menschlichen Beziehungen auch im realen Leben bestimmt. Fritz unterscheidet dabei drei Formen von Macht, die ein Spieler je nach Spieldesign und Genre ausüben kann: Zum einen „machtvolles“ bzw. souveränes Handeln in gefahrvollen Umgebungen, wie zum Beispiel in Ego-Shootern oder dem ‚Jump’n’Run‘-Genre. Zum anderen die „Handlungsmacht“, die ein Spieler etwa durch das Gewinnen von Kenntnissen, Kontrolle, Koordination, vorausschauendem Denken usw. erlangt (grundlegend beispielsweise in Simulations- oder Geschicklichkeitsspielen). Und schließlich eine Form von Macht, die vergleichbar ist mit erfolgreicher Lebensplanung bzw.

Identitätsentwicklung, wie man sie unter anderem aus Strategiespielen her kennt.[2]

Alle diese Beispiele zeigen: Der Computerspieler befindet sich im Spannungsfeld zwischen Macht und Ohnmacht, d.h. er beherrscht das Spiel und die geforderten Herausforderungen – oder eben nicht.

Erklärtes Ziel dürfte es für die meisten natürlich sein, das Spiel zu kontrollieren, überlegen zu sein und zu gewinnen. Hierin liegt schon ein bedeutender Reiz des Computerspiels – wie auch jeden anderes Spiels – begründet. Auch Fritz will eigenen Untersuchungen zufolge herausgefunden haben, dass in 97,2% der Fälle der Spielerfolg als Hauptmotiv für den Spieler ausschlaggebend ist.[3] Als direkter Spielanlass bzw. unmittelbarer Auslöser reicht dann meistens schon einfache „Langeweile“ – so auch in der allerdings vor allem von jungen Spielern dominierten Befragungsgruppe von Fritz.[4]

Fassen wir an dieser Stelle einmal zusammen: Computerspiele schaffen Umgebungen außerhalb der Kompetenzen der realen Welt, auf die der Spieler „machtvoll“ einwirken kann, indem er zum Beispiel übermenschliche Gegner besiegt oder aber ein Wirtschaftsunternehmen erfolgreich führt. Zugleich gibt es aber ebenfalls Berührungspunkte mit dem realen Leben bzw. dem Alltag des Spielers, in dem es ja schließlich auch darum geht, Konflikte auszutragen, Elemente des Lebens zu ordnen, an Fähigkeiten zu wachsen, Geld zu verdienen usw. Fritz spricht daher bei Computerspielen auch von „Metaphern für das reale Leben“ und schreibt weiter: „Computer sind ‚Generatoren von Wirklichkeit‘: Ihre

Fähigkeit besteht darin, die unterschiedlichsten Realitäten zu schaffen, in denen Menschen (partiell) leben können.“[5] Die Frage ist nun: Was passiert, wenn der Spieler in der virtuellen Welt scheitert, d.h. die Spielkontrolle verliert und dem Gegner unterlegen ist? Denn dies führt in der Regel zu Frust bis hin zu Aggression.[6] Darauf soll im nächsten Abschnitt nun näher eingegangen werden.

2.2 Über ‚Frust‘ und ‚Flow‘ – welche Emotionen begleiten das Spiel am Computer?

Zwei Begriffe kennzeichnen in der Fachsprache die grundlegenden Gefühlszustände beim Spielen in virtuellen Welten: Stimmen die Herausforderungen des Spiels in etwa mit dem Leistungsvermögen des Spielers überein, d.h. kann er die Spielaufgaben mehr oder weniger „in einem Fluss“ bewältigen, so spricht man von „Flow“.[7] Störungen und Misserfolge hingegen bezeichnet selbsterklärend der Ausdruck „Frust“.

Weiter oben hatten wir bereits festgestellt, dass Computerspielen eine leistungsorientierte Aktivität ist. Im „Flow“ kann diese Tätigkeit zudem vom Gefühl des völligen Aufgehens begleitet werden. Der Spieler agiert in diesem Zustand quasi automatisch, „verschmilzt“ mit dem Geschehen auf dem Bildschirm und vergisst alles andere um sich herum.[8] Dieses besonders tiefe Eintauchen in die Spielwelt wird oft als angenehm empfunden und ist folglich von besonderer Bedeutung nicht nur für die Spieler, sondern auch die Entwickler. Man könnte es auch so formulieren: Der Erfolg eines Computerspiels misst sich daran, inwiefern es Erlebnisse von Flow zulässt bzw. ermöglicht.

Fritz nennt mit Verweis auf Mihaly Csikszentmihhalyi[9] noch weitere Elemente von „Flow“: Er spricht von einem Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein, woraus die ungeteilte Aufmerksamkeit des Spielers resultiere. Im „Flow“ werde die eigene Person nicht reflektiert, die Umwelt nicht wahrgenommen. Vor allem bei jüngeren Benutzern von Computer- und Videospielen lasse sich darüber hinaus sogar ein gewisser Grad von sensomotorischer Synchronisation beobachten: Beim Computerspiel werden unbewusst mimetische Bewegungen ausgeführt, indem man sich beispielsweise beim Autorennspiel mit dem ganzen Körper „in die Kurve legt“ oder aber das Eingabegerät viel stärker mitbewegt, als es erforderlich wäre.[10] Da sich Flow-Erlebnisse allerdings vornehmlich dann einstellen, wenn ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen des Spiels und den eigenen Fähigkeiten besteht, treten diese bei neuen bzw. noch unbekannten Spielen erst nach einiger Zeit auf. Zum Abbruch des Flow wiederum kommt es oftmals erst, wenn ein Reiz aus der Umwelt die volle Konzentration und Aufmerksamkeit des Spielers durchbrechen kann, zum Beispiel bei einem starken Hungergefühl. Oder aber natürlich, wenn „der Fluss ins Stocken gerät“, also die erwünschten Erfolgserlebnisse auf einmal ausbleiben, weil beispielsweise der Schwierigkeitsgrad des Spiels mit jedem Level ansteigt. Die Empfindung von

„Frust“ kann jedoch wiederum mit dem „Zwang“ verbunden sein, wieder und wieder zu versuchen, die Spielanforderungen zu meistern. Auch im Frust liegt demnach eine Sogwirkung begründet, die bei Erfolg wieder zum Flow führt. Fritz spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Lust-Frust-Spirale“, dessen Durchlaufen dem Spieler eine Art von emotionaler Befriedigung verschaffe.[11] Auch dies ist sicherlich eine Erklärung für den besonderen Reiz, den das Computerspiel ausübt.

3. Das Transfermodell

3.1 Was sind ‚Transfers‘?

Die zuvor beschriebene Sogwirkung von Bildschirmspielen (womit allgemein sowohl Computer- als auch Konsolenvideospiele bezeichnet werden) hat eine Kontroverse nicht nur in der Medienwirkungsforschung entstehen lassen. Inzwischen haben sich längst auch Pädagogen, Jugendschützer, Eltern, Politiker und natürlich die Nutzer selbst in die Diskussion um „Killerspiele“ eingemischt. Die Frage nach der Wirkung von Gewaltdarstellungen in den Medien ist dabei schnell in den Fokus gerückt. Was es allerdings schon „damals“ bei den Untersuchungen von Gewalt- oder Horrorfilmen zu berücksichtigen galt, gilt ebenso für die bisherigen Ergebnisse zu Bildschirmspielen: Die durchgeführten Studien sind alles andere als eindeutig, konkrete Ergebnisse gibt es kaum. Und das oft angeführte „verschärfende“ Argument, Computerspieler seien bei der Rezeption in einer „aktiven“ Rolle, macht eben auch eines um so mehr deutlich: Die Wechselwirkungsprozesse beim Spiel in virtuellen Welten dürften noch komplexer ausfallen, als dies bei anderen Medientypen der Fall ist.

Im Folgenden soll das von Jürgen Fritz und seinen Mitarbeitern entwickelte sog. „Transfermodell“ näher vorgestellt werden, das auf den Grundlagen herkömmlicher Lerntransfers basiert und diese auf das Computerspielen anwendet. Zur Person: Prof. Dr. Jürgen Fritz (geboren 1944) lehrt Interaktionspädagogik an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Köln. Dort leitet er den Forschungsschwerpunkt „Wirkung virtueller Welten“.

[...]


[1] Eine Zusammenfassung der populärsten Thesen zur Wirkung von Gewalt in den Medien findet sich bei: Roland Burkart: Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Wien/Köln/Weimar 2002. S. 334-344.

[2] vgl.: Jürgen Fritz: Warum eigentlich spielt jemand Computerspiele? Macht, Herrschaft und Kontrolle faszinieren und motivieren. Aus: Jürgen Fritz/Wolfgang Fehr (Hrsg.): Computerspiele. Virtuelle Spiel- und Lernwelten. Bonn 2003. Online-Ressource, URL: http://www.bpb.de/themen/RSE41Q.html [Stand: 15.05.2008]

[3] vgl.: Jürgen Fritz: Warum eigentlich spielt jemand Computerspiele?, a.a.O.

[4] vgl.: Jürgen Fritz, Karla Misek-Schneider: Computerspiele aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen. In: Jürgen Fritz (Hrsg.): Warum Computerspiele faszinieren. S.89ff. Weinheim/München 1995.

[5] ebd., Abschnitt: ‚Selbstbezug (dynamischer Funktionskreis)‘

[6] zur These, dass Frustrationsgefühle beim Computerspiel eher aus mangelndem Spielerfolg resultieren als aus violenten Inhalten vgl.: Manuel Ladas: Brutale Spiele(r)? Wirkung und Nutzung von Gewalt in Computerspielen. Frankfurt a.M. (u.a.) 2002.

[7] vgl.: Mihaly Csikszentmihalyi: Das Flow-Erlebnis. Stuttgart 1992.

[8] vgl.: Jürgen Fritz: Zwischen Frust und Flow. Vielfältige Emotionen begleiten das Spielen am Computer. Aus: Jürgen Fritz/Wolfgang Fehr (Hrsg.): Computerspiele. Virtuelle Spiel- und Lernwelten. Bonn 2003. Online-Ressource, URL: http://www.bpb.de/themen/8GADVU.html [Stand: 15.05.2008]

[9] vgl.: Mihaly Csikszentmihalyi: Das Flow-Erlebnis, a.a.O., S.61ff.

[10] vgl.: Jürgen Fritz: Warum eigentlich spielt jemand Computerspiele?, a.a.O.

[11] vgl.: Jürgen Fritz: Zwischen Frust und Flow, a.a.O.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Das Transfermodell - Ein Wirkungsmodell für Computerspiele und virtuelle Welten
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Medien- und Kulturwissenschaften)
Veranstaltung
Computerspiele – die aktuelle Diskussion
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
23
Katalognummer
V122413
ISBN (eBook)
9783640276479
Dateigröße
478 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Transfermodell, Wirkungsmodell, Computerspiel, Virtualität, virtuell, Wirkungsforschung, Killerspiel, Jürgen Fritz, Computer, Diskussion, Gewalt, Spiele, Transfer, Stuart Hall, Encoding, Decoding, Medienpädagogik, Lebenswelt
Arbeit zitieren
Christian Undorf (Autor:in), 2008, Das Transfermodell - Ein Wirkungsmodell für Computerspiele und virtuelle Welten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122413

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