Akkulturation – Die Dichotomie von Theorie und Praxis


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theorien der Akkulturation
2.1 Definition
2.2 Theoretischer Rahmen
2.3 Modell des Akkulturationsprozesses
2.4 Einfluss individueller und gesellschaftlicher Variablen

3. Fallbeispiele
3.1 Akkulturationsstrategien jugendlicher Immigranten in Portugal
3.2 Domänen und Dimensionen der Akkulturation: implizite Theorien türkisch-niederländischer Immigranten

4. Diskussion

5. Fazit

6. Literatur

The term acculturation has been used during the 20th century in reference to what may be considered one of the more illusive, albeit ubiquitous constructs in the behavioural sciences. (Olmeda 1979:1061, zit. nach Ward 1996:124)

1. Einleitung

Homo sapiens is a migrating animal. From earliest origins in Asia (or Africa) mankind has migrated in search of a better life.” (Dyal 1981: 301, kursiv im Original).

Durch revolutionäre technologische Innovationen wird uns Menschen dieses Wandern erheblich erleichtert. Auf unserer Wanderschaft begegnen wir anderen Menschen und kommen mit fremden Ländern und Kulturen in Berührung. Dieser Kulturkontakt bildet den Ausgangspunkt dieser Arbeit. Schnell wird uns nämlich bewusst, dass sich die Menschen fremder Kulturen in ihrem Denken doch stark von uns selbst unterscheiden. Doch wie gehen wir nun mit dieser anderen Weltsicht um? Was für Probleme ergeben sich daraus für uns persönlich? Wie reagiert der Mensch, dieses migrating animal, auf die fremden und ungewohnten Erfahrungen, die er im Laufe seiner Wanderschaft macht? Lassen sich diese Reaktionen überhaupt wissenschaftlich erfassen und interpretieren, oder haben wir es ausschließlich mit individuellen Befindlichkeiten zu tun, die sich jeglicher Kategorisierung entziehen? Letzteres, so viel sei an dieser Stelle schon gesagt, kann jedoch bereits jetzt negiert werden.

Durch die Vielzahl von Akkulturationsstudien und die daraus entwickelten Theorien zum Kulturkontakt ist es uns möglich, die individuellen, aus der Kontaktsituation resultierenden Erfahrungen der Menschen zu erfassen und zu analysieren.

Diese Arbeit wird nach einer begrifflichen Definition einen Überblick hinsichtlich der aktuellen Theorien der Akkulturation bieten, welche im Anschluss anhand eines Modells des Akkulturationsprozesses verdeutlicht werden sollen. Ein weiteres Kapitel wird sich dem Einfluss individueller und gesellschaftlicher Variablen im Verlauf der Akkulturation widmen. Nach dieser theoretischen Annäherung soll das erwähnte anhand zweier Fallbeispiele praktisch verdeutlicht werden. Anhand dieser Beispiele werden wir auf das Idealtypische des Akkulturationsmodelles zu sprechen kommen, und uns überlegen müssen, ob ein derart ausgefeiltes und holistisches Modell den Anforderungen der Empirie überhaupt gerecht werden kann.

2. Theorien der Akkulturation

2.1 Definition

Wir finden bereits in den 1880er Jahren erste Studien zum Thema Akkulturation, die damals vor allem von nordamerikanischen Anthropologen verfasst wurden. Einen konzeptuellen Rahmen für die Kulturgeschichte und den Kulturwandel lieferten jedoch erstmals Redfield et al 1936, deren Definition der Akkulturation auch heute noch verwendet wird (vgl. z.B. Ward 1996:124):

„Acculturation comprehends those phenomena which result when groups of individuals having different cultures come into continuous first-hand contact with subsequent changes in the original cultural patterns of either or both groups.“ (Redfield et al 1936:149, zit. nach Spicer 1968:22).

Der Akkulturation liegt somit per definitionem der Kulturkontakt von mindestens zwei autonomen kulturellen Gruppen zugrunde, welcher einen Wandel in mindestens einer der beiden Kulturen zur Folge hat. Meist werden die am Akkulturationsprozess beteiligten Gruppen (cultural groups) nach ihrer relativen Macht in die dominante Gruppe (dominant group) und die akkulturierende, nicht-dominante Gruppe (acculturation (non-dominant) group) eingeteilt (Segall 1999:303). Häufig entstehen durch die Dominanz einer der beiden kulturellen Gruppen Konflikte, die sich auf die Gesellschaft und das Individuum auswirken (Berry 1980:10).

Von Anthropologen wurde die Akkulturation zunächst ausschließlich als Gruppenphänomen untersucht, seit Graves (1967) beschäftigen sich Psychologen im Rahmen der kulturvergleichende Psychologie jedoch vornehmlich mit deren Auswirkungen auf das Individuum (Ward 1996:124). Segall (1999:301) zufolge ist diese Unterscheidung äußerst wichtig, da nicht alle Individuen im gleichen Maße an der Akkulturation teilnehmen. So kann ein genereller Wandel in der Gesellschaft grundlegende Folgen haben, die individuellen Auswirkungen können jedoch stark variieren.

Im Mittelpunkt dieser Arbeit wird daher die Frage stehen, welche psychologischen Auswirkungen sich durch den Kulturkontakt für das Individuum ergeben. Denn trotz einer großen persönlichen Varianz lassen sich dennoch grundlegende psychologische Prinzipien feststellen. Diese „general processes and outcomes (both cultural and psychological) of cultural contact“ (Segall 1999:304), sprich der Akkulturation , gleichen sich Segall zufolge bei allen cultural groups.

Als Akkulturationsstrategien werden Integration, Assimilation, Separation und Marginalisierung unterschieden, auf deren genaue Definition ich an geeigneter Stelle noch zu sprechen kommen werde. An dieser Stelle sei bereits erwähnt, dass sie sich insbesondere im Hinblick auf die psychische Stabilität der Akkulturierenden unterscheiden. Die Komplexität und Multidimensionalität des Akkulturationsprozesses wird jedoch in den folgenden Kapiteln verdeutlicht werden.

Als Ergebnis der Akkulturation gilt die Adaptation, ein neutraler Begriff, der sowohl ein positives Ergebnis, das heißt das Meistern der neuen Situation, als auch ein negatives Endergebnis, also kein Zurechtkommen mit der neuen Situation, beschreiben kann (Segall 1999:309). Segall (1999:303) unterscheidet anhand von Faktoren wie Mobilität, Freiwilligkeit und Sesshaftigkeit sechs Typen der akkulturierenden Gruppen: ethnokulturelle Gruppen, Indigene, Immigranten, Flüchtlinge, Asylbewerber und Leute, die sich nur für eine begrenzte Zeit im Ausland aufhalten, wie zum Beispiel Studenten und Gastarbeiter. Aufgrund deren unterschiedlichen Motivationen, ihr Land zu verlassen, stoßen wir bei einigen Gruppen auf größere Adaptationsprobleme als bei anderen. Seit Searle und Ward (1990) unterscheiden wir zwischen (1) psychologischer Adaptation, die sich auf innere psychologische Veränderungen, wie zum Beispiel der Identität, der mentalen Gesundheit und der allgemeinen Zufriedenheit bezieht, und (2) soziokultureller Adaptation, die den Umgang mit externen psychologischen Veränderungen, wie zum Beispiel das Verhalten und den Umgang mit Alltagsproblemen thematisiert.

2.2 Theoretischer Rahmen

Frühere Studien zur Akkulturation waren bis Mitte der 70er Jahre stark klinisch orientiert, das heißt, sie gingen von einem unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Migration und psychischen Problemen aus. Ab den 80er Jahren entstanden hinsichtlich der Frage, warum bei Migranten häufiger psychische Problemen auftreten, differenziertere Fragestellungen. In die Untersuchungen wurden nun auch andere Faktoren wie zum Beispiel veränderte Werte, Identität und Akkulturationsstrategien miteinbezogen. Der interkulturelle Kontakt wurde immer häufiger als eine dynamischen Lernprozess auf beiden Seiten interpretiert (Ward 2001:34-37). Seit 1983 können wir drei dominante Forschungsrichtungen zum Themenkomplex des Kulturschocks ausmachen. Erstens, der cultural and social learning Ansatz, dessen zentrale Analyse sich auf das Erlernen kulturspezifischer Fähigkeiten konzentriert. Man geht dabei davon aus, dass die Adaptation an ein neues kulturelles Milieu durch die Übernahme neuer sozialer Fähigkeiten erleichtert wird. Untersucht wird dabei vor allem die behaviourale Dimension der Adaptation, sowie das generelle Wissen über die neue Kultur, die Dauer des Aufenthalts, die Häufigkeit der Kontakte mit Mitgliedern der fremden Kultur, sowie vorherige Auslandserfahrungen und interkulturelle Trainings. In diesem Ansatz ist die kulturelle Distanz ebenfalls von großer Bedeutung (Ward 1996:126). Man kann generell davon ausgehen, dass die Adaptation, egal ob psychologisch oder soziokulturell, durch eine geringere kulturelle Distanz erleichtert, und durch eine große kulturelle Distanz erschwert wird.

Als zweiter Ansatz sind die stress and coping Theorien zu nennen. Diese gehen davon aus, dass der Prozess der Akkulturation mit einer Reihe von Stress provozierenden Lebensveränderungen einhergeht, die nach bestimmten coping- Mechanismen verlangen. Generell verursacht jegliche Veränderung des Lebens, egal ob positiv oder negativ, Stress, was ein psychologisches Ungleichgewicht zur Folge hat, und daher nach Anpassungsreaktionen verlangt. Das Ausmaß, sowie der Umgang mit dem entstehenden Stress kann durch persönliche und situationsbedingte Faktoren beeinflusst werden. Diese hängen vor allem von der Häufigkeit und Dauer der Lebensveränderungen, der persönlichen Ressourcen und Defizite, situationsbedingten Faktoren sowie den allgemeinen Reaktionen auf Stress ab. Mit diesem Modell können der Einfluss der Lebensveränderungen, die individuelle kognitive Reaktion auf Wandel, die soziale Unterstützung und deren Auswirkungen auf die Akkulturation vor allem im Hinblick auf die psychische und mentale Gesundheit untersucht werden. Zu dieser klinischen Herangehensweise und Untersuchung von Akkulturation und akkulturativem Stress entstanden vor allem von Berry äußerst einflussreiche Arbeiten (Ward 1996:125).

Als dritte Forschungsrichtung sind die Social Identification Theories zu nennen, die ihren Schwerpunkt auf einer kognitiven Perspektive, ähnlich dem Erwerb sozialer Fähigkeiten legen. Dabei werden vor allem Veränderungen hinsichtlich bestehender Werte, Einstellungen, Normen und Glauben untersucht. Die Studien fokussieren hauptsächlich auf kognitiven Elementen wie Erwartungen, Einstellungen, Identität, Wahrnehmung und Stereotypen (Ward 1996:126). Eine Richtung dieser Theorie konzentriert sich vor allem auf die Aspekte der ethnischen und kulturellen Identität, sieht also die Akkulturation mehr als Zustand als einen Prozess. Die andere Richtung betont hingegen die Bedeutung der Intergruppenwahrnehmung und –beziehung, Untersucht die soziale Interaktion zwischen Indigenen und Fremden, und interpretiert die Intergruppenbeziehung im Kontext der Social Identity Theorie (SIT). Dabei haben wir es mit eine stark kognitiven Richtung zu tun, in deren Kontext auch die Bedeutung von Einstellungen und Erwartungen fällt (Ward 2001:139).

Die heutigen Ansätze sind in mehrerer Hinsicht positiv zu bewerten: zunächst stellen sie umfassende Theorien dar, die affektive, behaviourale und kognitive Komponenten im Akkulturationsprozess untersuchen. Darüber hinaus wird dieser als dynamischer Prozess interpretiert, dem die Erkenntnis zugrunde liegt, dass durch jegliche Veränderung individueller Stress verursacht wird. Somit befasst sich die heutige Literatur explizit mit de Fähigkeiten und Strategien, welche das Individuum im Adaptationsprozess anwendet (Ward 2001:39).

Nach dieser allgemeinen theoretischen Einordnung müssen wir auf die psychologischen Ergebnisse der Akkulturation zu sprechen kommen. Generell führt die Akkulturation nicht unweigerlich zu sozialen und psychologischen Problemen, wie bereits erwähnt, können die Ergebnisse stark variieren. Dennoch lassen sich aber drei grundsätzliche Tendenzen feststellen. Dies sind zum einen ein Wandel des Verhaltens, zweitens das kulturelle Lernen und drittens die Akquisition sozialer Fähigkeiten. Die psychologische Adapation geht also stets mit dem Erlernen eines neuen behaviouristischen Repertoires, welches an den neuen kulturellen Kontext angepasst ist, einher. Dieser Prozess setzt in gewissem Maße ein Ver lernen eigener kultureller Aspekte voraus, und kann daher von kulturellen Konflikten begleitet sein. Dies wurden früher als Kulturschock (vgl. Oberg 1960), seit Berry (1970) als akkulturativer Stress interpretiert (Segall 1999:308).

Der Grad der Adaptation kann laut Ward (1996:127) anhand dreier Effektivitätsdomänen gemessen werden. Diese umfassen die Fähigkeit der effektiven Kommunikation im neuen kulturellen Rahmen, sowie den effektiven Umgang mit psychologischem Stress und die Fähigkeit, interpersonale Beziehungen einzugehen.

Seit Searle und Ward (1990) unterscheiden wir zwischen der psychologischen und soziokulturellen Adapation. Deren zweigeteiltes Modell integriert sowohl stess and coping - als auch social and cultural learning- Ansätze. Obwohl die psychologische und soziokulturelle Anpassung eng miteinander verbunden sind, müssen sie laut den Autorinnen strikt getrennt voneinander untersucht werden (Searle & Ward 1990:449), da ihnen unterschiedliche Variablen zugrunde liegen. So wirken sich soziale Schwierigkeiten, Lebensveränderungen, und die Zufriedenheit mit dem interkulturellen Kontakt hauptsächlich auch die psychologische Adaptation aus, wohingegen erwartete Schwierigkeiten und die kulturelle Distanz die stärksten Vorhersagemechanismen für die soziokulturelle Adaptation darstellen. Die psychologische Anpassung kann am besten mit einem stess and coping -Modell interpretiert werden, da die im interkulturellen Kontakt entstehenden Lebensveränderungen soziale Schwierigkeiten verursachen, und somit Auswirkungen auf die psychische Verfassung haben. Diese können durch eine Reihe individueller Faktoren abgeschwächt oder verstärkt werden (zum Beispiel Persönlichkeit und soziale Unterstützung). Auch das „cultural fit“, also die Kulturdistanz, muss unbedingt in diese Analyse miteinbezogen werden (Searle & Ward 1990:457 f.). Die soziokulturelle Anpassung kann besser mit dem social and cultural learning- Ansatz erklärt werden, der die entstehenden Probleme auf einen Mangel an kulturspezifischen sozialen Fähigkeiten zurückführt. Darüber hinaus spielen aber auch kognitive und emotionale Komponenten im Adaptationsprozess eine bedeutende Rolle. Wie wir sehen, ist das psychologische Wohlbefinden also hauptsächlich mit klinischen Variablen verbunden, wo hingegen die soziokulturelle Anpassung von sozialem Lernen und kognitiven Faktoren abhängt (Searle & Ward 1990:459).

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Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Akkulturation – Die Dichotomie von Theorie und Praxis
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Institut für Interkulturelle Kommunikation)
Veranstaltung
Theorien der Interkulturellen Kommunikation
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
17
Katalognummer
V122415
ISBN (eBook)
9783640276493
ISBN (Buch)
9783640282432
Dateigröße
456 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Akkulturation, Immigration, Identität, Kulturschock
Arbeit zitieren
Alexandra Mörz (Autor:in), 2005, Akkulturation – Die Dichotomie von Theorie und Praxis, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122415

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