Die Agrarkrise im Überblick

Historiker, Standpunkte, Meinungen


Hausarbeit, 2007

15 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Pest und ihre Bedeutung als Katalysator

3. Die Agrarkrise
3.1 Die Agrarkrise aus Sicht der Wirtschaft

4. Die Pest und die Agrarkrise am Beispiel England

5. Die Pest, die Krise und der Klerus

6. Kritik

7. Fazit

Literatur:

1. Einleitung

Selten wurden Quellen zu einem so wichtigen, aber irgendwie nicht greifbaren Abschnitt spätmittelalterlicher Geschichte so heftig diskutiert wie jene, welche sich mit der Zeit nach der großen Pest von 1348 bis 1351 beschäftigen. Wilhelm Abel gab diesem Abschnitt den Namen Agrarkrise und prägte mit seiner Theorie, dass die Pest eine spätmittelalterliche Agrarkrise oder, wie er es später selbst nannte, Agrardepression mit ausgelöst hätte, eine ganze Generation von Historikern. War das Material, welches Abel gesammelt hatte, doch umfangreich und die Schlüsse, welche er daraus gezogen hat, in weiten Strecken nachvollziehbar. Immer mehr Autoren aber zeigen, dass man nicht von einem allumfassenden Krisenphänomen sprechen kann. Abels Material erstreckt sich zum einen über einen zu langen Zeitraum und ist dabei gleichzeitig zu grob, auch fehlen lokale Studien, wie sie etwa Ursula Hauschild am Beispiel Rostocks erstellt hat.

Tatsache ist, dass eine Reihe von (im Vergleich zu Abel) jungen Autoren neue Erkenntnisse hervorgebracht hat und zum Teil auch alte Materialien anders deutet[1]. Das alles macht es notwendig, sich mit dem Thema Agrarkrise, ihrer Existenz oder eben Nichtexistenz sowie ihrem Verhältnis zur Pest zu befassen, diese Arbeit wird ein paar der renommierten Forschungsstandpunkte vorstellen und diese auch teilweise in Bezug zu einander bringen, um so eventuelle Schwachpunkte in der Argumentation aufzuzeigen. Abschließend wird aus den gewonnenen Erkenntnissen ein Fazit gezogen, welches zusammenfassend eine mögliche Deutung der wirtschaftlichen Ereignisse der Zeit nach der Pest darstellt.

2. Die Pest und ihre Bedeutung als Katalysator

Wenn hier von der Pest gesprochen wird, so meint dieser Begriff nicht nur die große Pest von 1348-51, sondern auch die Ereignisse davor und danach, also die Zeit um die große Pest. Das ist insofern wichtig, da der Pest zum Beispiel eine Hungerskatastrophe vorausging, welche die Bevölkerung geschwächt und umso anfälliger für die Seuche gemacht hatte. Auch gab es nicht nur eine Epidemie, sondern mehrere, so gehen die beiden englischen Historiker Heiner Haan und Karl Friedrich Krieger[2] davon aus, dass erst die zweite Pestwelle von 1361/62 in England die eigentlich verändernde Wirkung hatte. Wenn hier von Veränderung gesprochen wird, so meint dies einen durch die Pest verursachten starken Rückgang in der Bevölkerung, welcher eine neue Wirtschaftsstruktur hervorbrachte. Ein verständliches Phänomen, bedenkt man die enormen Bevölkerungseinbußen, welche viele Regionen durchgemacht haben. Fakt ist aber auch, dass eben nicht nur die Pest solche tiefen Löcher gerissen hat, sondern auch andere Ereignisse, welche um die Pest herum stattgefunden haben, viele Opfer gefordert haben[3]. Um aber überhaupt erstmal den Tatbestand eines enormen Bevölkerungsrückgangs zu beweisen, gilt es an dieser Stelle die zwei renommierte Forschungsstandpunkte zu diesem Thema vorzustellen.

Den ersten entwickelte seinerzeit der Bevölkerungstheoretiker Th. R. Malthus, sein malthusisches Erklärungsmodell besagt, dass die Pestepidemie lediglich die Folge-erscheinung eines durch bestimmte Voraussetzungen bereits vorgegeben Trends war. Demnach neigt die Bevölkerung grundsätzlich dazu, schneller zu wachsen, als sie die für ein gesundes Wachstum benötigten Nahrungsmittel herstellen kann[4]. Ist dann erst einmal eine gewisse Disparität im Verhältnis Nahrungsmittelproduktion - Bevölkerung erreicht, muss sich letztere, unter Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, in einem schmerzhaften Anpassungsprozess[5] wieder zurückbilden[6].

Dieser Theorie stellen sich die sogenannten Biologisten entgegen, sie erklären den Bevölkerungsrückgang fast ausschließlich durch exogene Einflüsse, in diesem Falle die Pest. Das heißt, die Pestepidemie war der hauptsächliche Grund, warum die Bevölkerung zurückging und dies unabhängig von der ökonomischen Ausgangslage.

Beide Theorien aber weisen Mängel auf: Die Malthuser können nicht erklären, warum der Bevölkerungsschwund über einen Zeitraum von fast eineinhalb Jahrhunderten andauerte, hatte sich die wirtschaftliche Lage doch bereits zum Ende des 14. Jahrhunderts wieder gebessert, was wiederum, laut Malthus, zu einem erneuten Ansteigen der Bevölkerung hätte führen müssen.

Die Biologisten können zwar erklären, warum der Bevölkerungsrückgang sich über so einen langen Zeitraum erstreckte und das trotz steigendem Lebensstandard[7]. Die beiden Engländer John Hatcher und R.S. Gottfried[8] etwa argumentieren, dass die immer wieder auftauchende Pest die Sterblichkeit so negativ beeinflusst habe, dass die jeweiligen Erholungsphasen bereits im Keim erstickt wurden. Allerdings können auch sie nicht erklären, warum bereits Jahre zuvor die Bevölkerung zurückging.

Abschließend kann man also sagen, dass ein enormer Bevölkerungsverlust einen drastischen Einschnitt in die labile mittelalterliche Wirtschaft verursacht hat. Die Pest hierfür allein zu Verantwortung zu ziehen, ist eher fragwürdig, viel eher scheint es so, dass eine Vielzahl von Faktoren[9] berücksichtigt werden muss, die Pest allerdings ist und bleibt einer der Hauptgründe.

3. Die Agrarkrise

Der Mann, an dem man nicht vorbeikommt, wenn man sich mit der Wirtschaftswelt in den Jahren nach der großen Pest beschäftigt, ist Wilhelm Abel. War er es doch, der in seiner Habilitationsschrift „Agrarkrisen und Agrarkonjunktur in Mitteleuropa vom 13. bis zum 19. Jahrhundert“[10] den Begriff der Agrarkrise für das Spätmittelalter formulierte:

Bei einer Agrarkrise handelt es sich demnach um ein „langfristiges Missverhältnis zwischen den Erlös- und Kostenpreisen des Landbaues, den Rückgang des Getreideanbaus und den Abfall der Grundrenten, verbunden mit einem verstärkten Anstieg leer werdender Dörfer und unbewirtschafteter Fluren.“[11]

Auch wenn Abel den Begriff der „Agrarkrise“ wenige Jahre später revidierte und in „Agrardepression“ änderte, prägte der Begriff die Geschichtsforschung und wurde zu einem so genannten „terminus technicus“, der auch heute noch weit verbreitet ist. Abel untersuchte als einer der ersten Historiker die Entwicklung von Getreidepreisen und Löhnen und entwickelte den Begriff der „Lohn-Preis-Schere“, der ein weiterer Grundbegriff der Abelschen Forschung geworden ist[12]. Diese „Lohn-Preis-Schere“ umfasst die Beobachtungen von Abel, dass sich die Löhne in der Landwirtschaft während bzw. nach der Pest exorbitant erhöht hatten. Grund hierfür ist der hohe Verlust an Humankapital, es fehlten ganz einfach die nötigen Arbeitskräfte. Auf der anderen Seite dagegen steigen die Preise nur in gewissen Bereichen der Wirtschaft und in der Landwirtschaft fielen sie sogar. Dies habe, vermutet Abel, die Landwirtschaft unrentabler gemacht und zur Aufgabe von Dörfern und von bisher noch landwirtschaftlich genutzten Flächen geführt, in diesem Zusammenhang sprach er von „Wüstungen“[13]. Abels Erklärung für die von ihm prognostizierte konjunkturelle Depression in der Landwirtschaft im 14. und 15. Jahrhundert lag also in den fehlende Absatzmöglichkeiten für landwirtschaftliche Produkte, die er wiederum auf eine mangelnde Nachfrage zurückführte. Der Grund für eben diese mangelnde Nachfrage war laut Abel ein durch Hungersnöte, seit Beginn, und durch Pestepidemien, seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, verursachter Bevölkerungsrückgang gewesen.

Vor allem am letztgenannten Punkt entzündet sich Kritik an Abel. Zwar kam es wohl zu einem Bevölkerungsrückgang durch die Pest, das Vermögen Pro-Kopf stieg allerdings während der Pestepidemie stark an, Grund hierfür war die Konzentration des gesamten Vermögens auf die Überlebenden. Auch die Existenz einer von Abel konstatierten Lohn- Preis-Schere ist in der Forschung nicht unumstritten, denn zumindest lokale Untersuchungen haben gezeigt, dass das nicht immer der Fall war. So zeigt Ursula Hausschild am Beispiel Rostocks auf, dass sich dort die Löhne und Preise weitgehend parallel entwickelten[14]. Zudem muss berücksichtigt werden, dass es sehr gewagt ist, eine Argumentation fast nur auf die Auswertung von Quellen zu stützen, welche sich mit der Entwicklung der Getreidepreise beschäftigen, und dann darauf aufbauend ein Bild der gesamten wirtschaftliche Situation zu entwerfen, zumal sich das entsprechende Quellenmaterial nur auf wenige Städte – Frankfurt, Braunschweig und Xanten – beschränkt. Auch kann man heute davon ausgehen, dass die damalige Wirtschaft bei weitem nicht in einem so engen Maße aneinander gekoppelt war, wie das heute zur Zeit der Globalisierung der Fall ist, daraus folgend muss es weit größere lokale Unterschiede gegeben haben, als Abel im Interesse seines Modells zugestehen wollte[15].

Abschließend bleibt also zu sagen, dass die Theorie von Abel gute Ansätze zeigt, das Material mit einigen Ergänzungen noch immer gut genutzt werden kann, die große Schwäche aber ganz eindeutig in der Deutung lokaler Unterschiede liegt. Hier nämlich zeigt sich, dass es eben nicht gelungen ist, eine Art Systemtheorie zu entwickeln, von daher passt es sehr gut ins Bild, dass Abel diesen Punkt in seiner Arbeit fast vollständig ignoriert hat, um so den Eindruck zu erwecken, es hätte praktisch keine Unterschiede gegeben.

[...]


[1] Vgl. Schubert, Kapitel 6. Kritik

[2] Vgl. Haan, Heiner/Krieger, Karl Friedrich: Einführung in die englische Geschichte, Stuttgart 1982.

[3] McEvedy, F.C./Jones, R.: Atlas of world population history. Penguin 1978.

[4] Ein Phänomen welches sich auch heute noch in vielen Staaten der Dritten Welt beobachten lässt.

[5] Michael Postan etwa hat in Einklang mit diesem Modell festgestellt, dass die Bevölkerung bereits spätestens seit der Hungerkatastrophe von 1313-1317 rapide zurückging.

[6] Haan, Heiner/Krieger, Karl Friedrich: Einführung in die englische Geschichte, Stuttgart 1982, S.50.

[7] Dieser lässt sich unter anderem durch eine Konzentration von Besitz in den Händen der Überlebenden

[8] Haan, Heiner/Krieger, Karl Friedrich: Einführung in die englische Geschichte, Stuttgart 1982, S.50f.

[9] Zum Beispiel: Bevölkerungsexplosion, Hygiene, Anbauprobleme und Hungerkatastrophen

[10] Abel, Wilhelm: Agrarkrisen und Agrarkonjunktur. Eine Geschichte der Land- und Ernährungswirtschaft

Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter. Hamburg 1978.

[11] Abel, Wilhelm: Strukturen und Krisen der spätmittelalterlichen Wirtschaft, Stuttgart 1980.

[12] Abel, Wilhelm: Die Wüstungen des ausgehenden Mittelalters, Stuttgart 1976, S. 104ff.

[13] Vgl. Abel, Wilhelm: Strukturen und Krisen der spätmittelalterlichen Wirtschaft, Stuttgart 1980, S.60.

[14] Vgl. Hauschild, Ursula: Studien zu Löhnen und Preisen in Rostock im Spätmittelalter, Köln 1973, S.219.

[15] Vgl. Schuster, Peter: Die Krise des Spätmittelalters, in: Historische Zeitschrift, München 1999, S.29.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die Agrarkrise im Überblick
Untertitel
Historiker, Standpunkte, Meinungen
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Hostorisches Institut)
Veranstaltung
Übung
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
15
Katalognummer
V122447
ISBN (eBook)
9783640278411
ISBN (Buch)
9783656210085
Dateigröße
423 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Agrarkrise
Arbeit zitieren
Philipp Berner (Autor:in), 2007, Die Agrarkrise im Überblick, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122447

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