Grundsätze wirtschaftlichen Handelns bei Aristoteles und deren Projektion auf ausgewählte alternative Wirtschaftsansätze in der Gegenwart


Hausarbeit, 2022

23 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundmotivationen wirtschaftlichen Handelns in Aristoteles Po lis

3. Formen des wirtschaftlichen Handelns bei Aristoteles
3.1 Kunst der Haushaltsführung
3.2 Beschaffungskunst
3.3 Unnatürliche Erwerbskunst

4. Leitlinien für wirtschaftliches Handeln bei Aristoteles
4.1 Umgang mit Geld im Allgemeinen
4.2 Grundsätze wirtschaftlich gerechten Handelns
4.3 Anforderungen an tugendhaftes Handeln im wirtschaftlichen Kontext

5. Aristoteles Grundsätze wirtschaftlichen Handelns im Hinblick
auf moderne alternative Wirtschaftssysteme
5.1 Grundsätzliche Motivation von alternativen Modellen
5.2 Regionalwährungen
5.3 Gemeinwohl-Ökonomie nach Christian Felber

6. Perspektiven

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Wirtschaftliches Handeln stellt in der Existenz des modernen Menschen eine geradezu dominierende Sinndomäne dar. Die zunehmende Ökonomisierung vieler Lebensbereiche tangiert dabei etliche Moralen (z.B. welcher wirtschaftliche Aufwand scheint jeweils für Heilung, Gesunderhaltung und Lebensrettung gerechtfertigt?). Hat jeder in einer staatlichen Fürsorgegemeinschaft Lebende unbedingten Anspruch auf Güter, die er für ein glückliches Leben benötigt? Ist es moralisch richtig, dafür einen Preis zu verlangen und dadurch eine nicht unbedingt gerechten (also für alle gleichermaßen gleichen) Zugang zu diesen Gütern zu verschaffen?

Dabei geht es gar nicht so sehr um die seit Marx angeprangerten negativen Auswüchse des Kapitalismus und dessen zwischenzeitlich apokalyptisch bedrohlichen Konsequenzen. Es geht um die Dichotomie zwischen der egoistischen Selbstbehauptung des Menschen und dem damit einhergehenden Bestreben, äußeren Wohlstand zu maximieren auf der einen Seite und der aristotelischen Selbstgenügsamkeit1, deren Ausdruck ein tugendhaftes Leben in einer wirtschaftlich autarken Gemeinschaft ist, auf der anderen Seite. Beide Zustände werden, je nachdem, welches philosophische Denksystem man zugrunde legt, als menschlich natürlich und der Natur des Menschen entsprechend ausgelegt.

Das eine Streben ist eher durch den Gedanken des Eigennutzes geprägt und hat in Adam Smith als Begründer der klassischen Nationalökonomie seinen Protagonisten. Der andere Zustand hat das von Natur aus nach Gemeinschaft und tugendhaft verpflichtete zoon politicon von Aristoteles und seinem Streben nach einem glückseligen Leben, welches mit einer Mindestausstattung an materieller Bedürfnisbefriedigung einhergeht, als Leitmotiv.

Im Folgenden werden die Grundgedanken und Zusammenhänge des letzteren Zustandes beschrieben und analysiert und im Hinblick auf eine Wirkung auf das heutige Verständnis von Wirtschaften untersucht. Die Grundlagen sind hierbei die Elemente des aristotelischen Wirtschaftssystems2.

Aristoteles skizziert in seinen beiden Werken „Nikomachische Ethik“ und „Politik“ zum einen die tangiblen Grundbausteine wirtschaftlichen Handelns, nämlich Besitz und Geld und, zum anderen, alle intelligiblen Bestandteile wie Gerechtigkeit im allgemeinen und gerechter Tausch im Speziellen sowie der entartete Umgang mit Geld. Auch einige Elemente aus der Tugendlehre sind für das wirtschaftliche Handeln relevant, so die Freigebigkeit und die Großzügigkeit.

Das aristotelische Grundverständnis der Ökonomie beschränkt sich auf ein auf Gegenseitigkeit ausgelegtes Handeln um sich mit äußeren Gütern auszustatten, die man anderweitig (z.B. durch eigenen Landbau) nicht erhält. Das Grundprinzip ist dabei eine Verzweckung des Handels und des Umgangs mit Geld ausschließlich zur Erreichung und Vervollkommnung des menschlichen Glückes, sowohl für den Einzelnen als auch für das Kollektiv der Polis.

Die Idee, die moderne Ökonomie wieder auf dieses Grundverständnis zu reduzieren, hat ihren Beginn in der Nachhaltigkeitsdebatte, die in die deutsche Politik in den 90er Jahren Einzug hielt. Insbesondere die Leitstrategie der Suffizienz3 beschreibt einen kulturellen Wandel, in dem die immateriellen Werte des Lebens besser verstanden und höher geschätzt werden. Eine freiwillig auferlegte Konsumbegrenzung wird nicht als Einschränkung empfunden, sondern im Gegenteil, als Gewinn und Rückbesinnung auf innere Werte empfunden. Dies ist ganz im Sinne von Aristoteles, der durch äußere Güter gemessenen Wohlstand in dem Maße billigt, als dass er essentieller Bestandteil eines glückseligen Zustandes ist.

Im Weiteren werden dann zwei Beispiele beschrieben, die, in zum Teil in expliziter Anlehnung an das aristotelische Verständnis, ein Wirtschaften unter der Maßgabe eines notwendigen und lebensbereichernden Konsums beschreiben.

Die Übertragbarkeit dieser reduzierten Ökonomie in ein globales wirtschaftliches Handeln ist nur schwer realisierbar. Es werden daher einige grundsätzliche Prämissen untersucht, wie und welche Aspekte des aristotelischen Wirtschaftsverständnisses sich in das moderne Wirtschaftsleben übertragen lassen und wie auch die Bewertung des „gelungenen Lebens“ im modernen Kontext anzupassen ist.

2. Grundmotivationen wirtschaftlichen Handelns in Aristoteles Polis

Der Begründer eines systemischen Wirtschaftens in der Antike war Platon. Er ist wohl der erste Denker überhaupt, der einen systematischen Zugang zu den Phänomenen des Wirtschaftens sucht.4 Allerdings war wirtschaftliches Handeln im engeren Sinne nur dem niederen Stand der Bauern, Gewerbetreibenden und Handwerker gestattet.

Dieser sog. Nährstand musste die Lebensgrundlagen für die Wächter und Philosophen bereitstellen. In gewissem Sinne sind das nahezu feudale Strukturen in dem der niedere Stand Nahrung und andere Güter den höheren, quasi reflexiven, Ständen bereitzustellen hat und, im Gegenzug dafür, Schutz und staatliche Fürsorge erwarten kann.

Im Unterschied zur Feudalherrschaft des Mittelalters ist aber den Wächtern und Philosophen kein Besitz erlaubt und Platon schildert die daraus resultierende Gütergemeinschaft als Grundlage, den Lebensschwerpunkt der Angehörigen der höheren Stände ausschließlich auf den Schutz (Wächter) und die Verwaltung und Weiterentwicklung des Staates (Philosophen) zu legen. Die Besitzlosigkeit ermöglich in diesem Sinne ein moralisch höherstehendes Dasein ohne Zwietracht und Bezogenheit auf äußere Güter.

Im Gegensatz zu Platons Vorstellungen über eine Gütergemeinschaft in einem Staat lässt Aristoteles Besitz zu. Aus wirtschaftlicher Sicht erfolgt damit eine Gleichstellung aller Bürger einer Polis. Diese Voraussetzung einer liberalen Wirtschaftsordnung ist bis heute essentiell für die Motivation sowohl von Individuen als auch von Organisationen Wohlstand zu erzeugen.

Das aristotelische Ökonomieverständnis ist sehr elementar und geht im Wesentlichen von einer erweiterten Subsistenzwirtschaft5 aus. Es geht den verschiedenen Einheiten (also sowohl dem Oikos als auch der Polis) um die Versorgung mit allen zu einem guten Leben erforderlichen äußeren Gütern.

Die Ökonomie in ihren verschiedenen, noch zu beschreibenden Ausprägungsformen, fungiert ausschließlich als Mittel zum Zweck sowohl eines gelingenden Gemeinwesens als auch als Katalysator für ein gelungenes Leben jedes Einzelnen, das was man heute allgemeinhin als Gemeinwohl bezeichnet.

Die gängigen ökonomischen Zielgrößen wie Wachstum, Handelsbilanz oder Sozialprodukt fehlen in dem aristotelischen Wirtschaftssystem gänzlich. Auch die Systemgrenzen sind sehr klar und limitiert: Die Ziele wirtschaftlichen Handelns sind die Autarkie der Polis bei gleichzeitigem wirtschaftlichem Wohlstand ihrer Bewohner.

3. Formen des wirtschaftlichen Handelns bei Aristoteles

Aristoteles entwirft sein Wirtschaftssystem für zwei verschiedene Handlungsebenen: zum einen für den Oikos als kleinste Wirtschaftseinheit, zum anderen für die Polis als Ansammlung von Oikoi.

Der Oikos ist so etwas wie die Keimzelle des menschlichen Zusammenlebens. Als kleinste Organisationseinheit nach dem Einzelindividuum ist die häusliche Gemeinschaft die Hauptbühne des Lebensvollzugs. Während der freie Bürger sich selbstverständlich außerhalb seines Hauses aufhalten konnte, war die Existenz und das Sein für die Dienerschaft und Knechte (also für die Sklaven) sogar ausschließlich physisch auf das Haus oder Gehöft beschränkt.

Das Haus besteht häufig nicht nur aus dem Wohngebäude, sondern der Grundbesitz umfasst Stallungen, Scheunen, Gärten, Felder, Wald und gelegentlich auch noch eine Mühle. Bevölkert wird diese Hausgemeinschaft nicht nur von dem Hausherrn und seiner Familie, sondern eben auch von den unfreien Hausmitgliedern, also den Sklaven. Insbesondere bei großen Hausständen ist es naheliegend, dass die Bewirtschaftung derselbigen durchaus anspruchsvoll war und daher der hohe Stellenwert der Ökonomie verständlich und nachvollziehbar wird.

Die zweite wirtschaftliche Handlungsebene war die Polis. Eine Polis war ein Stadtstaat von einer Größe zwischen 2.000 und höchstens 5.000 Einwohnern. Die idealtypische Polis ist wirtschaftlich autark und außenpolitisch inaktiv. Dies war historisch nicht immer gegeben. Etliche Polei, insbesondere die an der Küste gelegenen, etablierten einen florierenden Handel mit anderen Stadtstaaten. Von diesen Stadtstaaten existierten zur Zeit Aristoteles ungefähr 700 im griechischen Mutterland und nochmal so viele in den „kolonialen“ Gebieten der Hellenen an den Küsten des Mittelmeers und des Schwarzen Meers.6

Aristoteles äußert zahlreiche Vorstellungen über städtebauliche Themen wie z.B. Verteilung von Grund und Boden, die Versorgung mit Wasser, die Anlage von Privathäusern und ästhetischen und praktischen Gesichtspunkten etc. Darüber hinaus hat er auch klare Vorstellungen über die verschiedenen städtischen Behörden: Marktaufsicht, Aufsicht über den baulichen Zustand der öffentlichen und privaten Gebäude, Ämter für Hinterlegung von Privatkontrakten und Gerichtsbeschlüssen.

Entscheidend für das Verständnis auf dieser Handlungsebene der Polis ist, dass sie mehr ist als eine Gemeinschaft aus benachbarten Oikoi ist. Die Polis ist nicht nur eine Stadt mit entsprechender Infrastruktur, sondern auch zugleich Staat. Während die Herrschaftsform innerhalb einer Hausgemeinschaft sehr klar und unverrückbar die Herrschaft eines Einzelnen ist (also im ungünstigsten Fall quasi eine Tyrannis „im Kleinen“), so gibt es in der Polis eine festgelegte Verfassung und Ordnung für alle Bürger.

Für das wirtschaftliche Agieren ist es von Bedeutung, dass es zum einen Geld als ein allgemeinhin anerkanntes Tauschmittel gibt und zum anderen eine Verwaltung mit Behörden und Gerichtbarkeit, die einen für alle geltenden Ordnungsrahmen schafft.

Die Beziehungen zwischen diesen beiden Handlungsebenen beschreibt Aristoteles mannigfaltig dahingehend, dass der Staat mehr als ein Zweckbündnis ist, welches den Rahmen für ein wohlgeordnetes und friedliches Zusammenleben ist. Erst in der Form des Staatslebens verwirklicht der Mensch seine Natur als „zoon politicon“. Der Staat ist daher auch elementar für ein gelungenes Leben des Einzelnen.

Bei der Untersuchung des wirtschaftlichen Handelns ist aber gar nicht so sehr die Ebene, also Oikos oder Polis, relevant, sondern die Natur und die jeweilige Motivation des wirtschaftlichen Handelns. Aristoteles unterscheidet zwischen unterschiedlichen Arten der Erwerbstätigkeiten. Zum einen derjenigen Art, die der unmittelbaren Produktion und Beschaffung derjenigen Güter dient, die für das Leben unerlässlich sind und die der staatlichen und häuslichen Gemeinschaft förderlich sind7, die „natürliche Erwerbskunst“. Zum anderen, von der Mechanik des Umsetzens nur geringfügig unterschiedlich, die „unnatürliche Erwerbskunst“. Diese lebt aus sich selbst heraus und bedient nicht das konkrete Bedürfnis wie bei einem Tauschhandel, sondern basiert auf einer abstrakten Idee einer unbestimmten Bedürfnisbefriedigung.8

Aristoteles beschreibt diese unterschiedlichen Erwerbskünste sowie die verschiedenen Formen des wirtschaftlichen Handelns im Allgemeinen im ersten Buch der Politea in den Kapiteln 3 sowie 8 bis 11.

[...]


1 Selbstgenügsamkeit im aristotelischen Sinne ist nicht gleichzusetzen mit Bescheidenheit. Es bedeutet eine Beschränkung im Sinne der Erreichung eines (materiellen) Zustandes, der in subjektiver Beurteilung nicht mehr verbesserbar ist.

2 Gemäß der Definition im Gablerschen Wirtschaftslexikon hat Aristoteles quasi ein „Wirtschaftssystem“ entworfen (so wie z.B. das System der sozialen Marktwirtschaft mit eindeutigen Gestaltungsparameter). Im Gablerschen Wirschaftslexikon wird zitiert: Wirtschaftsweise einer Gesellschaft, determiniert durch Wirtschaftsgesinnung (Zwecksetzung und Verhalten der Wirtschaftssubjekte), Ordnung und Organisation des Wirtschaftslebens (Rechts-, Sitten- und Konventionalordnung) und realisierte Produktionstechnologien. All diese Bestandteile hat Aristoteles, auch in ihrem Zusammenwirken in der Politea beschrieben.

3 Manfred Linz, „Suffizienz als politische Praxis“, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH, 2015

4 Thomas Sören Hoffmann, „Wirtschaftsphilosophie“, 2009, S. 25

5 Die Subsistenzwirtschaft (im Gegensatz zur Erwerbswirtschaft) hat als Produktionsziel die Selbstversorgung einer Gemeinschaft (z.B. einer Polis) ohne Wachstums- und Gewinnambitionen. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft gibt es häufig Semi-Subsistenzwirtschaft, in der Güter, die nicht selber hergestellt werden, durch Tausch oder Handel erworben werden.

6 Karl-Wilhelm Welwei: Polis, in: Der neue Pauly 10, 2001, Sp. 22

7 Aristoteles, Politea, 1256b, 29f

8 Thomas Sören Hoffmann, „Wirtschaftsphilosophie“, 2009, S. 55

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Grundsätze wirtschaftlichen Handelns bei Aristoteles und deren Projektion auf ausgewählte alternative Wirtschaftsansätze in der Gegenwart
Veranstaltung
Themen der aristotelischen praktischen Philosophie
Note
2,3
Autor
Jahr
2022
Seiten
23
Katalognummer
V1225237
ISBN (eBook)
9783346653628
ISBN (Buch)
9783346653635
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erwerbskunst, Gemeinwohl-Ökonomie, Tugendhaftes Handeln, Beschaffungskunst, Nikomachische Ethik, Ökonomie, Haushaltsführung, Geldfunktion, Gerechtes Handeln, Regionalwährung
Arbeit zitieren
Ralf Hasler (Autor:in), 2022, Grundsätze wirtschaftlichen Handelns bei Aristoteles und deren Projektion auf ausgewählte alternative Wirtschaftsansätze in der Gegenwart, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1225237

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