Die pädagogische Rolle im Umgang mit verhaltensauffälligen Auszubildenden

Abhandlung zu Lösungsansätzen und Handlungsoptionen im Theorie-Praxis-Transfer in der Ausbildung von Pflegefachkräften


Masterarbeit, 2021

66 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

I Inhaltsverzeichnis

I Inhaltsverzeichnis

II Abbildungsverzeichnis

III Tabellenverzeichnis

IV Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Entdeckungszusammenhang desThemas
1.2 Aufbau der Arbeit und die zentrale Forschungsfrage

2 Begrifflichkeiten und Definitionen
2.1 Definition Verhalten
2.2 Begriffsbestimmung Verhaltensauffälligkeit versus Verhaltensstörung
2.3 Ätiologie
2.3.1 Ursache in der Persönlichkeit
2.3.2 FamiliäreHintergründe
2.3.3 Das außerfamiliäre Umfeld
2.3.4 DerGenerationenaspekt
2.3.5 Gesellschaftliche Faktoren
2.3.6 Lebensereignisse
2.4 Definition pädagogisches Team in der Pflegeausbildung
2.5 DefinitionRolle

3 Das Lern- und Tätigkeitsumfeld in der Ausbildung von Pflegefachkräften
3.1 Lernort Schule
3.2 LernortPraxis
3.3 Die Lernenden
3.4 Die Lehrenden
3.5 Das Ausbildungskonzept der Theorie
3.5.1 Die Rolle der Auszubildenden einer schulischen Lerngemeinschaft
3.6 Das Ausbildungskonzept der Praxis
3.6.1 Die Auszubildenden in einem kooperationsengen Team einer Krankenstation

4 Die Rollen von Lehrkräften in der beruflichen Bildung
4.1 Die Lehrenden an der berufsbildenden Schule für Pflegeberufe
4.1.1 Der Stellvertreter der Auszubildenden
4.1.2 Der Anwalt
4.1.3 DerWegweisende
4.1.4 Der Vermittler
4.1.5 Der soziale Befürworter

5 Anerkennende Beziehungsgestaltung, Persönlichkeitsbildung und emotionale Kompetenz in der pädagogischen Arbeit
5.1 Die Theorie der Anerkennungspädagogik
5.2 Persönlichkeitsbildung - auch eine Zielperspektive pädagogischer Arbeit?
5.3 Die Bedeutung von emotionaler Kompetenz

6 Handlungsoptionen und Lösungsansätze
6.1 Beziehungsgestaltung als Grundlage für Entwicklungsprozesse
6.1.1 WerteundNormen
6.1.2 Anerkennung und Gleichwertigkeit
6.1.3 Dialoge und Impulse
6.1.4 Feedback und Bestärkung

7 Grenzen im Umgang mit verhaltensauffälligen und betreuungsintensiven Auszubildenden

8 „Lehrende sind auch nur Menschen“
8.1 Die eigene Belastbarkeit - erkennen oder ignorieren und die Folgen
8.2 Wege zu mehr Entlastung für die Lehrenden

9 Zusammenfassung und Fazit

Literaturverzeichnis

II Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Einteilung der Generationen (eigene Darstellung, vgl. Mangelsdorf 2019, S.13)

Abb. 2: Organigrammbeispiel praktischer Ausbildung in vorrangiger Verantwortung der Schulen(Mamerow2018, S.224)

Abb. 3: Organigrammbeispiel praktischer Ausbildung in vorrangiger Verantwortung der Abteilung Ausbildung einer Pflegeeinrichtung (ebd., S. 225)

Abb. 4: Kompetenzen einer Lehrperson (ebd.)

Abb. 5: Elemente der Persönlichkeitsentwicklung (eigene Darstellung)

Abb. 6: Karikatur „Schulalltag in der Pandemie“ (eigene Zusammenstellung)

Abb. 7: Stress- und Beschwerdeerleben als Einflussfaktor pädagogischer Professionskompetenz. Kompetenzmodell nach COACTIV (vgl. Baumert & Kunter2011, S.32, Darstellung von Schwarzer2018, S. 13)

III Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Prävalenz von Kindern und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren mit erhöhtem Risiko für psychische Auffälligkeiten (SDQ-Gesamtproblemwert grenzwertig auffällig oder auffällig, Elternversion) nach Erhebungszeitraum, Geschlecht, Alterund Sozialstatus

Tab. 2: Stundenverteilung im Rahmen des theoretischen und praktischen Unterrichts der beruflichen Pflegeausbildung (Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe, S. 77)

Tab. 3: ARBEIT -Fragen zur Beziehungsarbeit (eigene Darstellung, vgl. Kühn 2018, S. 27f)

Tab. 4: Die Antreiber (vgl. Kühn 2018, S. 176-184, eigene Darstellung)

IV Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

1.1 Entdeckungszusammenhang des Themas

Seit mehr als vier Jahren arbeitet die Autorin als Lehrerin an einer berufsbildenden Schule für Pflegeberufe. Vorher war sie viele Jahre als Krankenschwester in der somati­schen1 Pflege tätig. Kontakt zu Auszubildenden in der Pflege hatte sie schon immer, da diese während ihrer dreijährigen Lehrzeit auf den Stationen, wo auch sie gearbeitet hat, ihren praktischen Teil der Ausbildung absolvieren mussten. Nach der Weiterbildung zur Praxisanleiterin intensivierte sich ihr Umgang mit den Lernenden erheblich. Zu beo­bachten war dabei für die Autorin, dass es bei den Schülerinnen und Schülern deutliche Unterschiede gab. Sowohl bei den fachlichen als auch sozialen Kompetenzen. Viele waren unproblematisch, andere brauchten viel Aufmerksamkeit und mehr Zeit beim Lernen, wieder andere waren auffällig oft krank. Im Gegensatz zu damals hat es die Autorin heute nicht nur mit ein bis zwei Auszubildenden gleichzeitig zu tun, sondern mit einer großen - zumeist heterogenen - Gruppe aus bis zu dreißig Schülerinnen und Schülern in einem Ausbildungskurs. In ihrem Verhalten auffällige Lernende sind in diesem Kontext um ein vielfaches häufiger zu beobachten und fordern eine gesteigerte Aufmerksamkeit und perturbieren zuweilen ihr jeweiliges Lernumfeld. Die Gründe, die möglicherweise dazu geführt haben, dass die jungen Menschen eine oder mehrere Ver­haltensauffälligkeiten entwickeln, sind meist tragisch, traurig und oft nicht vorstellbar. Um in der pädagogischen Arbeit eine Balance zwischen Verständnis, professionellem Abstand und dem Erkennen einer Notwendigkeit zum Handeln zu finden, stellt nicht selten eine enorme Belastung dar und ist immer wieder eine Herausforderung.

Des Weiteren lässt sich beobachten, welche Dynamik in einer Lemgruppe entstehen kann, wenn eine Mitschülerin oder ein Mitschüler zu einer Verhaltensauffälligkeit neigt. Die Färbungen der Emotionen und Reaktionen in der Lemgemeinschaft können mitun­ter so vielschichtig sein wie es Teilnehmende gibt und verändern sich auch mit der Zeit und im Prozess. Diesen Prozess zu begleiten und zu lenken fällt ebenfalls in den Aufga­benbereich von Lehrenden. Ausbildung besteht nicht nur aus Theorie und schulischem Unterricht, sondern zum größten Teil - nämlich circa 3300 Stunden - auch aus den Ein­sätzen in der Praxis. Im Fall der Autorin handelt es sich um ein Krankenhaus mit dem die Berufsfachschule (BFS) für Pflege in Trägeridentität steht. Selten bleiben im Ler­nort Praxis die Probleme der Auszubildenden ungesehen, werden dort aber ebenfalls in unterschiedlichster Weise interpretiert und verstanden. Auch hier zeigt sich, dass im Umgang mit den Betroffenen und mit dem Fällen von Urteilen über sie, die ganze Ton­leiter der Möglichkeiten bespielt wird. Doch egal wo, ob nun in der Praxis oder im Un­terricht, verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler geraten schnell in Gefahr die Außenseiterrolle zugeschrieben zu bekommen.

Von den jungen Erwachsenen, die den Ausbildungsberuf zur Pflegefachkraft gewählt haben, kommen viele direkt von der allgemeinbildenden Schule. Es gibt aber auch Kan­didatinnen und Kandidaten, die bereits einen anderen Berufsbildungsweg eingeschlagen und sich aus den verschiedensten Gründen noch einmal umorientiert haben. Fällt durch die Verantwortlichen einer Einrichtung die Entscheidung einen jungen Menschen in die Ausbildung aufzunehmen, dann erfolgt dies auf Grund der schulischen Leistungen und der jeweiligen Überzeugungskraft bei einem Vorstellungsgespräch. Eine vorliegende Verhaltensstörung oder gar psychische Instabilität zeigt sich in der Regel erst im Ver­lauf der Ausbildung. Im (berufs-)schulischen und beruflichen Alltag stellen die betrof­fenen Auszubildenden oft eine Belastung dar, kosten Zeit und bringen Mitschülerinnen, Mitschüler, Lehrende und Kolleginnen und Kollegen an die Grenzen von Verständnis, Geduld und Handlungsmöglichkeiten. Sie erfahren nicht selten Ausgrenzung und Stig­matisierung. Bei manchen Auszubildenden macht sich der „Praxisschock“ (Höffer- Mehlmer 2012, S.19) besonders bemerkbar. Aber es sind eben auch gerade diese beson­deren Menschen, die Anerkennung, Wertschätzung, Hilfe und Förderung verdienen und meist auch besonders nötig haben. Eine dreijährige Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege ist auch eine Zeit des Zusammenwachsens und der Weiterentwicklung für alle Beteiligten. Es bauen sich zum Teil sehr enge persönliche Bindungen auf.

Trotz der persönlichen Nähe zum Thema möchte die Autorin die Wahrung einer strikten Neutralität als „Leitprinzip bei der Informationserhebung“ zur Darstellung der objekti­ven Realität (vgl. Kromrey 2002, S. 78) einhalten und das „Postulat der Wert(urteils)freiheit“ (Kromrey 2002, S. 79) erfüllen. Die Aussagen in der nachfolgen­den Bearbeitung sind nicht auf Grundlage subjektiver Wertungen und Neigungen zu treffen, sondern ausschließlich methodologisch, (vgl. Kromrey 2002, S. 79) Anderer­seits stehen im Mittelpunkt der Arbeit Subjekte - Lernende, Lehrende, Kolleginnen und Kollegen - eine objektive Betrachtung und Bearbeitung und die Bedingung der Wert­freiheit sind unter den genannten Umständen möglicherweise nicht konsequent einzu­halten.

1.2 Aufbau der Arbeit und die zentrale Forschungsfrage

Die Erwachsenenpädagogik versteht sich als die Wissenschaft von der Bildung und dem Lernen Erwachsener. Sie bezieht sich zumeist auf Zielgruppen, die bereits eine Berufs­ausbildung abgeschlossen haben, was bei jungen Auszubildenden - in der Regel - nicht der Fall ist. Dennoch kann der Interpretationsspielraum erweitert werden, so dass auch die Schülerinnen und Schüler in der Pflegeausbildung in diese Zielgruppe gehören. Die Autorin stützt sich dabei unter anderem auf Aussagen von Fritz Rauner, der sagt, dass Erwachsenenbildung (EB) nicht nur den Teil des „allgemeinen Erwachsenenlernens“ (Rauner 2015; zit. n. Arnold 2015, S. 46) umfasst. In dem Studienbrief heißt es weiter, dass „die Berufspädagogik heute auch eine Erwachsenenpädagogik sein muss, und um­gekehrt auch die Erwachsenenpädagogik sich schon längst der Berufsbildung zuge­wandt hat“ (ebd., S. 47). Elke Gruber, die selbst erst eine berufliche Ausbildung durch­laufen hat, sagt, dass Erwachsenen- und Berufsbildung in einer „notwendigen Symbio­se“ stehen, (zit. n. Arnold 2015 S. 95) Nimmt man außerdem das Erfahrungslernen am Arbeitsplatz als ein Merkmal der Erwachsenenpädagogik, so ist dies in der Ausbildung zur Pflegefachkraft - auf Grund des hohen Praxisausbildungsanteils und der Kooperati­onsenge in der Praxis - sicher gewährleistet. EB beschäftigt sich aber auch mit der Lernbiographie und den Lernerfahrungen vor dem Hintergrund erworbener Lern- und Deutungsmustern, (vgl. Arnold/Nolda/Nuissl 2010, S. 90f)

Im ersten Teil dieser Arbeit werden Begrifflichkeiten definiert sowie Erklärungsmodelle und die Ätiologie für Verhaltensauffälligkeiten versus Verhaltensstörungen untersucht. Einen weiteren Raum in den Ausführungen nimmt die Vorstellung des Lern- und Ar­beitsumfeldes von Auszubildenden ein und macht die Komplexität und den Anspruch in der Pflegeausbildung deutlich. In der weiteren Bearbeitung werden die Rollen der Leh­renden, die in der theoretischen beruflichen Bildung für zukünftige Pflegefachpersonen tätig sind, näher betrachtet. Die verhaltensauffälligen jungen Erwachsenen brauchen sowohl anerkennungs- als auch beziehungsstiftende Interaktionen im Kontext der Aus­bildung, um mögliche Unsicherheiten zu verringern und ihre Persönlichkeit zu stärken. Da hier sowohl die Anerkennungstheorie von Wolfgang Müller-Commichau als auch die Theorie der Persönlichkeitsbildung nach Rolf Arnold für die Arbeit der Pflegepäda­goginnen und -pädagogen mit betreuungsintensiveren Auszubildenden einen guten Lö­sungsansatz schaffen könnten, werden beide von der Autorin vorgestellt. In Fragen der Gestaltung von Beziehungsprozessen spielt auch der Punkt der Emotionalen Kompetenz eine wichtige Rolle, weshalb auch diesem Thema ein Kapitel gewidmet wird. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass bei der folgenden Erarbeitung das erwachsenenpädagogische Handeln im Vordergrund steht und nicht die Therapie, obwohl Enno Schmitz sagt, dass „das, was ein Therapeut, ein Berater oder ein Erwachsenenpädagoge praktisch tut, [.] in jedem Fall zugleich Elemente therapeutischen, beratenden und erwachsenenpädagogi­schen Handelns“ (Schmitz 1983, zit. n. Höffer-Mehlmer 2012 S. 62) enthält. In der ab­schließenden Bearbeitung soll ein Bezugsrahmen geschaffen werden, der Gestaltungs­maßnahmen zur Zielerreichung anbietet und somit die Antwort auf die folgende For­schungsfrage liefert.

Forschungsfrage:

Welche Handlungsmöglichkeiten stehen den Lehrenden an einer berufsbildenden Schu- le für Pflegefachberufe innerhalb ihrer pädagogischen Rolle zur Verfügung, um für verhaltensauffällige Auszubildende ein stabiles Lern- und Arbeitsumfeld zu fördern und wo sind die Grenzen?

2 Begrifflichkeiten und Definitionen

2.1 Definition Verhalten

Verhalten ist die Fähigkeit eines Organismus sich an die Umwelt und bestimmten ge­sellschaftlichen, kulturellen und sozialen Normen anzupassen, (vgl. Stangl 2020) Die Soziologie beschreibt „Verhalten als ein Phänomen des gesellschaftlichen Zu­sammenlebens“ (Langner 2009, www.inklusion-lexikon.de). Die Pädagogik definiert Verhalten als „die Fähigkeit eines Individuums, mit Sprache und/ oder Handlungen auf die Reaktion von Anderen oder auf ihre Erwartungen zu reagieren.“ (ebd.) „Diese An­passungsleistung eines Organismus an seine Umwelt ist zum einen durch Gene und zum anderen durch das Lernen beeinflussbar.“ (ebd.) Verhalten ist beobachtbar, (vgl. Lang­ner 2009, www.inklusion-lexikon.de) Kriterien zur Beurteilung von Verhalten sind:

- Art der Bewegung (rasch/ träge)
- Art der Reaktion (spontan/ scheu)
- Die Stimmung (situationsangemessen, schwingungshaft)
- Das Verhalten anderen Menschen gegenüber (angepasst, reizbar)
- Die Sprache und Sprechweise (grammatikalisch richtig, der Situation angemes­sene Intonation)
- Reaktion auf Verbote (einsichtig, trotzig)
- Die Schlafeigenschaften (Ein- oder Durchschlafstörungen), (vgl. Simchen 2008, S. 34)

In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden vier Verhaltensstile in einem Modell erfasst - dominant, initiativ, stetig und gewissenhaft. Das Akronym DISG be­zeichnet die Kurzform.

„Bei diesem Modell geht es nicht darum, ein wertendes Persönlichkeitsprofil zu erstellen, sondern um ein Verständnis der verschiedenen Ausprägungen einer Per­sönlichkeit und wie sich diese im Verhalten des Menschen widerspiegeln. Prinzi­piell kann jeder Mensch jedes Verhalten zeigen, aber der Unterschied zwischen den unterschiedlichen Persönlichkeitsprofilen liegt darin, wie groß der Aufwand für dafür [sic!] ist.“ (Stangl 2021).

2.2 Begriffsbestimmung Verhaltensauffälligkeit versus Verhaltensstö­rung

„Verhaltensstörung ist ein von den zeit- und kulturspezifischen Erwartungsnor­men abweichendes maladaptives Verhalten, das organogen und/oder milieureak­tiv bedingt ist, wegen der Mehrdimensionalität, der Häufigkeit und des Schwe­regrades die Entwicklungs-, Lern-und Arbeitsfähigkeit sowie das Interaktionsge­schehen in der Umwelt beeinträchtigt und ohne besondere pädagogisch­therapeutische Hilfe nicht oder nur unzureichend überwunden werden kann.“ (Myschker2009, S. 49)

Die Ergebnisse der Datenerhebung im Rahmen einer Studie zur Gesundheit von Kin­dern und Jugendlichen in Deutschland geben Auskunft darüber, dass circa 20% der Kinder und Jugendlichen im Alter zwischen drei und 17 Jahren psychische Auffälligkei­ten aufweisen. Diese Untersuchung wurde in zwei Erhebungszeiträumen durchgeführt, einmal von 2003-2006 (KiGGS-Basiserhebung) und ein weiteres Mal von 2009-2012 (KiGGS Wellel). Wie die folgende Tabelle zeigt, gibt es zwar keine signifikanten Un­terschiede, dennoch sprechen die Autoren von einer „anhaltend hohen Prävalenz psy­chischer Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen“ (Höllin- ger/Schlack/Petermann/Ravens-Sieberer/Mauz 2014, S. 818)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: Prävalenz von Kindern und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren mit erhöhtem Risiko für psychische Auffälligkeiten (SDQ-Gesamtproblemwert grenzwertig auffällig oder auffällig, Eltemversion) nach Erhebungszeitraum, Geschlecht, Alter und Sozialstatus

Als Verhaltensauffälligkeit bzw. Verhaltensstörung wird eine „nicht adäquate, erwarte­te Reaktion oder ein fremd erscheinendes, wenig sinn- und zweckvolles Verhalten“ (Langner 2009, www.inklusion-lexikon.de) interpretiert. Um ein Verhalten als auffällig einzustufen, bedarf es „eines Maßstabes, der bestimmt, welches Verhalten für den/die Beobachterin sinnvoll erscheint bzw. welches der Umwelt angemessen ist.“ (ebd.) Die­ser Maßstab fußt auf bestimmten gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Normen, (vgl. Langner 2009, www.inklusion-lexikon.de) Man unterscheidet internalisierende Auffälligkeiten, also ein auffälliges Verhalten, welches vordergründig gegen das eigene Selbst gerichtet ist - wie z.B. sozialer Rückzug, Minderwertigkeit, (Über-) Ängstlich­keit, körperliche Beschwerden - und externalisierende Auffälligkeiten, welche sich durch nach außen gerichtetes Verhalten äußert. Das kann sich u.a. durch Hyperaktivität, Aggression, Negativismus und/ oder Aufmerksamkeitsstörungen äußern. Bei Mädchen findet sich häufiger das internalisierende Verhalten, bei Jungen eher das externalisie­rende. Es können aber auch gemischte Auffälligkeiten auftreten. Zur Klassifikation von Verhaltensstörungen zählen ebenso Entwicklungsverzögerungen, nicht altersentspre­chendes Verhalten, erhöhte Reizbarkeit oder Straffälligkeit - um nur einige Beispiele zu nennen. (vgl. Schlack 2014, www.akademie-muenchen.de; vgl. Langner 2009, www.inklusion-lexikon.de) „Kinder und Jugendliche, die Verhaltensstörungen zeigen, bringen durch ihr Verhalten zum Ausdruck, dass ihre Entwicklung, ihr Leben durch innere und/oder äußere Bedingungen beeinträchtigt, vielleicht sogar bedroht ist. Ihr Verhalten ist als Hilferuf aufzufassen.“ (Myschker 2009, S. 11) Hinter Verhaltensauffäl­ligkeiten verbergen sich „meist unbegrenzte Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die täglich gespürten eigenen Grenzen überwinden zu können.“ (Simchen 2007, S. 9) Es ist anzunehmen, dass die Ausprägungen und das Erscheinungsbild von Verhaltensstörun­gen sich mit zunehmendem Alter der Betroffenen anders zeigen. „Länger andauernde Verhaltensstörungen entwickeln [...] eine besondere Dynamik, die Qualität und Pers­pektive ihres gesamten Lebens bis ins Erwachsenenalter beeinflussen kann.“ (Simchen 2008, Klappentext)

2.3 Ätiologie

In dem folgenden Teil der Arbeit soll es darum gehen, die möglichen Ursachen für das Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten und -Störungen zu detektieren. Es wird der Ver­such unternommen, herauszufmden, welche auslösenden Faktoren das Verhalten als eine „Anpassungsleistung eines Organismus an seine Umwelt“ (Langner 2009, www.inklusion-lexikon.de) stören können. Anke Langner stellt in ihrem Artikel mehre­re Erklärungsmodelle für Verhaltensstörungen vor.

Die medizinisch-neurobiologische Perspektive sieht die Ursachen in „organischen und funktionellen Störungen des zentralen Nervensystems“ (ebd.) und ist folglich meist ver­anlagt und wird weniger von außen beeinflusst. Die Störung liegt im Individuum selbst und wird nur durch Konjektur von außen bewusst gemacht.

Der Behaviorismus sagt, dass das Verhalten das Resultat von Konditionierung ist. Die durch Bezugspersonen vorgelebten Normen und Verhaltensmuster werden übernom­men. Hierbei wird nicht unterschieden, ob es sich um normales oder pathologisches Verhalten handelt. Eine überängstliche Mutter, welche dem Kind dieses Verhalten un­bewusst vorlebt, kann im Kind gleiches Verhalten erzeugen.

Die Psychologie erklärt das Phänomen so, dass „die Ursachen für die Verhaltensauffäl­ligkeiten in abweichenden psychischen Prozessen- also Prozessen, die innerhalb des Individuums ablaufen - gesehen werden“ (ebd.), welche zu Störungen in der Ich- Entwicklung führen können. Das emanzipiert sich dann meist in der Schwäche oder der Unfähigkeit sich den Anforderungen von außen regelrecht anzupassen und/ oder ent­sprechend zu reagieren.

Der Konstruktivismus, der das Vorhandensein einer objektiven Wirklichkeit ausschließt und davon ausgeht, dass jedes Subjekt seine Wirklichkeit aus sich heraus selbst kons­truiert, postuliert, dass Verhalten nicht als auffällig oder gestört angesehen werden kann. „Das durch den/ die Beobachterin wahrgenommene Verhalten stellt lediglich eine Konstruktion des/ der Selben dar. Jedes Subjekt, auch jedes, dem eine Verhaltensstö­rung zugeschrieben wird, geht nach dem Konstruktivismus mit seiner/ ihrer Lebens­wirklichkeit in einer selbstorganisierten Weise um.“ (ebd.) Aus konstruktivistischer Sicht geht jeder Mensch mit seiner Lebenswirklichkeit selbstorganisiert um, auch wenn er sich für Außenstehende auffällig verhält.

Die Entstehung von Verhaltensauffälligkeiten ist meist nicht zurückzuführen auf nur eine Ursache. Die verschiedenen Determinanten stehen auch untereinander in Bezie­hung. (vgl. Hermann 2007, S. 20) „Verhaltensstörungen sind multifaktoriell bedingt.“ (Myschker, 2009, S. 89) In der nachfolgenden Ausarbeitung geht es um eben diese zent­ralen Faktoren.

2.3.1 Ursache in der Persönlichkeit

Persönlichkeit ist „die mehr oder weniger stabile und dauerhafte Organisation des Charakters, Temperaments, Intellekts und Körperbaus einesMenschen, die seine einzigartige Anpassung an die Umwelt bestimmt.” (Eysenck 1970, S. 2)

Persönlichkeitsbildung beginnt bereits im Kindesalter. Prädisponierende Faktoren für Verhaltensauffälligkeiten sind unter anderem genetische Anlagen, das Geschlecht - „so weiß man inzwischen, dass Jungen "verletzlicher" sind und eher Verhaltensauffälligkei­ten entwickeln als Mädchen“ (Hermann 2007, S. 20) - oder auch initiiert durch ungüns­tige Lernprozesse, die häufig in der Familie oder engen Bezugspersonen liegen, auf die im nächsten Punkt detailierter eingegangen wird. „Nutzt ein Kind primär destruktive oder unzureichende Bewältigungsstrategien, steigt die Wahrscheinlichkeit für die Ent­wicklung von Verhaltensauffälligkeiten.“ (ebd.) Im Laufe des Heranwachsens werden Kinder und Jugendliche mit immer neuen Herausforderungen, Situationen und Aufga­ben konfrontiert. Erst Kindergarten, dann Schule, neue Bezugspersonen und Gruppen­konstrukte, Trennung von den Eltern, Erwartungen und Ansprüche. Einige können da­mit besser umgehen, andere reagieren unangepasst und auffällig. Wenn ein Kind solche Situationen und Ereignisse „nicht oder nur teilweise gemeistert hat, ist es für neue He­rausforderungen schlechter gerüstet.“ (ebd., S. 21) Mangelndes Selbstbewusstsein, Un­sicherheiten, Ängste und der Drang nach Bestätigung können die Folge sein. (vgl. Her­mann 2007, S. 20f) Ihre Entwicklung ist geprägt von „Enttäuschung, Ausgrenzung und Spott“ (Simchen 2008, S. 9) und so können sie nur ein löchriges Selbstbewusstsein ent­wickeln. Die Folgen sind Ängste, Aggressionen gegen sich und andere, wenig Freude und eine verzerrte Wahrnehmung ihrer Umgebung. Diese Umstände und der Drang nach Anpassung verhindern und hemmen eine gesunde Entwicklung, (vgl. Simchen 2008, S. 9f) „Eine psychisch instabile Persönlichkeit ist die Folge“. (Simchen 2008, S. 9)

2.3.2 Familiäre Hintergründe

„Bisher wurde ausgehend von der Psychoanalyse, eine von den Eltern ausgehende Be­ziehungsstörung als Hauptursache für psychische Auffälligkeiten [...] angesehen.“ (ebd., S. 11) Doch neuerliche Forschungsergebnisse brachten hervor, dass Beziehungs­störungen auf Grund einer Wechselwirkung von Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen und dem ebenfalls verhaltensauffälligen Umfeld zu Stande kommen können, (vgl. Simchen 2008, S. 11) Bis zum Alter von einem bis drei Jahren - je nach dem ab wann ein Kind eine Betreuungseinrichtung besucht - sind die Eltern, Geschwis­ter und eventuell auch die Großeltern die hauptsächlichen Bezugspersonen. Die Eltern sind in der Regel das Modell für die Kinder. Das Befinden der Bezugspersonen hat maßgebliche Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung. Mögliche Ursachen für die Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten, die familiär begründet sind, können in den Problemen der Eltern zu finden sein, wie (psychische) Krankheiten, Suchtverhalten, Beziehungsdifferenzen innerhalb der Partnerbeziehung (bei denen nicht selten die Kin­der zum Sündenbock gemacht werden). Überforderung oder ein fragwürdiges Erzie­hungsverhalten - welches von Überbehütung über antiautoritär bis hin zu Vernachlässi­gung alles beinhalten kann - sind ebenfalls mögliche Auslöser. Aber auch charakteris­tisch andersartige Geschwisterkinder sind als Determinanten nicht zu vernachlässigen. Des Weiteren spielt aber auch der soziale Status - ob arm oder reich - eine Rolle. Schicksalsschläge und Zukunftssorgen belasten das ganze Familiengefüge. „Familien­strukturen können beispielsweise so starr, eingeschliffen und undurchdringlich sein, dass notwendige Veränderungen und Anpassungen ausbleiben und das ganze Familien­system pathogen wird.“ (Hermann 2007, S. 22) Diese Aussage bestätigt die oben von Helga Simchen erwähnten Forschungsergebnisse, dass sich Verhaltenauffälligkeiten wechselseitig bedingen. Nicht selten wird von den Bezugspersonen positives Verhalten der Kinder ignoriert oder durch extrem überzogene Erwartungen verhindern. Statt sich über Lob und Anerkennung freuen zu können, stellen sich Ärger und unangemessenes Verhalten ein. Dieses unangemessene Verhalten wiederum führt zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und damit zu einer Art Selbstbestätigung oder positiven Verstärkung, (vgl. Hermann 2007, S. 22f und Simchen 2008, S. 68)

2.3.3 Das außerfamiliäre Umfeld

Wie im vorangegangen Kapitel beschrieben, setzt sich das soziale Umfeld für Neugebo­rene und Kleinkinder hauptsächlich aus den Bezugspersonen des engsten Familienkrei­ses zusammen. Es erweitert sich im Kindergartenalter, wenn Erzieherinnen und Erzie­her, andere Kinder und deren Eltern dazu kommen. Im Laufe des Lebens vergrößern und/ oder verändern sich die sozialen Netzwerke abhängig von den jeweiligen Lebens­umständen weiter. Das wohl wichtigste Fundament bei der Prägung von Verhalten ist die Erziehung. Unabhängig von den sich stetig wandelnden Erziehungsstilen ist es wichtig, Kindern im Kindergarten Regeln und Grenzen aufzuzeigen. Einigen Kindern fällt es leicht sich daran zu halten, andere reagieren für die Erzieherinnen und Erzieher verhaltensauffällig. „Die erwünschte empathische Haltung der Erziehungspersonen [...] kann dann zur Antipathie werden. In der Folge kann dieser Prozess dazu führen, dass der Erziehungsperson der Blick für die positiven Fähigkeiten eines Kindes verloren geht. (Hermann 2007, S. 25) Ein Phänomen, welches auch schon im vorherigen Kapitel thematisiert wurde. Allerdings haben die verhaltensauffälligen Kinder hier eine größere Bühne und es ist durchaus denkbar, dass andere Kinder davon beeindruckt sind, was wieder zu einer positiven Verstärkung führen kann, aber auch zu Ablehnung und Aus­grenzung. Dieses für das Kindergartenalter beispielhafte Szenario lässt sich ebenso auf das weitere Leben übertragen. Sowohl im Kindergarten, wie auch später in Schule und Ausbildung können Fehler im Tagesablauf Störungen erzeugen. Sowohl Unter- als auch Überforderung erzeugen Rückzug, Aggression und anderes auffälliges Verhalten, (vgl. Hermann 2007, S. 26) Ebenso sind über die gesamte Entwicklungspanne und die unter­schiedlichen Sozialinstanzen bestimmte Umgangsformen prägend. Diese können so­wohl negativ als auch positiv gelagert sein. Ablehnung und Ignoranz, Hänseleien oder gar Mobbing und das Zuschreiben negativer Rollen (z. B. Sündenbock, Jammerlappen, Beschränkte) haben eine andere Auswirkung auf das Verhalten, als positive Zuwendun­gen wie Lob, Anerkennung und Wertschätzung oder einfach auch die Annahme des (etwas) anders Seins durch das soziale Umfeld.

2.3.4 Der Generationenaspekt

Eine Generation ist eine Einheit einer bestimmten Altersgruppe, die sich von benachbar­ten Altersgruppen auf Grund ihrer charakteristischen Merkmale, Prägungen und Eigen­schaften unterscheidet, (vgl. Fuchs-Heinritz et al 2011, S. 230) In Anlehnung an ver­schiedene Veröffentlichungen (mit geringen Abweichung in den Jahreszahlen) ist in der folgenden Abbildung verdeutlicht, welche Generationen derzeit in der Ausbildung zur Pflegefachfrau bzw. zum Pflegefachmann zu finden sind. Wobei der Anteil der Lernen­den aus der Generation X im Vergleich zu den anderen beiden immer geringer wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Einteilung der Generationen (eigene Darstellung, vgl. Mangelsdorf 2019, S.13)

„Als prägende Jahre bezeichnen Soziologen den Zeitraum [...] zwischen dem 11. und 15. Lebensjahr, also quasi die Zeit zwischen Kindheit und Verkopftheit.“ (Mangelsdorf 2019, S. 12) In dieser Zeit werden Einflüsse, die sich nicht unmittelbar im sozialen Um­feld abspielen, bewusst wahrgenommen und prägen und beeinflussen die Persönlichkeit. Dazu zählen politische sowie gesellschaftliche Geschehnisse, aber auch die Herausbil­dung ganz persönlicher Werte und Normen, (vgl. Mangelsdorf 2019, S. 12) „In der Re­gel investieren junge Erwachsene viel Energie, um ihren Platz in der Gesellschaft zu finden, weshalb diese Phase oft als sensibel angesehen wird.“ (Eberhardt 2016, S. 85) Diese Gruppe der jungen Erwachsenen nehmen auch den größten Anteil der in der Aus­bildung befindlichen Teilnehmenden ein. Jede Generation hat ihre prägenden Ereignis­se, die sich beeinflussend auf die Entwicklung jedes einzelnen auswirk(t)en. Die Xer hatten die Ölkrise, den Mauerfall und die Tschernobylkatastrophe. Bei der Generation Y waren die zunehmende Globalisierung, der Klimawandel und der Terroranschlag (9/11) in New York prägend. Die Generation Z erlebte Wirtschafts- und Finanzkrise, Fukus­hima und IS-Terror. Während sich der technische Fortschritt bei den Xem auf Walkman und Video beschränkte, so machten die Ypsiloner bereits früh Erfahrung mit Handy und sozialen Netzwerken wie StudiVZ oder Facebook. Mit Smartphone und iPad aufge­wachsen zu sein bedeutet für die Generation Z, auch immer erreichbar zu sein. (ebd. S. 22f) Diese permanente Erreichbarkeit hat nicht selten psychische Auswirkungen zur Folge, (vgl. Abele et al 2019, S. 23) Während die Xer - auf Grund steigernder Schei­dungsraten - häufig bei einem alleinerziehenden Eltemteil aufwuchsen und früh Ver­antwortung für sich und Geschwisterkinder übernehmen mussten, so haben die Ypsilo- ner eher die Erfahrung gemacht, „unterhalten, beschützt und gefördert“ (Mangelsdorf 2019, S. 18) aufzuwachsen. Diese Phänomen wir auch bei der Generation Z beobachtet. Das liegt aber daran, dass „wir noch mitten in den prägenden Jahren der Generation Z stecken.“ (ebd., S. 20) Spielen für die Angehörigen der Generation Y Lob und Aner­kennung eine große Rolle, erscheint diese Forderung für die Xer absurd. Sie „äußern leichter Kritik als Komplimente“ (ebd., S. 136). Die Generation Z hingegen wünschen sich ein ehrliches und authentisches Feedback.

2.3.5 Gesellschaftliche Faktoren

Wie bereits im vorigen Kapitel erwähnt, hat die Technisierung und die veränderte Me­dienlandschaft ebenfalls Einfluss auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Dieses wirkt sich sowohl auf das Spielverhalten als auch auf den Medienkonsum aus. Solange die Kinder kleiner sind, wird der Spielplatz noch ausreichende Unterhaltung bieten, aber dann werden Handy- und Computerspiele mehr und mehr die Aufmerk­samkeit erregen. Zumal es häufig von den Erwachsenen vorgelebt wird. Des Weiteren bieten ein erweitertes Programmangebot und Streamingmöglichkeiten im Fernsehen jederzeit die gewünschte Unterhaltung an. Die freie und unbegrenzte Auswahl - sowohl bei den Computerspielen als auch bei Fernsehsendungen - kann zu einer Reizüberflu­tung führen, (vgl. Hermann 2007, S. 27) Das kann schwerwiegende Auswirkungen ha­ben, wie die Delphi-Studie zu Reizüberflutung zeigt, (vgl. Scheydt 2017, S. 14f) Nervo­sität, Gereiztheit, Schlafstörungen, Verhaltensauffälligkeiten, körperliche Beschwerden, gesteigerte Ambivalenz - dies sind nur einige Merkmale, die in der Studie ermittelt wurden, (vgl. ebd., S.16) Die Möglichkeit der permanenten virtuellen Vernetzung hat ebenfalls Einfluss auf die Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten. Soziale Kontakte spielen sich vermehrt über entsprechende Netzwerke oder Messengerdienste ab. So gut unterhalten und auf diese Art mit den Freunden permanent verbunden, macht es reale Treffen und einen gemeinsamen Zeitvertreib dann nicht selten überflüssig. Schöne Momente, Lemeffekte aber auch Konflikte, wie sie die Autorin in ihrer Kindheit beim Spielen mit Freunden ,auf der Straße‘ noch erlebt hat, erleben die Kinder und Jugendli­chen so nicht. Somit fehlt diese Möglichkeit der Herausbildung von psychosozialen Kompetenzen. Um der ,Stubenhockerei‘ entgegenzuwirken, versuchen viele Eltern ih­ren Kindern neben dem Kindergarten und der Schule ein großes Angebot an Möglich­keiten zu bieten - Reiten, Sport, Tanzstunden, Fremdsprachenunterricht. Diese „Ver- plantheit“ (Hermann 2007, S 28) kann ebenfalls nicht immer kindgerecht sein. (vgl. Hermann 2007, S. 27f) Die Annahme, dass sich das Leben in der Stadt ungünstiger auf das Verhalten auswirkt als das Leben auf dem Land, ist nicht bewiesen, (vgl. Goetze 2001, S. 80)

2.3.6 Lebensereignisse

Lebensereignisse als „einschneidende und belastende Situationen im Leben“ (Stangl, 2021) beeinflussen über die ganze Lebensspanne, „in positiver oder negativer Weise den Entwicklungsverlauf eines Menschen“ (ebd.). Neben den ganz normalen, gibt es auch die, „die in besonderer und nicht vorhersehbarer Weise erhebliche Belastungen darstellen“, (ebd.) Kritische Lebensereignisse können zum Beispiel zu psychischen Stö­rungen beitragen, aber nach erfolgreicher Bewältigung auch zur Persönlichkeitsentwick­lung. (Faltermaier 1992, zit. n. Höffer-Mehlmer2012, S. 26)

2.4 Definition pädagogisches Team in der Pflegeausbildung

Der Begriff Pädagogik wird häufig gleichgesetzt mit dem Begriff Erziehungswissen­schaft. Die EB ist der Teil der Erziehungswissenschaften, „der sich mit der Konzeptio- nierung und der Erforschung der Bildung und des Lernens Erwachsener beschäftigt“ (Arnold 2015, S. 6). Laut Duden ist die Pädagogik die „Wissenschaft von Erziehung und Bildung“ (www.duden.de). Besonders vor dem Hintergrund des Lebenslangen Ler­nens ist, Pädagogik also die „zielgerichtet Einflussnahme auf die Entwicklung des Men­schen“ (Mamerow 2018, S. 111) aller Altersstufen. In der „Berufspädagogik von Pfle­geausbildungen geht es [...] um die zielgerichtete Förderung von Prozessen der Bildung und Persönlichkeitsentwicklung von Auszubildenden.“ (ebd.) Da es in der Ausbildung von Pflegefachkräften - wie auch in anderen Lehrberufen - sowohl den Lernort in der Theorie als auch den in der Praxis gibt, besteht das pädagogische Team einerseits aus Lehrerinnen und Lehrern, die den theoretischen und praktischen Unterricht abdecken und andererseits aus Praxisanleiterinnen und Praxisanleitern, die die Ausbildung im praktischen Berufsfeld (pflege-)didaktisch vermitteln, (vgl. Mamerow 2018, S. 7). Zum pädagogischen Umfeld zählen auch die Pflegeteammitglieder, da Lernende sich durch das Beobachten und Übernehmen von deren Verhalten ausbilden, (ebd., S.26) „Außer­dem ist immer auch das Gesamtteam der Mitarbeiter, Ärzte [...] mit Ausbildungssitua­tionen konfrontiert.“ (Mamerow2018, S. 26)

2.5 Definition Rolle

Der Begriff Rolle meint in dieser Abhandlung die Stellung von Individuen innerhalb eines sozialen Gefüges und „ist die Summe der von einer Person erwarteten Verhal­tensweisen, die auf das Verhalten anderer Personen abgestimmt ist.“ (Prändl 2011, http://gesellschaft.psycho-wissen.net/rollen/index.html) Menschen übernehmen im Lau­fe ihres Lebens verschiedene Rolle. Eine soziale Rolle umfasst sowohl die „eigenen Rechte und Pflichten“ (ebd.) und resultiert aber auch aus den gesellschaftlichen Erwar­tungen, die vom Rollenträger zu erfüllen, aber dennoch individuell von der Person ge­staltbar zu machen sind. Rollen könne also zugewiesen aber auch freiwillig übernom­men werden, (vgl. Prändl 2011) Die in dieser Arbeit hauptsächlich zu betrachtenden Rollen sind vor allem die Berufsrollen, die Rollen in Zusammenhang mit der Ausbil­dung sowie Altersrollen. Sich in einer Rolle zu befinden bedeutet auch immer mit ande­ren Menschen in einer Beziehung zu stehen. Das Wissen über die „gegenseitigen Rol­lenerwartungen erleichtert den Umgang miteinander“ (Prändl 2011). Es kommt aber immer wieder vor, dass Menschen die an sie gestellten Verhaltenserwartungen nicht erfüllen. Diese Tatsache erschwert planbare Interaktionen innerhalb einer Gruppe. Eine Person kann mehrere Rollen annehmen. „Die Gesamtheit der Rollen mit ihren dazuge­hörigen Erwartungen sowie die Rollenbeziehungen einer Rolle werden Rollenset ge­nannt.“ (Oelke2008, S. 13)

3 Das Lern- und Tätigkeitsumfeld in der Ausbildung von Pflege­fachkräften

3.1 Lernort Schule

„Der Lernort wurde, als Begriff, von der Bildungskommission des Deutschen Bildungs­rates (1965-1975) in die pädagogische Fachsprache eingeführt.“ (Arnold/Münch 1996, S. 39) Er beinhaltet unter anderem „Schule, Lehrwerkstatt, Betrieb und Studio“ (ebd.). Wobei man im Zusammenhang mit der Pflegeausbildung einmal den Lernort der Schule und weiterhin den betrieblichen Lernort hat. Auf letzteren wird im nachfolgenden Kapi­tel genauer eingegangen. Der Lernort Schule ist auf der einen Seite die räumliche Lern­umgebung aber auch die technische und personelle Ausstattung. Bei Münch und Kath heißt es, dass ein Lernort ein „komplexes, materielles wie immaterielles Bedingungsge­füge für intentionales Lernen“ (1977, S. 81) ist.

In der näheren Betrachtung ist hier in den folgenden Ausführungen die BFS für Pflege, an welcher aktuell 91 Auszubildende in einem Blocksystem, bestehend aus abwech­selnden Theoriephasen und Praxiseinsätzen, lernen. Neben den Unterrichtsräumen gibt es mehrere kleinere Gruppenarbeitsräume, eine Bibliothek sowie einen Demonstrations­raum (Skills-lab). Im Skills-lab findet fachpraktischer Unterricht statt. Hier schafft die Schule Lern- und Übungsmöglichkeiten für die Lernenden, um einen guten Theorie­Praxis-Transfer zu ermöglichen. Die Klassenräume sind ausgestattet mit Mobiliar, Mo­derationwänden, Whiteboards, Laptops, Beamern und Vorlagenkameras. Zusätzlich ist ein W-LAN für die Auszubildenden verfügbar. Per Pflegeberufegesetz (PflBG), wel­ches am 01.01.2020 in Kraft getreten ist, ist geregelt, dass auf 20 Auszubildende eine Vollzeitstelle einer Lehrkraft angerechnet wird. Im Krankenpflegegesetz (KPflG), wel­ches von 2003 bis 2019 in Kraft war, hieß es, dass eine ausreichende „Zahl fachlich und pädagogisch qualifizierter Lehrkräfte mit entsprechender, abgeschlossener Hochschul­ausbildung für den theoretischen und praktischen Unterricht“ (§4 KPflG, www.buzer.de) zu Verfügung stehen müssen. Im Fall der hier beispielhaft vorgestellten Schule waren es 15 Auszubildende, für die eine in Vollzeit beschäftigte Lehrkraft zu­ständig war. Somit wird deutlich, dass in Zukunft Lehrende mehr Auszubildende zu betreuen haben und ihnen folglich fürjeden einzelnen noch weniger Zeit zur Verfügung steht.

Im Zuge der neusten Entwicklungen auf Grund der Corona Pandemie verbunden mit Schulschließzeiten und Distanzunterricht, hat sich der Lernort Schule verändert. Home­Learning mit zur Verfügung gestellten Aufgaben, hybrider Unterricht, Videokonferen­zen und E-Leaming über Onlineplattformen haben den Lernort für die Lernenden Groß­teils vom Klassenraum in die Wohnungen verlagert. Aus der Erfahrung der Untersuche­rin hat diese Form des Unterrichtens und Lernens manche Bindungsgefüge perturbiert.

Bundesweit wird für die Generalistische Pflegeausbildung in der Theorie 2100 Stunden theoretischer Unterricht vorgeschrieben. Niedersachsen sieht außerdem zusätzlich 280 Stunden allgemeinbildenden Unterricht vor. Dieser Unterricht soll berufsbezogen ge­staltet werden, (vgl. Landesschulbehörde Niedersachsen, www.landesschulbehoerde- niedersachsen.de)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2: Stundenverteilung im Rahmen des theoretischen und praktischen Unterrichts der beruflichen Pflegeausbildung (Ausbil- dungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe, S. 77)

Die „Bezugswissenschaften des Krankenpflegeunterrichts sind:

- Humanmedizin
- Pädagogik
- Psychologie
- Soziologie
- Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Technik, Mathematik)
- Jura (Rechts-und Gesetzeskunde)“ (Bäuml-Roßnagl/Bäuml 1981, S. 9)

„Die Pflegewissenschaft ist die Wissenschaft, deren Interessensbereich das Phänomen Pflege ist.“ (Pichlbauer 1998, S. 13) Sie als eigenständige Wissenschaft zu etablieren hat sich bis heute nicht durchgesetzt. Des Weiteren ist nun auch die Wirtschaftswissen­schaft eine zugeordnete Bezugswissenschaft geworden. Dies ergab sich aus dem Um­stand, dass Pflege verstärkt ökonomischen wie gesundheitspolitischen Rahmenbedin­gungen unterliegt, (vgl. Simon 2019, S. 120) Der theoretische Unterricht wird immer stärker auf pflegewissenschaftliche Erkenntnisse ausgerichtet, zu denen hauptsächlich die im Kompetenzbereich I - mit 1000 Stunden - verorteten Inhalte zählen. Da macht sich auch die, schon seit Jahren bestehende, Schere zwischen Theorie und Praxis immer weiter auf. Die Kombination der beiden Lernorte Schule und Praxis gestaltet sich häufig nicht ganz reibungslos. Genau wie die Theorie hat auch die Praxis curriculare Vorga­ben, die zur Erreichung des Ausbildungsziels eingehalten werden müssen, doch was hier häufig zählt, ist die Schülerin oder der Schüler als Arbeitskraft. Auf den Lernort Praxis wird im folgenden Anschnitt näher eingegangen.

[...]


1 Krankheiten, den Körper betreffend

Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Die pädagogische Rolle im Umgang mit verhaltensauffälligen Auszubildenden
Untertitel
Abhandlung zu Lösungsansätzen und Handlungsoptionen im Theorie-Praxis-Transfer in der Ausbildung von Pflegefachkräften
Hochschule
Technische Universität Kaiserslautern
Note
2,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
66
Katalognummer
V1225436
ISBN (Buch)
9783346655622
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rolle, umgang, auszubildenden, abhandlung, lösungsansätzen, handlungsoptionen, theorie-praxis-transfer, ausbildung, pflegefachkräften
Arbeit zitieren
Alexandra Kockott (Autor:in), 2021, Die pädagogische Rolle im Umgang mit verhaltensauffälligen Auszubildenden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1225436

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