Homosexuelle Jugendliche in der Institution Schule

Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten


Diplomarbeit, 2008

105 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung
1.1 Aufbau
1.2 Begriffsannäherungen und -abgrenzungen

2. Jugend im Kontext
2.1 Veränderte Lebenswelten
2.2 Pubertäre Veränderungen
2.2.1 Gehirnentwicklungen
2.2.2 Hormone
2.3 Entwicklungsaufgaben
2.3.1 Aufbau von Peer-Beziehungen
2.3.2 Entwicklung von Identität
2.3.3 Ausbildung einer Geschlechtsidentität
2.3.4 Umgang mit Sexualität

3. Homosexualität
3.1 Häufigkeit
3.2 Geschichtlicher Hintergrund
3.2.1 Antike
3.2.2 Mittelalter und beginnende Neuzeit
3.2.3 Zeitalter der Aufklärung
3.2.4 Das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert
3.2.5 Zeit des Nationalsozialismus
3.2.6 Nachkriegs- und 70er Jahre
3.2.7 1980er bis heute
3.3 Gegenwärtige Diskriminierungen.
3.3.1 Homophobie und Heterosexismus
3.3.2 Antihomosexuelle Gewalt
3.3.3 Internalisierte Homophobie
3.3.4 Doppeldiskriminierung von Lesben
3.4 Folgen von Homophobie und Heterosexismus.
3.4.1 Fehlende Modelle
3.4.2 Fehlende Informationen
3.4.3 Mangelnder Selbstwert
3.4.4 Substanzmittelmissbrauch und Psychosomatik
3.4.5 Depression und Suizidalität
3.5 Coming-Out.
3.5.1 Die 6 Phasen des Coming-Outs nach Cass
3.5.2 Coming-Out im Jugendalter (Zahlen)

4. Lebensraum Schule.
4.1 Schule und Homosexualität.
4.1.1 Homosexualität in Schulgesetzen und Lehrplänen
4.1.2 Homosexualität in Unterrichtsmaterialien
4.2 Homosexualität in Schulklassen.
4.2.1 Einstellungen von Mitschülerinnen und Mitschülern zum Thema Homosexualität
4.2.2 Diskriminierungserfahrungen in der Institution Schule
4.3 Unterstützungswünsche homosexueller Jugendlicher
4.4 Homosexuelles Schulpersonal.

5. Handlungsmöglichkeiten von Sozialpädagogik.
5.1 Beratung.
5.1.1 Grundlagen
5.1.2 Erkennen im Prä-Coming-Out
5.1.3 Begleiten des eigentlichen Coming-Outs
5.1.4 Verstehen im integrierten Coming-Out
5.2 Projektarbeit und Unterrichtseinheiten
5.2.1 Lernziele
5.2.2 Methoden
5.2.3 Beispielübungen
5.3 Schwul-Lesbische Aufklärungsprojekte.
5.3.1 Lernziele
5.3.2 Methoden
5.3.3 Ablauf am Beispiel des Projektes soorum
5.3.4 Evaluation eines lesbisch-schwulen Aufklärungsprojektes
5.3.5 Kritik an lesbisch-schwulen Aufklärungsprojekten

6. Schlussteil.

Quellenverzeichnis.

1. Einleitung

„So kann sie sein, die Jugend. Sie kann schön sein. Sie kann eine Zeit der Leidenschaft sein. Aber sie kann auch zu einer Zeit der schweren Krisen werden, der existenziellen Bedrohung, der Neurosen, was Sie wollen. Sie kann beängstigend sein“ (Strauch 2003: S. 313).

Die eigene Homosexualität herauszufinden ist oft beängstigend! Gleichgeschlecht- lich Orientierte treffen mit ihren aufkeimenden Gefühlen auf eine heterosexistische Welt, in der sie auf Ablehnung stoßen und viele verletzende Situationen erleben. Außenstehende verstehen unter „Diskriminierungen“ vermutlich zunächst offenes diskriminierendes Verhalten wie Beschimpfungen, Beleidigung, Nachreden und schlimmstenfalls Gewaltanwendungen. Sicher kommen diese Formen auch vor, doch Berichte Homosexueller weisen vor allem auf subtile Diskriminierungen hin. Diskriminierung ist weitgehend gesellschaftlich geächtet und gerade das engere Umfeld wird es selten wagen, direkte Ablehnungen zu formulieren. Doch auch die Auseinandersetzung mit Homosexuellen selbst wird nicht gesucht. Denn homosexuelle Orientierungen sind auch, wenn sie bei anderen beobachten werden, häufig angstbesetzt. In dieser schwierigen Zeit sind gerade homosexuell orientierte Jugendliche oft auf sich allein gestellt. Viele verdrängen ihre Homosexualität im Jugendalter, was die Entwicklung einer positiv besetzten sexuellen Identität in dieser Zeit verhindert und so zu einer Ursache von Fehlentwicklungen im Selbstwertgefühl wird, die zu Drogenmissbrauch, Depres- sionen oder gar zu Suizid führen können. Jugendliche sind deshalb umso mehr auf Zuspruch und Unterstützung von Erwachsenen angewiesen. Entscheidend ist hier vor allem das zunehmend wichtige soziale Bezugssystem Schule. Hier sind Pädagoginnen und Pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher sowie Sozialpäda- goginnen und Sozialpädagogen gefragt, gegen Homophobie und Heterosexismus (vgl. Punkt 3.3.1) an ihren Schulen anzugehen, um auch homosexuellen Jugendlichen Raum zu geben, sich entsprechend ihrer Natur zu entwickeln, und um in der direkten Konfrontation mit dem Thema Homosexualität (zum Beispiel innerhalb eines Beratungsgespräches) hilfreich zu reagieren.

Die vorliegende Diplomarbeit soll Pädagoginnen und Pädagogen, doch vor allem Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie Erzieherinnen und Erziehern, die an Schulen mit Jugendlichen arbeiten und umgehen, Grundlagen zum Thema Homosexualität und homosexuelle Jugendliche in der Institution Schule vermitteln und sie in die Lage versetzen, kritische Punkte, die bei der Angst vor Homosexua- lität eine Rolle spielen, eindeutig zu erkennen. Vor allem die in Punkt 5 beschriebenen Handlungsmöglichkeiten sollen aufzeigen, wie gegen Diskriminierungen vorgegangen und wie Diskriminierungen vorgebeugt werden können. Denn bisher gibt es noch kaum ein Bewusstsein für homosexuelle Jugendliche an Schulen, dabei ist dieses Thema so existentiell und es wäre so einfach, homosexuelle Jugendliche zu unterstützen...

1.1 Aufbau der Arbeit

Meine Diplomarbeit gliedert sich wie folgt:

Es darf nicht vergessen werden, dass homosexuelle Jugendliche nicht nur homosexuell, sondern auch jugendlich sind. Dabei ist die Jugend eine ganz besondere Lebensphase. Auf ein paar Besonderheiten werde ich in Punkt 2 eingehen. In den Unterpunkten werde ich auf „Alltagsannahmen“ in Bezug auf Adoleszenz eingehen. Punkt 2 ist als Basis-Wissen anzusehen, mit dem ein Eindruck davon gegeben werden soll, in welchen Lebenswelten sich (auch homosexuelle) Jugendliche befinden. Dabei wird der Punkt 2.3.4 „Umgang mit Sexualität“, der homo- wie heterosexuelle Aspekte betrachtet, als Übergang dienen zu Punkt 3, der sich mit Homosexualität befasst. Um ein möglichst klares Bild erstellen zu können, lasse ich Medizin und Psychologie zu Wort kommen und gebe einen historischen Einblick, auch mit juristischen Aspekten. Ich werde auf gegenwärtige Diskriminierungen eingehen und aus Gründen, die ich in Punkt 3.5 beschreiben werde, dem Prozess des Coming-Outs viel Raum geben. Nachdem ich dann in Punkt 4 zuerst die Institution Schule skizziert habe, arbeite ich heraus, wo und wie das Thema Homosexualität theoretisch und bundesweit im Unterricht vorkommt. Die „Praxis zur Theorie“, zum Beispiel was Schülerinnen und Schüler über homosexuelle Mitschülerinnen und Mitschüler denken und wie sie reagieren, stelle ich in Punkt 4.2 dar. Ich habe dann alle wichtigen Informationen gegeben, um in Punkt 5 zu der Frage kommen zu können, wie Sozialpädagogik an Schulen die Situationen von jungen Lesben und Schwulen verbessern könnte. In meinem

Schlussteil - Punkt 6 - fasse ich wesentliche Ergebnisse kurz zusammen und ent- wickele daraus Konsequenzen und Forderungen für Schule und Schulsozialarbeit.

1.2 Begriffsannäherungen und -abgrenzungen

Im Folgenden werde ich ein paar Begriffsabgrenzungen vornehmen. Weitere Definitionen sind in späteren Punkten meiner Arbeit zu finden.

Ich beginne mit dem Begriff „Homosexualität“. So klar der Begriff Homosexualität vielleicht erscheinen mag, so schwierig und vielfältig sind Versuche, eine klare Definition zu finden. Auch in Studien werden unterschiedliche Definitionen von und Indikatoren für Homosexualität verwendet.

Ein klarer Indikator scheint homosexuelles Verhalten zu sein. Doch um ein wirklicher Anhaltspunkt zu sein, müssten beide beteiligten Personen hierin ein Erkennen ihrer sexuellen Natur empfinden, was ein homosexuelles Empfinden bedeuten würde. Hier kann also nicht ausschließlich von homosexuellem Verhalten gesprochen werden. Ansonsten würde zum Beispiel eine Frau, die sich selbst klar als heterosexuell bezeichnet und aus einer Neugier heraus mit einer anderen Frau Sex hat, fälschlicher Weise als homosexuell definiert werden. Dieser Ansatz lässt sich auch nicht anwenden auf Menschen, die um ihre Homosexualität wissen, jedoch bisher keinen gleichgeschlechtlichen Sex hatten.

Auch klar scheint der Ansatz zu sein, dass homosexuell ist, wer sich als solches bezeichnet (Selbstidentifikation). Jedoch sind Begriffe wie „homosexuell“,

„lesbisch“ oder „schwul“ teils negativ besetzt, so dass sich Menschen, die dies empfinden, nicht mit diesen Begriffen besetzen würden, obwohl sie von anderen Menschen vielleicht als eindeutig homosexuell eingeschätzt werden würden. Außerdem ist bekannt, dass homosexuelle Selbstidentifikationen oft erst einige Jahre nach dem ersten gleichgeschlechtlichem Verhalten oder bewusstem Empfinden stattfinden.

Genauso klar erscheint der Ansatz, homosexuelles Erleben als Indikator für Homosexualität anzunehmen. Dies ist jedoch der am schwersten überprüfbare Ansatz, denn Aspekte wie homosexuelle Fantasien oder Empfinden von Attraktivität des gleichen Geschlechts kommen auch bei heterosexuellen Menschen vor (vgl. Plöderl 2005: S. 5ff).

Es wird klar, dass die Begriffe „Homosexualität“ und auch „Heterosexualität“ nicht klar von einander unterscheidbare Klassen darstellen, vielmehr muss sie als ein Kontinuum mit vielen Ausprägungen begriffen werden.

Obwohl im laufenden Text von „homosexuellen Jugendlichen“ die Rede ist, ist diese Arbeit also nicht auf eine genau definierte Zielgruppe anzuwenden. So können Inhalte meiner Arbeit zutreffend sein für Jugendliche, die um ihre Homosexualität wissen und diese auch leben, aber auch für heterosexuelle Jugendliche, die ihre sexuelle Orientierung noch nicht gefunden haben und sich mit Homosexualität auseinandersetzen, vielleicht sogar homosexuelle Erfahr- ungen machen, sowie für Jugendliche, die homosexuell sind, dies jedoch noch nicht realisieren konnten oder für bisexuelle Jugendliche in gleichgeschlechtlichen Beziehungen.

Ich habe den Begriff „Homosexualität“ für den Titel meiner Arbeit gewählt, da ich klar benennen möchte, um was es geht und keine „verschleiernden“ Ausdrücke benutzen möchte, wie es bei „gleichgeschlechtlich“ oder „sexuelle Orientierungen“ sein könnte. Des Weiteren habe ich diesen Begriff gewählt um darauf hinzuweisen, dass der Ausdruck „Homosexualität“ nicht (zumindest nicht mehr) an ein, nämlich das männliche, Geschlecht gebunden ist. Ich wertschätze mit dieser Wortwahl weibliche Homosexualität als eine absolut ernstzunehmende Lebensform, die durch sich selbst nichts über ein bestimmtes Verhältnis von Emotionalität und Genitalität aussagt, wie es ihr der Begriff „lesbische Liebe“ als Pendant zu „Homosexualität“, als Bezeichnung für Männer, unterstellt.

Mit dem Titel-Begriff „Schule“ meine ich die Jahrgänge der Sekundarstufe I. Dies bringt auch eine Abgrenzung zum Alter meiner Zielgruppe mit sich. Der Begriff „Jugendliche“ bzw. „Jugend“ wird in Punkt 2 näher erläutert. Um mein Thema zu begrenzen, habe ich die Thematik um Eltern ausgeklammert. Trotzdem Elternarbeit ein wichtiges Thema für Schule und Schulsozialarbeit ist, kommt sie in dieser Arbeit nicht vor. Auch nicht weiter erwähnt bleiben Einstellungen verschiedener Religionen zum Thema Homosexualität. Die Bedeutungen religiöser Grundhaltungen sind so komplex, dass sie eine eigene Arbeit umfassen würden.

2. Jugend im Kontext

Bevor ich auch die besondere Situation von homosexuellen Jugendlichen eingehe, lohnt es sich, zuerst einen Blick auf die Lebensspanne Jugend zu werfen. Denn eventuelle Komplikationen, die Homosexualität mit sich bringen kann, kommen zusätzlich zu denen, die die Adoleszenz in der Regel mit sich bringt, eine sensible Phase, zu der es so viel Alltagswissen bzw. Alltagsvorstellungen gibt, wie zu keinem anderen Lebensabschnitt. Zusätzlich zeigen folgende Darstellungen, in welcher Lebenssituation auch das primäre Umfeld von (homosexuellen) Jugendlichen, nämlich gleichaltrige Mitschülerinnen und Mitschüler, Freundinnen und Freunde, steckt. Beginnen wir hier:

Das Jugendalter ist kein naturgegebener Lebensabschnitt. Beispielsweise bei Naturvölkern existiert keine vergleichbare Lebensphase, hier erfolgt der Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter abrupt über einen Initiationsritus. Eine Lebensphase Jugend, wie unsere Kultur sie kennt, entstand erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der berufliche Anforderungen so komplex wurden, dass bestimmte Eignungen und Qualifikationen verlangt wurden. Diese Ausbildungsphase, die durch den sich ausbreitenden Wohlstandes auch finanziert werden konnten, war weder als Teil der Kindheit, noch als Teil des erwachsenen Lebens zu sehen (vgl. Rossmann 2004: S. 21f). Zuvor war die Jugendzeit ein Privileg des Bürgertums, das wohlhabend genug war, längere Vorbereitungszeiten auf den Beruf zu unterstützen. Dies galt zu Beginn nur für männliche, später auch für weibliche Jugendliche.

Die allgemeine Schulpflicht garantierte dann ein „Minimum an Jugend“ für Angehörige aller Bevölkerungsgruppen. Inzwischen wird die Adoleszenz vollständig durch den Schulbesuch geprägt (vgl. Hurrelmann 2007: S. 21f).

Dennoch ist eine Festlegung des Eintritts- und Austrittsalters nicht ohne weiteres möglich. Im Allgemeinen umfasst diese Phase in etwa die Zeit vom 11. bis zum 22. Lebensjahr, doch wie früh oder spät ein jugendlicher Mensch in diese Lebensphase hinein- und wieder hinaustritt, kann sehr unterschiedlich sein. Eine Abgrenzung von der Kindheit durch das Erlangen der Geschlechtsreife scheint vertretbar, dieser Zeitpunkt liegt in der Regel zwischen dem 11. und 15. Lebensjahr. Jedoch sind bei der Mehrzahl der 12jährigen so viele Kriterien des Gestaltwandels auszumachen, dass auch ohne Geschlechtsreife hier von einem

Übergang in die Adoleszenz gesprochen werden kann (vgl. Hurrelmann 2007: S. 40). Beim Übergang vom Jugend- in das Erwachsenenalter lässt sich kein biologischer Aspekt als Zeitpunkt feststellen. Im Allgemeinen wird ein junger Mensch dann als erwachsen anerkannt, wenn er bestimmte Entwicklungs- aufgaben (vgl. Punkt 2.3) erfolgreich bewältigt hat.

Traditionell wird davon ausgegangen, dass dieser Zeitpunkt zwischen dem 19. und 21. Lebensjahr liegt (vgl. Hurrelmann 2007: S. 29). Entwicklungsaufgaben geben Anhaltspunkte dafür, dass eine Abgrenzung der Adoleszenz zur Kindheits- und Erwachsenenphase möglich ist, jedoch auch dafür, dass eine starre altersmäßige Festlegung nicht sinnvoll ist.

Da es im späteren Verlauf dieser Arbeit um Jugendliche in der Sekundarstufe I gehen wird, beziehe ich mich fortan auf die so genannte „frühe“ und „eigentliche“ Adoleszenz (vgl. Fend 2000: S. 91f), also auf das Alter zwischen 12 und ungefähr 16 Jahren.

2.1 Veränderte Lebenswelten

Oft wird in der Öffentlichkeit davon ausgegangen, dass die Phase der Jugend sich für Jugendliche immer noch so gestaltet wie vor 20 Jahren, es gibt sogar Stimmen die behaupten, Jugendliche lebten heute leichter und unbeschwerter. Dabei ist die Lebenssituation junger Menschen heute sehr viel spannungsreicher und konfliktgeladener. Jene Normalbiografie, von der vor 20 Jahren noch ausgegangen wurde, lässt sich heute nicht mehr vorfinden (vgl. Drilling 2001: S. 29). Belastungen wie mangelnde Obhut in Familien, Bedrohung durch einen schlechten Arbeitsmarkt und andere soziale Ungleichheiten wie zum Beispiel durch Migration bewirken trotz leichterem Zugang zu Geld, gestiegene soziale Mobilität und Bildungsexpansion, dass das Erwachsenwerden vielen Jugendlichen heute schwer fällt. Sie wachsen in einer Multioptionsgesellschaft auf. Diese bietet schier unendliche Wahlmöglichkeiten, aber auch kaum feste Strukturen und Grenzen, die Jugendlichen Sicherheiten geben können. Sie können nicht auf die Erfahrungen einer vorangegangenen Generation zurückgreifen, um mit den steigenden Erlebens-, Handlungs- und Lebensmöglichkeiten besser umgehen zu lernen (vgl. Drilling 2001: S. 17f).

Im lebenslangen Prozess der Sozialisation entwickelt sich ein Individuum unter wechselseitigem Einfluss seiner biologischen Ausstattung und seiner aktiven Auseinandersetzung mit den sozialen Lebensbedingungen zu einer sozial handlungsfähigen Persönlichkeit (vgl. Drilling 2001: S. 18). Um die Jugendzeit als „Grundlagenwissen“ für das Thema dieser Arbeit skizzieren zu können, stelle ich in den folgenden beiden Punkten also pubertäre Veränderungen sowie jugendspezifische soziale Herausforderungen dar.

2.2 Pubertäre Veränderungen

Die körperlichen Veränderungen während der Adoleszenz sind erheblich. Jugendliche bekommen in dieser Zeit einen „neuen Körper“ und müssen lernen, mit ihm umzugehen. Diese Umgestaltungen passiert so deutlich und in einem so bewussten Alter, dass sie sehr bewusst beobachten und bewerten können, was geschieht (vgl. Fend 2000: S. 225). Bewerten sie die Veränderungen negativ, entstehen Unsicherheiten und Ängste, die sich zum Beispiel auf Körperwachstum, Größe, Gewicht, Körperproportionen, Haarwuchs oder Gesicht richten können. Menarche und Spermarche stellen schließlich Schlüsselereignisse, mit denen oft ein großes Maß an Unwissenheit, Verlegenheit, Scham, Unwohlsein und Ambivalenz verbunden sind (vgl. Fend 2000: S. 233f). All dieser Körperveränderungen sind massiv geschlechtsspezifisch, so dass sie vor allem bedeuten, sich mit der eigenen Geschlechtlichkeit auseinandersetzen zu müssen (vgl. Fend 2000: S. 225), was gerade bei lesbischen und schwulen Jugendlichen eine besondere Belastung bieten kann, da ihre Homosexualität im Widerspruch zu den heterosexuellen Anforderungen steht, die ihnen in dieser Zeit auferlegt werden. Im Ganzen lässt sich also vermuten, dass das Ausmaß und die Tragweite der körperlichen Veränderungen in der Pubertät für alle Jugendlichen, jedoch besonders für gleichgeschlechtlich orientierte, mit zahlreichen psychischen Konsequenzen verbunden sind (vgl. Fend 2000: S. 225).

Auf zwei entscheidende endokrine Veränderungsbereiche, über die immer wieder viel diskutiert wird und die ihre Beiträge zum Verhalten Jugendlicher leisten, möchte ich im Folgenden näher eingehen: Gehirn und Hormone.

2.2.1 Gehirnentwicklungen

Die Erkenntnis, dass das Gehirn in der Adoleszenz eine gewichtige Rolle spielt und in dieser Zeit ebenfalls einem tief greifenden Wandel unterliegt, ist neu und Gegenstand aktueller Forschungen. Bisher gingen Wissenschaftler davon aus, das Gehirn eines heranwachsenden Menschen sei fertig ausgereift (vgl. Strauch 2003: S. 19). Erst im Jahr 1997 entdeckte der amerikanische Gehirnforscher Jay Giedd, dass sich die graue Substanz, die äußere Schicht des Gehirns, während der Adoleszenz zuerst bis weit über den Wert eines Erwachsenen verdickt und dann plötzlich schrumpft. Das Wachstum erreicht seinen Höhepunkt bei Mädchen mit ungefähr elf, bei Jungen mit ungefähr zwölf Jahren. Danach fallen die Werte bis unter denen eines erwachsenen Menschen ab, um sich gegen Ende der Adoleszenz auf erwachsenem Niveau einzupendeln (vgl. Strauch 2003: S. 30). Von diesen Entwicklungen betroffen ist auch der Teil des Gehirns, der Motivation, Vernunft, Voraussicht und Urteilsvermögen ermöglicht und über Tun oder Lassen entscheidet (vgl. Strauch 2003: S. 36). Dies könnte auch Einfluss haben auf die Selbstreflexion und Kräfte, die homosexuelle Jugendliche dafür brauchen, ihre sexuelle Orientierung zu erkennen und zu integrieren. Während der Jugendzeit vermehren sich außerdem die Verknüpfungen, die auf Dopamin ansprechen, das die Signalübertragung in jenen Bereichen beschleunigt, die für Gefühle und Sprache verantwortlich sind. In diesem Zusammenhang wurde herausgefunden, dass Menschen in der Pubertät vielfach anfälliger für Depressionen und andere psychische Erkrankungen sind, als in irgendeiner anderen Lebensspanne (vgl. Strauch 2003: S. 292).

2.2.2 Hormone

Da Hormone von Hormondrüsen freigesetzt werden, die von Hypothalamus und Hypophyse kontrolliert werden, könnten durch Hormone bedingte Phänomene auch dem Gehirn zugeordnet werden (vgl. Rossmann 2004: S. 136f). Traditionell werden den hormonellen Veränderungen in der Pubertät umfangreiche und tendenziell destruktive Wirkungen auf das Verhalten von Jugendlichen zugeschrieben, was jedoch nur bedingt stimmt. Tatsächlich klären sie weniger Varianz von Verhalten auf, als angenommen wird (vgl. Fend 2000: S. 226f).

Es gibt eine Vielzahl verschiedener Hormone mit verschiedenen Aufgaben. Bei den so genannten Geschlechts- oder Steroidhormonen, die in der Pubertät in großen Mengen ausgeschüttet werden, geht es vor allem um das Östrogen Östradiol und das Androgen Testosteron. Beide Hormone werden von beiden Geschlechtern hergestellt, jedoch produzieren Männer etwa zehnmal so viel Testosteron wie Frauen und Frauen rund zehnmal mehr Östrogen als Männer. Beide Hormone scheinen zu mehr starken, instinktiven Gefühlen zu führen, wie ein gewisses Gemeinschaftsgefühl, Aggressivität und Begehren (vgl. Strauch 2003: S. 183ff).

Vor allem Testosteron ist dafür verantwortlich, wenn einem Menschen ein anderer Mensch auffällt und sich plötzlich ein Verlangen einstellt. Setzt in dieser Phase der Neurotransmitter Dopamin ein, kommt es zu einer verliebten Hochstimmung (vgl. Strauch 2003: S. 211f), in der die andere Person einem „nicht mehr aus dem Kopf geht“ (Strauch 2003: S. 212). Es ist die Zeit der „Schmetterlinge im Bauch“ (Strauch 2003: S. 212). Kommt es nun zu einer Verbindung zweier Menschen, herrschen immer noch starke Gefühle, sie sind jedoch tiefer, ruhiger und weniger aufregend. Diese Bindungsphase ist bei Mädchen durch Oxytozin, bei Jungen durch Vasopressin geprägt (vgl. Strauch 2003: S. 212). Natürlich sind Jugendliche nicht die einzigen Menschen, die sich verlieben, jedoch sind die entsprechenden Gefühle in dieser Zeit besonders intensiv. Dies ist darin begründet, dass Menschen sich leichter verlieben, wenn sie sich bereits in einem körperlichen Erregungszustand befinden. Gemeint ist hier nicht unbedingt sexuelle Erregung, sondern ein Zustand erhöhter Sensibilität und Emotionalität (vgl. Strauch 2003: S. 215). So sind homosexuelle Mädchen und Jungen in dieser Zeit vielleicht auch „anfälliger“ dafür, sich dem gesellschaftlichen Gebot der Heterosexualität zu fügen und sich in eine Person des anderen Geschlechts zu verlieben (vgl. Punkt 2.3.4).

2.3 Entwicklungsaufgaben

Entwicklungsaufgaben sind allgemeine Erwartungen und Anforderungen, die an Personen in bestimmten Lebensabschnitten gestellt werden. Es sind vorgegebene Anpassungsschritte, die in Auseinandersetzung mit sich selbst und der eigenen Umwelt bewältigt werden müssen. Die dazu erforderlichen Fähigkeiten müssen in der jeweiligen Phase erst dynamisch entwickelt werden.

Die traditionellen Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz lassen sich in vier große Bereiche einteilen, die in Beziehung zueinander stehend und aufeinander aufbauend betrachtet werden müssen (vgl. Hurrelmann 2007: S. 27). Nach idealtypischem Verständnis ist die Selbstbestimmungsfähigkeit des Individuums erreicht und es kann von einem Übergang vom Jugend- in das Erwachsenenalter gesprochen werden, wenn es gelingt, diese Entwicklungsaufgaben zu bewältigen (vgl. Hurrelmann 2007: S. 28).

1. Die Entwicklung einer intellektuellen und sozialen Kompetenz, mit der möglich werden soll, selbstverantwortlich schulische und folgend berufliche Anforderungen zu meistern, um eine eigene ökonomische Basis für eine unabhängige Existenz als erwachsener Mensch zu sichern.
2. Die Entwicklung des inneren Bildes von der Geschlechtszugehörigkeit. Dazu gehören beispielsweise das Akzeptieren der eigenen körperlichen Veränderungen und der Aufbau einer stabilen Paarbeziehung als Vorraussetzung einer späteren Familiengründung.
3. Die Entwicklung selbstständiger Handlungsmuster für die Nutzung des Konsumwarenmarktes, um mit dem durch Medien propagierten Angebot sowie den eigenen Finanzen umgehen zu können und einen eigenen kontrollierten und bedürfnisorientierten Lebensstil zu entwickeln.
4. Die Entwicklung eines Werte- und Normsystems und eines ethischen und politischen Bewusstseins, das mit dem eigenen Verhalten und Handeln übereinstimmt, damit eine verantwortliche Übernahme von gesellschaftlichen Partizipationsrollen als Bürgerin bzw. Bürger im kulturellen und politischen Leben möglich wird (vgl. Hurrelmann 2007: S. 27f).

Trotzdem diese Aspekte oft noch genauso gefordert werden, weicht die heutige Gestaltung von diesem Idealtypus oft deutlich ab. So ist für einen Teil der Jugendlichen ein Übergang in eine ökonomische Selbstversorgung durch fehlende Ausbildungs- und Arbeitsplätze nicht möglich. Andere hingegen verdienen bereits während ihrer Schulzeit Geld mit einer legalen oder illegalen (Neben-)Tätigkeit. Eine Heirat und eigene Kinder sind längst nicht mehr fester Bestandteil des Zusammenlebens. Die meisten Haushalte von Erwachsenen sind Ein-Personen-

Haushalte und etwa die Hälfte aller in Deutschland lebenden Ehepaare hat keine Kinder. Homosexuellen Beziehungen gelten in diesem System nicht als eine erfolgreiche Entwicklung des inneren Bildes der Geschlechtszugehörigkeit und sind, mit oder ohne Kinder, hier nicht mit „Familie“ gemeint. Da Jugendliche heute immer früher Umgang und auch immer mehr Geld zur Verfügung haben, können bereits Jugendliche sich heute den gesamten Freizeit- und Medienmarkt erschließen. Und eine politische Beteiligung kann zwar formal erst mit Gewährung des Wahlrechts ausgeübt werden, jedoch wirken Jugendliche auch schon davor in Familie, Schule, politischen Jugendgruppen und anderen Institutionen an der Gestaltung ihrer Lebensbereiche mit (vgl. Hurrelmann 2007: S. 37f).

In der Literatur lassen sich verschiedene Versuche finden, aktuelle Entwicklungsaufgaben festzuhalten, wie der Suche nach der eigenen („neuen“) Identität, die Entdeckung des Körpers und der Sexualität, der Aufbau der eigenen Unabhängigkeit und der Abwendung vom Elternhaus mit gleichzeitiger Zuwendung zu Gleichaltrigen, (vgl. Kohlberg 2000: S. 112) sowie der Berufswahl (Fend 2000: S. 368). Im Folgenden werde ich auf vier ausgewählte Entwicklungsaufgaben näher eingehen, die für die Thematik dieser Arbeit besonders bedeutend sind.

2.3.1 Aufbau von Peer-Beziehungen

Generell werden unter Peer-Beziehungen Beziehungen unter in etwa gleich alten Kindern und Jugendlichen verstanden (vgl. Fend 2000: S. 312). Während der Adoleszenz erfolgt eine schrittweise psychosoziale Ablösung vom Elternhaus und der Gruppe der Gleichaltrigen kommt eine besondere Bedeutung als Sozialisationsinstanz und Quelle sozialer Unterstützung zu. Die Abwendung von den Eltern ist ein entscheidender Schritt für eine Verselbstständigung und die eigene Eingliederung in die Sozialstrukturen der Gesamtgesellschaft. Zunehmend stellen sich Jugendliche neuen Anforderungen und Ansprüchen außerhalb des Familiensystems. Gleichaltrige bieten Herausforderungen und Unterstützung, die sich strukturell in der gleichen Lebenslage befinden (vgl. Hurrelmann 2007: S. 33). Sie bieten die Chance, Handlungskompetenzen zu erwerben, die in Familie oder Schule nicht eingeübt werden können oder sollen (vgl. Hurrelmann 2007: S. 128).

Freundschaften bieten einen unschätzbaren geschützten Raum, um zwischenmenschliche Interaktionen zu erproben. Durch die Möglichkeit, sich vorbehaltlos zu öffnen, können sonst verdrängte und abgespaltene Inhalte bearbeitet werden (vgl. Fend 2000: S. 310).

„So bedeutsam die Beziehung zu Gleichaltrigen für die Entwicklung im Jugendalter ist, so problematisch kann sie sein“ (Hurrelmann 2007: S. 128). So bietet diese Gruppe auch die Erfahrung, sich in Hierarchien einzufügen, Abneigungen zu entwickeln und eventuelle Wettbewerbe durchzustehen. Gleichaltrige haben keinen Erziehungs- oder Betreuungsauftrag, so dass ihre Reaktionen oft natürlicher und weniger rücksichtsvoll sind. Es kommt zu Zurückdrängungen und Grenzüberschreitungen. Bis zu 10% aller Jugendlicher erleben regelmäßig Aggression und Stigmatisierung (vgl. Hurrelmann 2007: S. 128). „Die Erfahrung der eigenen Inkompetenz durch die Demütigung anderer führt zu Isolation und kann weit reichende Folgen für die weitere soziale Entwicklung haben“ (Hurrelmann 2007: S. 128f).

2.3.2 Entwicklung von Identität

Obwohl der Prozess der Identitätsfindung ein Leben lang andauert, erhält diese Aufgabe in der Adoleszenz einen besonderen Stellenwert. In dieser Phase treten massive Veränderungen ein, unter anderem den eigenen Körper und das eigene Empfinden betreffend, die eine Umgestaltung des bisherigen Selbstbildes notwendig machen, was in der Regel zu großen Verunsicherungen führt. Es geht in dieser Zeit darum, eine Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“ zu finden, ein in gewisser Weise kontinuierliches Selbstbild zu (re)konstruieren („Wie bin ich?“,

„Worin bin ich gegenüber meiner Kindheit gleich geblieben?“, „Worin habe ich mich gewandelt?“), das mit dem Bild, das andere von einem haben, im Ganzen übereinstimmt. So wird die Jugendzeit zu einer Zeit des Zweifelns, der bewussten Reflexion und der sich entwickelnden Autonomie. Gelingt es in dieser Phase nicht, diese hohen Anforderungen zu bewältigen, droht eine Identitätsdiffusion, eine extreme Unsicherheit in Bezug auf einen oder mehrere Aspekte der eigenen Identität wie zum Beispiel der sexuellen Orientierung (vgl. Rossmann 2004: S. 146ff). „Es fehlt dann der Persönlichkeit gewissermaßen der innere Zusammenhalt und sie wirkt zersplittert“ (Rossmann 2004: S. 148). Verwirrungen stellen sich ein, die mit Alkohol- oder Drogenmissbrauch oder suizidalem Verhalten ausgelöscht werden sollen oder es kommt zu anderen dekonstruktiven Versuchen, Sicherheit zu gewinnen, wie durch Isolation, ideologische Radikalität oder Askese (vgl. Rossmann 2004: S. 148).

2.3.3 Ausbildung einer Geschlechtsidentität

Zur Entwicklung der eigenen Identität während der Adoleszenz gehört auch das Suchen und Finden einer neuen Geschlechtsidentität, denn hier wird es besonders notwendig, eine Geschlechtszugehörigkeit darzustellen und damit als Mann oder Frau anerkannt zu werden (vgl. Stein-Hilbers 2000: S. 47). Es besteht auch ein gewisser Zwang, sich als (hetero)sexuell aktive Frau bzw. als (hetero)sexuell aktiver Mann zu präsentieren (vgl. Stein-Hilbers 2000: S. 72). „Wer sich auf dem Markt anbietet, stellt seinen Wert als Person zur Disposition. Er kann als Person Akzeptanz und Ablehnung erfahren. Letztere wird als sehr schmerzlich, ja als potentiell selbstzerstörerisch empfunden“ (Fend 2000: S. 258). Der eigene „Markt-Wert“, aber auch das eigene Interesse am anderen Geschlecht entscheiden über Akzeptanz und Selbstwert. Hier liegt ein wichtiger Schlüsselpunkt für Lesben und Schwule, unabhängig davon, ob sie bereits um ihre Homosexualität wissen oder nicht, denn sie nehmen in beiden Fällen wahr, dass sie „irgendwie anders“ sind.

Der Körper spielt in der sozialen und individuellen Konstitution von Geschlechtszugehörigkeit eine zentrale Rolle. Er ist Medium der Selbstkonstruktion und der Symbolisierung des Mann- oder Frauseins. „Der Körper muss gleichsam lernen, den Code der Zweigeschlechtlichkeit in eine physisch erkennbare Ausdrucksform zu übersetzen und ihn damit wiederum zu reproduzieren“ (Stein-Hilbers 2000: S. 47). Ein Junge, der sich „wie ein Mädchen“ bewegt, verzichtet somit auf Anrechte, die ihm als Junge zustünden. Dieser mit einem Machtverlust verbundene Akt der Überschreitung stößt dabei auf größeres Unverständnis als der eines Mädchens, das selbstbewusst ihm nicht zustehende Privilegien des Männlichen in Anspruch nimmt, da die Annäherung ans

„Männliche“ nachvollziehbar erscheint (vgl. Tervooren 2006: S. 69). Ein „Mann“ zu werden erfordert für Jungen, Dominanz und Macht zu demonstrieren und sich deutlich von dem abzugrenzen, was sie als weiblich empfinden. Dazu gehören offene Abwertungen von Frauen ebenso wie sexistische Witze oder die offensive Distanzierung von Homosexualität (vgl. Stein-Hilbers 2000: S. 46), die auch in der Sprache vieler Jungen in der Pubertät im Kontext von Beschimpfungen, Neckungen oder ähnliches sehr präsent ist (vgl. Tervooren 2006: S. 197). Gleichzeitig gilt es, Mädchen attraktiv zu finden und sich als sexuell aktiv darzustellen. So erleben Mädchen einerseits, dass sie über ihren Körper (nicht wie Jungen primär über ihr Verhalten) als sexuelle Objekte erlebt werden, und andererseits, dass sie über ihr Geschlecht abgewertet und verspottet werden. Heterosexuelle Mädchen sind also in dieser Zeit besonders darauf angewiesen, dies in Kauf zu nehmen und zu ignorieren, wenn sie selbst (sexuell) erfolgreich sein wollen.

2.3.4 Umgang mit Sexualität

Zu Beginn der Jugend kommt es zu einer Ausbildung erotischer und sexueller Wünsche, die in erster Linie durch deutliche hormonelle Veränderungen ausgelöst werden und zu einer rasch zunehmenden sexuellen Reaktionsfähigkeit führen. Erste sexuelle Kontakte, die nicht mehr als kindliche Sexualität gesehen werden können, fallen in diese Zeit. Jugendliche erwartet die Aufgabe, Sexualität in ihre Identität (und Identitätsfindung) zu integrieren, sie in soziale Bindungen einzubeziehen und einen eigenen Umgang mit Sexualität zu finden (vgl. Fend 2000: S. 258f).

In einer Studie zu Jugendsexualität (vgl. BZgA 2006: S. 76) machten 81% der Mädchen und 77% der Jungen bis zum Alter von 17 Jahren, also innerhalb des Besuches der Sekundarstufe I, in irgendeiner Form heterosexuelle Erfahrungen. 73% der Mädchen und 66% der Jungen (Ausgangswert: Gesamtanzahl) erlebten bis zu diesem Alter auch ihr Erstes Mal (vgl. BZgA 2006: S. 80). 13% der Mädchen und 6% der Jungen zwischen 14 und 17 Jahren hatten „körperliche Kontakte zum gleichen Geschlecht“ (vgl. BZgA 2006: S. 86). Ein umgekehrtes Geschlechterverhältnis zeigte in diesem Punkt eine Studie aus dem Jahr 1995, nach der im Alter von 17 Jahren 7% der Mädchen und 11% der Jungen homosexuelle Kontakte hatten (vgl. BZgA 2003: S. 276f). Nach einer Studie zur psychosozialen Situation junger Lesben und Schwuler in Berlin, auf die ich in Punkt 3 noch weiter eingehen werde, machten 32% der befragten Mädchen und 58% der befragten Jungen bis zum Alter von 18 Jahren erste gleichgeschlechtliche sexuelle Erfahrungen (vgl. Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport 1999: S. 17).

Homosexuelle Kontakte sind jedoch nicht zwangsläufig Ausdruck einer homosexuellen Orientierung, ebenso wie heterosexuelle Kontakte kein sicheres Indiz für Heterosexualität darstellen (vgl. Fiedler 2004: S. 88). So verliebten sich in letztgenannter Studie 46% der lesbischen (81% der Gesamtanzahl) und bisexuellen (10% der Gesamtanzahl) Mädchen und 28% der schwulen (87% d. G.a.) und bisexuellen (9% d. G.a.) Jungen zuerst in eine Person des anderen Geschlechts und 58% der Mädchen und 17% der Jungen hatten auch erste heterosexuelle Erfahrungen (vgl. Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport 1999: S. 14ff). Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass ab Beginn der Pubertät heranwachsende heterosexuelle Mädchen und Jungen homosexuelle Erfahrungen machen. Dies kann mit einem spielerischen Erfahrungsaustausch, Mutproben, sexuellem Konkurrenzverhalten, schlichter Neugier oder normale Verunsicherungen in punkto sexuelle Orientierung zusammenhängen (vgl. Fiedler 2004: S. 88). Die Anrufe beim Kinder- und Jugendtelefon zeigen, dass Schwul- und Lesbischsein Themen sind, die auch heterosexuelle Jugendliche beschäftigen, denn durch die allgemeine Tabuisierung des Themas und die Ängste, die damit verbunden sind, können alle jungen Menschen in ihrer Identitätsentwicklung verunsichern und behindern (vgl. Braun/ Lähnemann 2002: S. 6f). So stellen einige frühe homosexuelle Kontakte ein ganz normales Vorstadium im Geschlechtsleben mancher Jugendlicher dar und sind auf kürzere Episoden begrenzt, während eine homosexuelle Orientierung ein überdauerndes bzw. wiederkehrendes sexuelles Begehren gleichgeschlechtlicher Partnerinnen und Partner ist. Obwohl sich sexuelle Orientierungen typischerweise bis zu der frühen Adoleszenz manifestiert haben, machen lesbische Mädchen und schwule Jungen zumeist erst homosexuelle Erfahrungen, nachdem sich die Betreffenden ihrer Orientierung selbst bewusst geworden sind (vgl. Fiedler 2004: S. 88). So entdecken und erfahren homosexuelle Menschen gleichgeschlechtliche sexuelle Bindungen oft mit erheblicher zeitlicher Verzögerung, nämlich etwa fünf bis zehn Jahre später, als heterosexuelle Menschen heterosexuelle Beziehungen erleben (vgl. Hurrelmann 2007: S. 122).

3. Homosexualität

Homosexuelle Menschen sind Problemen ausgesetzt, die heterosexuelle Menschen nicht bewältigen müssen. In einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2001, in der 1.000 homo- und bisexuelle Personen nach belastenden Situationen befragt wurden, die mit ihrer sexuellen Orientierung zusammenhängen, konnten Stressoren gefunden werden, die sich inhaltlich in zwei Bereiche aufteilen lassen: Coming-Out und Identitätsmanagement und Diskriminierung und Gewalt (vgl. Plöderl 2005: S. 21). Diese Bereiche werde ich in den folgenden Punkten erklären und transparent machen. Der historische Abriss zum Thema Homosexualität wird bereits einige Grundlagen beinhalten. Ich werde aufzeigen, wie komplex und emotionsbeladen (bzw. „angstbeladen“) das Thema „Homosexualität“ auch in unserer gegenwärtigen Gesellschaft ist und was lesbische und schwule Menschen für eine Kraft und Leistung aufbringen, wenn sie ihren homosexuellen Gefühlen Raum geben, diese in ihre Identität integrieren und offen lesbisch oder schwul leben.

In den folgenden Punkten beziehe ich mich immer wieder auf die Studie „Sie liebt sie. Er liebt ihn“ der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport Berlin, in der Lela Lähnemann 1999 die psychosoziale Situation junger Lesben, Schwuler und Bisexueller in Berlin“ erforschte. Insgesamt nahmen 106 Mädchen und junge Frauen sowie 111 Jungen und junge Männer unter 28 Jahren und mit Wohnsitz in Berlin an der Studie teil. Obwohl der Altersdurchschnitt bei den weiblichen Teilnehmerinnen bei 21,8 Jahren und bei den männlichen Teilnehmern bei 21,1 Jahren lag, bringt „Sie liebt sie. Er liebt ihn“ wichtige Erkenntnisse über Jugendliche mit sich, da die (älteren) Teilnehmerinnen und Teilnehmer Fragen rückblickend beantworten.

81% der weiblichen und 87% der männlichen Befragten fühlen sich ausschließlich zum gleichen Geschlecht hingezogen, in dieser Studie nur jede und jeder Zehnte zu beiden Geschlechtern und 7% der Mädchen und 3% der Jungen sind sich noch nicht sicher.

95% sind deutscher Herkunft und knapp ein Viertel geht noch zur Schule, davon acht von zehn auf ein Gymnasium. Damit sind formal höher Gebildete in Lähnemanns Studie überdurchschnittlich stark vertreten. Dies lässt sich durch die Fragebogen-Methode erklären sowie durch die gewählten Auslegungsorte:

Die ursprünglich 1.800 Fragebögen wurden vorrangig bei lesbischen und/ oder schwulen Einrichtungen und Angeboten, über den Verteiler des Fachbereichs für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, über die Abteilung Jugend und die Jugendhilfeausschüsse der Bezirke und die freien Träger im Bereich Jugendwohnen, durch eine Pressemitteilungen in der Tagespresse und der lokalen Lesben- und Schwulenpresse verteilt (vgl. Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport Berlin 1999: S. 5ff).

3.1 Häufigkeit

Die Frage nach der Häufigkeit von Homosexualität ist eng verwoben mit ihrer Definition. Im Allgemeinen gehen Wissenschaftler von ca. fünf bis zehn Prozent Lesben und Schwulen in der Gesamtbevölkerung aus (vgl. Hurrelmann 2007: S. 121), jedoch gibt es hierzu keine endgültigen Statistiken. Dies liegt in verschiedenen Schwierigkeiten der Datenerhebungen begründet. In Fragebögen wird homosexuelles Verhalten zumeist mit Items erhoben wie „Hatten Sie im letzten Jahr Sexualkontakte mit a) einer Frau b) einem Mann?“ (Plöderl 2005: S. 5). Neben der extremen zeitlichen Einschränkung bleibt undefiniert, was als „Sexualkontakt“ gewertet werden kann (vgl. Plöderl 2005: S. 5). Zum Beispiel können Küsse leidenschaftliches Begehren darstellen, sie können aber auch andere Motivationen haben, wie zum Beispiel Imponierverhalten junger heterosexueller Frauen sein, ohne dass ein Interesse oder eine Neugier an der Kuss-Partnerin (und somit eine homosexuelle Neigung) vorliegen muss. Des Weiteren verwenden verschiedene Studien verschiedene Dimensionen (Verhalten, Erleben, Selbstidentifikation; vgl. Punkt 1.2). Angaben über den Anteil gleichgeschlechtlich interessierter Jugendlicher zu machen, gestaltet sich als noch schwieriger, denn oft sind sich Jugendliche in ihrer sexuellen Orientierung weniger sicher als Erwachsene (vgl. Punkt 2.3.4). Eine weitere Schwierigkeit die ungefähre Anzahl von homosexuellen Menschen zu bestimmen ist die Dunkelziffer. Dass zu vermuten ist, dass erhobene Zahlen eher Unterschätzungen darstellen, bestätigt eine 2000 in den USA erschienene Zufallsstichprobe mit Erwachsenen. Von den Männern, die bei der Befragung die Teilnahme verweigerten und die ein zweites Mal befragt wurden, hatten 17% gleichgeschlechtliche Sexualkontakte, verglichen mit 5% bei den Männern, die bereits an der ersten Befragung teilgenommen hatten (vgl. Plöderl 2005: S. 9ff).

Nimmt man die anfangs erwähnten Zahlen und geht von 5% gleichgeschlechtlich orientierter Menschen aus und einer Schülerzahl von 20, so gibt es in dieser Klasse statistisch gesehen also mindestens eine betroffene Jugendliche bzw. einen betroffenen Jugendlichen, die bzw. der (später) homosexuell empfindet. Nimmt man 10% als Referenzwert und eventuell noch eine größere Schüleranzahl, so kann schon von zwei bis drei Schülerinnen und/ oder Schülern pro Klasse ausgegangen werden.

3.2 Geschichtlicher Hintergrund

Sicher ist, dass es Gleichgeschlechtliche Liebe und Sexualität zu allen Zeiten und in allen Kulturen gegeben hat und gibt (vgl. Rauchfleisch et al. 2002: S. 15/ vgl. GEW Baden-Württemberg 2005: S. 5/ vgl. MGSFF 2004: Themenkarte Geschichte, S. 2). Lesbische und schwule Identitäten hingegen sind eine relativ moderne Erscheinung, die erst nach Entstehung des Begriffs „homosexuell“, als sich das Nachdenken über Homosexuelles verfestigt hatte, möglich wurden (vgl. MGSFF 2004: Themenkarte Geschichte, S. 2/ vgl. Lautmann 1993: S. 9). Aufgrund gesellschaftlicher Homophobie (vgl. Punkt 3.3.1) und Unaufgeklärtheit wurden homosexuelle Sexualitäten in der europäischen und deutschen Geschichte lange verfolgt, was zunächst theologisch, später pseudo- wissenschaftlich gerechtfertigt wurde. So wurde Homosexualität in der Geschichte als Sünde, Ketzertum, Krankheit und Geistesstörung definiert (vgl. MGSFF 2004: Themenkarte Geschichte, S. 2). Auf der Suche nach Ursachen für Homosexualität wurden verschiedene teilweise Aufsehen erregende Hypothesen aufgestellt, die jedoch später meist wieder fallengelassen werden mussten. Die verschiedenen Professionen wandten unterschiedlichste, teils grausamste Methoden an, um Homosexuelle zu heilen. Dies reichte von Versuchen der Lobotomie, bei der Teile des Gehirns zu entfernt wurden, über Chemo- bzw. Hormontherapien, Sterilisationen bis zu verhaltenstherapeutischen Behandlungsversuchen, die mit Elektroschocks und Brechmitteln arbeiteten (vgl. Mildenberger 2002: S. 39ff). Nachdem sich kein Versuch der „Heilung“ als „erfolgreich“ und keiner der Erklärungsversuche für die Entstehung einer homosexuellen Orientierung belegt werden konnte, wird Homosexualität nicht mehr als pathologisch definiert (vgl. MGSFF 2004: Themenkarte Geschichte, S. 2). Doch ein Blick in die Vergangenheit der Homosexualitätsforschung zeigt, dass manche der damals entwickelten Theorien, die teilweise sehr schnell widerlegt wurden, bis in die Gegenwart nachwirken und sich in etlichen modernen Alltagsannahmen, Theoriebildungen und Argumentationen als Vorurteile wieder finden lassen (vgl. Rauchfleisch et al. 2002: S. 15).

Der folgende zeitliche Abriss ist eine sehr grobe Darstellung der Kontexte homosexueller Liebe und Sexualität von der griechischen Antike bis heute, besonders was weibliche Homosexualität angeht. Im laufenden Text werde ich an einigen Stellen näher erläutern, warum es deutlich weniger Wissen und wissenschaftliche (neuere) Literatur zu weiblicher Homosexualität gibt. Durch das Vorenthalten von historischem Wissen zur lesbischen und weiblichen Sexualität im Allgemeinen, wird eine Unsichtbarkeit dieser geschaffen, um ihre Existenz und Wahrhaftigkeit anzweifeln zu können.

3.2.1 Antike

Will man gleichgeschlechtliche Liebe in den Gesellschaftsstrukturen des antiken Griechenlands näher betrachten, so muss man sich von einer personenbezogenen Differenzierung zwischen Homo- und Heterosexuellen lösen. Diese heutzutage allgemein anerkannte Kategorisierung war damals nicht existent.

In Form eines „Tutoren-Systems“ war Knabenliebe oder Päderastie im Antiken Griechenland institutionalisiert. In diesem Rahmen verschaffte ein erwachsener Mann einem männlichen Jugendlichen die sexuelle Erfahrung, die er für eine spätere Verbindung mit einer Frau „benötigte“(vgl. Fiedler 2004: S. 19). Erwachsene Männer hatten ihrerseits so die Möglichkeit, sich mit ihren männlichen Gefährten in der Öffentlichkeit zu inszenieren und zu profilieren, was mit Frauen nicht möglich war, da diese damals vom öffentlichen Leben ausgeschlossen waren (vgl. Giebel 1980: S. 47f). Versinnbildlicht wurden Liebe und sexuelles Verlangen im Antiken Griechenland durch Eros und Aphrodite. Diese konnten nach Ansicht der Antiken Griechen von einem Menschen Besitz ergreifen, ohne dass dieser sich wehren konnte. Vor diesem Hintergrund wurde vor allem männliche Homosexualität teilweise auch außerhalb des

„Ausbildungsrahmens“ toleriert. Abscheu, Angst oder religiöse Vorbehalte gegen Päderastie gab es nicht. Jedoch hegten viele politische Denker die Befürchtung, männliche Homosexualität könnte Soldaten „verweichlichen“(vgl. Fiedler 2004: S. 19).

Analog zur Vorbereitung eines Jungen auf eine Verbindung mit einem Mädchen durch einen älteren Mann gab es für Mädchen spezielle Kreise, in die sie eintraten und von Lehrerinnen in musischen Künsten (wie Poesie, Musik, Gesang und Tanz), feiner Sitte und häuslichen Arbeiten unterrichtet wurden, um so auf ihre Rolle als Gemahlin vorbereitet zu werden. Ob es bei diesem weiblichen Pendant auch um körperliche „Schulung“ ging, lässt sich nach heutigem Wissen nicht sicher sagen (vgl. Giebel 1980: S. 47).

Das heutige Wissen über diese Kreise stammt vor allem aus dem Wissen um die griechische Lyrikerin Sappho, die während der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts vor Christi lebte, selbst insgesamt neun Gedichtbücher schrieb und über die wiederum von anderen Dichtern (u.a. Platon und Homer) geschrieben wurde. Unklar bleibt, inwiefern sich ihre Gefühle und homoerotischen Texte, in denen sie mitunter stark emotionale Beziehungen zu Schülerinnen beschrieb, mit dem später von Platon kreierten Begriff des „pädagogischen Eros“ erklären lassen oder ob in diesem Fall homosexuelles Empfinden nach unserem heutigen Verständnis dahinter stand. Weibliche Homosexualität genoss nicht dieselbe positive Bedeutung wie männliche und verkörperte kein eigenständiges Lebensmodell für Frauen, sie war vielmehr in die patriarchale Gesellschaft integriert. Dem fügte sich, ob hetero- oder homosexuell, auch Sappho. Leider sind alle neun Bücher, später vernichtet worden. 1073 verbrannte die katholische Kirche alle neun Bücher Sapphos, in denen ihre (Liebes-)Gedichte gesammelt waren, so dass heute nur noch etwa ein Zwanzigstel ihres Werkes existiert - und das nur aufgrund eines archäologischen Fundes im Jahre 1897 (vgl. Giebel 1980: S. 12).

3.2.2 Mittelalter und beginnende Neuzeit

Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts hatte die Kirche mit verschiedenen Beschlüssen versucht, heidnischen Ritualen und „dämonischer Zauberei“ entgegenzutreten. Bereits damals kam es vereinzelt zu kirchengerichtlichen Anklagen wegen Hexerei. Der Hexenglaube griff, von fanatischen Priestern angetrieben, von den Alpenländern schnell auf Deutschland über. Trotz Widerstandes vieler regionaler Mächte kam es hier zunehmend zu Hexenprozessen.

Die Ketzer- und Hexenprozesse arbeiteten gegen vermeintlich vom Teufel inspirierte moralische Verfehlungen, oft mit dem Vorwurf der „Sodomie“ – ein Ausdruck, der sich vom wilden Leben der Einwohner Sodoms in der Bibel herleitete und der alle nicht der Zeugung dienenden (also verwerflichen) Sexualhandlungen einschloss. Zeitweilig war Sodomie gleichbedeutend mit Hexerei wie auch umgekehrt. Um der Ketzerverfolgung entgegenzutreten und um die Einflüsse der allgemeinen Gerichtsbarkeit auf Recht und Ordnung wieder herzustellen, verschärften die weltlichen Mächte ihrerseits die Sexualrechtssprechungen. Nach Artikel 116 der „Peinlichen Gerichtsordnung“ Kaiser Karls V. aus dem Jahre 1532, die bis Mitte des 18. Jahrhunderts als eine Grundlage der Rechtssprechung galt, wurden homosexuelle Handlungen von Männern und Frauen, heterosexueller Analverkehr und sexueller Umgang mit Tieren als „Verbrechen wider die Natur“ mit dem Feuertod sanktioniert. Auch Masturbation und sexuelle Handlungen mit Fetischen wurden hart, mit Landesverweis oder schwerer Kerkerhaft, bestraft. Immer den Untergang von Sodom und Gomorrha vor Augen, forderten nun auch Juristen mit Rücksichtnahme auf die Vorstellungen der Kirche eine Vernichtung der „Schuldigen“ in dem Glauben, sonst göttlichen Zorn in Form von Naturkatastrophen und Seuchen heraufzubeschwören. Neben dem Abschreckungseffekt wurde der Verbrennung der „Sodomiten“ noch im 18. Jahrhundert im gesamten „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ eine reinigende und sühnende Funktion zugesprochen. Nach Schätzungen forderte die Ketzer- und Hexenverfolgung fast eine Million Opfer. Die letzten bekannten Prozesse in Deutschland fanden 1749 statt (vgl. Fiedler 2004: S. 24f).

[...]

Ende der Leseprobe aus 105 Seiten

Details

Titel
Homosexuelle Jugendliche in der Institution Schule
Untertitel
Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
105
Katalognummer
V122668
ISBN (eBook)
9783640279227
ISBN (Buch)
9783640283057
Dateigröße
874 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Homosexualität, Lesben, lesbisch, Schwule, schwul, gay, bisexuell, Bisexuelle, Schule, Jugend, Jugendliche, Randgruppen, Randgruppe, homosexuell, sexuelle Orientierung, Sexualität, Identität, Pubertät, Adoleszenz
Arbeit zitieren
Xenia Bade (Autor:in), 2008, Homosexuelle Jugendliche in der Institution Schule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122668

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