Dekonstruktion der Kategorie "Geschlecht" in der Sozialarbeit


Hausarbeit, 2008

41 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2.Konstruktion der Kategorie „Geschlecht“
2.1 Geschlechtsspezifische Zuschreibungen
2.2 Entwicklung der eigenen Geschlechtsidentität
2.2.1 Erste Lebensjahre
2.2.2 Grundschulalter
2.2.3 Jugend
2.2.4 Beruf
2.2.5 Sexualität
2.3 Historische Entstehung der Zweigeschlechtlichkeit

3. Dekonstruktion der Kategorie „Geschlecht“
3.1 Dethematisierung von Geschlecht
3.2 Drei und mehr Geschlechter?
3.3 Stolpersteine des Zweigeschlechtersystems
3.3.1 Intersexualität
3.3.2 Transgenderismus
3.3.3 Transsexualität
3.3.4 Travestie/ Drag
3.3.5 Metrosexualität
3.3.6 Female Masculinities
3.3.7 Androgynität

4. Dekonstruktion in der Sozialarbeit – Ansätze von Konzepten und Methoden
4.1 Konzepte
4.1.1 Diversity im Kindergarten
4.1.2 Schulunterricht
4.1.3 Queere Sexualpädagogik
4.2 Methoden
4.2.1 Diskussionen über Geschlechterstereotypen
4.2.2 Schimpfwörter-ABC
4.2.3 Gesprächsrunde über Sexismus
4.2.4 Biographiekurve
4.2.5 Rollenspiel
4.2.6 Fragestunde

5. Schlusswort

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In unserer Gesellschaft existieren Frauen und Männer und beide Geschlechter werden deutlich voneinander unterschieden. Mit dieser Unterscheidbarkeit geht ihre spezifische Anordnung im Sozialsystem einher. Die Kategorie Geschlecht fungiert als Strukturierungs- und Ordnungssystem, das Männern und Frauen einen spezifischen Platz in der Gesellschaft zuweist und diese unter dem Geschlechteraspekt organisiert. Diese Zuweisungen und Organisationen beruhen auf Alltagstheorien und Grundannahmen der „natürlichen“ Zweigeschlechtlichkeit. Jeder wird geschlechtlich erfasst, niemand kann sich der strikt binären Klassifikation entziehen, dem rigorosen „Entweder-Oder“. Es gilt die Regel der Unvereinbarkeit und Unveränderbarkeit: Jeder muss jederzeit männlich oder weiblich sein (vgl.Gildemeister 1992: S. 160). Auskunft darüber, ob wir eine Frau oder einen Mann vor uns haben, können die leibliche Erscheinung, Gestalt und Bewegung, Gestik und Mienenspiel, Kleidung, Frisur, Schmuck, Stimme, Name, Beruf, Fähigkeiten, Eigenschaften oder sogar die Schrift geben (vgl. Gildemeister 1992: S. 162). Das Geschlecht eines Menschen ist

„offensichtlich“ und diese Offensichtlichkeit ist ein guter Grund, daran zu glauben, dass alle Menschen dem einen oder anderen Geschlecht angehören (vgl. Hirschauer 1999: S. 25). Die Geschlechter gelten als eine Art „soziale Superstruktur“(vgl. Gildemeister 1992: S. 160). Diese Konstruktion der Kategorie Geschlecht, also das vorherrschende Alltagsverständnis um Geschlechterstereotype, deren Verinnerlichung (Geschlechtssozialisation) und die historische Entstehung des Systems der Zweigeschlechtlichkeit, stelle ich in Punkt 2 näher dar.

Wer nicht Frau ist, ist Mann. Wer nicht Mann ist, ist Frau. Oder? Warum bestimmt das biologische Geschlecht automatisch über das soziale? Wer hat das eigentlich festgelegt? Und wen stört das? Könnte man daran etwas ändern -.wollte man das überhaupt? In Punkt 3 versuche ich, Zugang zu diesen und weiteren Fragen zu finden. Nachdem es in Punkt 2 um die Konstruktion von Geschlecht ging, geht es in Punkt 3 um Dekonstruktion dieser Kategorie. Hier nähere ich mich dem Thema an, erläutere die Frage, ob die Einführung eines „Drittes Geschlechts“ sinnvoll wäre und stelle Lebensformen dar, die konträr zum System der Zweigeschlechtlichkeit stehen.

In Punkt 4 beschreibe ich Möglichkeiten, wie ein solch abstraktes Unterfangen wie Dekonstruktion in der Sozialpädagogik aufgegriffen werden kann. Hierzu stelle ich exemplarisch Konzepte unterschiedlicher Handlungsfelder sowie einzelne Methoden vor.

Als ich erstmalig auf Judith Butler stieß, dachte ich, sie wäre Feministin und ich wählte sie zum Lesen aus, nur weil mir ihr Name gut gefiel. Das war mein Einstieg in dekonstruktive Diskussionen und das Meiste, was ich las, was ich seither sah und was mir erzählt wurde, gibt meinen eigenen Gefühlen und Standpunkten erstmalig ein Forum. Riki Wilchins, Geschäftsführerin der Organisation Gender Public Advocacy Coalition (GenderPAC), beschreibt in der Einleitung ihres Buches Gender Theory (2006) ihre Zielgruppe wie folgt: „Wenn du also jemals mit den Normen Maskulinität und Femininität gekämpft hast, wenn du dich jemals gefragt hast, warum von dir erwartet wird, dort hineinzupassen, wenn du dich nicht immer wie ein „echter Mann“ oder eine „echte Frau“ fühlst […], wenn du jemals gehänselt wurdest, weil du

„wie ein Mädchen wirfst“ oder „ein kleiner Wildfang“ bist […] – dann ist dieses Buch für dich. Dieses Buch ist aber auch für dich, wenn du dich jemals gefragt hast, ob es eine andere Form gibt, Mensch zu sein. Und falls du eine/r dieser seltenen LeserInnen bist, die sich niemals solche Fragen gestellt haben, keine Sorge. Nachdem du dieses Buch gelesen hast, wirst du es tun“ (Wilchins 2006: S. 14f).

Jedoch möchte ich mich in dieser Hausarbeit keiner Ideologie unterwerfen. Trotzdem ich von der Grundidee überzeugt bin, habe ich auch Kritik und bleibe widersprüch- lich. Hierauf komme ich in Punkt 5, meinem Schlusswort, zurück.

2. Konstruktion der Kategorie „Geschlecht“

Um in Punkt 3 von Dekonstruktion sprechen zu können, müssen wir zuerst die Konstruktion betrachten, also die alltagstheoretische Grundannahme, dass die Existenz von zwei und nur zwei Geschlechtern eine Naturtatsache ist.

Dabei gilt dies als nicht weiter erklärungsbedürftig, Zweigeschlechtlichkeit wird als scheinbar objektive Tatsache durch die Biologie anerkannt. Selbst dort, wo das „Geschlecht“ als das Ergebnis von sozialer Prägung betrachtet wird, wird der Geschlechtsunterschied auf Grundlage des biologischen Unterschieds getroffen. Dabei wird ein Geschlecht gerade häufig nicht an den primären oder sekundären Geschlechtsmerkmalen festgemacht, sondern an anderen Informationen wie Gang, Stimme, Mimik, Körperhaltung und Ausstrahlung. Insbesondere Kleidung und Schmuck haben hier ein großes Sozialisationspotential. So tragen immer noch nur Frauen zum Beispiel Röcke und oder Perlenschmuck. Frauen und Männer sind also Natur und Kultur. In der wechselseitigen Wirkung beider werden Frauen und Männer als solche erst „hergestellt“ oder „geschaffen“. „Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit sind Ergebnisse sozialer, kultureller Prozesse auf der Grundlage symbolvermittelter sozialer Interaktion und kultureller und institutioneller Ablagerung und Verfestigung.“ (Frank 1997: Kapitel 1).

Das heißt, dass auch die vermeintlichen Folgen und Zuschreibungen von Zweigeschlechtlichkeit Ergebnisse sozialer Konstruktionen sind. "Geschlecht" und gegensätzliche Zweigeschlechtlichkeit wird also erst im alltäglichen sozialen Leben und im Dialog mit anderen konstruiert (vgl. Frank 1997: Kapitel 1).

Wir sprechen hier also von einem kulturellen, sozialen Geschlecht und einem biologischen, körperlichen. Ende der 60er Jahre wurde in der US-feministischen Debatte eine theoretische Konzeption von „sex“ als biologischem Geschlecht und „gender“ als kulturellem Geschlecht entwickelt. Gender bezeichnet die soziale Geschlechtsrolle (gender role), die sozialen Geschlechtsmerkmale, also alles, was in einer Kultur als typisch für ein bestimmtes Geschlecht angesehen wird, wie zum Beispiel Verhalten, Kleidung und Beruf. Dieses System bildete die Gegenposition zu der Annahme, dass das kulturelle Geschlecht mit all seinen Zuschreibungen aus einer natürlichen biologischen und grundlegenden Unterscheidung zwischen Mann und Frau hervorgeht. 1975 wurde das Sex/Gender-System von Gayle Rubin als Organisationsprinzip der Gesellschaft analysiert (vgl. Wartenpfuhl 2000: S. 18).

Wie der Sozialisationsprozess die eigene geschlechtliche Selbstwahrnehmung beeinflusst, soll im Folgenden erläutert werden:

2.1 Geschlechtsspezifische Zuschreibungen

Die konventionellen Vorstellungen dessen, wie ein „richtiger Mann“ und wie eine „richtige Frau“ zu sein hat, sind uns immer noch vertraut. Auch wenn sie einem historischen Wandel unterworfen sind, halten sie sich hartnäckig. Hosen indizieren heute keine besondere Männlichkeit mehr. Röcke, Spitzenunterwäsche, Seidenstrümpfe und hohe Absätze aber nach wie vor Weiblichkeit (vgl. Kotthoff 2001: S. 4).

Die gegenwärtigen sozialen Rollen definieren Männlichkeit und Weiblichkeit als geschlechtsspezifische Gegensätze: Das konventionelle männliche Ich gilt häufig immer noch als zäh, stark, unabhängig, realistisch, rational, selbstsicher, oberflächlich, unnahbar, herrschend, bestimmend und gefühllos.

Das weibliche Ego dagegen gilt als weich, zärtlich, sanft, schwach, passiv, abhängig, intuitiv, empfindsam, emotional, redselig, fürsorglich und mütterlich (vgl. Frank 1997: Kapitel 1). „Der“ Mann lebt von seinem Tun, seiner Leistung. „Die“ Frau von ihrem Sein, ihrer Natur und nicht zuletzt ihrer Geschlechtsrolle. Traditionell wird Männern der öffentliche Bereich zugeschrieben sowie die Bereiche Markt, Konkurrenz, Macht, Arbeit, Politik und Anonymität.

„Die traditionelle Frau“ hingegen gehört nach diesem Ansatz in das Innere und Private einer Familie. Dabei wird ihre familiäre Rolle nicht als eigene ernst zunehmende Aktivität wertgeschätzt, sondern vor allem als aufopfernde, geduldig hinnehmende und natürliche Liebe gesehen. Sie ist für andere, für den Mann, für die Kinder da. Sie bestimmt als liebende Mutter die Familienatmosphäre und kompensiert die Anstrengungen des Mannes in der „äußeren“ Welt.

Nach traditionellen Maßstäben, die von Männern gesetzt wurden und werden (vgl. Mühlen Achs 1993: S. 33), ist es umso wünschenswerter, je maskuliner der Mann und je femininer die Frau ist. Eine Angepasstheit an diese Normen gilt unter dieser Wertvorstellung als Zeichen für Gesundheit und Einfügung, während zu große Abweichungen als Ausdruck von „Nicht-Normal-Sein“ oder gar als pathologisch betrachtet werden (vgl. Johnson/ Masters 1990: S. 211f). Zum Beispiel Männern, die sich weigern, mit anderen zu konkurrieren, und sich für größere emotionale Offenheit entscheiden, wird zudem oft auch eine homosexuelle Orientierung zugeschrieben. Genau wie einigen Frauen, die dominant auftreten und beruflich erfolgreich sind, gerade wenn dieser Beruf als für Frauen untypisch gilt. In der Tat ist für einige Lesben und Schwule Homosexualität nicht nur eine sexuelle Option, sondern eine klare Entscheidung, ein Leben nach einem weniger starken Reglement der Geschlechterrollen zu führen. Die Angst gerade von vielen Jungen und jungen Männern, als „schwul“ bezeichnet zu werden, reicht aus, um zu gewährleisten, dass sie feminine Züge, zumindest in der Öffentlichkeit, fest im Griff haben (vgl. Frank 1997: Kapitel 1).

Die traditionelle wissenschaftliche Forschung betrachtete Männlichkeit und Weiblichkeit als Gegensätze und nahm an, dass ein Mann, der über ein hohes Maß an der seinem Geschlecht zugeordneten Eigenschaften verfügt, umso weniger feminine Merkmale aufweisen müsste. Heute sehen Wissenschaftler in Weiblichkeit und Männlichkeit keine Antithesen mehr, sondern vielmehr als voneinander unabhängige Wesensmerkmale, die graduell verschieden in jedem Menschen vorhanden sind (vgl. Johnson/ Masters 1990: S. 211f).

2.2 Entwicklung der eigenen Geschlechtsidentität

Sozialisation meint den lebenslangen Prozess der stetigen Anpassung eines Individuums an die Normen und typischen Verhaltensweisen einer bestimmten Gesellschaft oder Gesellschaftsschicht, den Prozess der Entstehung und Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit. Ziel der Sozialisation ist der Ersatz äußerer Anweisungen durch innere Kontrollen und so die Herausbildung einer sozial handlungsfähigen Persönlichkeit. Als Sozialisationsinstanzen werden alle gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen wie Familie, peer-groups, Schule, Beruf und Massenmedien bezeichnet, die Sozialisationsprozesse in Gang setzen und beeinflussen und damit bestimmte Normen, Wertvorstellungen und Verhaltensweisen vermitteln (vgl. Schüler Duden Psychologie 1996: Sozialisation, S. 380f).

Für die geschlechtsspezifische Sozialisation bedeutet dies, dass sich Mädchen und Jungen, Frauen und Männer in den einzelnen Entwicklungsstadien ihrer Ontogenese aktiv gesellschaftliche Produkte aneignen und so bevorzugt die ihrem Geschlecht zugesprochenen Fähigkeiten und Eigenschaften entwickeln (vgl. Scheu 1977: S. 116ff). Simone de Beauvoir hat nicht nur mit ihrem Ausspruch ,,Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es" (de Beauvoir 1986: S. 265) einen Denkanstoß für die frauenfeindliche Sozialisation im Patriarchat gegeben .

Die Frage, ob die Sozialisation oder die Biologie mehr zur Frau- bzw. Mann-Werdung beiträgt, ist nicht zu beantworten, da sich Biologie und Soziologie gegenseitig beeinflussen und miteinander verschmelzen (vgl. Krüll 1989: S. 19). Da weder Gene noch Hormone ihre Wirkung unabhängig von Umwelteinflüssen entfalten, ist die Frage, welcher Bestandteil des Verhaltens biologisch bedingt ist, nach dem momentanen Stand der Wissenschaft nicht beantwortbar. Hilge Landweer und Mechthild Rumpf behaupten dazu: ,,Alles ist Kultur - inklusive der Biologie." (Landweer/ Rumpf 1993: S. 19).

Von diesem Ansatz ausgehend zeige ich im Folgenden auf, wie Menschen von klein auf ihre geschlechtliche Rolle lernen.

2.2.1 Erste Lebensjahre

Bereits vor der Geburt gibt es viele Spekulationen und Mutmaßungen, ob es nun ein Mädchen oder ein Junge wird. Und diese fallen oftmals zugunsten männlicher Nachkommen aus. In der Vorstellung, das ungeborene Kind würde ein Mädchen oder ein Junge, haben Menschen eine ungefähre Vorstellung davon, wie das Leben des Kindes verlaufen wird. Ein Junge würde das aufregendere Leben führen, ein sportlicher und unabhängiger Erfolgstyp sein. Ein Mädchen sollte schön, warmherzig und vielleicht künstlerisch sein als Voraussetzung für eine gute Heirat (vgl. Johnson/ Masters 1990: S. 211f).

„Es ist ein Mädchen!“ bzw. „Es ist ein Junge!“ ist der Satz der Hebamme (bzw. des Entbindungspflegers), mit dem die lange Reise der geschlechtsspezifischen Sozialisation beginnt (vgl. Scheu 1977: S. 116ff). Diesem einen Satz schließt sich eine ganze Kette zwanghafter Folgeereignisse an. Er entscheidet, ob das Kind ein rosafarbenes oder hellblaues Identifikationsband bekommt, welchen Namen man ihm gibt, welche Kleidung man ihm aussucht, wie das Kinderzimmer eingerichtet und gestaltet wird und so weiter (vgl. Johnson/ Masters 1990: S. 212).

Geschlechtsspezifische Erwartungen an Kinder führen dazu, dass Erwachsene ihnen mit unterschiedlichen Anforderungen und Behandlungen begegnen, die Kinder geschlechtsspezifisch unterschiedliche Erfahrungen machen lassen. Auch Eltern, die bewusst versuchen oder davon ausgehen, keine unterschiedlichen Erziehungsideale zu haben, entgehen diesem Phänomen nicht (vgl. Scheu 1977: S. 122ff).

Im Rahmen verschiedener Studien beschrieben Eltern von Neugeborenen ihre Töchter als weicher, kleiner, mit feineren Gesichtszügen und weniger aktiv als ihre Söhne, obgleich Ärzte keinerlei objektive Unterschiede im Aussehen oder dem Aktivitätsgrad feststellen konnten.

In den ersten Lebensjahren erfahren männliche Kinder mehr Körperkontakt von der Mutter als weibliche Kinder, mit denen aber mehr gesprochen wird und die öfter und länger betrachtet werden. Schon hier werden unbewusst Jungen in ihrer körperlichen, Mädchen hingegen in ihrer verbalen Aktivität bestärkt.

Eltern reagieren schneller auf das Schreien eines kleinen Mädchens und lassen Jungen mehr Raum bei ihren Erkundungsstreifzügen, lassen es zum Beispiel zu, dass er sich weiter entfernt und dass er längere Zeit allein ist. So lernt ein Junge, unabhängig und mutig zu sein, ein Mädchen allerdings Abhängigkeit und Passivität. Im dritten und vierten Lebensjahr entwickeln Kinder ein Bewusstsein für Geschlechtsrollen. Sie fangen an, Gegenstände und Verhaltensweisen „Mädchen“ oder „Jungen“ zuzuschreiben. Mit ungefähr drei Jahren scheinen Kinder dann ihre eigene Geschlechtsidentität im Kern zu festigen: Sie „wissen“ nun, dass sie ein Mädchen oder aber ein Junge sind.

Die „Hauptaufgabe“ eines kleinen Kindes ist das Spiel. Und immer noch zeigen sich beim Spielzeug von Mädchen und Jungen deutliche Unterschiede. Werbung, die Jungen erreichen soll, zeigt unter anderem Fahrzeuge in sämtlichen Variationen und Spielzeuge rund um das Thema „Kämpfen“ – von Waffen bis zu Action-Figuren. Werbung, die Mädchen erreichen soll, greift oft Rollenspiele auf und vermarktet dazugehörige Utensilien, die immer noch oftmals einer „heimorientierten“ Thematik angehören, wie Küchen-Geräte, immer realistischere Säuglingspuppen und kleine Haushalte wie von Playmobil, Polly Pocket oder Barbie. Immer öfter kommt ein Spielzeug in zwei Fassungen auf den Markt. Zum Beispiel wird ein Fahrrad für Jungen als „wild“ und „schnell“ beschrieben, während das Mädchen-Modell (gerne in rosa oder pink) niedliche Accessoires aufweist und als besonders „sicher“ angepriesen wird (vgl. Johnson/ Masters 1990: S. 212ff).

Das Fernsehen spielt auch unabhängig von den Werbeblöcken eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der geschlechtsspezifischen Sozialisation. Helden sind zum Beispiel überwiegend männlich. Während gutes Aussehen bei diesen nicht weiter wichtig ist, erstrahlen die wenigen weiblichen Heldinnen in strahlender Schönheit (She-Ra, Tomb Raider,…). Auch in der relativ „neuen“ Tendenz, Mädchen im Fernsehen auch als kleine Wildfänge darzustellen, wird nicht vergessen, sie dennoch als im Grunde „innerlich zerbrechlich“ darzustellen und oftmals noch eine Liebesgeschichte am Ende einzubauen. Das Wildfang-Stadium wird bei Mädchen als eine Übergangsstufe zur „alten“ Rollenverteilung gesehen (vgl. Johnson/ Masters 1990: S. 216).

2.2.2 Grundschulalter

Im Gegensatz zum Vorschulalter stehen Kinder im Schulalter unter einer gewissen Beobachtung ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler. Diese nehmen wahr, was und wie ein Kind spielt. Hat dieses Kind nun eine Vorliebe für Spiele, die dem anderen Geschlecht zugeordnet sind, fällt dies auf und es gilt als „sonderbar“ und wird Zielscheibe grober Hänseleien. Die Motivation, so sein zu wollen wie „alle anderen“ um Freunde und Anerkennung zu finden, ist aber meist so stark, dass sich das Kind Mühe geben wird, sich von seinem Muster unabhängig zu machen und den Anforderungen zu genügen.

In der Schule werden immer noch überraschend viele sexuelle Rollenklischees erfüllt. Im Unterricht zeigt sich ein von Männern beherrschtes Weltbild durch fast ausschließlich männliche Schriftsteller, Forscher, Künstler und wichtige Personen der Geschichte.

In diesem Alter sind Kinder besonders aufmerksam und wissbegierig. Aus der Werbung lernen sie, dass Frauen wichtige Entscheidungen zu treffen haben, wie zum Beispiel, mit welchem Mittel die Geschirrspülmaschine nicht verkalkt (und wie sie so um ihren Nachbarn werben können), welche Süßigkeit für ihre Kinder die Beste ist und mit welcher Wurst sie der Gesundheit ihres Mannes etwas Gutes tun. Männer sind zum Beispiel die Zielgruppe von Bier-Werbungen, obwohl Bier längst kein typisches „Männer-Getränk“ mehr ist. Männer treten in der Werbung noch vorrangig in Verbindung mit Autos auf, in führenden Positionen oder besonders imposanten Berufen wie dem das Rechtsanwaltes, des Arztes, des Sportlers oder des Detektivs (vgl. Johnson/ Masters 1990: S. 216ff).

2.2.3 Jugend

Eine geschlechtsangemessene Rolle zu spielen, wird in der Adoleszenz nahezu existentiell, so wird es zumindest erlebt. Das künftige Leben scheint davon abzuhängen.

Für männliche Jugendliche gilt es, drei Faktoren so nah zu kommen, wie nur möglich: Sie sollen gute Sportler sein, Interesse an Mädchen und Sex zeigen und ja keine Anzeichen von „weibischem“ Verhalten vorweisen. Der Erfolg bei der Erfüllung dieser Anforderungen entscheidet maßgebend über den Beliebtheitsgrad des Jugendlichen. Die Unterdrückung femininer Züge von männlichen Heranwachsenden rührt von der Überzeugung her, Männlichkeit und Weiblichkeit seien zwei fundamentale Gegensätze. Zeigt ein männlicher Teenager feminine Züge oder Interessen, gerät er schnell in den Verdacht, eventuell homosexuell zu sein.

Diese Angst hatten auch manche Eltern, als die ersten Hauswirtschaftskurse auch für Jungen geöffnet wurden. Sie hatten Bedenken, dass ihre Söhne ihrer Männlichkeit beraubt würden und dies zu abnormen Sexualverhalten führen könnte. Heute sind gemischtgeschlechtliche Hauswirtschaftskurse ganz normal und männliche Star- Köche in aller Munde, ohne dass jemand einen psychischen Schaden davongetragen hat (vgl. Johnson/ Masters 1990: S. 218f).

[...]

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Dekonstruktion der Kategorie "Geschlecht" in der Sozialarbeit
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
41
Katalognummer
V122670
ISBN (eBook)
9783640269709
ISBN (Buch)
9783640268436
Dateigröße
523 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dekonstruktion, Butler, Judith Butler, Gender, Geschlecht, Geschlechter, Sozialisation, Androgynität, androgyn, Kategorien, Konstrukte
Arbeit zitieren
Xenia Bade (Autor:in), 2008, Dekonstruktion der Kategorie "Geschlecht" in der Sozialarbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122670

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