Wer ist Charles Irènèe Castel de Saint-Pierre? Viele seiner Zeitgenossen hielten ihn für einen Träumer und
Phantasten, dementsprechend heftig fiel der Spott aus, mit dem so manches seiner Werke bedacht wurde.
Der Abbè Saint-Pierre, der sich den geistlichen Titel gab, ohne jemals ein kirchliches Amt bekleidet zu haben,
widmete sein Leben vor allem der Entwicklung und Verbreitung seiner 1713 unter dem Titel „Projet
pour rendre la paix perpétuelle en Europe“ veröffentlichten Friedensidee. Das Werk, dessen dritter Band
1716 erschien, war vom stilistischen Standpunkt aus betrachtet zu weitschweifig in der Darstellung, in einer
trockenen, nach der Art des Mathematikers verfahrenden Beweisführung verfasst und durch häufige, zum
Teil auf jeden Wechsel im Ausdruck verzichtende Wiederholungen verlängert. Zumeist wird Saint-Pierre als
bloßer Vorläufer oder Ideengeber angesehen, z.B. für Rousseau und Kant, zwei Denker des 18. Jahrhunderts,
die seine Ideen zu einer internationalen Rechts- und Friedensordnung aufgegriffen und in je eigener Weise
umgebildet und fortgeführt haben, und somit in seiner Eigenständigkeit unterschätzt. Die große Zahl an politischen,
gesellschaftlichen und moralischen Reformvorstellungen, die Saint-Pierre außer der 1718 erschienenen
„Polysynodie“ darüber hinaus veröffentlicht hat, ist den Zeitgenossen und Nachfahren meistens nur noch
aufgrund ihrer Anzahl selbst und des daran ablesbaren reformerischen Eifers erwähnenswert und trug ihm
bereits zu Lebzeiten das Bild eines Projektemachers ein, unermüdlich damit beschäftigt, für alle gesellschaftlichen
Bereiche und Probleme Reformvorschläge zu entwickeln und sie der Öffentlichkeit wie auch den politisch
Verantwortlichen zu unterbreiten. Dies führte im weiteren geschichtlichen Verlauf dazu, dass Saint-Pierre
und seine Werke in Vergessenheit gerieten. Ein Schicksal, welches zumindest im Hinblick auf den inhaltlichen
Wert seiner Schriften ein unverdientes ist. Er inspirierte Denker wie Bentham1 und Kant2, die an
ihn anknüpfend dieselben Ziele verfolgten – und sie waren nicht die einzigen, die sich in einem Werk dieser
Frage widmeten. In der vorliegenden Arbeit soll nun versucht werden, das durchaus ereignisreiche Leben
Saint-Pierres nachzuvollziehen und in Bezug zu seinen veröffentlichten Werken zu setzen.
[...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I. Zeitalter der Frühaufklärung
- II. Leben in der Normandie und die frühen Pariser Jahre
- III. Der Untergang Ludwig XIV.
- IV. Régence
- V. Saint-Pierres spätere Jahre
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit verfolgt das Ziel, das Leben und Werk von Charles Irénée Castel de Saint-Pierre zu beleuchten und seine Bedeutung im Kontext der Frühaufklärung zu untersuchen. Es wird der Versuch unternommen, Saint-Pierre nicht nur als bloßen Vorläufer anderer Denker zu betrachten, sondern seine eigenständigen Beiträge zur Entwicklung einer internationalen Friedensordnung und seine vielseitigen Reformvorschläge zu würdigen.
- Saint-Pierres Leben und seine persönlichen Einflüsse
- Seine Friedensvorstellungen und deren Rezeption
- Die Vielseitigkeit seiner Reformvorschläge
- Saint-Pierres Rolle in der Frühaufklärung
- Die Bewertung seines Werks in der historischen Forschung
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt Charles Irénée Castel de Saint-Pierre und sein Hauptwerk „Projet pour rendre la paix perpétuelle en Europe“ vor. Kapitel I beleuchtet das Zeitalter der Frühaufklärung und Saint-Pierres Position innerhalb dieser Epoche, seine wissenschaftliche Methodik und seinen Fokus auf praktische Anwendung. Kapitel II beschreibt seine frühen Jahre in der Normandie und seine Ausbildung, skizziert den familiären Kontext und seine Bildung im Jesuitenkolleg.
Schlüsselwörter
Charles Irénée Castel de Saint-Pierre, Frühaufklärung, Internationaler Frieden, Friedensordnung, politische Reform, Reformvorschläge, Projet pour rendre la paix perpétuelle en Europe, Polysynodie, Aufklärungsphilosophie, geometrische Argumentationsweise.
- Arbeit zitieren
- Anke Datemasch (Autor:in), 2009, Leben und Werk des Charles Irènèe Castell de Saint-Pierre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/122856