Der Kampf um Aufmerksamkeit. Das Echo von Greenpeace-Pressemitteilungen in Deutschschweizer Zeitungen


Lizentiatsarbeit, 2005

141 Seiten, Note: 6 (CH)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG
1.1. Theoretischer Hintergrund und Forschungsinteresse
1.2. Fragestellungen
1.3. Methodisches Vorgehen
1.4. Ziele

2. THEORIE UND STAND DER FORSCHUNG
2.1. INTERMEDIARES SYSTEM DER POLITIKVERMITTLUNG
2.1.1. Die Phasen im politischen Prozess
2.2. OFFENTLICHKEIT
2.2.1. Offentlichkeit als Legitimationsinstanz und Artikulationsmedium
2.2.2. Funktionale Differenzierung
2.2.3. Offentlichkeit als Marktplatz fur Aufmerksamkeit
2.2.4. Funktionen der Offentlichkeit fur das politische System
2.2.5. Strukturen und Merkmale der Offentlichkeit - Offentlichkeitsebenen
2.3. SYSTEM DER MASSENMEDIEN
2.3.1. Funktionen und Leistungen des Systems derMassenmedien
2.3.2. Veroffentlichung als autopoietischer Prozess?
2.3.3. Publizitat als thematisch geformte Aufmerksamkeit
2.4. DER AKTEUR GREENPEACE
2.4.1. Rechtliche Situation und Selbstdarstellung von Greenpeace
2.4.2. Greenpeace als kollektiver Akteur der Interessenartikulation
2.4.3. Mobilisierung von Offentlichkeit als zentrale Ressource
2.4.4. Kampagnen und Aktionen als Mittel zur Erzeugung von Aufmerksamkeit
2.4.5. Vermittlung von Inhalten als Teilziel der Pressearbeit von Greenpeace
2.5. ZONE DER INTERPENETRATION UND DER INPUT-OUTPUT-PROZESS
2.5.1. Zone der Interpenetration
2.5.2. Der Input-Output Prozess als Prozess der Veroffentlichung
2.6. ENTSCHEIDUNGSPROGRAMME UND NACHRICHTENWERTE
2.6.1. Entscheidungsprogramme
2.6.2. Nachrichtenwertforschung
2.6.3. Nachrichtenwerte fur diese Studie
2.7. VERWENDETE NACHRICHTENDIMENSIONEN UND -WERTFAKTOREN
2.7.1. Probleme
2.7.2. Schadensdimensionen
2.7.3. Vorwurfe und beschuldigte Akteure
2.7.4. Forderungen und Adressaten
2.7.5. Ereignisse
2.7.6. Gegendarstellungen
2.8. VERGLEICHBARE INPUT-OUTPUT-STUDIEN
2.8.1. Input-Output-Studien zu diversen Themen und Akteuren
2.8.2. Input-Output-Studien zu Greenpeace

3. METHODE
3.1. METHODIK DER STUDIE
3.1.1. Die Input-Output-Analyse
3.1.2. Vorgehen fur diese Studie
3.2. FRAGESTELLUNGEN UND HYPOTHESEN
3.2.1. Beschreibung der Grundgesamtheit
3.2.2. Fragestellungen und Hypothesen zur Grundgesamtheit
3.2.3. Fragestellungen und Hypothesen zur Stichprobe
3.3. FORSCHUNGSDESIGN UND STICHPROBE
3.3.1. Forschungsschritt I: Analyse der Grundgesamtheit
3.3.2. Forschungsschritt II: Ziehung der Stichprobe
3.4. MESSDIMENSIONEN UND OPERATIONALISIERUNG
3.4.1. Messdimensionen und Operationalisierung fur die Grundgesamtheit
3.4.2. Messdimensionen und Operationalisierung fur die Stichprobe

4. RESULTATE FUR DIE GRUNDGESAMTHEIT
4.1. UBERBLICK UBER DIE GRUNDGESAMTHEIT
4.1.1. Zeitlicher Uberblick
4.1.2. Bezuge der Berichterstattung uber Greenpeace
4.1.3. Themenanteile bei Input und Output
4.1.4. Selektionsquotienten und Themenverteilung der Publikationen
4.2. RESONANZANALYSE
4.2.1. Resonanz der einzelnen Pressemitteilungen
4.2.2. Einfluss von Aktionen auf die Resonanz
4.2.3. Einfluss von Themen auf die Resonanz
4.3. ZUSAMMENFASSUNG DER RESULTATE FUR DIE GRUNDGESAMTHEIT

5. RESULTATE FUR DIE STICHPROBE
5.1. ALLGEMEINE EIGENSCHAFTEN DES OUTPUTS
5.2. EINFLUSS DER NACHRICHTENDIMENSIONEN UND -WERTE AUF DIE
RESONANZ
5.2.1. Ereignistyp
5.2.2. Konfliktdimension
5.2.3. Problemdimension
5.2.4. Schadensdimension
5.2.5 Vorwurfe
5.2.6. Beschuldigte Akteure
5.2.7. Forderungen
5.2.8. Adressierte Akteure
5.2.9. Zusammenfassung: Einflusse auf die Resonanz
5.3. AUFHANGER UND ANTEIL DER NACHRICHTENDIMENSIONEN
5.3.1. Aufhanger
5.3.2. Anteil der Nachrichtendimensionen
5.4. ERWAHNUNG DER NACHRICHTENDIMENSIONEN IM OUTPUT
5.4.1. Erwahnung des Hauptproblems
5.4.2. Erwahnung der Vorwurfe und beschuldigten Akteure
5.4.3. Erwahnung der Forderungen und Adressaten
5.4.4. Zusammenfassung: Anteile und Erwahnung der Nachrichtendimensionen

6. FAZIT
6.1. Zusammenfassung und Diskussion der Resultate
6.2. Schlusswort

7. LITERATUR

ANHANG A: interview mit dem leiter der medienabteilung von Greenpeace schweiz

ANHANG B: ERGANZENDE TABELLEN UND GRAFIKEN

ANHANG C: CODEBUCH FUR DIE INPUT-OUTPUT-ANALYSE

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Modell des intermediaren Systems (Quelle: Rucht 1991: 10)

Abbildung 2: Intermediares System der Politikvermittlung (mediatisiertes Modell, Quelle: Jarren/Donges 2002:143)

Abbildung 3: Phasen der Politikvermittlung (Quelle: Jarren/Donges/Wessler 1996: 13)

Abbildung 4: Zone der Interpenetration (eigene Darstellung)

Abbildung 5: Nachrichtenwerte verschiedener Studien im Vergleich (Quelle: Ritler 2004: 47, vgl. auch Eilders 19.7. 38/39)

Abbildung 6: Zeitliche Verteilung der Anzahl Pressemitteilungen (n=387, rechte Skala) und Zeitungsartikel mit und ohne Bezug zu Pressemitteilungen (n=6151 respektive n=2579, linke Skala)

Abbildung 7: Bezug der Berichterstattung (n=6151 Artikel), siehe auch Tabelle 6 im Anhang B

Abbildung 8: Verteilung der Themen beim Input (n=387) oben und Output mit Input-Bezug (n=2579) unten

Abbildung 9: Verteilung der Themen beim Input 1999-2004 (n=387)

Abbildung 10: Verteilung der Themen beim Output 1999-2004 (n=2579)

Abbildung 11: Anzahl Artikel mit Input-Bezug und Selektionsquotienten der uberregionalen Tageszeitungen..63 Abbildung 12: Anzahl Artikel mit Input-Bezug und Selektionsquotienten der regionalen Tageszeitungen und Regionalausgaben von uberregionalen Zeitungen

Abbildung 13: Durchschnittliche Resonanz der Pressmitteilungen nach Aktionen und Themen (n=387)

Abbildung 14: Gewichte der Nachrichtendimensionen bei Input und Output (n1=30 Pressemitteilungen gewichtet, n2=100 Artikel, Skala von 0 bis 4)

Abbildung 15: Erwahnungsgrad der einzelnen Nachrichtendimensionen

Abbildung 16: Gesellschaftsbereich des Adressaten und Erwahnungsgrad der Forderung (n=100 Artikel)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Angestrebte Schichtung der Stichprobe

Tabelle 2: Tatsachliche Schichtung der Stichprobe

Tabelle 3: Vorhandensein einer Aktion und quantitative Resonanz (n verschieden, s. Tabelle)

Tabelle 4: Resonanz verschiedener Themen (n=387 Pressemitteilungen)

Tabelle 5: Resonanz nach Themen und Aktionen (n=364 Pressemitteilungen)

Tabelle 6: Resonanz der verschiedenen Ereignistypen (n=30 Pressemitteilungen)

Tabelle 7: Aktionstyp und Bilder (n=75 Artikel mit Aktionsbezug)

Tabelle 8: Resonanz der verschiedenen Konflikttypen (n=30 Pressemitteilungen)

Tabelle 9: Reichweite des Hauptproblems und Resonanz (n=28 Pressemitteilungen)

Tabelle 10: Schadenstyp und Resonanz (n=30 Pressemitteilungen)

Tabelle 11: Reichweite der Schadensdimension und Resonanz (n=23 Pressemitteilungen)

Tabelle 12: Grad der Anprangerung und Resonanz (n=26 Pressemitteilungen)

Tabelle 13: Funktion/Rolle der beschuldigten Akteure und Resonanz (n= 26 Pressemitteilungen)

Tabelle 14: Einflussbereich der beschuldigten Akteure und Resonanz (n=26 Pressemitteilungen)

Tabelle 15: Typ der Hauptforderung und Resonanz (n=23 Pressmitteilungen)

Tabelle 16: Gesellschaftsbereich der adressierten Akteure und Resonanz (n=17 Pressemitteilungen)

Tabelle 17: Funktion/Rolle der adressierten Akteure und Resonanz (n=14 Pressemitteilungen)

Tabelle 18: Unterschiedliche Aufhanger bei Input und Output (n=100 Artikel)

Tabelle 19: Mittelwerte fur den Grad der Erwahnung einzelner Nachrichtendimensionen (n=100 Artikel)

Tabelle 20: Aktionstyp und Erwahnungsgrad des Hauptproblems (n = 98 Artikel)

Tabelle 21: Raumliche Reichweite und Erwahnungsgrad des Hauptproblems (n=98 Artikel)

Tabelle 22: Funktion/Rolle der Akteure und Erwahnungsgrad der Vorwurfe (n=91 Artikel)

Tabelle 23: Einflussbereich der beschuldigten Akteure und Erwahnungsgrads der Vorwurfe (n=91 Artikel)

Tabelle 24: Funktion/Rolle der Adressaten und Erwahnungsgrad der Forderung (n=52 Artikel)

1. Einleitung

1.1. Theoretischer Hintergrund und Forschungsinteresse

Periphere politische Akteure wie Greenpeace, die nicht fur die Besetzung von politischen Amtern durch (Volks-)Wahlen kandidieren und somit nicht zum Zentrum des politischen Systems gehoren, sind zur Durchsetzung ihrer Interessen auf die Mobilisierung von Offentlichkeit angewiesen (vgl. unter anderen Schmitt-Beck 1990: 657, Gerhards 1992, Rucht 1994, Jarren/Donges 2002: 146). In modernen Gesellschaften wird Offentlichkeit vermehrt von Massenmedien hergestellt und reproduziert (vgl. unter anderen Jarren 1988, Gerhards/Neidhardt 1993 [zuerst 1990], Habermas 1992, Marcinkowski 1993, Luhmann 1996, Jarren/Sarcinelli/Saxer 1998). Daher interessiert in dieser Arbeit die Frage, inwiefern ein Akteur wie Greenpeace in der Lage ist, Aufmerksamkeit fur sich und seine Anliegen in den Massenmedien zu erzeugen.

Die theoretischen Grundlagen fur die Arbeit bilden Gedanken zur Politikvermittlung in modernen demokratischen Gesellschaften im Allgemeinen (Kapitel 2.1) sowie zur Rolle von Offentlichkeit im Besonderen (Kapitel 2.2).

Im Zuge der funktionalen Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften hat sich ein System der Massenmedien entwickelt, welches zunehmend fur die Beobachtung der einzelnen Teilsysteme und die Herstellung von gesamtgesellschaftlich wahrnehmbarer Offentlichkeit verantwortlich ist. Offentlichkeit im Sinne von Publizitat beinhaltet immer eine gewisse Form von (nach Themen strukturierter) Aufmerksamkeit (vgl. Marcinkowski 1993: 49). Fur die Verteilung von offentlicher Aufmerksamkeit in einer modernen Gesellschaft ist in einem grossen Masse das System der Massenmedien (im Folgenden auch kurz ,das Mediensystem’ genannt) zustandig (Kapitel 2.3).

Das Mediensystem muss, damit es seine Funktion erfullen kann, prinzipiell offen sein fur die Anliegen unterschiedlicher gesellschaftlicher Teilsysteme und Akteure. Gleichzeitig muss es aber selektiv sein, in dem Sinne, dass es aus der unendlich grossen Menge an Information, die potentiell vorhanden ist, diejenige auswahlt, die es fur gesellschaftlich relevant halt. In der Folge entwickeln sich auf der Ebene des Systems der Massenmedien Sekundarcodes1, wie zum Beispiel die Nachrichtenwerte, welche die jeweiligen Entscheidungen im System zur Veroffentlichung beziehungsweise Nicht-Veroffentlichung (und zur Art und Weise der Veroffentlichung) pragen Auf der Ebene der Organisationen manifestieren sich diese Codes in so genannten Entscheidungsprogrammen (Kapitel 2.6).

Offentliche Aufmerksamkeit ist eine zentrale Ressource fur politische Akteure wie Greenpeace. Greenpeace verfolgt gezielt Strategien wie zum Beispiel das Inszenieren von Ereignissen (mehr oder weniger spektakulare Aktionen, Pressekonferenzen), um die Aufmerksamkeit der Medien und in der Folge der Offentlichkeit auf sich zu ziehen. Die Aufmerksamkeit fur die Organisation Greenpeace alleine garantiert jedoch noch keine Aufmerksamkeit fur ihre Anliegen. Damit befindet sich Greenpeace auf einer Gratwanderung zwischen der reinen Erzeugung von Aufmerksamkeit und der Vermittlung von Inhalten (Kapitel 2.4).

1.2. Fragestellungen

Fur die Publizistikwissenschaft und fur diese Arbeit stellen sich die folgenden Fragen: Lasst sich das System der Massenmedien vom Akteur Greenpeace in dem Sinne irritieren, dass es seine Anliegen aufgreift und veroffentlicht? Inwiefern ist das System der Massenmedien offen, inwiefern verhalt es sich selektiv? Lassen sich an der Art und Weise der Veroffentlichung Entscheidungsprogramme (konkret die Berucksichtigung von Nachrichtenwerten) feststellen? Gelingt es umgekehrt Greenpeace, Aufmerksamkeit fur sich und fur seine Anliegen zu erzeugen? Erweist sich eine Anpassung an das System der Massenmedien (im Sinne einer Adaption an erwartete Entscheidungspramissen) als begunstigend fur eine Veroffentlichung? Welche Rolle spielen insbesondere von Greenpeace inszenierte Ereignisse? Gibt es themenspezifische, ereignisabhangige oder sonstige charakteristische Eigenschaften, welche die mediale Aufmerksamkeit beeinflussen? Wie steht es insbesondere mit der Aufmerksamkeit fur spektakulare Aktionen und konkrete Anliegen? Wie werden einzelne Anliegen in den Medien erwahnt und wie verandern sich deren Gewichte in der Berichterstattung?

1.3. Methodisches Vorgehen

Um Selektionsentscheidungen im System der Massenmedien beobachten zu konnen, braucht es eine Auswahl von Ereignissen und Fakten, welche den Medien konkret zur Verfugung steht (Input), und eine Auswertung dessen, was tatsachlich publiziert wird (Output). Die so genannte Input-Output-Analyse bietet sich an, weil man hier nicht nur ehen kann, was veroffentlicht wurde, sondern auch, was eben nicht veroffentlicht wurde (vgl. Eilders 1997: 52). Zusatzlich lassen sich mit dieser Methode die Auswahl von Nachrichten und Nachrichtenteilen durch das Mediensystem und die Veranderungen beobachten, die zwischen dem Input und Output entstehen.

Konkret geht es in dieser Arbeit um Pressemitteilungen von Greenpeace Schweiz (Input) und alle Artikel in Deutschschweizer Zeitungen (Output), welche Greenpeace erwahnen. Die Grundgesamtheit fur den Input bilden samtliche an Deutschschweizer Zeitungsredaktionen (und Nachrichtenagenturen) versandte Pressemitteilungen (387 an der Zahl) von Greenpeace Schweiz im Zeitraum zwischen den Jahren 1999 und 20042. Die Grundgesamtheit fur den Output besteht aus allen Artikeln (6151 an der Zahl) in 75 lokalen, regionalen und uberregionalen Zeitungen in der Deutschschweiz im selben Zeitraum3.

In einem ersten Schritt werden, neben formalen Merkmalen des Outputs (Quellen, Artikelgrossen, Bilder), insbesondere die Bezuge zwischen Input und Output ausgewertet, also konkret die Resonanz4 einzelner Mitteilungen und Themen, der Anteil des Outputs, der tatsachlich auf Greenpeace-Pressemitteilungen beruht sowie die Einflusse von Themen und Ereignistypen auf die Resonanz. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Pressemitteilungen haufig von inszenierten Aktionen begleitet werden. Diese werden als Bestandteil des Inputs aufgefasst, ihre Messung stutzt sich auf die jeweilige Beschreibung in der Pressemitteilung.

Im zweiten Teil der empirischen Analyse wird aus der nun besser bekannten Grundgesamtheit eine Stichprobe gezogen, welche Input und Output genauer auf inhaltliche Dimensionen untersucht. Vor allem der Einfluss von Nachrichtenwerten (Kapitel 2.6) auf die Resonanz und den Grad der Erwahnung einzelner Nachrichtenteile vom Input in den Output, hier Nachrichtendimensionen genannt (Kapitel 2.7), steht dabei im Vordergrund sowie die Einflusse von Nachrichtenwerten auf die Erwahnung dieser Nachrichtendimensionen.

Input und Output werden damit auch auf den Anteil ereigniszentrierter und anliegenzentrierter Berichterstattung und die Verschiebung der Gewichte einzelner Nachrichtendimensionen untersucht.

1.4. Ziele

Durch den ersten Vergleich von Input und Output in der Grundgesamtheit soll eine Resonanzanalyse samtlicher Pressemitteilungen im Untersuchungszeitraum entstehen. Berucksichtigt fur diese Resonanzanalyse wird der Einfluss der inszenierten Aktionen und der verschiedenen Themen auf die Auswahl seitens der Redaktionen.

Durch den vertieften Vergleich im zweiten Schritt soll einerseits vermehrt der Einfluss von konkreten Nachrichtenwerten auf die Resonanz und andererseits die inhaltliche Erwahnung von einzelnen Anliegen analysiert werden. Insbesondere die Ubernahme von einzelnen Anliegen in den Output und die Verschiebung der Gewichte verschiedener Nachrichtendimensionen (siehe Kapitel 2.7) vom Input zum Output konnten aufschlussreiche Indikationen fur das Entscheidungsverhalten der Redaktionen sein.

Diese Studie beschrankt sich auf den Prozess der Veroffentlichung und lasst die Wirkungen unberucksichtigt, die sich auf individueller wie auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene durch Rezeption und nachfolgenden Verarbeitungsleistungen beziehungsweise Anschlusskommunikationen einstellen. Es geht hier nur um die Veroffentlichung beziehungsweise Nichtveroffentlichung von Nachrichten und Nachrichtenteilen und die Modalitaten der Veroffentlichung seitens der Massenmedien.

2. Theorie und Stand der Forschung

In den folgenden Kapiteln wird der theoretische und empirische Hintergrund der vorliegenden Studie erarbeitet. Als Erstes wird die Notwendigkeit von intermediarer Interessenvermittlung (zwischen Interessengruppen, gesellschaftlichen Teilsystemen und der Bevolkerung) als Bedingung fur eine funktionierende demokratische Gesellschaft postuliert. Sodann wird fur die sozialwissenschaftliche Modellierung dieser Vermittlungsprozesse das so genannte intermediare System der Politikvermittlung (vgl. Rucht 1991, Jarren/Donges 2002) vorgestellt (Kapitel 2.1).

Drei weitere Komponenten spielen vor dem Hintergrund dieses Modells und fur diese Arbeit eine entscheidende Rolle: erstens der offentliche Raum (respektive die ,Offentlichkeit’, siehe Kapitel 2.2), in dem um Aufmerksamkeit fur spezifische Anliegen gekampft wird; zweitens das Mediensystem als Produzent, Filter und Verstarker von themenstrukturierter (offentlicher) Aufmerksamkeit (Kapitel 2.3) und drittens die Rolle des Akteurs Greenpeace selbst, der fur die Durchsetzung seiner Interessen auf die offentliche Aufmerksamkeit angewiesen ist (Kapitel 2.4).

Dann gilt es, unter diesen Voraussetzungen die Prozesse der Interpenetration beziehungsweise der strukturellen Koppelung zwischen Greenpeace und den Akteuren des Mediensystems zu beleuchten, insbesondere die Bedeutung von Nachrichtenwerten fur die Nachrichtenselektion, und den Input-Output-Prozess als Untersuchungsgegenstand zu isolieren (Kapitel 2.5 und 2.6).

Schliesslich werden in Anlehnung an Gerhards’ Diskursdimensionen (vgl. Gerhards 1992) und die Nachrichtenwertforschung so genannte Nachrichtendimensionen abgeleitet, welche fur die Operationalisierung der Input-Output-Analyse verwendet werden (Kapitel 2.7).

Um die Erkenntnisse aus vergangenen Studien mit ahnlichen Fragestellungen zu verwerten, werden die Ergebnisse von anderen grundlegenden Input-Output-Studien analysiert (Kapitel 2.8).

2.1. Intermediares System der Politikvermittlung

Es gibt viele Definitionen von Politik, eine sehr umfassende ware die folgende: „Politik ist jenes menschliche Handeln, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Regelungen und Entscheidungen (d.h. von ,allgemeiner Verbindlichkeit’) in und zwischen Gruppen von Menschen abzielt“ (Patzelt 2001: 23).

Um diese ,allgemeine Verbindlichkeit’ herzustellen, konkret im Falle von Interessenskonflikten und unter der Bedingung von staatlich zentrierter Macht in modernen demokratischen Gesellschaften, die durch die Mehrheit des Volkes legitimiert wird und Anliegen von Minderheiten dennoch nicht ausschliessen soll, haben sich in diesen Gesellschaften verschiedenste differenzierte Funktionssysteme ausgebildet5. Je nach Theorie und je nach Standpunkt des Betrachters konnen fur die Sozialforschung verschiedene solcher Systeme identifiziert werden. Fur die Erforschung politischer Kommunikation hat sich die Modellierung eines so genannt ,intermediaren Systems’ als fruchtbar erwiesen (vgl. unter anderem Rucht 1991, Jarren/Donges 2002: 138ff., vgl. Abbildung 1). ,Intermediar’ in dem Sinne, als dieses System zwischen den einzelnen Interessengruppen einerseits und dem staatlichen politischen Apparat und seinen Burgern (sowie diesen Gruppen) andererseits vermitteln soll. Diese Vermittlung ist beidseitig zu verstehen. Erstens mussen Probleme und Interessen von Burgern und Gruppen ans politisch administrative System gelangen, zweitens mussen Entscheidungen und Entscheidungsprozesse in diesem System an die Burger kommuniziert werden, um die entsprechende Legitimation zu erhalten beziehungsweise um dem Burger eine Grundlage fur die nachste Wahl zu geben (vgl. dazu Jarren/Donges 2002: 138ff., Rucht 1991).

„Das intermediare System vermittelt zwischen der Lebenswelt der Burgerinnen und Burger auf der einen und den politischen Entscheidungstragern auf der anderen Seite.

Aus der Perspektive des intermediaren Systems heraus lasst sich Politik definieren als die Transformation von Interessen, die aus der Gesellschaft stammen, in politische Entscheidungen in Form von Rechtsakten (Gesetze etc.) oder offentliche Massnahmen (z.B. Geldzahlungen), [die] durch den Staat umgesetzt werden und die dann wiederum an die Gesellschaft kommunikativ zuruckvermittelt werden“ (Jarren/Donges 2002: 138/139, vgl. auch Abbildungen 1 und 2).

Die Akteure eines solchen Systems sind vor allem Parteien, Verbande, Vereine und Bewegungen (vgl. ebd.) sowie die Massenmedien in einer Sonderstellung. Jarren/Donges (2002) stellen denn auch ein so genannt mediatisiertes Modell vor, welches das Modell von Rucht (1991) so modifiziert, dass die Massenmedien sich zwischen die anderen Akteure des intermediaren Systems und die Burger schieben (vgl. Jarren/Donges 2002: 143, siehe Abbildung 2). Dies im Zusammenhang mit einer zunehmenden Bedeutung von Massenmedien fur gesellschaftliche Kommunikationsprozesse, die sich in modernen Gesellschaften abzeichnet (vgl. Jarren/Donges 2002: 142)6. In der vorliegenden Arbeit wird jedoch weiterhin am Modell von Rucht (1991) festgehalten, mit der Anmerkung, dass Massenmedien eine zunehmende Bedeutung ubernehmen. Das mediatisierte Modell von Jarren/Donges (2002: 143) wird deswegen nicht ubernommen, weil es andere Arten von Offentlichkeit auszuschliessen scheint (zum Begriff der Offentlichkeit siehe nachstes Kapitel). Wenn man die Schicht der Massenmedien zwischen Burger und andere Akteure des intermediaren Systems schiebt, dann musste die Schicht der Massenmedien durchlassiger modelliert werden, so dass andere Kommunikationskanale oder andere Formen von Offentlichkeit ebenfalls berucksichtigt werden. Uber die spezielle Rolle der Massenmedien wird aber noch zu reden sein (vgl. Kapitel 2.3).

Auch der Akteur Greenpeace gehort zu diesem intermediaren System, in Anlehnung an Jarren/Donges (2002: 147) wird er als kollektiver Akteur der politischen Interessenvermittlung eingeordnet (vgl. Kapitel 2.4.2).

In der vorliegenden Arbeit haben wir es also mit der Interaktion des Akteurs Greenpeace Schweiz und den Organisationen (Redaktionen) eines Teilsystems (den Massenmedien) dieses intermediaren Systems zu tun. In dieser Zone der Interpenetration spielt sich der untersuchte Input-Output-Prozess ab (vgl. Kapitel 2.5).

Dieser Prozess schliesst die ,Offentlichkeit’ teilweise aus (er spielt sich zum grossen Teil in den Buros der Pressestelle von Greenpeace und in den Redaktionsraumen ab). Dennoch ist die ,Offentlichkeit’, beziehungsweise der ,offentliche Raum’, in dem fur spezifische Anliegen um Aufmerksamkeit gekampft wird, das entscheidende Medium im intermediaren System. Denn nur vor dem Hintergrund der (oft unsichtbaren) Offentlichkeit, lassen sich die Prozesse im intermediaren System erklaren (vgl. Gerhards/Neidhardt 1993 [zuerst 1990], mehr dazu im Kapitel 2.2 zur Offentlichkeit).

Eine entscheidende Rolle fur den Erfolg von speziellen Anliegen und Interessen in einer pluralistischen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaft hat das Erzielen von Aufmerksamkeit. Im Falle von Greenpeace geht es dabei, nebst der generellen Aufmerksamkeit fur die Organisation selbst, vor allem um die Aufmerksamkeit fur Problemdefinitionen, dann fur die Plausibilisierung der Dringlichkeit dieser Probleme und schlussendlich fur ihre Losungsvorschlage (vgl. Gerhards 1992, siehe Kapitel 2.4.5).

Ein peripherer politischer Akteur, der keinen direkten Zugang zum politisch administrativen System besitzt, hat keine grossen Chancen, mit seinen Anliegen direkt ins Zentrum des politischen Systems vorzustossen. Er braucht den Druck der Offentlichkeit fur seine Anliegen. Offentliche Aufmerksamkeit stellt fur periphere Akteure eine zentrale Ressource dar (vgl. Schmitt-Beck 1990: 657, Gerhards 1992, Rucht 1994, siehe Kapitel 2.4.3)

Deshalb werden von Greenpeace Ereignisse im ,offentlichen Raum’ inszeniert, um die Aufmerksamkeit des anwesenden Publikums, aber vor allem die der Massenmedien zu gewinnen (vgl. dazu Kapitel 2.4.4), welche in der Folge noch mehr ,offentliche Aufmerksamkeit’ generieren. Insofern werden Teile des Input-Output-Prozesses selbst offentlich, die Entscheidungen uber die massenmediale Aufmerksamkeit bleiben aber dem System der Massenmedien vorbehalten (siehe Marcinkowski/Bruns 2004: 490, auch Marcinkowski 1993, siehe Kapitel 2.3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Modell des intermediaren Systems (Quelle: Rucht 1991:10)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Intermediaries System der Politikvermittlung (mediatisiertes Modell, Quelle:Jarren/Donges 2002: 143)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung3: Phasen der Politikvermittlung (Quelle: Jarren/Donges/Wessler 1996: 13)

2.1.1. Die Phasen im politischen Prozess

Bevor auf den zentralen Begriff der Offentlichkeit, die Rolle der Massenmedien und den Akteur Greenpeace genauer eingegangen wird, folgen in diesem Abschnitt einige Gedanken zu den verschiedenen Phasen politischer Prozesse.

Jarren/Donges/Wessler (1996) unterscheiden in ihrem Modell zwischen sechs verschiedenen Phasen im politischen Prozess, namlich den Phasen der Problemartikulation, der Problemdefmition, der Politikdefinition, der Programmentwicklung, der Implementation und der Evaluation (Jarren/Donges/Wessler 1996: 13ff., siehe Abbildung3). In den verschiedenen Phasen haben sowohl die Massenmedien wie auch die peripheren Akteure der politischen Interessenartikulation (vgl. Jarren/Donges 2002: 147, siehe Kap. 2.4.2) verschiedene Einflusschancen. Die Massenmedien haben die grosste Chance den politischen Prozess zu beeinflussen in der ersten Phase, namlich in der Phase der Problemartikulation. Als Generator von offentlicher Aufmerksamkeit (siehe Kap. 2.3) haben sie wesentlichen Anteil an der Entscheidung daruber, welche Anliegen uberhaupt gehort werden Die Medien wirken hier sowohl als Filter wie auch als Verstarker (vgl. auch Tschopp/Donges 1998: 116).

Daraus folgt fur die peripheren politische Akteure, welche uber keinen direkten Zugang zum politisch administrativen System verfugen, dass sie sich vor allem bei der Problemartikulation bei den Medien Gehor verschaffen mussen. Gelingt es einem Akteur, ein Problem in den offentlichen Diskurs einzubringen, und wird das Problem vom politischen System aufgegriffen, hat der jeweilige Akteur die Chance, in der Phase der Problemdefmition aktiv mitzureden und somit zur Politikdefinition beizutragen.

Hierbei ist einerseits mitentscheidend, ob der jeweilige Akteur von den Medien auch weiterhin als relevante Stimme in der entsprechenden Thematik wahrgenommen wird. Das heisst, ein peripherer Akteur wie Greenpeace muss laufend unter Beweis stellen, dass er etwas zur Politikdefinition und Politikentwicklung beitragen kann. Andererseits laufen diese Prozesse haufig unter Ausschluss der Offentlichkeit, hier konnen periphere Akteure durch Lobbyarbeit und direkte Verhandlungen mit den zentralen politischen Akteuren versuchen, Einfluss zu erlangen. Dies funktioniert aber nur, solange sie standig das Druckmittel der potentiellen offentlichen Aufmerksamkeit fur ihre Anliegen in der Hinterhand haben Falls sich die peripheren Akteure im Prozess der Politikdefinition und Programmentwicklung zu sehr ausgeschlossen fuhlen, werden sie vermehrt wieder den Weg uber die medial vermittelte Offentlichkeit suchen (siehe dazu vor allem Kapitel 2.4.3).

Die Medien spielen also auch bei den Prozessen der Politikdefinition und Programmentwicklung (teilweise auch noch bei der Kontrolle von Implementation und Evaluation) eine wichtige Rolle. In der Realitat zeigt sich jedoch, dass die Aufmerksamkeit der Medien fur Themen, die sich in den spateren Phasen des politischen Prozesses befinden, stark nachlasst (vgl. dazu Downs 1972, auch Pfetsch 1994).

2.2. Offentlichkeit

Im den folgenden Kapiteln werden drei Komponenten diskutiert, welche fur den theoretischen Hintergrund der Arbeit wesentlich sind: Erstens der offentliche Raum, in dem der Kampf um Aufmerksamkeit gefuhrt wird, zweitens das System der Massenmedien als entscheidendes Verteilsystem von Aufmerksamkeit und drittens der Akteur Greenpeace selbst, der um Aufmerksamkeit ringt, um seine Anliegen vorzubringen. Im Folgenden wird auf diese drei Forschungsgegenstande eingegangen, bevor ganz konkret Bedingungen und Strategien zur Erzeugung von Aufmerksamkeit angesprochen werden - erst auf den Begriff der Offentlichkeit.

Zu den in der Kommunikationswissenschaft nachhaltig rezipierten, immer wieder zitierten und somit als grundlegend geltenden Gedanken zum Thema Offentlichkeit gehoren ganz bestimmt diejenigen von Jurgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt (1993 [zuerst 1990]). So dienen diese denn auch diesem Kapitel als Grundlage.

2.2.1. Offentlichkeit als Legitimationsinstanz und Artikulationsmedium

Um einen sozial- oder kommunikationswissenschaftlichen Begriff der Offentlichkeit festzuhalten, muss erst seine historische Entstehung berucksichtigt werden. So bezeichnete die ursprungliche Bedeutung von Offentlichkeit das Gegenteil von Privatheit, der Begriff ist aus dem Adjektiv ,offentlich’ im Gegensatz zu ,privat’ oder ,geheim’ entstanden (Zu einer ausfuhrlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte des offentlichen Raums in Abgrenzung zum Bereich des Privaten vgl. Arendt 1971). Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde Offentlichkeit zu einem abstrakten Begriff fur eine Art (gesellschaftliches) Publikum (vgl. Gerhards/Neidhardt 1993 1990: 53).

In modernen Gesellschaften wird der Offentlichkeit eine entscheidende Rolle fur das politische System zugesprochen, ohne sie kann Demokratie nicht funktionieren. Sie steht gleichsam zwischen den einzelnen Burgern und dem politisch administrativen System (vgl. Gerhards/Neidhardt 1993 1990: 52f., auch Rucht 1991, Jarren/Donges 2002: 137ff., siehe auch Kapitel 2.1.) und ist die Plattform, auf der Meinungen ausgetauscht, gesellschaftliche Anliegen artikuliert und adressiert werden. Gleichzeitig ist sie die Showbuhne fur das politische System, dessen Akteure sich hier selbst, ihre Losungsvorschlage, ihre Meinungen und die Resultate ihrer Arbeit prasentieren Die Offentlichkeit ist also Legitimationsinstanz und Artikulationsmedium zugleich. Oder wie es Gerhards/Neidhardt (1993 1990: 54) ausdrucken: „Offentlichkeit bildet ein intermediares System, dessen politische Funktion in der Aufnahme (Input), und Verarbeitung (Throughput) bestimmter Themen und Meinungen sowie in der Vermittlung der aus dieser Verarbeitung entstehenden offentlichen Meinungen (Output) einerseits an die Burger, andererseits an das politische System besteht.“

Wenn Offentlichkeit ein eigenes System darstellen soll, stellt sich naturlich die Frage nach ihren Funktionen und ihrer spezifischen Sinnorientierung (beziehungsweise der Leitdifferenz des Systems7 ).

2.2.2. Funktionale Differenzierung

„Moderne Gesellschaften sind in ihrer Grundstruktur als funktional differenzierte Gesellschaften zu beschreiben. [...] Funktionale Differenzierung meint die Differenzierung einer Gesellschaft in verschiedenartige Teilsysteme, die jeweils eine andere Sinnorientierung und Struktur aufweisen und auf verschiedene Bezugsprobleme der Gesellschaft spezialisiert sind“ (Gerhards/Neidhardt 1993 1990: 55).

Teilsysteme sind autonom in dem Sinne, dass sich die Handlungen im System in erster Linie an systemeigenen Kriterien orientieren und nicht an der Rationalitat anderer Systeme (vgl. ebd.: 55, vor allem auch Luhmann 1987). Als bekannte Beispiele werden die Wissenschaft, das Recht, die Wirtschaft, die Religion, das Bildungssystem aber auch die Familie, die Gesundheit etc. angefuhrt, die ihre jeweils eigenen Rationalitaten aufweisen. Was ware denn die Eigenheit eines Systems der Offentlichkeit? Offentlichkeit scheint sich ja gerade dadurch auszuzeichnen, dass sie aus allen Teilbereichen der Gesellschaft Themen aufnimmt und weiterverarbeitet.

So erwahnen denn auch Gehards/Neidhardt die Offenheit des Systems bezuglich der Themen (vgl. ebd.: 57f.), vielmehr steht fur sie aber die prinzipielle Offenheit des Publikums im Vordergrund (vgl. ebd. 61f.), dazu unten mehr. Die spezielle Funktion der Offentlichkeit betrachten die beiden vor allem aus demokratietheoretischer Perspektive und stellen vor allem die Funktionen fur das politische System in den Vordergrund: „Offentlichkeit ist ein System, in dem die Agenda des politischen Systems mitdefiniert wird“. Diese Perspektive ist auf Grund des Erkenntnisinteresses der beiden durchaus berechtigt, nur stellt sich die Frage, ob mit einer Fokussierung auf die Funktionen fur das politische System ein komplexes System wie Offentlichkeit hinreichend erklart werden kann. So konnte man auch argumentieren, dass in dieser Sichtweise Offentlichkeit nichts anderes ist als die Umwelt des politischen Systems, sozusagen dessen erweitertes Publikum. Trotz dieser (unnotigen) Fokussierung auf politische Funktionen liefern Gerhards/Neidhardt weitere fruchtbare Erkenntnisse zum Begriff Offentlichkeit. Ob Offentlichkeit tatsachlich ein eigenstandiges System (oder doch eher ein Medium) darstellt, darauf wird noch zuruckzukommen sein (siehe Kapitel 2.3 zur Rolle des Mediensystems).

2.2.3. Offentlichkeit als Marktplatz fur Aufmerksamkeit

Eine (wenn nicht die) zentrale Funktion von Offentlichkeit, die uber den Interessenbereich von Politik hinausgeht, ist bei Gerhards/Neidhardt denn auch angesprochen: „[Offentlichkeit] ubernimmt [eine] ahnliche Funktion wie der Markt fur die Wirtschaft. Interessierte Akteure konkurrieren um die Gunst der Nachfrager beziehungsweise des Publikums“ (Gerhards/Neidhardt 1993 1990: 58). Diese Funktion scheint mir entscheidend, so lasst sich deren Bedeutung auch auf alle anderen Gesellschaftsbereiche ausweiten. Das entscheidende Gut, das hier verteilt wird, ist Aufmerksamkeit.

Im Folgenden werden vor allem die Funktionen von Offentlichkeit fur das politische System angesprochen. Das ist fur die vorliegende Arbeit ausreichend, fur eine allgemein gultige Theorie eines eigenstandigen Systems der Offentlichkeit musste jedoch der von Gerhards und Neidhardt eingenommene Fokus der Politikzentriertheit auf eine Offentlichkeit ausgeweitet werden, deren spezifische Leistungen von allen gesellschaftlichen Teilbereichen prinzipiell gleich genutzt wurden

Eine andere zentrale Funktion von Offentlichkeit neben der Verteilung von Aufmerksamkeit besteht fur die beiden in der Herstellung von Allgemeinheit im Sinne einer Laienorientierung. Im System der Offentlichkeit mussten die Themen allgemein verstandlich und potentiell allen zuganglich sein (vgl. ebd.: 62f.). Dies ware eine Leistung, welche von allen gesellschaftlichen Teilsystemen zugleich genutzt werden konnte. Andererseits stellt sich die Frage, ob diese so genannte Laienorientierung tatsachlich eine Leistung des Systems Offentlichkeit darstellt und nicht vielmehr aus dem Interesse der kommunizierenden Akteure (die Botschaften transportieren wollen) entsteht. Die Allgemeinheit ware dann nicht viel mehr als die reine Masse des Publikums, die Verstandlichkeit lediglich die Bedingung zur Erreichung dieser Masse. Unbestritten ist jedoch die Tatsache, dass in einer wie auch immer entstandenen Offentlichkeit eine Menge von allgemein bekannten Themen und Meinungen kursiert, an die mit grosser Wahrscheinlichkeit des Erfolgs mit kunftigen offentlichen Kommunikationen angeknupft werden kann (vgl. Luhmann 1996: 14, Marcinkowski 1996: 432).

2.2.4. Funktionen der Offentlichkeit fur das politische System

Gerhards/Neidhardt (1993 1990) gehen davon aus, dass Offentlichkeit erstens ein intermediares System darstellt, das zwischen dem politischen System und den Burgern einerseits und den Anspruchen anderer Teilsysteme andererseits vermitteln soll. Zweitens erzeuge Offentlichkeit als Kommunikationssystem eine bestimmte Art von Wissen, namlich offentliche Meinungen mit mehr oder weniger allgemeinen Einstellungen zu bestimmten Themen (vgl. Gerhards/Neidhardt 1993 1990: 58).

Entscheidend sind bei dieser Erzeugung von offentlichen Meinungen vor allem drei Prozesse: die Informationssammlung (Input), Informationsverarbeitung (Throughput) und Anwendung von Information (Output). Im Hinblick auf den Input ist die Selektivitat des Systems relevant, sie zeigt, wie offen das System tatsachlich fur seine relevanten Umwelten ist. Bei der Informationsverarbeitung geht es vielmehr darum, Zusammenhange herzustellen und Sinneinheiten zu bilden, auch um Komplexitat zu reduzieren. Ob die Anwendung von Information (also der Output), zum Beispiel im Sinne der Herstellung von Konsens und anschliessender Handlung, noch vom System der Offentlichkeit selbst zu leisten ist, wird an der Stelle bewusst offen gelassen (vgl. ebd. 59f.).

Fur den Untersuchungsrahmen dieser Arbeit ist sicher die Selektivitat wichtig, also die Art und Weise der Steuerung von Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen und Meinungen.

Bevor man nun diesen Prozess genauer analysieren kann, sollte man einen Blick auf die Strukturen und Merkmale von Offentlichkeit werfen: erstens, um dem immer noch relativ abstrakten Untersuchungsrahmen Offentlichkeit eine konkretere Form zu geben und zweitens ,um den entscheidenden Schritt zur massenmedial vermittelten Offentlichkeit machen zu konnen, um die es ja in dieser Arbeit gehen soll.

2.2.5. Strukturen und Merkmale der Offentlichkeit - Offentlichkeitsebenen

Ein wesentliches Merkmal von Offentlichkeit wurde bereits kurz angesprochen, namlich ihre prinzipielle Unabgeschlossenheit gegenuber dem Publikum (vgl. Gerhards/Neidhardt 1993 199061f.). Eine weitere Eigenschaft, auf die Gerhards/Neidhardt Offentlichkeit in diesem Sinne beschranken mochten, ist die Fokussierung auf sprachliche Kommunikation (vgl. ebd.: 60). Hier ware allenfalls der Grenzfall der symbolischen Kommunikation anzufuhren und zu fragen, ob die Vermittlung von Bildern allein nicht auch teilweise schon Offentlichkeit schafft, welche fur Politik und andere Gesellschaftssysteme wichtig sind. Explizit ausgeschlossen aus einer solchen Form von rein sprachlicher Offentlichkeit waren sicher Kunstwerke und andere rein symbolhafte Kommunikationsformen im offentlichen Raum.

Weiter gilt es zu beachten, und das ist fur den Verlauf dieser Arbeit entscheidend, dass es sehr wohl verschiedene Formen von Offentlichkeit mit je eigenen Zugangsbedingungen gibt. Gerhards und Neidhardt beschreiben die Entwicklung von drei Ebenen, welche gleichsam die Stufen im Prozess der funktionalen Ausdifferenzierung eines autonomen Offentlichkeitssystems darstellen (vgl. ebd.: 67).

Als erste Ebene werden die einfachen Interaktionssysteme, die so genannten ,Encounters’ genannt. Diese beinhalten mehr oder weniger alle Formen des Zusammentreffens von Menschen auf offentlichem Raum, sei es im Cafe, auf der Strasse, auf dem Marktplatz, wo auch immer. Die Zugangsbedingungen fur diese Art von Offentlichkeit sind minimal bis nicht vorhanden, der Strukturierungsgrad tief. Die Anzahl der Beteiligten ist meist klein, die Beeinflussung der offentlichen Meinung der Gesamtgesellschaft auf dieser Ebene ist entsprechend klein. Sie ist zugleich erste wie auch letzte Instanz eines offentlichen Kommunikationssystems, hat zwar nur Episodencharakter, st aber die unkontrollierbarste (freiste) und unmittelbarste Form der Offentlichkeit. Das Stattfinden einer solchen Form von Offentlichkeit ist lediglich an die Meinungs- und Redefreiheit als rechtliche Vorbedingung geknupft (vgl. ebd.: 63f.).

Die zweite Ebene ist die Ebene der ,offentlichen Veranstaltungen’. Diese Veranstaltungen sind meist thematisch (vor)strukturiert und teilweise auch an Zutrittsbedingungen gebunden. Ebenfalls sind innerhalb solcher Veranstaltungen, wie zum Beispiel Podiumsdiskussionen, bereits Leistungsrollen ausdifferenziert, in dem Fall Gesprachsleiter, Diskussionsteilnehmer und Publikum. Diese Form der Offentlichkeit setzt auf verfassungsrechtlicher Ebene zusatzlich das Recht auf Demonstrations- und Versammlungsfreiheit voraus (vgl. ebd. 65f.).

Schliesslich lasst sich aber Offentlichkeit mit diesen beiden Formen in modernen Gesellschaften nicht hinreichend beschreiben. Als entscheidende Form ist die massenmedial vermittelte Offentlichkeit hinzugekommen. „In Gegenwartsgesellschaften konstituiert sich offentliche Meinung, die vom politischen System wahrgenommen werden kann, in erster Linie durch massenmediale Offentlichkeit. Auch die auf den anderen Ebenen der Offentlichkeit artikulierten Themen und Meinungen erreichen erst eine allgemeine Wahrnehmung, wenn sie von den Massenmedien aufgegriffen, berichtet und verstarkt werden. [...] In komplexen Gesellschaften liesse sich Offentlichkeit [...] ohne eine massenmediale Offentlichkeit nicht herstellen“ (ebd.: 66).

Fur Gerhards und Neidhardt ist mitentscheidend fur die massenmedial vermittelte Offentlichkeit, dass das Publikum abstrakter wird (es ist meist nicht anwesend), zudem viel grosser, in seinen Handlungsmoglichkeiten aber reduzierter (vgl. ebd.: 66). Nicht umsonst wird Massenkommunikation in vielen Lehrbuchern als indirekte, an ein anonymes, disperses Publikum gerichtete Kommunikation definiert (vgl. Kunczik 1984: 9). Auf verfassungsrechtlicher Ebene kommt zu dieser neuesten Form von Offentlichkeit die Pressefreiheit dazu.

Die Leistungsrollen in Form des journalistischen Berufsstandes sind schon so weit ausgepragt, dass eigentlich von einem eigenstandig ausdifferenzierten Mediensystem die Rede sein musste. Daruber wird im nachsten Kapitel noch zu reden sein. Tatsachlich stellen auch fur Gerhards/Neidhardt die Massenmedien ein eigenes System dar, das in sich geschlossener sei als dasjenige der Offentlichkeit im Allgemeinen: „Fordert man von der Offenheit des Systems Offentlichkeit, dass moglichst viele der Burger selbst zu Wort kommen, dann handelt es sich bei den Massenmedien um ein relativ geschlossenes und damit unsensibles System“ (ebd.: 66). Trotzdem konne in der Pluralitat der Massenmedien sowie deren Themen- und Meinungsspektrum die notwendige Vielfalt reprasentiert werden (vgl. ebd.). In der Tat ist gerade die Vielfalt oft ein Streitpunkt bei den normativen Anforderungen an ein Mediensystem, nur ist das nicht das Thema dieser Arbeit. Vielmehr geht es hier um die faktische Sensibilitat der Medien fur Irritationen anderer, systemfremder Akteure. Diese Sensibilitat, also die strukturelle Offenheit fur Irritationen aus anderen Teilsystemen der Gesellschaft, ist eine Vorbedingung fur die Leistungserbringung der Massenmedien an die Gesellschaft und das Publikum. Gleichzeitig muss bei einer potentiell grossen strukturellen Offenheit ein Mechanismus zur Selektion ausgebildet werden. Diesen Mechanismus, der sich in den Entscheidungsprogrammen einzelner Medienorganisationen manifestiert, gilt es hier zu untersuchen (siehe Kapitel 2.6). Dazu braucht es erst einige Gedanken zur Rolle des Mediensystems uberhaupt.

2.3. System der Massenmedien

Zur Rolle der Massenmedien ist in der Publizistikwissenschaft naturgemass schon viel geschrieben worden. Ich mochte mich hier vor allem auf den systemtheoretischen Ansatz beschranken, vor allem auf denjenigen von Marcinkowski (1993). Der primare Code eines Systems ist fur die Systemtheorie die Einheit der systemspezifischen Differenz (Leitdifferenz), die eine Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdreferenz ermoglicht (vgl. Luhmann 1984). Luhmann schlagt vor, fur das System der Massenmedien die Leitdifferenz Information und Nicht-Information zu verwenden (vgl. dazu Luhmann 1996: 36). Im Gegensatz dazu schlagt Marcinkowski fur das publizistische System die Unterscheidung offentlich - nicht offentlich, spater auch veroffentlicht - nicht veroffentlicht vor (vgl. dazu ausfuhrlich Marcinkowski 1993 und 1996 zur Kritik an Luhmann 1996). Beide Unterscheidungen sind nicht ganz unproblematisch, dazu im Folgenden mehr.

Es besteht zudem eine Unscharfe zwischen den Begriffen Journalismus bzw. journalistisches System, publizistisches System und System der Massenmedien. Das publizistische System umfasst traditionell mehr als das journalistische System, namlich jegliche Veroffentlichungsleistungen, wie zum Beispiel die Produktion und Publikation von Kinofilmen oder Werbung. Fur Luhmann (1996) umfasst das System der Massenmedien denn auch jegliche Kommunikation, die unter Zuhilfenahme von technischen Mitteln zu Stande kommt (vgl. Luhmann 1996: 10). In dieser Arbeit interessieren die Leistungen des publizistischen Systems (hier synonym verwendet mit dem Begriff System der Massenmedien), die mittels journalistischer Leistungen zu Stande kommen. Fur Marcinkowski (1993) ist Journalismus Bestandteil des publizistischen Systems und die journalistische Auswahl einer Nachricht Teil einer publizistischen Kommunikation welche ihrerseits die Interaktion mit dem Publikum schon beinhaltet (vgl. Marcinkowski 1993: 98ff). In der Tat wird auch bei Marcinkowski (1993) nicht immer trennscharf unterschieden zwischen journalistischem und publizistischem System. Die meisten seiner Ausfuhrungen deuten darauf hin, dass bei seinen Betrachtungen uber das publizistische System vor allem die Funktionen und Leistungen des Journalismus im Vordergrund stehen. So spricht er meist von journalistischer Themenauswahl und journalistischen Selektionskriterien, schliesst damit also andere Formen der Publizistik, wie zum Beispiel Werbung oder pure Unterhaltung implizit aus. (Fur die Werbung beispielsweise spielt die Kategorie der Veroffentlichung zwar auch eine wesentliche Rolle, jedoch nicht im Zusammenhang mit Themenstrukturen und journalistischer Selektion sondern mit bezahlbarer Publikationsgarantie).

Fur diese Arbeit sei festgehalten, dass, wenn vom publizistischen System gesprochen wird, nur diejenigen Kommunikationen enthalten sind, welche durch das System des Journalismus (mit-)erzeugt werden, und dass der Begriff synonym gebraucht wird mit dem Begriff System der Massenmedien (oder kurz Mediensystem ).

2.3.1. Funktionen und Leistungen des Systems der Massenmedien

Zu Beginn dieses Kapitels eine etwas altere Definition zur Leistung des Journalismus: „Die besondere Leistung und die besondere Wirkung von Journalismus, durch die8 sich sein Handeln von anderen Sozialsystemen unterscheidet, besteht in der Ausrichtung auf die Herstellung und Bereitstellung von Themen zur offentlichen Kommunikation“ (Ruhl 1980: 322). Diese weit gefasste Definition der Kernleistung von Journalismus wurde jedoch samtliche Thematisierungsleistungen von anderen Organisationen mit enthalten, beispielsweise die Arbeit von PR-Akteuren oder Pressestellen. Diese Ansicht ist als uberholt zu bezeichnen (vgl. Marcinkowski 1993: 46f.).

Die Thematisierungsfunktion allein kann die spezielle Leistung des Systems der Massenmedien nicht ausdrucken. Vielmehr sollten die strukturellen Besonderheiten publizistischer Kommunikation betrachtet werden, so zum Beispiel ihre spezielle Themenstruktur (vgl. ebd.: 48f.). „Kommunikationen und Beitrage im publizistischen System sind durch [...] Themen sachlich strukturiert“ (ebd.: 49).

Diese Themenstrukturierung liefert fur Marcinkowski einen Hinweis auf die „zentrale Unterscheidung von Publizistik und anderen Kommunikationssystemen in der Gesellschaft“ (Marcinkowski 1993: 50): „Wahrend alle anderen Systeme ausschliesslich uber Themen ihrer subsystemischen Kommunikation verfugen [...], kommuniziert das publizistische System potentiell alle Themen des umfassendsten Sozialsystems Gesellschaft, allerdings immer in einer spezifisch publizistischen Kreation“ (ebd.: 50, vgl. auch Jarren 1992).

„Die besondere publizistische Leistung besteht [...] darin, [die] thematischen Beschrankungen teilsystemischer Kommunikation standig zur Disposition zu stellen“ (Marcinkowski 1993: 50). Ahnlich argumentiert auch Kohring (2004): Journalistische Kommunikation zeichnet sich ihm zufolge dadurch aus, dass sie uber Ereignisse berichtet, die uber den Bereich hinaus, in dem sie stattfinden, Bedeutung erlangen konnten (vgl. Kohring 2004.: 197). In diesem Potential, das durch den Konjunktiv ausgedruckt wird, steckt eine wesentliche Funktion des Journalismus. Das publizistische System entscheidet auf Grund der erwarteten gesellschaftlichen Relevanz, welche Themen es auswahlt.

Oder wie es Kohring aus der Sicht gesellschaftlicher Teilsysteme und Organisationen formuliert: „Um [] Erwartungen uber seine Umwelt auszubilden, bedarf es einer standigen Umweltbeobachtung. Ein einzelnes System ware uberfordert, wurde es diese Aufgabe selbst ubernehmen wollen. Aus diesem Grund, [...] hat sich ein Funktionssystem [das System der Massenmedien, d. Verf.] ausdifferenziert“ (Kohring 2004: 196).

Nun konnen selbstverstandlich alle Teilsysteme (und damit die einzelnen Organisationen) ihre Themen zum Angebot der Themen beitragen, die potentiell offentlich diskutiert werden konnten. Sie werden dies, je nach Absicht, sogar mehr oder weniger forcieren. Das eigentliche autopoietische Element des publizistischen Systems besteht aber darin, dass es aus allen potentiellen (und bereits teiloffentlichen Themen) diejenigen zur Publikation auswahlt, die es fur richtig und wichtig halt. Marcinkowski nennt diesen Prozess (wie andere auch) den Prozess der Veroffentlichung und die Unterscheidung veroffentlicht/unveroffentlicht ist fur ihn die Leitdifferenz (der Code) des Systems, insofern die (systeminterne) autonome Entscheidung uber die Veroffentlichung dessen Selbstreferenz ermoglicht (vgl. Marcinkowski 1993: 51).

2.3.2. Veroffentlichung als autopoietischer Prozess?

„Autonom ist die Publizistik insoweit, als alle Entscheidungen uber Offentlichkeit im publizistischen System getroffen werden. (...) Die journalistische Auswahl einer Information (und nicht einer anderen), die Entscheidung uber ihre Mitteilung (oder ihr Verschweigen), der verstehende Empfang (so oder anders) im Publikum bilden erst als Zusammenhang eine publizistische Kommunikation. Die Verknupfung aller drei Entscheidungen zwischen Journalismus und Publikum ist folglich immer eine Operation im System (...)“ (Marcinkowski/Bruns 2004: 490).

Der Begriff Veroffentlichung konnte insofern irrefuhrend sein, als es bei der publizistischen Veroffentlichung durch das publizistische System nicht um die Veroffentlichung von vormals geheimer beziehungsweise privater Kommunikationen geht, sondern um die Auswahl von bereits offentlich zuganglichen Kommunikationen zur weiteren Verbreitung und einem weiteren Schritt der Veroffentlichung, namlich der massenmedialen Veroffentlichung, mit dem entscheidenden Unterschied, dass nun ein potentiell unbeschranktes Publikum adressiert wird. Marcinkowski spricht die Problematik verschiedener Offentlichkeitsbegriffe an anderen Stellen auch an (vgl. Marcinkowski 1993: 68f., Marcinkowski 1996: 438), halt jedoch am Begriff der Veroffentlichung fest. Es geht ihm dabei wohl tatsachlich um die massenmediale Veroffentlichung, denn da gesellschaftlich folgenreiche Kommunikation nicht im Privaten und Geheimen stattfinden konne, brauche es in modernen Gesellschaften ein funktional spezialisiertes Teilsystem fur die Herstellung und permanente Reproduktion von Offentlichkeit (vgl. Marcinkowski 1993: 69, Hervorh. d. Verf.), also die Massenmedien.

Dass mit der Veroffentlichung aber mehr als das ,offentlich Machen’ im Sinne von fur andere Systeme sichtbar machen gemeint ist, wird unter anderem in dieser Textstelle klar, wenn Marcinkowski und Bruns uber die Entscheidungsautonomie publizistischer Organisationen sprechen: „Im Falle der Organisationen des publizistischen Systems handelt es sich [...] um Entscheidungen uber die Auswahl und massenhafte Verbreitung von Mitteilungen, fur die wir den Begriff ,Veroffentlichung’ verwenden“ (Marcinkowski/Bruns 2004: 493).

Die massenhafte Verbreitung, also die Ausweitung des Publikums von einer begrenzten Anzahl Leute auf eine potentiell unbeschrankte und unkontrollierbare Masse, ist ein wesentliches Merkmal, das Kommunikation uber Massenmedien von anderen

Kommunikationsformen unterscheidet. Im Vordergrund steht hierbei nicht der Moment, in dem eine vormals private (oder nur Mitgliedern einer Organisation oder eines Systems bekannte) Information herausgegeben und damit offentlich wird. Vielmehr geht es um die Prozesse, die aus der Menge von bereits veroffentlichten Informationen gewisse Informationen herauspicken, in eine bestimmte Form bringen und uber die Massenmedien weiterverbreiten. (vgl. auch Marcinkowski: 53).

Ginge es lediglich um den Prozess der Veroffentlichung, ware jeder Wissenschaftler, der seine Arbeit veroffentlicht, jeder Konzern, der seine Bilanz veroffentlicht, jeder Marktschreier Bestandteil eines solchen Systems der Veroffentlichung. Somit ware dies kein Kriterium fur die Exklusivitat beziehungsweise Autopoiesis des Systems der Massenmedien. Erst die Aufbereitung und Verbreitung der Information in der Weise, dass sie von einem Massenpublikum rezipiert werden kann, macht das publizistische System zu dem, was es ist. Zusatzlich ist auch zu beachten, dass das publizistische System neben dem Primarcode der ,Veroffentlichtkeit’ auch Sekundarcodes wie zum Beispiel die Nachrichtenwerte ausbildet (vgl. ebd.: 70).

In diesem Sinne ist eine weitere Funktion, welche das System der Massenmedien ausmacht, dass es neben der Relevanz uber die Aktualitat eines Themas entscheidet.

2.3.3. Publizitat als thematisch geformte Aufmerksamkeit

Selbst wenn man unter der Veroffentlichung ausschliesslich eine Veroffentlichung im System der Massenmedien versteht, ist eine schlichte Veroffentlichung alleine noch nicht die entscheidende Leistung dieses Systems. „Erst die Koppelung von Veroffentlichung und darauf gerichteter Aufmerksamkeit erzeugt Publizitat, das Kommunikationsmedium des Systems“ (Marcinkowski 1993: 43).

Hiermit wird auch ein entscheidender Unterschied sichtbar zwischen dem Begriff von Offentlichkeit, wie ihn Gerhards/Neidhardt (1993 1990) verwenden, und dem Begriff Publizitat, wie ihn Marcinkowski (1993) teilweise synonym fur Offentlichkeit verwendet. Die Publizitat ist fur Marcinkowski (1993) das generalisierte Medium des publizistischen Systems, Offentlichkeit gleichsam der „Katalysator fur die Ausdifferenzierung des Systems“ der Massenmedien (Marcinkowski 1993: 69). Das hatte schon vorher auffallen konnen: Wenn die Massenmedien selbst Offentlichkeit herstellen und reproduzieren (siehe oben), dann sind sie selbst kaum nur Bestandteil eines ,Systems der Offentlichkeit’. Vielmehr haben die Anspruche, die an Offentlichkeit (als Medium) gestellt werden, sich so entwickelt, dass es ein System braucht, um diese permanent zu reproduzieren.

Dieses Medium ermoglicht die auf ein Thema gerichtete Aufmerksamkeit: „Publizitat [... ist ...] eine doppelte Selektionsleistung von Journalismus und Publikum. Oder um die Unterscheidung von Medium und Form zu benutzen: Die Art und Weise journalistischer Thematisierung, vor allem hinsichtlich ihres sachlichen Gehalts, ihrer zeitlichen Platzierung und ihrer prasentativen Qualitaten, ist der „Formgeber“ des Mediums. Sie bildet gewissermassen eine Gussform, in die Aufmerksamkeit gleichsam einfliessen kann. Durch diesen Prozess entsteht das Medium des publizistischen Systems, namlich „thematisch geformte (oder strukturierte) Aufmerksamkeit“ (Marcinkowski 1993: 49).

Gerade bei komplexer werdenden, sich ausdifferenzierenden Gesellschaften braucht es ein System, welches sicherstellt, dass gesamtgesellschaftliche, systemubergreifende Kommunikation noch moglich ist. Es geht weiter darum, dass gewisse Themen gesamtgesellschaftliche Akzeptanz erreichen (vgl. Luhmann 1996: 29), und dass es somit moglich wird, bei anknupfenden Kommunikationen auf ein gewisses Vorwissen aufzubauen. Hier ist die prinzipielle Unwahrscheinlichkeit gelingender Kommunikation angesprochen, auf die Luhmann auch an anderen Stellen hinweist (vgl. Luhmann 1984, Marcinkowski 1996).

Die zentrale Funktion des Systems der Massenmedien soil also in Anlehnung an Marcinkowski (1993) und Luhmann (1996) als die Erzeugung, Strukturierung und Steuerung von gesamtgesellschaftlicher, themenstrukturierter Aufmerksamkeit definiert werden

Das Entscheidende ist nicht nur, dass eine Information (in den Massenmedien) publiziert wird, sondern die Art und Weise, wie sie dargestellt und wie sie weiterbeachtet wird. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob ein Thema ein einziges Mal am Rande einer kleinen Zeitung erwahnt wird oder ob es von diversen Medien uber langere Zeit bearbeitet wird. Dieses Mass der unterschiedlichen Beachtung, eine Vorbedingung fur Aufmerksamkeit, ist fur das System der Massenmedien genau so entscheidend wie fur das Wissenschaftssystem der Wahrheitsgehalt, fur das Rechtssystem der Rechtsanspruch und fur das Kunstsystem der Kunstgehalt. Alle diese scheinbaren Dichotomien (wahr/unwahr, recht/unrecht, Kunst/Nicht- Kunst) beinhalten eine relative oder graduelle Komponente. Es gibt kein absolutes Recht im Rechtssystem, immer nur ein den Umstanden entsprechendes, genau so wie es keine unumstosslichen Wahrheiten und keine endgultige Definition von Kunst gibt. Das heisst die dichotomen Codes sind zwar die ideelle Achse der Auseinandersetzung, nie aber das absolute Mass der Dinge. Genau dasselbe gilt auch fur das System der Massenmedien: Nicht die unumstossliche Tatsache der Veroffentlichung, sondern die Art und Weise der Aufmerksamkeit fur eine Kommunikation in Form der Beachtung, die einer Kommunikation geschenkt wird, ist entscheidend.

So, wie das Wirtschaftssystem Guter und auch Geld verteilt, verteilt das System der Massenmedien das knappe Gut „mediale Aufmerksamkeit“. Die Bedeutung von medialer und damit potentiell gesamtgesellschaftlicher Aufmerksamkeit fur die einzelnen Teilsysteme mag eine unterschiedliche sein. Gemeinsam ist allen Akteuren und Teilsystemen, dass „Aufmerksamkeit fur Themen zu gewinnen, [...] in allen gesellschaftlichen Bereichen eine Grundvoraussetzung fur gelingende Kommunikation“ darstellt (Kohring 2004: 195).

Fur gewisse Akteure, so zum Beispiel fur Greenpeace, ist die Erzeugung von medialer und somit gesamtgesellschaftlicher Aufmerksamkeit geradezu die zentrale Aufgabe. Dazu mehr im nachsten Kapitel.

Ganz grundsatzlich interessiert in dieser Arbeit, ob und wie es einem Akteur wie Greenpeace gelingt, mediale Aufmerksamkeit zu erlangen und zu beeinflussen. Es geht um die Prozesse in der Interpenetrationszone von journalistischen und politischen Organisationen oder um die Zone der strukturellen Koppelung (vgl. Marcinkowski/Bruns 2004). Die Entscheidungsprogramme in Form der postulierten Beachtung von Nachrichtenwerten werden das Thema des Kapitels 2.6 sein. Um die Zone der Interpenetration zwischen Organisationen des Mediensystems und dem Akteur Greenpeace zu betrachten, muss erst die andere Seite, namlich die Rolle des Akteurs Greenpeace selbst, genauer beleuchtet werden.

2.4. Der Akteur Greenpeace

„Mobilisierung von offentlicher Meinung ist eine der Moglichkeiten, die Burger und kollektive Akteure nutzen konnen, ihre Anliegen und Interessen zu artikulieren und das politische System unter Druck zu setzen. Gesellschaftliche Akteure wissen um diese Chance und haben entsprechende Experten und Abteilungen ausgebildet, die mit der Offentlichkeit arbeiten, Themen lancieren, Probleme definieren und offentliche Meinung zu beeinflussen versuchen“ (Gerhards 1992: 307).

Greenpeace ist ein kollektiver Akteur, doch wie ist dieser Akteur ansonsten sozialwissenschaftlich einzuordnen? Ist Greenpeace ein so genannter Protestakteur, Teil einer ,Sozialen Bewegung’ oder gar schon ein etablierter politischer Akteur? Dieser Frage geht dieses Kapitel nach. Unabhangig von der theoretischen Einordnung ist der Akteur Greenpeace auf die Mobilisierung der Medien zur Erregung von offentlicher Aufmerksamkeit angewiesen, um seine Ziele zu erreichen. Auch dies wird hier genauer erlautert.

2.4.1. Rechtliche Situation und Selbstdarstellung von Greenpeace

Die Frage, wie der Akteur Greenpeace im politischen System einzuordnen ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Rechtlich gesehen war Greenpeace Schweiz ursprunglich ein Verein, welcher durch Beschluss der Vereinsversammlung vom 15. Juni 1984 zur Stiftung Greenpeace Schweiz wurde. Dessen Zweck ist in den Stiftungs statuten unter Paragraph II festgehalten:

„Die Stiftung hat den gemeinnutzigen Zweck, die offentliche Wohlfahrt durch Bestrebungen des Natur-, Umwelt- und Tierschutzes zu fordern. Sie koordiniert die Aktivitaten der Stiftung "Greenpeace Council" in der Schweiz und kann Ausschuttungen an steuerbefreite, gemeinnutzige Institutionen im In- und Ausland vornehmen. Niemandem steht ein Anspruch auf Leistungen durch die Stiftung zu.“ (http://info.greenpeace.ch/de/newsandinfo/news/statuten/statuten, 31.10.2005)

Soviel zur rechtlichen Situation, inhaltlich ein wenig konkreter ist die folgende Selbstdarstellung:

„Greenpeace ist eine international Umweltorganisation, die sich seit 1971 weltweit fur eine okologische, soziale und gerechte Gegenwart und Zukunft einsetzt. In 40 Landern arbeiten wir fur den Schutz vor atomarer und chemischer Verseuchung, den Schutz der genetischen Vielfalt, des Klimas und fur den Schutz von Waldern und Meeren.

Mit kreativen Kampagnen und gewaltfreier Konfrontation zeigen wir globale Umweltprobleme auf und treiben Losungen fur eine okologische und friedliche Zukunft voran. Die Kampagnenarbeit wird global koordiniert, international vernetzt und national umgesetzt. Mittels wissenschaftlicher Recherchen werden Umweltskandale aufgedeckt und die Verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen. Umsichtige Lobbyarbeit bei den Akteuren der Politik und Industrie ist ein wichtiges Arbeitsinstrument. Ausserdem wollen wir die Offentlichkeit mit gezielter Information auf Umweltprobleme sensibilisieren. Greenpeace ist unabhangig von Regierungen, politischen Parteien und wirtschaftlichen Interessengruppen.“ (http://info.greenpeace.ch/de/ueber_uns/index, 31.10.2005)

Greenpeace sieht sich selbst also als Organisation, welche die Offentlichkeit mit gezielter Information auf Umweltprobleme aufmerksam machen will. Daneben versteht sich Greenpeace aber auch als Lobbyist, der mittels Verhandlungen und Lobbyarbeit direkt Druck aufs politische System ausuben will. Dies sagt auch Herr S., Leiter der Medienabteilung von Greenpeace Schweiz:

„Die Aufmerksamkeit in den Medien ist immer nur ein Ziel unter vielen. Je nach Stand der Kampagne und je nach Ziel, das verfolgt wird, kann es sein, dass man vor allem die Aufmerksamkeit in den Medien will, um uberhaupt die Offentlichkeit fur ein Thema zu sensibilisieren. Oder aber man will viel mehr durch Lobbyarbeit und mit direkten Verhandlungen Druck ausuben, das ist sehr abhangig vom Thema. Dann kann es naturlich sein, dass nur Ergebnisse gegenuber den Medien kommuniziert werden und die Offentlichkeit von der Verhandlungsphase gar nichts mitkriegt. In anderen Fallen braucht es genau den Druck uber die Medien, um uberhaupt an den Verhandlungstisch zu kommen.“ (Interview im Anhang A, S. 4).

Im Gegensatz zu zentralen Akteuren des politisch-administrativen Systems hat Greenpeace kein direktes strukturelles Einflusspotential (vgl. Jarren/Donges 2002: 146, Schmitt-Beck 1990: 657). Das heisst, die Offentlichkeit wird zum zentralen Druckmittel (siehe Kapitel 2.4.3).

2.4.2. Greenpeace als kollektiver Akteur der Interessenartikulation

Jarren und Donges (2002) ordnen Verbande, Vereine und Akteure von Neuen Sozialen Bewegungen sowie sonstige soziale Organisationen, die (partiell) politische Anliegen vertreten, den „kollektiven Akteuren der Interessenartikulation“ (vgl. Jarren/Donges 2002: 147) zu. Dies trifft auf Greenpeace insofern zu, als sie im Gegensatz zu Akteuren der Interessenaggregation (z.B. Parteien) nicht zur Wahl stehen und auch nicht direkt ins politische System eingreifen konnen. Die kollektiven Akteure der Interessenartikulation bilden nach Jarren/Donges (2002) zusammen mit den Akteuren der Interessenaggregation, den Akteuren der Interessendurchsetzung (Parlament, Regierung, Verwaltung) und den Massenmedien den Kern des intermediaren Systems, welches die Vermittlung von Interessen zwischen Staat und Gesellschaft zur zentralen Aufgabe hat (vgl. ebd.: 143 ff, siehe auch Kapitel 2.1).

Mit ,(Neuen) Sozialen Bewegungen’, auf die sich viele sozialwissenschaftliche Forscher beziehen, so auch Schmitt-Beck (1990), MacAdam (1994) und Rucht (1994), hat Greenpeace gemeinsam, dass sie ebenfalls die Mobilisierung der Offentlichkeit als Druckmittel gebrauchen, um ihre Ziele politisch durchzusetzen.

2.4.3. Mobilisierung von Offentlichkeit als zentrale Ressource

„Uber die Medienprasenz wird Druck auf beteiligte Akteure ausgeubt, egal ob die Artikel tatsachlich gelesen werden oder nicht. Wichtig ist, dass sie potentiell lesbar sind, und Politiker ebenso wie Unternehmen wissen naturlich, dass Wahler oder Konsumenten Zeitung lesen“ (Interview im Anhang A, S. 5).

Bewegungen und auch Protestakteure wie Greenpeace sind nicht direkt an den Prozessen der Politikgestaltung beteiligt. Sie haben weder Einsitz in Parlamenten und Kommissionen noch sind sie an der Regierung beteiligt. Sie sind, wie es Schmitt-Beck formuliert, „Herausforderer ohne institutionalisierten Zugang“ (Schmitt-Beck 1990: 657). Um dieses Defizit auszugleichen, sind sie auf die Mobilisierung der Offentlichkeit angewiesen, damit sie Druck auf zentrale politische, wirtschaftliche und andere soziale Akteure ausuben konnen. Dies geschieht vor allem dadurch, dass sie fur ihre Zielformulierungen, Begrundungen und Losungsvorschlage bei einem moglichst grossen Publikum Aufmerksamkeit und positive Resonanz zu finden versuchen (vgl. Rucht 1994: 348).

Nun ist die Offentlichkeit wie bereits angesprochen haufig eine massenmedial vermittelte, da Massenmedien nicht nur das Forum bilden, in welchem Akteure sich darstellen und aufeinander beziehen, sondern in aller Regel werden Akteure, ihre Intentionen und Handlungen erst durch die Massenmedien fur ein breites Publikum sichtbar gemacht (vgl. Rucht 1994: 346, vgl. Kapitel 2.3). Oder wie es Habermas (1992) formuliert: Offentlichkeit ist „vermachtete massenmedial beherrschte Offentlichkeit“ geworden (Habermas 1992: 451). Auch Klaus (2001) spricht von der Dominanz von Massenmedien in der Offentlichkeit, die gegenuber anderen Teiloffentlichkeiten wirkungsvoller seien (Klaus 2001: 107).

Die erste Hurde, um uber Offentlichkeit auf politische Entscheidungstrager einzuwirken, ist das Erlangen von Aufmerksamkeit. Das fuhrt dazu, dass Protestakteure haufig zu nachrichtenwerttrachtigen Aktionen greifen, um Aufmerksamkeit fur ihre Anliegen zu generieren (vgl. Rucht 1994: 348, siehe nachstes Kapitel zu den Aktionenund Kapitel 2.6 zu den Nachrichtenwerten).

2.4.4. Kampagnen und Aktionen als Mittel zur Erzeugung von Aufmerksamkeit Kampagnen

„Kampagnen sind dramaturgisch angelegte, thematisch begrenzte, zeitlich befristete kommunikative Strategien zur Erzeugung offentlicher Aufmerksamkeit, die auf ein Set unterschiedlicher kommunikativer Instrumente und Techniken - werbliche und marketingspezifische Mittel und klassische PR-Massnahmen - zuruckgreifen. Ziele von Kampagnen sind: Aufmerksamkeit erzeugen, Vertrauen in die eigene Glaubwurdigkeit schaffen und Zustimmung zu den eigenen Intentionen und/oder Anschlusshandeln zu erzeugen“ (Rottger 1998: 667)

Greven (1995) hat eine ahnliche Definition von Kampagnen, das Ziel einer Kampagne sei eine „zielgerichtete Mobilisierung einer Offentlichkeit aufgrund eines Plans, um die gewissermassen strategische Herbeifuhrung eines offentlichen Meinungsklimas“ (Greven 1995: 41) zu erreichen.

Fur Greenpeace selbst ist die Kampagne eine zentrale Organisationseinheit, jede Kampagne ist eine Abteilung, nit eigener Leitung, die uber Jahre hinweg die gleichen Hauptthemen betreut. Innerhalb dieser Kampagnen werden Ziele gesetzt und Aktionen ausgefuhrt. Dazu arbeiten die jeweiligen Kampagnenleiter, wenn sie an die Offentlichkeit treten, mit der Medienabteilung zusammen, welche eine eigene Organisationseinheit darstellt (vgl. auch Interview im Anhang A, S. 2).

Im Kapitel zur Operationalisierung der Messdimensionen (3.4.1) werden die dauerhaften thematischen Kampagnen von Greenpeace vorgestellt. Sie bilden die Grundlage zur thematischen Unterscheidung der verschiedenen Aktivitaten von Greenpeace.

Aktionen als Pseudoereignisse

„Zu den gangigsten Praktiken politischer Offentlichkeitsarbeit in Bezug auf Thematisierungsprozesse gehort das, was in den USA „news management genannt wird. Darunter wird auch [...] die Inszenierung von sogenannten Pseudoereignissen gezahlt.

[...] Die Inszenierung von Pseudoereignissen verleiht Themen eine hohe Erfolgschance“ (Pfetsch 1994: 18f.).

In Bezug auf Deutschland sei zum Beispiel im Herbst 1990 etwa die Halfte der innenpolitischen Berichterstattung auf Informationsereignisse zuruckzufuhren gewesen, die man als Pseudoereignisse bezeichnen konne (vgl. Pfetsch 1994: 19). Zur Bedeutung von Ereignissen beziehungsweise Ereignishaftigkeit fur das journalistische System vgl. auch ausfuhrlich Kepplinger (1992). Die Inszenierung von Pseudoereignissen ist tatsachlich eine der Hauptstrategien von Greenpeace, wie man auch im empirischen Teil sehen wird.

Zu solchen Pseudoereignissen gehoren Pressekonferenzen, Podien, andere spezielle Auftritte von Akteuren und - vor allem in Bezug auf Greenpeace wichtig - symboltrachtige (Protest-) Aktionen wie zum Beispiel Demonstrationen, Besetzungen, Blockaden usw. Tatsachlich sind 35 Prozent der insgesamt 387 erhobenen Pressemitteilungen von Greenpeace Schweiz im hier untersuchten Zeitraum von 1999 bis 2004 von Aktionen oder anderen Pseudoereignissen wie Pressekonferenzen begleitet gewesen. Zur genauen Auspragung der verschiedenen Aktionsformen und ihren Auswirkungen mehr im empirischen Teil dieser Arbeit. Fest steht, dass solche Aktionen einen hohen Stellenwert fur Greenpeace haben und ihre Pressearbeit im Wesentlichen mitbestimmen. Eine Evaluation der Pressearbeit ohne den Einbezug dieser Aktionen ware nicht sinnvoll. So wird denn auch eine Hauptthese sein, dass das Vorhandensein einer spektakularen Aktion, die Wahrscheinlichkeit der Publizitat eines Themas wesentlich erhoht. Dabei stellt sich allerdings auch die Frage, ob sich die Aktionen nicht eventuell kontraproduktiv auf die Vermittlung von Inhalten auswirken. Auch dies wird zu untersuchen sein (siehe Kapitel 3.2 zu den Fragestellungen und Hypothesen).

Diese Vermutung stutzt sich auf ein Dilemma, das auch Rucht (1994) anspricht: „[Protestbewegungen stehen] vor dem Dilemma, dass nachrichtenwerttrachtige Aktionen und insbesondere spektakulare Regelverletzungen zwar starke Beachtung sichern, aber zugleich auch scharfe Ablehnung wahrscheinlich machen“ (Rucht 1994: 348).

2.4.5. Vermittlung von Inhalten als Teilziel der Pressearbeit von Greenpeace

Nebst der reinen Aufmerksamkeit, die Greenpeace erzielen will, geht es der Organisation vor allem auch um die tatsachliche Vermittlung von Inhalten (siehe obige Selbstdarstellung und auch Interview im Anhang A).

Gerhards (1992) stellt die These auf, dass Protestakteure, wollen sie erfolgreich offentliche Meinung mobilisieren, folgende 5 Bedingungen erfullen mussen: Es muss ihnen gelingen.

- ... ein Thema zu finden und als soziales Problem zu definieren
- ... Ursachen und Verursacher fur das Problem ausfindig zu machen
- ... einen Adressaten fur ihren Protest zu finden und zu etikettieren
- ... Ziele und die Aussicht auf Erfolg ihrer Bemuhungen zu interpretieren
- ... sich selbstals legitimierten Akteur zu rechtfertigen(vgl. Gerhards 1992: 308)

Diese Dimensionen (Gerhard nennt sie Diskursdimensionen, vgl. ebd.: 308) eignen sich gut, um ein Analyseraster uber einzelne Pressemitteilungen zu legen. Tatsachlich konnen die Pressemitteilungen als Nachrichten und die erwahnten Dimensionen als Nachrichtenteile aufgefasst werden. Die These ist also, dass die Diskursdimensionen in grosser Zahl innerhalb der Pressemitteilungen zu finden sind. Die vorliegende Untersuchung wird die tatsachliche Ubernahme dieser inhaltlichen Dimensionen in den Printmedien uberprufen. Gelingt es Greenpeace insbesondere die bezeichneten Probleme, Ursachen und Verursacher, Forderungen und Adressaten in die Printmedien zu transportieren?

Zu den exakten Messdimensionen siehe das Kapitel 2.7 (Nachrichtendimensionen) und das Kapitel 3.4 (Operationalisierung).

2.5. Zone der Interpenetration und der Input-Output-Prozess

Die Zone, in der die Interaktionen zwischen Greenpeace und den Zeitungsredaktionen, also den beteiligten Akteuren des Input-Output-Prozesses, stattfindet, kann als Zone der Interpenetration bezeichnet werden (im Sinne von Talcott Parsons (1976), vgl. auch Rucht 1991). Eine solche Zone zeichnet sich aus durch eigene Funktionslogiken, also hier die erwarteten und tatsachlichen Entscheidungsprogramme des Mediensystems. In dieser Zone sind Systeme uber ihre Organisationen strukturell gekoppelt und konnen sich so gegenseitig beeinflussen. Fur die Massenmedien und das politische System zeichnet sich diese Zone vor allem durch gegenseitige Erwartungen an Themenstrukturen aus (vgl. Marcinkowski/Bruns 2004).

2.5.1. Zone der Interpenetration

Das folgende Modell (siehe Abbildung 4) versucht den Ubergang von der Ebene der gesellschaftlichen Teilsysteme zur Organisationsebene zu modellieren und die

Abhangigkeiten und relevanten Umwelten der beteiligten Akteure und Systeme darzustellen. Systeme beeinflussen sich zwar gegenseitig, aber nur indirekt (gestrichelte Pfeile) uber die Handlungen der Organisationen. Die Organisationen tragen zur Selbst- und

Fremdwahrnehmung der Systeme und ihrer Agenden bei. Der Begriff Agenda steht hier fur die Gesamtheit zu einem Zeitpunkt vorherrschenden Themen und Themenstrukturen eines Systems (in Anlehnung an den Begriff der politischen Agenda, vgl. Patzelt 2001). Das spezielle an der Medienagenda ist, dass sie fur eine breite Offentlichkeit sichtbar ist. Die politische Agenda kann zwar auch teilweise offentlich sichtbar werden, beispielsweise an Politveranstaltungen oder fur die Zuschauerrange im Parlament, doch meist wird sie erst durch die Vermittlung uber die Medien also auf der Medienagenda fur eine breite Offentlichkeit sichtbar (vgl. Kapitel 2.2 und 2.3).

Zeitungsredaktionen sind Subsysteme des Mediensystems und stehen naturgemass mit diesem in einer wechselseitigen Beziehung. So sind die Redaktionen einerseits von den Regeln und Programmen im System der Massenmedien abhangig und produzieren andererseits diese Regeln mit. Unter anderem produzieren sie als wesentlichen Output des Systems laufend offentlich sichtbare strukturierte Themenoffentlichkeit des Mediensystems (vgl. Kapitel 2.3), hier die Medienagenda genannt.

Auf der anderen Seite bezeichnet die Politische Agenda die aktuelle Themenstruktur des Politischen Systems. Diese ist auch ohne die Massenmedien teilweise offentlich sichtbar (siehe oben), sie ist vor allem aber Gegenstand der Beobachtung fur die Massenmedien und wird durch diese, in ihrer eigenen Darstellung, offentlich gemacht und fur die Masse der Burger somit indirekt beobachtbar (vgl. Kapitel 2.2 und 2.3).

Im Fall des Akteurs Greenpeace kann man sich daruber streiten, ob er selbst als peripherer politischer Akteur Bestandteil des Politischen Systems ist oder ob er, wie in dieser Arbeit vorgeschlagen, zu einem eigenen, so genannt intermediaren System dazugezahlt werden musste (vgl. Kapitel 2.1). So oder so steht der Akteur Greenpeace aber in einer wechselseitigen Beziehung mit dem Politischen System, da er mit politischen Akteuren direkt Verhandlungen fuhrt und mittels Lobbyarbeit versucht diese zu beeinflussen (vgl. Kapitel 2.4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Zone der Interpenetration (eigene Darstellung)

Greenpeace beobachtet naturlich das System der Massenmedien genauso, wie Zeitungsredaktionen das Politische System beobachten (Pfeile mit Anker stehen fur Beobachtung). Die Zeitungsredaktionen beobachten aber auch den Akteur Greenpeace und das System der Massenmedien (und deren Agenda) selbst, weil sie nichts verpassen wollen.

Das Politische System und das System der Massenmedien stehen miteinander in Verbindung, aber eben nicht direkt (Systeme konnen nicht handeln), sondern uber ihre Akteure (deshalb die gestrichelten Pfeile). Die Akteure der beiden Systeme beobachten und beeinflussen sich und ihre Agenden wechselseitig. Das System der Massenmedien tragt zur Darstellung der Politischen Agenda bei. Deshalb werden politische Akteure versuchen, die Medienagenda in ihrem Sinne zu beeinflussen. Umgekehrt werden Akteure des Politischen Systems nicht umhin kommen, Themen aufzugreifen, die sich einer hohen Beliebtheit auf der Medienagenda erfreuen, falls sie wiedergewahlt werden wollen.

Als entscheidendes vermittelndes Element treten hier die Ereignisse auf. Sie werden unter anderem vom Akteur Greenpeace (aber auch von anderen Akteuren des politischen Systems) inszeniert und sind unmittelbar beobachtbar. Durch die Ereignisse zieht Greenpeace die Aufmerksamkeit der Zeitungsredaktionen (und somit indirekt des Mediensystems) auf sich (vgl. Kepplinger 1992, Pfetsch 1994, siehe auch Kapitel 2.4.4).

Die roten und blauen Pfeile stellen die Input- und Output-Beziehungen dar, die in dieser Arbeit untersucht werden (vgl. nachstes Kapitel).

Eine vor allem beobachtende Rolle in diesem Modell hat der Burger (oder das disperse Publikum). Da die Burger aber gleichzeitig wahlen konnen, werden sie auch von den Akteuren des Politischen Systems beobachtet und zu beeinflussen versucht. Wie schon erwahnt konnen die Burger Ereignisse und das politische System auch direkt (ohne die Massenmedien) beobachten, beispielsweise bei offentlichen Veranstaltungen, nur werden sie dies meist trotzdem uber die Medien tun, sie nehmen also die politische Agenda und die Ereignisse vor allem indirekt, uber die Medienagenda wahr (vgl. Kapitel 2.2 und 2.3).

Umso mehr, das wird auch in diesem Modell deutlich, spielt es eine wesentliche Rolle, ob der Akteur Greenpeace mit seinem Input ins System der Massenmedien eindringen und seine Themen auf die Medienagenda setzen kann. Gelingt dies, steigt die Wahrscheinlichkeit, die Anliegen fruher oder spater in die Politische Agenda zu transportieren

Dieser Prozess (im Modell durch die roten und blauen Pfeile markiert) ist denn auch der Gegenstand sowohl der empirischen Untersuchung als auch des nachsten Kapitels.

2.5.2. Der Input-Output Prozess als Prozess der Veroffentlichung

Innerhalb des betrachteten Input-Output-Prozesses gibt es verschiedene Teilprozesse. Einer dieser Teilprozesse ist die Veroffentlichung von Information fur die Presse seitens des politischen Akteurs Greenpeace, verbunden mit der Erzeugung von Aufmerksamkeit, um die Wahrscheinlichkeit einer Weiterverwertung der Informationen durch die Medien zu steigern. Der Weg uber Massenmedien ist einer von vielen Wegen, den eine Nachricht gehen kann. Der Vorteil der Kommunikation einer Nachricht uber Massenmedien ist der bereits erwahnte Multiplikatoreffekt. Mit der Publikation einer Nachricht in einem Medium wird ein potentiell grosses Publikum angesprochen (siehe Kapitel 2.3). Ein Nachteil kann darin liegen, dass das Publikum sehr undefiniert und deshalb schwer zu adressieren ist, die Vorkenntnisse der potentiellen Rezipienten sind vielfaltig und weitgehend unbekannt. Ein weiterer Nachteil liegt in der Unkontrollierbarkeit der Medien selbst, das heisst ein Akteur, der eine Nachricht uber die Medien verbreiten will, kann nicht davon ausgehen, dass im Prozess der Bearbeitung und Publikation einer Nachricht erstens seine Nachricht korrekt verstanden, zweitens zur Publikation ausgewahlt und drittens in seinem Sinne weitergegeben wird. Geschieht dies nicht und geschieht im schlimmsten Fall eine Verzerrung oder schwerwiegendere Veranderung der ursprunglichen Nachricht, wird damit ebenfalls ein grosses Publikum angesprochen. Das heisst, auch nicht intendierte Kommunikationsinhalte werden multipliziert.

Der daran anschliessende Prozess setzt sich zusammen aus der Auswahl, der eventuellen Nachbearbeitung und der eventuellen, zumindest teilweisen Weitergabe (bzw. Veroffentlichung) der Information durch die Printmedien (und dazwischen schon durch die Nachrichtenagenturen9 ) an (bzw. fur) das Publikum.

In diesem Prozess konnen einzelne Bestandteile der Nachricht ausgewahlt, hervorgehoben, erganzt (dazu gehort sowohl die Erganzung durch weitere Fakten und Aussagen sowie explizite und implizite Kritik oder Zustimmung) heruntergespielt oder ganz weggelassen werden. Zusatzlich wird die Nachricht meist in einen weiteren Kontext gestellt. Dieser Kontext entscheidet ebenfalls in einem grossen Masse mit, wie die publizierten Teile der Nachricht rezipiert werden (in welchem Licht sie erscheinen).

Die Aktion (siehe Kapitel 2.4.4) ist naturlich eine perfekte Form der Anpassung an dieses Problem. Sie bietet konkrete Anknupfungspunkte fur die Kontextualisierung der eigentlichen Nachricht. Durch die Bereitstellung von Ereignissen, in dessen Berichterstattung die Nachricht eingebettet werden kann, wird der Kontext der Nachricht gleich mitgeliefert. Neben der zusatzlichen Aufmerksamkeit, die so generiert wird, erhoht das die Chancen, dass in der vom Absender intendierten Art und Weise auf die Nachricht eingegangen wird. Es wird eine Geschichte inszeniert, so dass die Nachricht moglichst im vom Absender intendierten Kontext erscheint.

Schlussendlich werden also im Idealfall fur den Absender Teile der Nachricht publiziert und sind somit potentiell zuganglich fur ein breites Publikum. Sie bieten dann auch wieder konkrete Anknupfungspunkte fur kunftige Kommunikationsakte (vgl. Luhmann 1996: 14, Marcinkowski 1996: 432).

Diese Prozesse sind naturlich nie singular zu verstehen, sie laufen standig und parallel mit ahnlichen Prozessen ab. So treffen innerhalb der Arbeitsprozesse von Journalisten und Redaktoren laufend Outputs der Veroffentlichungs- und Aufmerksamkeits- generierungsaktivitaten einzelner Akteure ein. Diese Outputs, die fur das verarbeitende System des Journalismus als Inputs auftreten, konnen sich zeitlich, raumlich, aber auch inhaltlich uberschneiden, zum Beispiel wenn mehrere Akteure dasselbe Geschehen oder dasselbe Thema kommentieren (oder wenn dieselben Nachrichten uber mehrere Kanale eintreffen). Immer jedoch werden innerhalb der Prozesse des journalistischen Systems Entscheidungen getroffen uber die Veroffentlichung beziehungsweise Nichtveroffentlichung von Informationen. Deshalb haben sich im journalistischen System Sekundarcodes beziehungsweise innerhalb der Organisationen Entscheidungsprogramme gebildet (siehe Kapitel 2.6 zu den Nachrichtenwerten).

Diese Entscheidungen lassen sich in ihrem Resultat - und das ist hier massgeblich, es wird hier nicht das ,Wie’ des Zustandekommens des Entscheids, sondern nur das ,Was’ gemessen - relativ einfach messen. So kann man den Prozess der journalistischen Veroffentlichungsleistung als eine Art Blackbox modellieren und einen Vergleich anstellen zwischen dem Input (also hier den Pressemitteilungen) und dem Output an Information, den diese Blackbox generiert (also hier die Zeitungsartikel). Um Vermutungen uber das ,Wie’ der Veroffentlichungsleistung, also das Zustandekommen der Entscheidungen der Blackbox journalistisches System’ beziehungsweise einzelner ,redaktioneller Organisationen’, anzustellen, werden sodann Eigenschaften des Inputs und des Outputs herbeigezogen und verglichen Dadurch werden empirische Zusammenhange sichtbar, uber die Kausalitat dieser Zusammenhange konnen hingegen mittels dieser Methode nur Vermutungen angestellt werden (siehe 3.2).

2.6. Entscheidungsprogramme und Nachrichtenwerte

„Die funktionale Gesellschaft ist eine Organisationsgesellschaft“ (Marcinkowski/Bruns 2004: 493). Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass zur Funktionserfullung alle gesellschaftlichen Funktionssysteme auf Organisationen angewiesen sind. In den Organisationen manifestieren sich die Leitcodes eines Systems in Form von Entscheidungsprogrammen. Die Organisationen haben ihre je eigenen Sprachen und Entscheidungspramissen verinnerlicht (vgl. ebd.). Zusatzlich zu den Leitcodes werden in Systemen auch Sekundarcodes ausgebildet, die sich ebenfalls in Programmen manifestieren, zum Beispiel die Nachrichtenwerte im Falle des Mediensystems (siehe Kapitel 2.6.2). Der Vollstandigkeit halber ein kurzer Uberblick erst zu anderen journalistischen Entscheidungsprogrammen, welche nicht im Fokus dieser Studie stehen.

2.6.1. Entscheidungsprogramme

Marcinkowski (1993: 100f.) nennt in Anlehnung an Ruhl (1980: 260-308) verschiedene Kategorien von Faktoren und Entscheidungspramissen, die zusammengenommen die journalistischen Entscheidungsprogramme ausmachen.

Dazu gehoren als Erste formelle und informelle Normen. Damit sind zivilisierte Verhaltensregeln ebenso wie die juristischen beziehungsweise verfassungsrechtlichen Vorgaben fur das System der Massenmedien gemeint.

Als nachstes waren die journalistischen Werte zu nennen. Dabei geht es erstens um die personlichen Werthaltungen der Journalisten, nicht nur ihre Einstellung zum Journalismus, sondern auch andere personliche Werte. Zweitens geht es um institutionalisierte Werte, wie zum Beispiel Redaktionsstatuten, Programmrichtlinien, redaktionelle Leitlinien und Ahnliches. Drittens geht es auch um systeminterne Werte, wie zum Beispiel den journalistischen Ehrencodex oder journalistische Werte, die beispielsweise auf Journalistenschulen gelehrt werden.

Zusatzlich bilden sich im journalistischen System spezifische Rollenmuster aus, so gibt es ganz unterschiedliche Berufsauffassungen von Journalisten, die einerseits abhangig sind von deren Selbstverstandnis, aber auch vom Ressort beziehungsweise den konkreten Aufgaben, die sie in ihrer Redaktion erfullen mussen. Als Spezialfall davon waren dann Positionen zu nennen, also Rollen, welche uber spezielle Kompetenzen und Aufgaben verfugen, wie zum Beispiel Chefredaktoren, Ressortleiter und so weiter.

Auch die Technik ist eine Entscheidungspramisse (vgl. statt vieler Ruhl 1980: 302), so gibt es ganz klar Medien und Formate, wie zum Beispiel das Fernsehen, welche ganz andere Rahmenbedingungen (in diesem Falle visuelle Attraktivitat als ein wesentlicher Faktor) fur die Auswahl und Presentation von Nachrichten setzen

Die soeben genannten Entscheidungspramissen werden in dieser Studie nicht explizit untersucht, zu den Werten, Einstellungen, Rollen der Journalisten mussten zusatzliche Befragungen der Journalisten stattfinden, zumindest aber musste in der Inhaltsanalyse der Output von einzelnen Journalisten auseinandergehalten werden. Uber redaktionelle, institutionalisierte Entscheidungspramissen und systemimmanente journalistische Werte konnen in der Interpretation der Ergebnisse der vorliegenden Input-Output-Analyse jedoch Vermutungen angestellt werden.

Im eigentlichen Fokus der Studie liegen hingegen die hier noch ausgeklammerten Nachrichtenwerte. Sie bilden das Fundament fur die Operationalisierung einzelner postulierter Entscheidungspramissen und werden in der Folge den einzelnen

Nachrichtendimensionen zugeordnet (siehe Kapitel 2.7). Bevor jedoch fur die vorliegende Studie eine Auswahl der Nachrichtenwertfaktoren getroffen wird, braucht es einen Uberblick uber die bisherige Nachrichtenwertforschung.

2.6.2. Nachrichtenwertforschung

„Den Medien kommt [...] die Aufgabe zu, das Weltgeschehen zu beobachten, zu strukturieren und hinsichtlich der ,Wichtigkeit’ und ,Interessantheit’ zu bewerten. ,Wichtigkeit’ und ,Interessantheit’ werden in der wissenschaftlichen Diskussion im allgemeinen unter den Begriffen ,Bedeutsamkeit’ oder ,Relevanz’ zusammengefasst. [...]

Die Entscheidung daruber, welche Aspekte des Weltgeschehens fur das Publikum relevant sind, betrifft die Frage der Interpretation. Nicht die Auswahl als solche wird kritisch diskutiert, sondern die Kriterien, nach denen der Journalist Ereignisse als relevant interpretiert“ (Eilders 1997: 13).

Damit ist schon wesentlich umrissen, worum es in der Nachrichtenwertforschung geht. Es geht um die Existenz und die Relevanz erkennbarer Selektionskriterien bei der journalistischen Nachrichtenselektion und vor allem um deren empirische Beobachtbarkeit. Die Nachrichtenwerttheorie ist als solche keine normative, welche vorgibt, was die relevanten Kriterien sein sollten, sondern sie versucht im Nachhinein die entscheidenden Kriterien auf Grund der publizierten Nachrichten aufzuspuren.

Galtung und Ruge (1965) bilden den eigentlichen Anfang dieser Forschungstradition, auch wenn sich schon im Jahre 1922 Walter Lippmann (19901922) in seinem Buch „Die offentliche Meinung“ mit der Problematik der Nachrichtenselektion befasst hat. Auch hatte Ostgaard (1965) etwa zeitgleich mit Galtung und Ruge die Erkenntnisse bisheriger Forschung zusammengefasst, er verwies auf die Bedeutung vor allem von drei Faktoren, namlich Vereinfachung (simplification), Identifikation (identification), und Sensationalismus (sensationalism) (vgl.Ostgaard 1965: 45f.).

Galtung und Ruge (1965) waren aber die ersten, die ein differenzierteres Modell von so genannten Nachrichtenfaktoren aufstellten. Es basiert auf den folgenden zwolf Kriterien Frequenz: Je mehr der zeitliche Ablauf eines Ereignisses der Erscheinungsperiodik der Medien entspricht, desto wahrscheinlicher wird das Ereignis zur Nachricht Schwellenfaktor: Es gibt einen bestimmten Schwellenwert der Auffalligkeit, den ein Ereignis uberschreiten muss, damit es registriert wird.

Eindeutigkeit: Je eindeutiger und uberschaubarer ein Ereignis ist, desto eher wird es zu Nachricht.

Bedeutsamkeit (kulturelle Nahe/Betroffenheit, Relevanz): Je grosser die Tragweite eines Ereignisses, je mehr es personliche Betroffenheit auslost, desto eher wird es zur Nachricht.

Uberraschung (Unvorhersehbarkeit, Seltenheit): Je uberraschender (unvorhersehbarer, seltener, kurioser) ein Ereignis ist, desto grosser die Chance, zur Nachricht zu werden, allerdings nur dann, wenn es im Rahmen der Erwartungen uberraschend ist.

Kontinuitat: Ein Ereignis, das bereits als Nachricht definiert ist, hat eine hohe Chance, von den Medien auch weiterhin betrachtet zu werden.

Variation: Der Schwellenwert fur die Beachtung eines Ereignisses ist niedriger, wenn es zur Ausbalancierung und Variation des gesamten Nachrichtenbildes beitragt.

Bezug auf Elite-Nation: Ereignisse, die Elite-Nationen betreffen (wirtschaftlich oder militarisch machtige Nationen), haben einen uberproportional hohen Nachrichtenwert.

Bezug auf Elite-Personen: Entsprechendes gilt fur Elite-Personen, d.h. prominente und/oder machtige einflussreiche Personen.

Personalisierung: Je starker ein Ereignis personalisiert ist, d.h. sich im Handeln oder Schicksal von Personen darstellt, desto eher wird es zu Nachricht.

Negativismus: Je negativer ein Ereignis, d.h., je mehr es auf Konflikt, Kontroverse, Aggression, Zerstorung oder Tod bezogen ist, desto starker wird es von den Medien beachtet.

(vgl. Galtung/ Ruge 1965: 65f)

Der Beitrag von Galtung und Ruge war im Wesentlichen ein theoretischer. Ihre Vermutungen haben sie selbst empirisch kaum uberpruft (vgl. Eilders 1997: 27).

Schulz (1976) trat dann jedoch empirisch in die Fussstapfen, welche die beiden Norweger vom Friedensforschungsinstitut in Oslo mit ihrer Theoriearbeit hinterlassen hatten. Schulz (1976) griff mehr oder weniger auf die Faktorenliste von Galtung und Ruge zuruck, modifizierte diese jedoch leicht (siehe Abbildung 5). Er verwendete folgende Faktoren: Dauer, Thematisierung, raumliche, politische und kulturelle Nahe, Relevanz, regionale und nationale Zentralitat, personlicher Einfluss, Prominenz, Uberraschung, Komplexitat, Konflikt, Kriminalitat, Schaden, Erfolg, Personalisierung und Ethnozentrismus. Dazu fuhrte er eine vierstufige Intensitatsskala fur die Faktoren ein (vgl. Schulz 1976: 32 siehe auch Eilders 1997: 35).

Streng genommen mass Schulz den Beachtungsgrad (also die Platzierung) der Meldungen und nicht die Veroffentlichungsentscheidung in Abhangigkeit von den Nachrichtenfaktoren, was abgesehen davon eine Problematik von vielen Studien im Bereich der Nachrichtenwertforschung darstellt. Man kann zwar davon ausgehen, dass die Nicht- Beachtung am untersten Ende dieser Skala steht und dass die Kriterien zur Nachrichtenauswahl ahnliche, wenn nicht dieselben, sind wie die zur Platzierung einer Nachricht. Nur musste man fur eine tatsachliche Uberprufung dieser Hypothese, die nicht- veroffentlichten Ereignisse ebenfalls uberprufen. Dies ist der Vorteil einer Input-Output- Studie. Sie ist den reinen Output-Studien insofern uberlegen, dass sie auch die weggelassenen Nachrichten auf ihre Nachrichtenfaktoren uberprufen kann. Diese Problematik erwahnt Eilders (1997) an diversen Orten und auch Staab (1999) kritisiert die Aussagekraft von Nachrichtenwertstudien, solange Nicht-Veroffentlichtes nicht auf seine Eigenschaften untersucht werde (vgl. Eilders 1997: 34/52, Staab 1999, a.a.O.).

Schulz (1976) untersuchte also zehn Tageszeitungen unterschiedlichen Typs, die Hauptnachrichtensendungen von ARD und ZDF sowie zwei Horfunkprogrammen und den dpa-Nachrichtendienst. Der Einfluss verschiedener Nachrichtenfaktoren, so seine Ergebnisse, war abhangig von der jeweiligen Nachrichtengattung.

[...]


1 Sekundarcodes liegen eine Ebene tiefer als der Leitcode eines Systems und dienen zur Steuerung konkreter Operationen im System (vgl. dazu Marcinkowski 1993: 69, vor allem auch Luhmann 1987: 20). Der primare Code ist die Einheit der systemspezifischen Differenz (Leitdifferenz), die eine Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdreferenz ermoglicht (vgl. dazu Luhmann 1996: 36 zum Code des Mediensystems, vor allem auch Marcinkowski 1993, siehe auch Kapitel 2.3).

2 Die gesammelten Pressemitteilungen werden von Greenpeace Schweiz zur Verfugung gestellt.

3 Zur genauen Auswahl der untersuchten Publikationen siehe Kapitel 3.2 und Liste im Anhang B, Seite 2. Es werden nur Artikel und Kommentare berucksichtigt, Leserbriefe fallen weg. Greenpeace Schweiz lasst samtliche Artikel, in denen die Organisation Greenpeace erwahnt wird, in allen schweizerischen Zeitungen durch die ZMS/PMA Medienbeobachtung AG in Aettenschwil (CH) professionell sammeln. Diese Sammlung steht dem Verfasser zur Verfugung.

4 Als Resonanz der Pressemitteilung wird definiert: die Anzahl der gezahlten Artikel, die einen erkennbaren Bezug zu dieser Pressemitteilung aufweisen.

5 Vgl. dazu Luhmann (1987: 34): „Eine Gesellschaft kann als funktional differenziert bezeichnet werden, wenn sie ihre wichtigsten Teilsysteme im Hinblick auf spezifische Probleme bildet, die dann in den jeweils zustandigen Funktionssystemen gelost werden mussen.“

6 Die Diskussion uber die zunehmende Bedeutung von Massenmedien, ein Phanomen, das auch unter den Begriffen Medialisierung oder Mediatisierung bekannt ist, wurde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Als Beispiel sei hier der Sammelband von Imhof/Blum/Jarren (2004) genannt, der sich mit der politischen Kommunikation unter den Bedingungen einer zunehmenden Medialisierung befasst.

7 Zur Binnendifferenzierung von Systemen vgl. ausfuhrlich Luhmann (1987), in Bezug auf das System der Massenmedien vor allem auch Marcinkowski (1993: 78f.), Marcinkowski (1996) und Luhmann (1996), siehe Kapitel 2.3.

8 Was die Funktion fur das System selbst, ist die Leistung fur die anderen Teilsysteme in seiner Umwelt (vgl. Luhmann 1984

9 Auf die Rolle der Nachrichtenagenturen kann im Rahmen dieser Studie leider nicht genauer eingegangen werden, ihr Vorkommen als Quelle der Zeitungsartikel wird jedoch erfasst.

Ende der Leseprobe aus 141 Seiten

Details

Titel
Der Kampf um Aufmerksamkeit. Das Echo von Greenpeace-Pressemitteilungen in Deutschschweizer Zeitungen
Hochschule
Universität Zürich
Note
6 (CH)
Autor
Jahr
2005
Seiten
141
Katalognummer
V123045
ISBN (eBook)
9783668690028
Dateigröße
1437 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Politische Kommunikation, Aufmerksamkeit, Nachrichtenwerte, Greenpeace, Öffentlichkeit, Publizität, Öffentlichkeitsarbeit, Medienmitteilungen, Input-Output-Anlayse
Arbeit zitieren
Jan Flückiger (Autor:in), 2005, Der Kampf um Aufmerksamkeit. Das Echo von Greenpeace-Pressemitteilungen in Deutschschweizer Zeitungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123045

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