Jacob (1785-1863) und Wilhelm (1786-1859) Grimm, Begründer der Germanistik und
Märchenforschung, schrieben mit ihrem Märchenstil, der „Gattung Grimm“, welcher
Volkstümliches und Märchenformeln wie „Es war einmal…“ entrierte, sowie der populären
Märchensammlung Kinder- und Hausmärchen (1812-1822) in sieben Auflagen, als auch der
Etablierung des Buchmärchens und ihrem Erfassen mündlich tradierter Volkslyrik
Kulturgeschichte, indem sie eine neue Märchendirektive schufen.1
Von Marie Hassenpflug (1788-1856) und Dorothea Viehmann (1755-1815) wurde
ihnen „Dornröschen“ mündlich überliefert, 1810 notiert und in die Kinder- und Hausmärchen
aufgenommen, wobei ich meine Untersuchungen auf die fünfte und bekannteste Auflage
(1857) beziehe.2 „Dornröschen“ zählt zu den Volks- und Zaubermärchen und hat
verschiedene Ursprünge wie in Charles Perraults (1628-1707) Die schlafende Schöne im
Walde (1695)3, die der Grimmschen Version am ähnlichsten ist. Obwohl die Brüder Grimm
„Dornröschen“ oft überarbeiteten und Perraults Kannibalismuspart ausließen, haben alle
Fassungen analoge Motive. Die „Dornröschen“-Tagung (2004) schlussfolgerte, dass
„Dornröschen“ trotz Veränderungen als eine der populärsten Erzählungen durch beständiges
Rezipieren präsent bleibt.4
Interdisziplinäre Märchenforschung fokussiert Volksmärchen, deren Fortbestehen
durch die Europäische Märchengesellschaft gesichert ist, wobei volkskundliche,
sozialgeschichtliche, strukturale, tiefenpsychologische und psychoanalytische Interpretationen
en vogue sind und Forscher primär Adoleszenzthematiken und Emanzipation untersuchen.
Die bedeutendsten Ansätze des aktuellen Forschungsstandes zu den Grimmschen Märchen
existieren in der Wuppertaler Schule Heinz Röllekes, in Hans-Jörg Uthers Beiträgen und im
Grimm-Museum Kassel.5
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Freuds Triebtheorie in der psychoanalytischen Märchenforschung
- Dornröschens Entfaltung der Weiblichkeit im Kontext der Psychoanalyse
- Dornröschens Defloration oder Menarche durch den Spindelstich
- Dornröschens hundertjähriger Schlaf zur Weiblichkeit
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Grimmsche Märcheninterpretation von „Dornröschen“ im Kontext der psychoanalytischen Märchenforschung, insbesondere unter Berücksichtigung von Freuds Triebtheorie. Ziel ist es, Dornröschens Entwicklung zur Weiblichkeit anhand psychoanalytischer Ansätze zu beleuchten.
- Freuds Triebtheorie und ihre Anwendung auf Märchen
- Symbolische Interpretation des Spindelstichs (Defloration/Menarche)
- Der hundertjährige Schlaf als Metapher für die Pubertät und die Entwicklung der Weiblichkeit
- Psychoanalytische Ansätze in der Märchenforschung
- Vergleichende Analyse verschiedener Interpretationen von „Dornröschen“
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Grimm’sche Version von „Dornröschen“ in den Kontext der Märchenforschung und deren verschiedenen Interpretationsansätze vor. Das zweite Kapitel beschreibt Freuds Triebtheorie und deren Relevanz für die psychoanalytische Märcheninterpretation. Das dritte Kapitel analysiert den Spindelstich und den hundertjährigen Schlaf als zentrale Motive in „Dornröschen“ im Hinblick auf die Entwicklung der Weiblichkeit, wobei verschiedene psychoanalytische Perspektiven berücksichtigt werden.
Schlüsselwörter
Psychoanalyse, Freud, Triebtheorie, Märchenforschung, Dornröschen, Weiblichkeit, Menarche, Defloration, Pubertät, Symbolinterpretation.
- Quote paper
- M.A. Oliver Baum (Author), 2007, Freuds Triebtheorie und Dornröschens Entfaltung der Weiblichkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123114