Die Fremdheit der euripideischen "Medea"


Seminararbeit, 2009

9 Seiten, Note: 1,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

2. Einleitung

3. Medea - Barbarin oder Griechin?
3.1. Medea als barbarische Hexe
3.2. Medea als fremde Griechin in Korinth

4. Conclusio

5. Verzeichnis der verwendeten Literatur

2. Einleitung

Die Argonautensage erzählt, wie Jason auf Auftrag seines Onkels Pelias mit seinen Gefährten nach Kolchis, im Osten des Schwarzen Meeres gelegen, fährt, um das goldene Vlies zu stehlen. Zur erfolgreichen Erfüllung dieser Aufgabe verhilft ihm die kolchische Prinzessin und Zauberin Medea, die sich in Jason verliebt, ihn ewige Treue schwören lässt und ihm als Gegenleistung zur Flucht verhilft. Euripides (486/85-406 v. Chr.), neben Aischylos (525-456 v. Chr.) und Sophokles (496-405/406 v. Chr.) der jüngste der drei großen Tragödiendichter Athens, verbindet diesen Mythos des Argonautenzuges in seinem Drama „Medea“ mit einer Lokalsage aus Korinth und formt den Sagenstoff um:[1] Jason und Medea herrschen über Korinth und haben zwei Kinder. Jason verlässt Medea, da ihm eine Heirat mit der korinthischen Königstochter Glauke in Aussicht gestellt wird. In der Tragödie schwört Medea von Trauer und Zorn geleitet Rache, tötet Glauke und deren Vater Kreon mithilfe ihrer Zauberkünste und bringt ihre eigenen Kinder um, um Jason größtmöglichen Schmerz zuzufügen. Schließlich entflieht sie auf einem Drachenwagen nach Athen. Die Tragödie, die 431 aufgeführt wurde und dabei den dritten Preis erreicht hatte, zog in weiterer Folge eine äußerst umfangreiche Rezeption nach sich.[2]

Euripides greift in seinen Werken vielfach gesellschaftliche Probleme auf und kritisiert diese.[3] So wurde die Tragödie „Medea“ unter anderem häufig dazu herangezogen, um die Rolle der Frau in der athenischen Gesellschaft darzustellen. Das ist darauf zurückzuführen, dass sich Medea im Stück mehrfach über die Stellung der Frau beklagt. Solche Interpretationen können jedoch nur sinnvoll sein, wenn Euripides in seiner Tragödie tatsächlich eine griechische Frau darstellt, und nicht eine Barbarin, welche der griechischen Gesellschaft nicht angehört. Dieser Frage wird in dieser Arbeit nachgegangen.

3. Medea - Barbarin oder Griechin?

3.1. Medea als barbarische Hexe

Denys L. Page schreibt in seiner kommentierten Textausgabe von 1938 im Vorwort:

„The murder of children, caused by jealousy and anger against their father, is mere brutality: if it moves us at all, it does so towards incredulity and horror. Such an act is outside our experience, we - and the fifth-century Athenian - know nothing of it.[4] (...)

She is a woman scorned, depicted at the stage of emotion in which her first torment of misery has passed into vindictive hatred. And here is it important to understand that the poet has described not a Greek woman but a barbarian. Though her emotions are natural to all woman of all times in her position, their expression and the dreadful end to which they lead are everywhere affected by her foreign origin. (...) Above all, the inhuman cruelty of the childmurderess was a typically foreign quality. (...) Because she was a foreigner she could kill her children; because she was a witch she could escape in a magic chariot. She embodies the qualities which the fifth-century Atheniean believed to be characteristic of Orientals.“[5]

Pages Argumente laufen also darauf hinaus, dass Medea typische Kennzeichen aufweist, wie sie nur bei Barbaren zu finden sind: die Grausamkeit ihrer Tat, Unbeherrschtheit in Trauer und Zorn, Auflehnung gegen die Autorität, kindische Überraschung über Untreue und Verrat und natürlich ihre Zauberkräfte, mit deren Hilfe sie einen Drachenwagen besteigen und entfliehen kann. All diese Merkmale verbinden die Griechen des 5. Jahrhundert laut Page eindeutig mit orientalischen Barbaren und verweist dabei auf die Berichte Herodots und die Erfahrungen durch die persischen Invasionen, wodurch diese Vorurteile entstanden seien.[6]

Doch auch im Text selbst werde die barbarische Herkunft Medeas betont, so klassifiziert Jason Medea in deren zweiten Dialog gegen Ende der Tragödie eindeutig als Barbarin:

„Als aus der Heimat, aus Barbarenland ich, Dich, Fluch, nach Hellas führte, dich, Verräterin, des Vaters und des Landes, das dich auferzog. (...)

Kein Weib in Hellas hätte dies jemals vermocht, und doch vor ihnen allen hab ich dich ersehen, mein Weib zu werden, die du mein Verderben wardst, Du, eine Löwin, nicht ein Weib, von wildrer Art Als Skylla tief im Meeresfels Tyrrhenians.“[7]

Weiters sei sich Medea ihrer fremdländischen Herkunft auch selbst bewusst:

„Nicht das bewog dich; nur schien dir die Eh‘ mit mir, der Fremden, bis zum Altar wenig ehrenvoll“[8]

Hier, im 1. Dialog zwischen den beiden ehemaligen Verliebten, bezeichnet sich Medea folglich selbst als fremd: im griechischen Originaltext bezeichnet sie die Ehe als „βάρβαρον λέχος“, also eindeutig als ungriechisch.[9]

Page hat mit seiner Ansicht die Interpretationen der Folgezeit stark beeinflusst. So sei Laut der Kindermord der Medea laut Schmid eine Tat, welche „allem griechischen Empfinden ins Gesicht schlägt“[10], und verweist dabei auf die Verse 1255-1266, in denen der Chor ohne viel Erfolg nach einem vergleichbaren Beispiel aus dem Mythos sucht.

[...]


[1] siehe M. Hose, Euripides, München 2008, S. 50

[2] so wurde der Stoff unter anderem von P. Ovidius Naso (43 v. Chr-18 n. Chr), L. Annaeus Seneca (um 4 v. Chr.-64 n. Chr.), Pierre Corneille (1606-84), Luigi Cherubini (1760-1842), Franz Grillparzer (1791-1872), Jean Anouilh (1910-1987) und Christa Wolf (*1929) verarbeitet. Eine vollständige Liste findet sich im Anhang zu J.- W. Beck, Euripides' 'Medea': Dramatisches Vorbild oder misslungene Konzeption? In: Nachrichten der Göttinger Akademie der Wissenschaften 1998,1

[3] K. Matthiessen, Euripides und sein Jahrhundert, München 2004 S. 30

[4] D.L. Page, Euripides Medea. The Text edited with Introduction and Commentary, Oxford 1938, S. XIV

[5] Ebd, S. XVIII ff

[6] Ebd, S. XIX

[7] Euripides, Medea, 1304-1317 (ÜS J.J.C. Donner); Diese und alle folgenden Versangaben nach der Reclamausgabe Stuttgart 2006.

[8] Ebd. 584-585

[9] nach K. Vretska (Hrg), Gemoll, Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch, 9. Auflage Zug 1965, bedeutet βάρβαρος u.a. ungriechisch, ausländisch. Es ist zu betonen, dass „fremd“ als „ξένος“ keineswegs „ungriechisch“ bedeutet, sondern auch für Griechen, die aus anderen Poleis stammen, gebraucht wird.

[10] W. Schmid, Geschichte der Griechischen Literatur I 3, München 1940, S. 359 Anm. 3

Ende der Leseprobe aus 9 Seiten

Details

Titel
Die Fremdheit der euripideischen "Medea"
Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz
Note
1,00
Autor
Jahr
2009
Seiten
9
Katalognummer
V123224
ISBN (eBook)
9783640276264
Dateigröße
446 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fremdheit, Medea
Arbeit zitieren
Matthäus Deutsch (Autor:in), 2009, Die Fremdheit der euripideischen "Medea", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123224

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