Virtuelles Gedenken im Internet


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

36 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung (Martin Wolter)

2. Gesellschaftlicher Wandel als Voraussetzung für virtuelle Gedenkseiten (Martin Wolter)
2.1. Die Beziehung von Virtualität und Sterblichkeit
2.2. Neue Entwicklungen im Umgang mit dem Tod in der postindustriellen Gesellschaft

3. Virtuelles Gedenken im Internet (Martin Wolter)
3.1. Entwicklungen
3.2. BetreiberInnen, NutzerInnen und BesucherInnen
3.3. Vergleiche mit anderen Merkmalen der Trauer- und Gedenkkultur

4. Beschreibung und Darstellung von Internetseiten (Konstantin Erb)
4.1. Kommerzielle Erinnerung
4.1.1. englischsprachige Memorials im kommerziellen Bereich
4.1.2 deutschsprachige Memorials im kommerziellen Bereich
4.2. Private Erinnerung
4.2.1 englischsprachige Memorials im privaten Bereich
4.2.2 deutschsprachige Memorials im privaten Bereich
4.3. Erinnerungen an Haustiere und Gegenstände

5. Fazit (Konstantin Erb)

6. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Den Ausgangspunkt für die vorliegende Hausarbeit bildet das Hauptseminar „Neue Forschungen zur Sozial- und Kulturgeschichte des Todes“, in dem verschiedene Aspekte des Umgangs mit dem Tod in der Neuzeit behandelt wurden. Zurückblickend bis zur Französischen Revolution waren Forschungen von Tod und Weiblichkeit, zur Geschichte des Freitodes und zur Geschichte des Kirchhofs Thema im Seminar. Darüber hinaus wurde die Geschichte des Todes an Beispielen wie dem maritimen Tod, der Technisierung des Todes und von Privatfriedhöfen betrachtet. Aber auch unterschiedliche Vorstellungen von einem zeitgemäßen Tod oder vom Jenseits gehörten zum Seminarverlauf, an dessen chronologischen Ende sich das Thema der beiden Autoren dieser Arbeit reiht: Dem virtuellen Gedenken im Internet auf so genannten `Internet-Friedhöfen`[1].

Wir haben uns für dieses bisher wenig erforschte Thema entschieden, welches seinen Ursprung erst am Ende des 20. Jahrhunderts besitzt und mittlerweile in verschiedenen Ausprägungen existiert, welche wir in dieser Arbeit darlegen werden. Im zweiten Kapitel werden zunächst die Hintergründe erörtert und gezeigt, wie sich der neue Ort von Tod und Erinnerung in der postindustriellen Gesellschaft mittels des neuen Kommunikationsmediums Internet entwickeln und etablieren konnte. Die Darstellung der Ereignisse, eine eingehende Beschreibung der Menschen, welche die virtuellen Gedenkseiten betreiben und nutzen sowie der Vergleich mit anderen Merkmalen der Trauer- und Gedenkkultur folgen im dritten Kapitel, bevor im vierten Kapitel einige Websites von uns vorgestellt und Beispiele für die theoretischen Ausführungen im dritten Kapitel dargelegt werden. Im abschließenden Fazit wird neben der Zusammenfassung noch ein Ausblick der neuen Gedenkmethode für die Zukunft verfasst.

Eine selbstdarstellende Definition für so genannte Memorials, wie die aus dem englischsprachigen Raum stammenden Websites bezeichnet werden, findet sich beispielsweise auf der Startseite von www.memorial-of.com:

“A memorial website is a sincere and meaningful way to celebrate the life of a beloved family member, friend or other person who has passed away. It is a forum to pay tribute to the departed and offer comfort to those left behind. As part of the Library of Life, Memory-of.com is an easy-to-use, friendly tool letting you create and maintain a rich memorial website, which will be the focal point of a community that keeps your loved one's memory alive. It lets you cherish your loved one and share the memories forever.” [2]

Diese Memorials existieren heutzutage nicht nur für Menschen, sondern auch zunehmend für Tiere oder Gegenstände. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit von Ansichten berühmter Friedhöfe weltweit. Vor dem Hintergrund einer u.a. von Norbert Fischer beobachteten veränderten Trauerkultur am Ende des 20. Jahrhunderts mit einer steigenden Anzahl an anonymen Bestattungen wird die zentrale Frage in dieser Arbeit lauten, ob das Internet eine Lösung im Hinblick auf die sich veränderten Rahmenbedingungen sein und sich als Ort der Trauer und Erinnerung durchsetzen kann.

Neben zahlreichen Websites wie www.hall-of-memory.de oder www.memoriam.de für den deutschsprachigen Raum und www.memory-of.com und www.cemetery.org als größte Websites zum gewählten Thema, um nur die relevantesten zu nennen, und Arbeiten von Norbert Fischer werden von uns für diese Arbeit vor allem folgende Untersuchungen verwendet: Martin Vennes Untersuchung mit dem Titel: `Anonym bestatten - Digital gedenken`, Gudrun Schwibbes und Ira Spiekers Untersuchung über die formalen und strukturellen Bedingungen virtueller Friedhöfe sowie die Motive ihrer Betreiber und Benutzer und Hans Gesers Untersuchung über virtuelle Gedenkstätten im World Wide Web. Die Hintergründe der postindustriellen Gesellschaft liefert uns zusätzlich Ulrich Beck mit seiner Theorie der Reflexiven Modernisierung, welche im zweiten Kapitel unter anderem verwendet wird.

2. Gesellschaftlicher Wandel als Voraussetzung für virtuelle Gedenkseiten

Durch die so genannten neuen Medien ist die zwischenmenschliche Kommunikation seit Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr durch räumliche Abstände begrenzt. Wer Zugang zu diesen Medien insbesondere dem Internet hat, kann in Sekundenschnelle Nachrichten an jeden beliebigen Menschen weltweit senden, natürlich unter der Voraussetzung, dass dieser ebenfalls an das virtuelle Netz angeschlossen ist. Der Gegenstand des Todes und des Totengedenken fand sich schnell im Internet wieder und im Zuge der sich ändernden gesellschaftlichen Lebensverhältnisse gewann er durch jene auch zunehmend an Bedeutung.

2.1 Die Beziehung von Virtualität und Sterblichkeit

Genutzt wurde die neue Kommunikationstechnik Internet, welche zu den neuen Medien gehört, zunächst, um Informationen zu vermitteln, dabei natürlich auch von Beginn an unter anderem Informationen kommerzieller Art, und um neue Kommunikationsformen zu erstellen, beispielsweise in Form von Mails, Chats oder Foren.

Auch die Thematik Tod und Friedhof wurde mit dem Internet in Form von Präsentationen der einzelnen Gewerbetreibenden wie Friedhofsgärtner oder Steinmetze in Verbindung gebracht. „Eine neue Form der Dienstleistung stellt jedoch die Einrichtung von Erinnerungsstätten für verstorbene Menschen im Internet dar.“[3] Diese Erinnerungsstätten ohne feste Verortung zeigen den Trend, dass Trauer immer weniger an die klassischen Grabstätten gebunden ist.

Gudrun Schwibbe und Ira Spieker kritisieren an diesem Trend, dass das Internet den Aspekt der körperlichen Vergänglichkeit unterschlägt: „Auf dem realen Friedhof wird der tote Körper der Vergänglichkeit übereignet und den Besuchern die eigene Sterblichkeit ins Bewusstsein gerufen.“[4] Darüber hinaus behaupten sie, das Internet würde zur Verdrängung des Todes beitragen, da die Toten als virtuell lebend wahrgenommen werden können: Das Internet ist somit „kein Ort der (Toten-)Ruhe, des Abschieds und der Vergangenheit, sondern ein Ort der Gegenwart und der Möglichkeit ständiger Begegnung“.[5]

Weitere Kritikpunkte von Schwibbe und Spieker sind die Oberflächlichkeit und die mangelnde Ernsthaftigkeit, welche die Autorinnen dem neuen Trend der virtuellen

Gedenkstätten unterstellen:

„Der Kontakt zu den Verstorbenen nimmt daher einen gleichzeitig konsumhaft-voyeuristischen und abstrakt-distanzierten Charakter an.“[6] Letztendlich können die Beiden den Erinnerungsstätten im Internet dennoch auch etwas Positives abgewinnen, und zwar die erleichterte Kontaktaufnahme zwischen den Hinterbliebenen: „Während anlässlich eines realen Todesfalles im persönlichen Umfeld der soziale Kontakt zu den Hinterbliebenen häufig aufgrund von Gefühlen der Peinlichkeit und Hilflosigkeit vermieden wird, erleichtert das Hinterlegen von `Flowers` am virtuellen Grab den Ausdruck menschlicher Anteilnahme.“[7] Doch auch dieser Prozess ist ihrer Meinung nach recht unverbindlich und basiert auf Einseitigkeit. Außerdem ergeben sich ihrer Meinung nach aus der Kontaktlosigkeit im virtuellen Raum „erhebliche Einordnungs- und Orientierungsprobleme sowie die Frage nach dem Realitätsgehalt der virtuellen Welt überhaupt“[8].

Betrachtet man die angeführte Kritik, ist es zunächst fraglich, ob die virtuellen Gedenkstätten negative Auswirkungen auf die Friedhofsstrukturen ausüben können, wie dieses von Martin Venne befürchtet wird: „Daß die Institution Friedhof bereits mit dem neuen Medium um ihre Funktion als Erinnerungsträger in Konkurrenz steht und inzwischen auch im Internet Erinnerungsstätten existieren, wird bislang nur am Rand wahrgenommen.“[9] Die negativen Kritikpunkte überwiegen also bislang, aber eine abschließende Bewertung ist ohne einen Blick auf die Entwicklung des Gegenstandes erst später möglich.

2.2 Neue Entwicklungen im Umgang mit dem Tod in der postindustriellen Gesellschaft

Das postindustrielle Zeitalter zeichnet sich durch gesellschaftliche, kulturelle und technische Veränderungen aus, welche im Laufe der Jahre die Denk- und Verhaltensweisen einschneidend verändert haben: „Neben und abseits der gewohnten Institutionen sind neue Lebenswelten entstanden, die mit Stichwörtern wie Individualität, Flexibilität, Pluralität und ziviles Engagement charakterisiert werden.“[10] Selbstverständlich beeinflussen diese Entwicklungen auch den Umgang mit dem Tod. Die Hintergründe für die Entwicklungen liefert Ulrich Beck, wo er die grundlegenden Veränderungen der sozialen und wirtschaftlichen Koordinaten verantwortlich macht: Verringerte Wochen- und Lebensarbeitszeit, Job-Denken statt lebenslangen Beruf, nachlassende Bedeutung familiärer Bindungen, rasch wachsende Mobilität und Kommunikationsmöglichkeiten über alle räumlichen Grenzen hinweg.[11] Die Auswirkungen und Entwicklungen auf die Thematik Tod wirken sich dabei unterschiedlich aus. Neben dem Anstieg der anonymen Bestattungen auf namen- und zeichenlosen Rasenbeisetzungen entstehen ganz neue Orte von Trauer und Erinnerung wie die digitalen Gedenkseiten im Internet.[12] Auch Schwibbe und Spieker weisen die Veranschaulichung der gesellschaftlichen Entwicklungen am Beispiel der virtuellen Gedenkstätten hin: „Virtuelle Friedhöfe als Teil eines globalen kommunikativen Netzes setzen die private und die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Tod in eine neue Beziehung zueinander und stellen daher einen sozialkulturellen Indikator gegenwärtiger Erinnerungs- und Trauerkultur dar.“[13] Gerade die gesteigerte Mobilität der Menschen in unserer Gesellschaft und die damit verbundene Loslösung vom Heimatort verstärkt den Trend hin zu anonymen Bestattungen, da die Wege, welche die Hinterbliebenen zu den realen Gräbern zurücklegen müssen bzw. müssten, immer größer werden. Ergänzend steigt die Anzahl der Erinnerungsstätten im Internet, welche die klassischen Orte der Trauer ablösen könnten, so dass Martin Venne befürchtet: „Sollte dieses Szenario Realität werden, haben Friedhöfe wirklich nur noch die Funktion einer Parkanlage, auf der namenlos sterbliche Überreste `entsorgt` werden.“[14]

Der Soziologe Klaus Feldmann weist zusätzlich auf die zunehmende Unwichtigkeit der Grabgestaltung in Bezug auf das gesellschaftliche Ansehen einer Familie hin: „Die Individualisierung, die Mobilität und die Verfügbarkeit Statusmehrungsalternativen lässt diese veraltete Möglichkeit peripher werden.“[15] Zusätzlich nennt er die Alternativen, welche sich stellvertretend herausgebildet haben, um die soziale Erinnerung an Tote zu bewahren: „Kulturprodukte, wie Bücher, Fotografien, Filme, Ton- und Videoaufnahmen, aber auch Gegenstände des Alltags, wie Kaffeefilter und Organisationen, die von ihren Gründern künden.“[16] Da also auch dieser Aspekt an grundlegender Bedeutung verliert, folgt eine Ausweitung bzw. eine Verlagerung des Totengedenkens ins Internet.

Tatsächlich werden heutzutage immer mehr alltägliche Tätigkeiten vom Einkaufen über den Schriftverkehr bis hin zu Bankgeschäften in Deutschland über das Medium Internet erledigt. Das Internet wird somit immer mehr zum Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens und immer mehr Menschen bauen sich im Internet ihre eigene virtuelle Welt auf.

Dieser Trend wird ebenfalls durch die von Ulrich Beck besagte Individualisierung vorangetrieben, also dem mit der Industrialisierung und Modernisierung der westlichen Gesellschaften einhergehenden Prozess eines Übergangs des Individuums von der Fremdzur Selbstbestimmung. Die steigende Mobilität lässt die Besuche am realen Friedhofsgrab zudem aufwendiger werden, so dass die Voraussetzungen für Vennes Befürchtungen gegeben sind.

Hans Geser sieht im Zusammenhang mit den veränderten Rahmenbedingungen ebenfalls eine positive Zukunft für die virtuelle Todeskultur:

„...aus theoretischer Sicht sehr wohl einige Gründe, um in ihnen die Embryonalform einer durchaus evolutions- und verbreitungsfähigen neuen Todeskultur zu sehen, die den Bedürfnissen einer komplexen, mobilen, pluralisierten, individualisierten und säkularisierten Gesellschaft in vielerlei Weise entspricht.“[17]

Er kritisiert dabei gerade die rückschrittliche Organisation der Beerdigung: „…immer noch wird ihre Gestaltung in hohem Maße den Kirchen und anderen Organisationen überlassen, die in der säkularen Welt eine immer marginalere Bedeutung haben…“[18]. Im folgenden Kapitel stellen wir daher die Entwicklung der virtuellen Gedenkseiten dar und ziehen Vergleiche mit anderen Aspekten der Trauer- und Gedenkkultur, um herauszufinden, in wie weit das Internet die herkömmlichen Gedenkseiten ablösen kann.

3. Virtuelles Gedenken im Internet

Das virtuelle Gedenken im Internet nahm 1995 seinen Ursprung und ließ die Zahl seiner BetreiberInnen, NutzerInnen und BesucherInnen seitdem kontinuierlich ansteigen. In diesem Kapitel werden wir die Entwicklungen aufzeigen und die Motive der genannten Personengruppen darstellen, um abschließend einen Vergleich zu anderen Merkmalen der Trauer- und Gedenkkultur zu ziehen.

3.1 Entwicklungen

Die ersten virtuellen Gedenkseiten entstanden im Januar 1995, als erste Informationen im Zusammenhang mit Tod und Sterben im Internet zur Verfügung gestellt wurden. Bereits ein gutes Jahr später existierten sieben Ansammlungen von virtuellen Gedenkseiten, der spätere `Virtual Memorial Garden` umfasste bereits im Frühjahr über 1.100 so genannte Memorials. Ein halbes Jahr später existierten bereits 15 virtuelle Friedhöfe, von denen der größte über 1.600 Verstorbenen einen Ort bot.[19] Im Jahre 1999 existierten ca. 30 etablierte Einrichtungen weltweit, wobei die Konzentration der Gedenkseiten im englischsprachigen Raum lag:

„Die Einrichtung von virtuellen Friedhöfen wird bislang nahezu ausschließlich von Betreibern aus Nordamerika und Großbritannien angestoßen: andere Länder sind dagegen deutlich unterrepräsentiert. Aus diesem Grund werden die großen Friedhöfe im englischsprachigen Raum als globale Beerdigungsstätte für Verstorbene aus aller Welt genutzt.“[20]

Die Einrichtung eines Memorials ist für Menschen, die sich im Internet gut auskennen sehr leicht. Benötigt werden in der Regel lediglich eine E-Mail-Adresse sowie manchmal eine Kopie der Todesurkunde. Während anfangs die kostenlosen Angebote dominierten, verlangen die meisten Anbieter mittlerweile unterschiedliche Gebühren für ihre Dienste, die einmalig oder regelmäßig bezahlt werden müssen, aber letztendlich geringer sind als bei realen Grabstätten, wobei die Kosten vom Umfang und der Ausstattung der einzelnen Memorials abhängen.

„Die endgültige Gestaltung der Memorials variiert (…) erheblich: Sie erreicht von einer einfachen Textwiedergabe (z.B. `The Goodbye Page` oder `Virtual Heaven`) bis zur äußerst professionellen graphischen

Ausführung von Erinnerungsseiten mit z.T. mehreren Untermenüs zur Biographie der Verstorbenen, ihren Hobbies, persönlichen Vorlieben, Reflexionen etc. (z.B. `Virtual Memories` oder `Perpetual Memorials`)“[21]

Es existiert dabei eine große Palette an Ausdrucksvielfalt: Im vierten Teil dieser Arbeit werden wir verschiedene Darstellungsmöglichkeiten präsentieren, die beispielsweise Fotos, Abbildungen oder graphische Symbole beinhalten. Des Weiteren wird auf vielen Erinnerungsseiten Musik abgespielt und manchmal werden gar Videoaufnahmen zur Verfügung gestellt. „Offensichtlich setzt sich der Anspruch der Internetnutzer an die Gestaltungsmöglichkeiten und Benutzerfreundlichkeit ihrer favorisierten Websites auch bei den Erinnerungsstätten fort“[22], stellt Martin Venne fest, so dass weitere Extras die Regel sind.

Als Erweiterung zu herkömmlichen Grabinschriften und Zeitungsanzeigen kann es zusätzliche Rubriken wie Tagebucheinträge, Lieblingskochrezepte, die letzten Worte der Verstorbenen oder weitere Extras geben.[23] „Eine besondere Form von Nachrufen stellen die Memorials für Berühmtheiten aus dem öffentlichen Leben dar (Schauspieler, Sänger, Personen aus Politik und Herrscherhäusern)“[24], welche neben abstrakten Würdigungen beispielsweise von Tabak- und Alkoholopfern oder Gedenkeinträgen von Massenunglücken existieren.[25]

Die Darstellungen fallen dabei unterschiedlich aus: Es gibt Websites, welche alphabetisch oder nach Alter angeordnet sind, aber auch geographische und religiöse Merkmale können bei der Auflistung eine zentrale Rolle spielen. Die Illustrationen sind häufig durch Landschaften oder Blumen geprägt, um eine Friedhofsatmosphäre vorzutäuschen bzw. nachzuahmen.

3.2 BetreiberInnen, NutzerInnen und BesucherInnen

In diesem Abschnitt werden wir einen Blick auf die Menschen werfen, welche bereits mit virtuellen Gedenkseiten in Kontakt gekommen sind: Entweder betreiben sie welche, nutzen sie Memorials oder besuchen die Internetseiten aus anderen Gründen. Die BetreiberInnen von virtuellen Memorials nennen einige Motive, welche persönliche und kommerzielle Interessen beinhalten[26]: So können einerseits persönliche Erfahrungen den Anstoß gegeben haben, wie ein Trauerfall in der eigenen Umgebung, der jemanden auf die neue Idee brachte, die virtuellen Gedenkstätten zu erstellen und schließlich zu erweitern. Anderseits werden mit den virtuellen Gedenkseiten eine Erweiterung des regulären Angebots und zugleich Werbemöglichkeiten für Bestattungsdienste andere Branchen geschaffen, so dass auch BetreiberInnen ihre Dienste aus beruflichem Hintergrund anbieten. Weiterhin preisen die BetreiberInnen die Vorteile der Websites an, wie beispielsweise die Dauerhaftigkeit der Erinnerungsstätten oder die öffentliche Dimension der Bedeutung von Verstorbenen, die weit über den Adressatenkreis der Verstorbenen hinausgehen, welche sie zum Engagement im virtuellen Geschäft mit den Gedenkseiten bewegt hätten.

Neben den genannten Vorteilen ist ein „zentrales Motiv der Einrichtung von virtuellen Grabstätten der Wunsch, die Individualität der Verstorbenen herzustellen“[27]. Durch die gestalterischen Möglichkeiten können dabei beim selben Betreiber völlig unterschiedliche und individuelle Ergebnisse erzielt werden. Schwibbe und Spieker haben außerdem folgenden Unterschied zu realen Friedhöfen festgestellt, welche die NutzerInnen überzeugt:

„Zudem unterliegen die traditionellen und institutionisierten Medien des Gedenkens einer gewissen Standardisierung und somit Fremdbestimmung, während im virtuellen Memorial Phantasie, Experimentierfreude, Technikbegeisterung und individuelle Gestaltungsmöglichkeiten der Nutzer frei ausgelebt werden können. Dabei werden religiöse und profane Elemente unbefangen miteinander kombiniert.“[28]

Ein weiteres Motiv für die Nutzung von Memorials bildet laut Schwibbe und Spieker der Ausdruck von Verlusterfahrungen: „Die Hinterbliebenen stellen ihre persönlichen Verbindungen zu den Verstorbenen auf vielfältige Weise dar wie beispielsweise durch die Beschreibung gemeinsamer Erlebnisse, Beteuerungen von Liebe und Trauer und/oder durch persönliche Anrede.“[29] Da die Form der virtuellen Gedenkform relativ neu ist, kommt es auch häufig zu nachträglichen Einrichtungen von Memorials, wenn die Personen bereits längere Zeit verstorben sind: „Die Hinterbliebenen nutzen sie in diesem Fall häufig dazu, Versäumnisse aufzuarbeiten und nachträgliche Aussprachen zu simulieren sowie einen endgültigen Abschied nachzuholen.“[30] Die Memorials „wirken unterstützend sowohl beim individuellen als auch beim kollektiven Durchleben von Trauerphasen, indem sie Erinnerungen und Gefühle bewusst und mittelbar machen, soziale Rückmeldungen auslösen und Empathien wecken.“[31]

Schwibbe und Spieker stellen in ihrer Untersuchung weiterhin fest, dass die biographische Präsentation der Verstorbenen immer auch mit einer Selbstdarstellung und Aufwertung der Hinterbliebenen einhergeht, welche die Memorials mit Inhalten füllen. Die Autorinnen kritisieren in diesem Zusammenhang, dass nicht festgelegt werden kann, wer die Definitionsmacht über das erinnerte Leben besitzt. So weit der Verstorbene nicht selbst sein Memorial vor seinem Tod fertig gestellt hat, ist es jeder Person möglich, ein solches zu verfassen. So hat es beispielsweise den Fall gegeben, dass die Exfreundin eines Verstorbenen ein Memorial kreierte, in dem die Witwe sowie die Kinder des Verstorbenen verschwiegen wurden.[32]

Besonderheiten bei der Nutzung stellten die Wissenschaftlerinnen bei Menschen fest, die in Folge von Krankheiten starben. Sie sind besonders häufig mit detaillierten Beschreibungen ihres Krankheitsverlaufs unter den NutzerInnen vertreten. Auch wurde eine überproportionale Anzahl von jugendlichen NutzerInnen festgestellt, die in der Regel über das technische Know-how verfügen und bei deren jungen FreundInnen aufgrund des Alters der Tod als besonders tragisch wahrgenommen wird.

Norbert Fischer weist zudem darauf hin, dass gerade Angehörige der sozialen Bildungselite das Angebot von `Hall Of Memory` nutzen[33], welche kennzeichnend für die Lebenswelten der mobilen Gesellschaft sind, da beispielsweise die Distanz zwischen dem Wohnort der Hinterbliebenen und der Grabstätte besonders groß ist: Diese Feststellung unterstreicht noch einmal die These, dass die Lebenswelten der postindustriellen Gesellschaft die Ausweitung der virtuellen Gedenkorte forcieren. Martin Venne stellt fest, dass sich das Medium ändert, während die ursprüngliche Funktion erhalten bleibt: „Der virtuelle Friedhof als Ersatzraum simuliert so die Funktionen des realen Friedhofs als legitimen Ort der Trauer und des sozialen Austauschs; er löst diese Funktionen allerdings aus den mit ihnen verbundenen sinnlichen Erfahrungen und verlagert sie auf die kommunikative Ebene.“[34]

Auch die BesucherInnen der virtuellen Websites besitzen unterschiedliche Motive, warum sie Memorials besuchen. So „spielen zufällige Funde beim Surfen im Internet, eine gewisse Neugierde und der Unterhaltungswert der Web-Seiten eine Rolle“[35].

[...]


[1] Da keine Beisetzungen stattfinden, ist der Begriff `Friedhof` eigentlich unangemessen und so wird er im Verlauf dieser Arbeit lediglich in Zitaten verwendet. Der Begriff `Internet-Friedhof` ist in der Literatur jedoch weit verbreitet.

[2] vgl. Memory-of.com

[3] Venne 1999:17

[4] Schwibbe/Spieker 1999:239

[5] Ebda. S.238

[6] Ebda. S.240

[7] Ebda. S.240

[8] Ebda. S.238

[9] Venne 1999:17

[10] Fischer 2001:83

[11] vgl. Beck u.a. 1996:19 ff.

[12] vgl. Fischer 2001:83

[13] Schwibbe/Spieker 1999:220

[14] Martin Venne 1999:17

[15] Feldmann 1997:29

[16] Ebda. S.39

[17] Geser 2000: 233

[18] Ebda, S.228

[19] vgl. Schwibbe/Spieker 1999:220

[20] Ebda. S.222

[21] Ebda. S.224

[22] Venne 1999:19

[23] vgl. Schwibbe/Spieker 1999:224f.

[24] Ebda. S.225

[25] Ebda. S.225

[26] Ebda. S.226 f..

[27] Ebda. S.228

[28] Ebda. S.228

[29] Ebda. S.229

[30] Ebda. S.230

[31] Ebda. S.231

[32] vgl. Ebda. S.231 f.

[33] vgl. Fischer 1999:90

[34] Venne 1999:24

[35] Schwibbe/Spieker 1999:233

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Virtuelles Gedenken im Internet
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte)
Veranstaltung
Neue Forschungen zur Sozial- und Kulturgeschichte des Todes
Note
1,0
Autoren
Jahr
2006
Seiten
36
Katalognummer
V123229
ISBN (eBook)
9783640276356
Dateigröße
583 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Internetfriedhof, Internetfriedhöfe, Tod, Gedenken, Internet, Virtuelles Gedenken, Trauer, Beerdigung, Friedhof, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Hausarbeit
Arbeit zitieren
Diplom Soziologe Martin Wolter (Autor:in)Konstantin Erb (Autor:in), 2006, Virtuelles Gedenken im Internet, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123229

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