Vergleich der Darstellungen des Films "Das Cabinet des Dr. Caligari" bei Siegfried Kracauers "Von Caligari zu Hitler" und Lotte H. Eisners "Die dämonische Leinwand"


Hausarbeit, 2006

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Siegfried Kracauer: „Caligari“
2.1 Ansatz
2.2 Textstruktur und allgemeine Thesen
2.3 Rolle der expressionistischen Gestaltungsweise

3 Lotte H. Eisner: „Die Geburt der expressionistischen Filmkunst“
3.1 Ansatz
3.2 Textstruktur und allgemeine Thesen
3.3 Rolle der expressionistischen Gestaltungsweise

4 Kritischer Vergleich
4.1 Ansatz
4.2 Textstruktur und allgemeine Thesen
4.3 Rolle der expressionistischen Gestaltungsweise

5 Schluss

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Der deutsche Film in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wird generell als „goldenes Zeitalter des Weltkinos“ angesehen (Elsaesser 22). Als einer der Schlüsselfilme jener Zeit gilt zweifellos Das Cabinet des Dr. Caligari. Er steht auch stellvertretend für den expressionistischen Film, welcher allgemein „morbide, traumatisiert und voller Vorahnung“ (24) scheint. Warum dem so ist, habe ich anhand von zwei Büchern untersucht, die mit ihren Thesen einen lebendigen Diskurs auslösten (24). Es handelt sich hierbei um Siegfried Kracauers Von Caligari zu Hitler und Lotte H. Eisners Die dämonische Leinwand.

Diese vorliegende Arbeit hat das Ziel, die Darstellung des Films in beiden Werken, anhand der entsprechenden Kapitel[1], zu vergleichen. Ich beschränke mich hierbei auf die Analyse und den kritischen Vergleich von folgenden Aspekten: dem jeweiligen Ansatz, den allgemeinen Thesen bezüglich des Films und der Textstruktur der Kapitel. Außerdem untersuche ich, inwiefern beide Autoren die expressionistische Gestaltungsweise des Films für bedeutsam halten.

2 Siegfried Kracauer: „Caligari“

2.1 Ansatz

Kracauer wählt für seine Filmgeschichte einen sozio-psychologischen Ansatz. Das gibt einerseits bereits der Untertitel „eine psychologische Geschichte des deutschen Films“ vor, andererseits wird dies auch in seiner Hauptthese deutlich. Er behauptet nämlich, dass Filme „tiefenpsychologische Dispositionen“ eines Volkes wiederspiegeln (6). Wenn man diesen Gedanken weiterführt bedeutet dies, dass der expressionistische Film allgemein und Das Cabinet des Dr. Caligari im Besonderen „Vorboten einer kommenden Diktatur“ seien (Elsaesser 32). Kracauer untersucht die Filme nicht „um ihrer selbst willen“ (Kracauer 6), sondern er will an ihnen beweisen, dass die Deutschen zu dieser Zeit besonders anfällig gewesen seien für das Gedankengut der Nationalsozialisten (18). Dass er seine Untersuchung an den Filmen dieser Zeit verankert, hat zwei Gründe. Zum einen seien Filme „niemals das Produkt eines Individuums“ (11) und zum anderen richte sich der Film immer an eine große anonyme Masse von Menschen und versuche diese anzusprechen (11). Da bedeutende Filme aus jener Zeit von Tyrannen handeln (Caligari, Mabuse, Nosferatu), könne man schon daraus eine gewisse Bereitschaft der Deutschen erkennen, sich einem Tyrannen unterzuordnen (84). Ausgehend von dieser Erkenntnis kommt Siegfried Kracauer zu dem Schluss, dass diese Filme einen direkten Weg „von Caligari zu Hitler“ in die Tyrannei aufzeigen.

2.2 Textstruktur und allgemeine Thesen

Kracauer geht am Anfang seines „Caligari“-Kapitels ausführlich auf die Entstehungsgeschichte des Drehbuches ein. Er stützt sich dabei ausschließlich auf ein unveröffentlichtes Manuskript von Hans Janowitz, einer der Drehbuchautoren, der seine Erinnerungen von der Entstehung des Drehbuchs ab 1939 im Exil niedergeschrieben hat (Loew). Demzufolge wollten die Autoren Janowitz und Carl Mayer „Die Allmacht einer Staatsautorität brandmarken“ (Kracauer 71). Der deutsche Kaiser im Ersten Weltkrieg, sei ihnen das „Urbild einer solchen gefräßigen Autorität“ (71) gewesen. Der Charakter von Caligari sei eine Verkörperung dieses Tyrannenbildes und so der Verantwortliche des Mordens in der Filmgeschichte. Der Somnambule Cesare, der die Morde begeht, sei bloß ein Instrument und ein Opfer Caligaris. Er sollte ein Sinnbild für den Mann aus dem Volk sein, der, gedrillt von der allgemeinen Wehrpflicht, gezwungen wird zu töten und schließlich selbst getötet wird (71). Kracauer begreift Cesare allerdings auch als eine besondere Vorahnung, denn genau wie er sei das Volk unter Hitler einer Art Massenhypnose ausgesetzt gewesen (79). Er räumt zwar ein, dass Hypnose kein unbekanntes Thema im Kino war, dennoch „müssen [Janowitz und Mayer] von einem jener dunklen Impulse getrieben worden sein, die ihren Ursprung in den sich langsam bewegenden Grundschichten des Volkes haben“ (79).

Kracauer stützt sich bei der Charakterisierung der Hauptfiguren auf die Geschehnisse in der Originalhandlung der Autoren, die er zuvor ausführlich beschreibt. Die Rahmenhandlung behandelt Kracauer separat, da diese, seiner Meinung nach, alles ins Gegenteil verkehrt (73). Die Ereignisse, ohne den Rahmen (in der Francis der eigentliche Irre ist und Caligari der gütige Direktor der Nervenheilanstalt), nennt Kracauer „revolutionär“, da der Leiter einer Irrenanstalt am Ende als Caligari entlarvt wird. „Vernunft überwältigt unvernünftige Gewalt, wahnwitzige Autorität wird symbolisch zur Abdankung gezwungen“ (71). Mit der Einfügung der Rahmenhandlung sei das Produkt aber ein „konformistischer“ Film geworden und die eigentliche Botschaft entstellt (73). Die Idee zu dieser soll Fritz Lang gehabt haben, der zuerst als Regisseur vorgesehen war, später aber aus dem Projekt ausstieg. Der neue Regisseur Robert Wiene habe diese Idee übernommen und sich so dem Kanon der Filmproduktion gebeugt, obwohl die Filmautoren massiv dagegen protestiert hätten (72f.). Kracauer argumentiert, dass durch die Rahmenhandlung wiederum eine „psychologische Disposition“ aufgedeckt wird. Dadurch, dass die Originalhandlung eingekapselt wird, werde die Bereitschaft und das Bedürfnis der Deutschen gezeigt, sich nach dem Krieg in sich selbst zurückzuziehen (74).

Nach dem Kinostart hätten die Deutschen, besonders die Sozialdemokraten, die Bedeutung des Films nicht verstanden und nicht erkannt, dass C aligari einen Zustand der Seele beschreibe (78).

Nach Meinung des Autors drängt diese Seele in verschiedene Richtungen. Der eine Weg führe in die Tyrannei und der andere, nicht etwa in die Freiheit, sondern in die Anarchie. Im Film stehe der Jahrmarkt stellvertretend für die Anarchie, eine Anarchie die „Chaos brütet“ (80). Kracauer belegt seine These, indem er darauf verweist, dass die meisten Jahrmarktszenen mit einer Kreisaufblendung beginnen und der Kreis zum Sinnbild von Chaos wird (80). Die Drehbuchautoren seien nicht fähig gewesen, sich die Freiheit richtig vorzustellen, vielmehr seien ihre Vorstellungen auf „naiven Idealismus“ (81) gegründet. Die Seele der Menschen fliehe vor der Tyrannei, hat aber Angst vor der Freiheit, denn Freiheit kann Chaos auslösen, so befindet sie sich in einem Zustand „äußerster Verwirrung“ (81). Aus diesem Grund verbreite der Film eine „Atmosphäre des Grauens“ (81) und „wie die Naziwelt, so quillt die des Caligari von unheilvollen Vorzeichen, Terrorakten und und Ausbrüchen der Panik über“ (81).

2.3 Rolle der expressionistischen Gestaltungsweise

Im Folgenden geht der Text auf die Ausstattung des Films ein. Robert Wiene engagierte drei expressionistische Künstler: Hermann Warm, Walter Reimann und Walter Röhrig. Kracauer glaubt, dass viele Menschen nach dem Verlust des Krieges vom Expressionismus angesprochen wurden. Der Grund dafür liege darin, dass sich diese Stilrichtung von den bürgerlichen Traditionen abwende und stattdessen den Glauben an die, im Menschen innewohnenden Kräfte, stärke (75). Die Fassung von Wiene leugne aber den „revolutionären Gehalt“ (76) der expressionistischen Inszenierung, genauso wie sie die eigentlich revolutionäre Geschichte leugne. Das Ergebnis sei folglich, dass die expressionistischen Elemente scheinbar lediglich die Funktion hätten, die Fantasien eines Irren als solche kenntlich zu machen. Das ist aber eben nur scheinbar der Fall, da in der „Wirklichkeit“ der Rahmenhandlung genauso wie in der (fiktiven) Binnenerzählung expressionistische Ornamente, wie die schiefen Schornsteine zu erkennen sind. Infolgedessen bestehe der eigentliche Sinn dieser Gestaltungsweise weder im Vermitteln revolutionärer Botschaften, noch in der Beschreibung von Geisteskrankheiten. Sie sollte die Geschehnisse auf der Leinwand als „Phänomene der Seele“ (77) charakterisieren und ist demnach für Kracauer ein weiterer Beweis für das Bedürfnis der Deutschen, sich nach dem Krieg in die Innenwelt der Seele zurückzuziehen (77). Der Autor geht hier noch einen Schritt weiter, indem er sagt, dass auch die Tendenz, Filme gänzlich im Studio herzustellen, mit dem Rückzug aus der Außenwelt zusammenhänge. Ebenfalls sei die für Caligari typische Lichtgebung mit Schatten „die wie Unkraut wucherten“ (82) dazu da, den Zuschauer in die „Landschaft der Seele“ einzuführen (82). In den Szenarien sollten materielle Dinge in „emotionale Ornamente“ (75) verwandelt werden.

Das Ergebnis im fertigen Film beurteilt Kracauer als einigermaßen gelungen, obwohl einiges zu extrem abstrahiert worden sei und anderes zu wenig (75). Als zu naturalistisch charakterisiert er die Gesten der Schauspieler. Die Ausnahme davon seien Werner Krauss als Caligari und Conrad Veidt als Cesare. Sie „scheinen [...] der Phantasie eines Graphikers zu entspringen“ (76). Das Bedürfnis, die Handlung, die Szenerie, das Spiel der Akteure und die Lichtgebung nach einem bestimmten Sinn einheitlich zu gestalten, zeuge von von einem Bedürfnis nach totaler Organisation (83). Der Autor kommt wieder auf Hitler und die Tyrannenthematik zurück, wenn er zu dem Schluss kommt, dass die Fähigkeit zur Organisation mit der Sehnsucht, sich zu unterwerfen, zusammenhängt (83).

3 Lotte H. Eisner: „Die Geburt der expressionistischen Filmkunst“

3.1 Ansatz

Eisner wählt einen kunsthistorischen Ansatz. Sie verwendet „Methoden der Stilkunde und Stilentwicklung“ (11) und beschränkt sich also darauf, den Stil einzelner „wichtiger“ Filme und „qualitätvoller“ Regisseure zu untersuchen, um dann bestimmte Stiltendenzen herauszuarbeiten (11). Um die Vorherrschaft bestimmter Stiltendenzen (hier: des Expressionismus) zu erklären, stellt sie Rückbezüge zur romantischen Kunsttradition her und versucht aus diesen „analogisch mögliche Konstanten des deutschen Nationalcharakters“ (Lenssen 70) zu konstruieren. Die Romantik habe folglich einen großen Einfluss auf die deutsche Kultur und ebenso auf den expressionistischen Film. (Elsaesser 26). Schon die Romantiker haben sich mit gespaltenen und dämonischen Persönlichkeiten auseinandergesetzt (26). Der Schockzustand, in dem sich Deutschland nach Ende des verlorenen Krieges befand, steigere „die den Deutschen eingeborene Zerissenheit [...] ins Unmäßige“ (Eisner 15). Die Folge sei, dass die Künstler den „apokalyptischen Doktrien des Expressionismus [...] mit Leib und Seele verfallen.“ (15). Eisner versteht unter einem expressionistischen Künstler jemanden, der nicht die vorhandene Welt nachbildet, sondern sie nach seiner Idee neu erschaft. Die „ewige Bedeutung der Tatsachen und Objekte“ und die „expressivste Expression“ (16) soll gesucht werden. Der erste Film in dem dieses geleistet wurde, ist für die Autorin Das Cabinet des Dr. Caligari.

[...]


[1] Bei Kracauer handelt es sich um das Kapitel „Caligari“ in Von Caligari zu Hitler und bei Eisner um das Kapitel „Die Geburt der expressionistischen Filmkunst“ in Die dämonische Leinwand.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Vergleich der Darstellungen des Films "Das Cabinet des Dr. Caligari" bei Siegfried Kracauers "Von Caligari zu Hitler" und Lotte H. Eisners "Die dämonische Leinwand"
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Institut für Theater- und Medienwissenschaft)
Veranstaltung
Basiskurs Theater- und Medienhistoriografie
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
15
Katalognummer
V123246
ISBN (eBook)
9783640277360
Dateigröße
479 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vergleich, Darstellungen, Films, Cabinet, Caligari, Siegfried, Kracauers, Caligari, Hitler, Lotte, Eisners, Leinwand, Basiskurs, Theater-, Medienhistoriografie
Arbeit zitieren
Maja Hetmank (Autor:in), 2006, Vergleich der Darstellungen des Films "Das Cabinet des Dr. Caligari" bei Siegfried Kracauers "Von Caligari zu Hitler" und Lotte H. Eisners "Die dämonische Leinwand", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123246

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