Zwischen Rationalismus und Romantik. Zur Ausgestaltung der Kritik und ihrer Bedeutung in E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann"


Hausarbeit, 2018

24 Seiten, Note: 2,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Zum Stand der Forschung
1.2 Leitfrage und Aufbau der Arbeit

2 Epochenbilder der Aufklärung und Romantik im Zeichen der Kritik
2.1 Zur Epoche der Aufklärung: Menschenbild, Weltbild und Lebenskonzept
2.2 Zur Epoche der Romantik: Menschenbild, Weltbild und Lebenskonzept
2.3 Kritik der Romantiker am Rationalismus und an der Aufklärung
2.4 Kritik E.T.A. Hoffmanns an der Romantik

3 Kritik im Sandmann – Rationalismus vs. Subjektivismus
3.1 Olimpia: Kritik an Gesellschaft und Wissenschaft
3.2 Weitere kritische Aspekte gegenüber der Aufklärung im Sandmann
3.3 Nathanael: Kritik am Subjektivismus der Romantik
3.4 Weitere kritische Aspekte gegenüber der Romantik im Sandmann

4 Clara als Ideal?

5 Menschenbild, Weltbild und Lebenskonzept im Sandmann

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Zum Stand der Forschung

Keine andere Erzählung E.T.A. Hoffmanns hat in der Forschung so viel Aufmerksamkeit erlangt, wie Der Sandmann.1 Dabei gilt sie aber gleichzeitig auch als „die am gegensätzlichsten interpretierte Erzählung E.T.A. Hoffmanns“2. Sie hat das Interesse der unterschiedlichsten, wissenschaftlichen Disziplinen erweckt und damit eine Fülle an Deutungsüberlegungen produziert3, die letztendlich auch zu Interpretationskonflikten führen4. In der Forschung liegt dabei der Schwerpunkt der Interpretation auf einem psychoanalytischen Ansatz5 und einer Deutung, die historische und biographische Fakten zugrunde legt6.

In welcher Art und Weise die Erzählung die soziale Wirklichkeit reflektiert wurde erstmals 2001 von Andrea Fuchs in ihrer Dissertationsarbeit Kritik der Vernunft untersucht.7 Die Kritik an Rationalismus und Romantik im Sandmann wird zwar in der Grundlagenforschung E.T.A. Hoffmanns allgemein angenommen, bildet aber bisher keinen Ausgangspunkt für eine textnahe Analyse, welche in dieser Arbeit erfolgen soll.

1.2 Leitfrage und Aufbau der Arbeit

E.T.A. Hoffmanns „Aufklärung über Aufklärung“8 ist aktueller denn je. Vielleicht würden wir heute im Rahmen einer Vernunftkritik weniger den Bau von Robotern in Frage stellen, wohl aber künstliche Intelligenz in Zusammenhang mit autonomem Fahren oder auch die Manipulation bei der Erzeugung echten Lebens durch Klonen beziehungsweise ‚Genom Editing‘ (Stichwort: Designerbabys). Der Fortschritt der Technik und Naturwissenschaften, der mit einem rasanten Wandel einhergeht, wird heute ebenfalls mit kritischen Blicken betrachtet. Das ist auch nicht verwunderlich in Anbetracht der Tatsache, dass „die Entwicklung, [welche] […] die Moderne nahm und nimmt, […] in einer unbewohnbaren Welt zu gipfeln droht“9.

Das Nachtstück E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann eröffnet sich als besonders interessant für die Untersuchung der Kritik der Romantik am Rationalismus und an der Aufklärung, da hier die Kritik in ihrer Zweidimensionalität erfahrbar wird. Der Autor komponiert ein uneindeutiges Weltbild10, in welchem er sowohl auf Vorstellungen der Epoche der Aufklärung als auch auf Ideale der Romantik kritischen Bezug nimmt. Die Frage, die im Verlauf dieser Arbeit beantwortet werden soll, lautet: Wie gestaltet sich die Kritik gegenüber Rationalismus und Romantik im Sandmann und welche Bedeutung hat diese Kritik für das kreierte Weltbild, Menschenbild und Lebenskonzept?

Dafür sollen im Nachfolgenden zunächst die Epochenbilder der Aufklärung und Romantik in Hinblick auf die vorherrschenden Auffassungen bezüglich des Weltbildes, des Menschenbildes und des allgemeinen Lebenskonzeptes skizziert werden. Hier werden unter anderem Naturverständnisse, Religionsauffassungen und Identitätskonzepte der beiden Epochen erläutert. Darauf folgt eine vertiefende Darstellung der Kritik der Romantiker11 an der Aufklärung im Entstehenszusammenhang der Epoche. Dieser Abschnitt bildet, gemeinsam mit der Kritik E.T.A. Hoffmanns an der Romantik, die Basis für die darauffolgende Analyse des Sandmanns. Mit den Ideen und Perspektiven, die sich in Kapitel zwei der Arbeit ergeben, kann nun eine systematische Analyse der Kritik erfolgen. Diese Untersuchung beinhaltet zum einen eine Charakterisierung Olimpias, die als Repräsentantin der Kritik an Gesellschaft und Wissenschaft auftritt und zum anderen eine Charakterisierung Nathanaels, in dessen Figur Kritik am Subjektivismus der Romantik geübt wird. Ergänzt wird dieses dritte Kapitel mit Kritikpunkten, die sich außerhalb des jeweiligen Figurenhorizontes bewegen. Nachfolgend widmet sich die Arbeit im vierten und fünften Kapitel der Beantwortung des zweiten Teils der Leitfrage. Es soll hier zunächst um die Beantwortung der Frage gehen, ob Clara als Figur das Ideal der Weltanschauung und des Vernunftverständnisses verkörpert. In Form einer abschließenden Schlussbetrachtung erfolgt eine zusammenfassende Beschreibung des im Sandmann propagierten Welt- und Menschenbildes.

2 Epochenbilder der Aufklärung und Romantik im Zeichen der Kritik

2.1 Zur Epoche der Aufklärung: Menschenbild, Weltbild und Lebenskonzept

Der Beginn der Epoche der Aufklärung ist gekennzeichnet durch ein Umdenken, das vor allem durch den Bruch feudaler Gesellschaftsordnungen, die Infragestellung des christlichen Weltbildes und die zunehmende Bedeutung des wissenschaftlichen Rationalismus verursacht worden ist.12 Durch ein neues, rationalisiertes Naturverständnis des menschlichen Körpers ändert sich auch die Selbstbetrachtung des Menschen und seine Rolle in der Welt13 : „[Z]unehmend [tritt] ein Funktionsbegriff des Menschen an die Stelle des theologisch geprägten Substanzbegriffs“14. Dabei bildet die Vorstellung des Menschen als vernunftbegabtes Wesen das Zentrum des Menschenbilds in der Aufklärung.15 Selbstbestimmung und Weltorientierung schaffen die Basis für die individuelle Selbstverwirklichung des Menschseins.16 Der Mensch wird also neu definiert als ein Wesen, das von der Vernunft geprägt ist und seine Bindung an jenseitige Größen zu einer selbstbewussten Mündigkeit verlagert. Immanuel Kant gelangt 1784 zu der Forderung: „ Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“17. Damit vereint er sowohl die Überlegung des angeborenen Erkenntnisvermögens des Menschen, als auch der Notwendigkeit und Aufgabe des Menschen seine Fähigkeiten und Anlagen weiterzuentwickeln.18 Die „Perfektibilität als Grundcharakter des Menschen“19 wird zwar angenommen, jedoch scheint der Zustand des totalitären Menschseins unerreichbar.20

Mit dem Wandel des weltanschaulichen Grundmodells widmet sich die Aufklärung der rationalen Analyse tradierter Wissensbestände und rückt die Natur ins Zentrum des Erkenntnisinteresses.21 Die Natur wird dabei wahrgenommen als eine Art riesige Maschine, die zwar von Gott zum Laufen gebracht worden ist, von nun an aber den Naturgesetzen folgt.22 Im Allgemeinen richtet sich die Aufklärung auf einen optimistischen Zukunftsentwurf, der die Ergründung der übergeordneten Wahrheit in sich trägt.23

Durch die Bildbarkeit des Menschen kommt der Kunst und damit auch der Literatur eine neue Fokussierung zu: Sie soll zur Ausbildung und Erziehung des menschlichen Geistes beitragen und besitzt somit neben einer angenehmen, unterhaltenden Funktion einen didaktischen, belehrenden Auftrag.24 Außerdem folgt die Literatur dem Grundgedanken der Natürlichkeit und einem System an Regeln für die Schaffung und Rezeption literarischer Texte.25

Das Weltbild und Menschenbild der Aufklärung ist also grundsätzlich geprägt von einem rationalisierten Naturverständnis, welches sich von einer zentralen Bedeutung der göttlichen Instanz abwendet und den Menschen zusammen mit seinem Verstand in den Fokus des Interesses stellt.

2.2 Zur Epoche der Romantik: Menschenbild, Weltbild und Lebenskonzept

Das 18. Jahrhundert ist geprägt von Prozessen wiederholter Neu- und Umordnung.26 Dazu gehört auch die Französische Revolution 1789, welche „die radikale Wandelbarkeit sozialer, politischer und ethischer Ordnungen“27 beweist. Folge ist vor allem eine Destabilisierung Europas und auch andere Erschütterungen, wie beispielsweise die Evolutionstheorie Darwins, verändern das Welt- und Menschenbild.28 Die Welt verrätselt sich zunehmend, der Mensch bekommt das Bedürfnis nach Halt und Orientierung – immer dringlicher wird die Frage nach dem Lebenssinn und nach Höherentwicklung.29 Hinzukommt die parallel einsetzende industrielle Revolution30, die unter anderem nach Wackenroder ein „einförmiges, taktmäßiges Fortsausen der Zeit“31 in der Wahrnehmung vieler Menschen verursacht.

Als Fluchtpunkte der sozialen Entwicklungsdynamik, also der Rationalisierung in Wissenschaft, Ökonomie und Technik und der zunehmenden Individualisierung, gelten Kunst und Liebe.32 Die Fortschrittsgeschichte bringt also nicht nur positive Aspekte mit sich, sondern auch Angst vor Erfahrungs- und Sinnverlusten.33 Der Historiker Reinhart Koselleck spricht von einer beschleunigten Zeit, die Erfahrungsräume verkürzt und das Individuum immer wieder mit unbekannten Faktoren konfrontiert, sodass das Gegenwärtige sich in seiner Komplexität ins Unbefahrbare entzieht.34 Folge sind Bedrohungswahrnehmungen und zunehmender Identitätsverlust.35 In der Epoche der Romantik werden die Rationalisierungsschübe und die Mechanik des naturwissenschaftlichen Weltbildes kompensiert durch einen Versuch der Überwindung durch ganzheitliche Vorstellungen.36 Es entwickeln sich Ideen, die sich von den Idealen der einseitig aufgeklärten Gesellschaft und Kunst abwenden und mit der Betonung des Gefühlvollen und Phantastischen eine Antwort auf die einseitige Weltsicht des am Nutzen orientierten Rationalismus finden.

Novalis schreibt in seinem philosophischen Werk Blüthenstaub : „Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft. Die Außenwelt ist die Schattenwelt, sie wirft ihren Schatten in das Lichtreich.“37 Demnach stellt die Außenwelt mit ihrem mechanisch geprägten Naturverständnis und ihrer zunehmenden Modernisierung eine Bedrohung dar, vor der das Individuum flüchtet und sich auf die eigene Innenwelt zurückbesinnt. Einsamkeit und Rückbesinnung auf das eigene Ich repräsentieren hier die Innenwelt. Fluchtpunkte sind aber ebenso Literatur, Kunst, Musik und auch die Nacht sowie die Natur, in der von der alltäglichen Lebensrealität Abstand genommen werden kann.

Als bestimmendes Gefühl der Epoche kann die Sehnsucht definiert werden, die in verschiedensten Formen in der Literatur auftritt und sich vom Fernweh über Liebessehnsucht bis zur Todessehnsucht erstreckt. Allgemein grenzt sich die Epoche der Romantik ästhetisch vor allem durch Phantastik und Imagination von den aufklärerischen Postulaten der moralischen Erziehung des Menschen und der Naturnachahmung ab.38

[...]


1 Vgl. M. Rohrwasser 1991, S. 15.

2 J. Walter 1984, S. 15.

3 Vgl. O. Jahraus 2016, S. 39.

4 Vgl. P. Tepe/J. Rauter/T. Semlow 2009, S. 9.

5 Vgl. H. Fricke 2016, S. 177.

6 Vgl. A. Fuchs 2001, S. 69.

7 Vgl. Ebd., S. 70.

8 Ebd., S. 24.

9 Ebd., S. 19.

10 Vgl. A. Fuchs 2001, S. 67.

11 Im Interesse einer besseren Lesbarkeit wird nicht ausdrücklich in geschlechtsspezifischen Personenbezeichnungen differenziert. Die gewählte männliche Form schließt hier und im Folgenden eine adäquate weibliche Form gleichberechtigend ein.

12 Vgl. W. Schneiders 1995, S. 12–17.

13 Vgl. H.E. Bödeker 1995, S. 264.

14 Ebd.

15 Vgl. ebd., S. 264f.

16 Vgl. ebd., S. 265.

17 I. Kant 1784, S. 481.

18 Vgl. H.E. Bödeker 1995, S. 265.

19 Ebd.

20 Vgl. ebd.

21 Vgl. Baasner 2006, S. 13.

22 Vgl. ebd.

23 Vgl. ebd., S. 13–16.

24 Vgl. Baasner 2006., S. 71.

25 Vgl. ebd., S. 63–71.

26 Vgl. M. Schmitz-Emans, S. 20.

27 Ebd.

28 Vgl. ebd., S. 20f.

29 Vgl. ebd.

30 Vgl. ebd., S. 22.

31 W.H. Wackenroder, 1967, S. 198.

32 Vgl. D. Kremer/A.B. Kilcher 2015, S. 5.

33 Vgl. ebd.

34 Vgl. R. Koselleck 1979, S. 34.

35 Vgl. D. Kremer/A. B. Kilcher 2015, S. 5.

36 Vgl. ebd.

37 Novalis 1996, S. 103.

38 Vgl. D. Kremer 2007, S. 327.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Zwischen Rationalismus und Romantik. Zur Ausgestaltung der Kritik und ihrer Bedeutung in E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann"
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Note
2,3
Jahr
2018
Seiten
24
Katalognummer
V1234625
ISBN (eBook)
9783346654304
ISBN (Buch)
9783346654311
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zwischen, rationalismus, romantik
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, Zwischen Rationalismus und Romantik. Zur Ausgestaltung der Kritik und ihrer Bedeutung in E.T.A. Hoffmanns "Der Sandmann", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1234625

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