Der Titel der Arbeit unterstellt eine primäre Gemeinsamkeit in den Werken der beiden Autoren: die Verwendung des Hiobmythos. Joseph Roth wählte die biblische Figur sogar als Namenspatron für seinen Roman. Inwieweit auch Scholem Alejchems Tewje als Hiob-Roman gelesen werden kann, muss diese Arbeit erst erweisen. Sollte auch hier die Verarbeitung des Hiob-Mythos wesentlich sein, so wäre Scholem Alejchems Tewje einer ersten Phase der Wiederbelebung dieses Mythos in der Moderne zuzuordnen, wohingegen Roths Hiob insofern das Ende einer solchen noch näher zu bestimmenden Phase markiert, weil sein Roman noch nicht vom Holocaust überschattet wird. Mit dem Holocaust ändert sich die Hiobrezeption grundlegend.
Mit den Romanen von Joseph Roth und Scholem Alejchem wurden nun bewusst zwei Texte ausgewählt, die deutlich vor dem Holocaust verfasst wurden. Die Frage ist hier also vor allem auch, wofür die Figur des Hiob in diesen Texten steht, bzw. inwiefern die beiden Autoren die Figur des Hiob mit ihren Texten deuten.
In einem ersten Schritt der Untersuchung werden hauptsächlich inhaltliche Aspekte der Textgrundlage geklärt werden müssen. Anschließend wird näher auf den biblischen Hiob-Mythos einzugehen sein. Hier muss zwischen der biblischen Hiobfigur und dem an ihr durchgespielten theologischen Hiobproblem unterschieden werden. Zu diskutieren wird sein, inwiefern der Tun-Ergehen-Zusammenhang mit dem biblischen Hiobbuch aufgelöst wird und wie die Restitution Hiobs in Anbetracht dessen zu verstehen ist. Die Aktualisierung des Hiobproblems wird in der Betrachtung des sozialgeschichtlichen Hintergrunds, vor allem also der Situation der Juden in Osteuropa und auch der Autorenbiographien, deutlich werden. Die jeweiligen hermeneutischen Textinterpretationen werden zu klären haben, worin genau das Leid der Hauptfigur besteht und in welcher Verbindung dies zum biblischen Mythos steht. Untrennbar mit dem Leid ist die Klage verbunden. Auch hier wird zu überprüfen sein, in welcher Form eine solche Klage in den vorliegenden Werken stattfindet. Schließlich muss auch auf die eschatologische Hoffnung eingegangen werden, die durch Hiobs Restitution ausgelöst wird. Den Abschluss der Arbeit wird dann ein Vergleich der beiden Hiobverarbeitungen bilden, die wohl besser als Verarbeitungen der Zeitumstände mit Hilfe des Hiob-Mythos bezeichnet würden.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 1.1. Allgemeine Vorbemerkungen
- 1.2. Rechtfertigung der Textauswahl
- 1.3. Bemerkungen zum methodischen Vorgehen
- 2. Eine erste Annäherung an den Text
- 2.1. Die Geschichten von Tewje, dem Milchmann
- 2.2. Der Roman vom einfachen Mann Mendel Singer
- 3. Der biblische Hiob-Mythos als ein gemeinsamer Bezugspunkt
- 3.1. Inhalt und Aufbau des Hiobbuches
- 3.2. Die Hiobfigur
- 3.3. Das Hiobproblem
- 3.4. Der Zusammenbruch des Tun-Ergehen-Zusammenhangs als Gegenstand und Voraussetzung
- 4. Der sozialgeschichtliche Hintergrund als Aktualisierung des Hiobproblems
- 4.1. Das Ostjudentum und sein Weg in die Krise der Moderne
- 4.2. Das Judentum im deutschsprachigen Raum und der Umgang mit dem Ostjudentum
- 4.3. Die Verortung der Autoren in dieser Zeit
- 4.3.1. Scholem Alejchem – assimilierter Verfechter ostjüdischer Kultur
- 4.3.2. Joseph Roth – k.u.k.-Europäer ostjüdischer Herkunft
- 4.4. Zwischenfazit
- 5. Unschuldig leidend, gottergeben klagend und auf diesseitige Erlösung hoffend – Tewje als Hiobfigur
- 5.1. Das ungerechte Leid des gerechten Milchmanns
- 5.2. Dulder oder Rebell? – Eine Charakteristik der Klagen
- 5.3. Hoffnung auf Erlösung durch Revolution und Rückbindung an die Tradition
- 6. Leidend ausgezeichnet, zornig klagend und Erlösung ausschließend – Mendel als Hiobfigur
- 6.1. Vom durchschnittlichen Melamed zum besonderen Leidenden
- 6.2. Vom ängstlichen Dulder zum zornig klagenden Rebellen
- 6.3. Menuchim als Erlösungshoffnung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Verarbeitung des Themas Traditionsverlust im Kontext der Assimilation am Beispiel der Figur des Hiob in den Werken von Scholem Alejchem und Joseph Roth. Sie analysiert, wie beide Autoren den biblischen Hiobmythos nutzen, um die Herausforderungen und Konflikte des Ostjudentums im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert darzustellen.
- Der biblische Hiobmythos als literarisches Motiv
- Die Darstellung des Leidens und der Klage im Kontext der Assimilation
- Die Rolle der jüdischen Tradition als Quelle von Identität und Hoffnung
- Der Vergleich der Hiobfiguren in den Werken von Alejchem und Roth
- Der sozialgeschichtliche Kontext des Ostjudentums
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und begründet die Auswahl der untersuchten Texte. Kapitel 2 bietet eine erste Annäherung an die Werke von Scholem Alejchem und Joseph Roth. Kapitel 3 behandelt den biblischen Hiobmythos als gemeinsamen Bezugspunkt. Kapitel 4 beleuchtet den sozialgeschichtlichen Hintergrund und die Position der Autoren in dieser Zeit. Kapitel 5 und 6 analysieren die Hiobfiguren in den jeweiligen Werken, indem sie deren Leiden, Klagen und Hoffnungen auf Erlösung untersuchen.
Schlüsselwörter
Hiob, Scholem Alejchem, Joseph Roth, Ostjudentum, Assimilation, Traditionsverlust, Leid, Klage, Erlösung, Identität, Moderne, Jüdische Tradition.
- Arbeit zitieren
- Stefan Grzesikowski (Autor:in), 2008, Die Figur des Hiob in den Werken von Joseph Roth und Scholem Alejchem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123559