Das Widerstandspotenzial von Kultur und Konsum. Pierre Bourdieu, die Cultural Studies und die Kulturindustrie


Hausarbeit, 2021

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: (Sub-)Kultur und Widerstand — zwei Perspektiven

2. Subkultur, Gegenkultur und Klassenzugehorigkeit

3. Die Kulturpolitik der Punks und Hippies und ihr Verhaltnis zum Konsum

4. Die Kulturindustrie und die Moglichkeit des Widerstands

5. Fazit: Widerstand von Sub- und Jugendkulturen heute

1. Einleitung: (Sub-)Kultur und Widerstand — zwei Perspektiven

Fur einen der popularsten Denker*innen des Widerstands, Albert Camus, stand die Kunst im Dienst der Revolte. Schon seit der Romantik, so Camus, bestunde

„die Aufgabe des Kunstlers nicht nur darin, eine Welt zu schaffen, noch die Schonheit um ihrer selbst willen zu verherrlichen, sondern auch darin, eine Haltung zu umschreiben. Der Kunstler wird nun zum Vorbild, er schlagt sich als Beispiel vor: die Kunst ist seine Moral.“1

Eine Moral im Sinne einer Gesamtheit von Werten, die jegliche Interaktionen von Mitgliedern in einer bestimmten Gruppe regulieren, auftert sich auch in den Stilen von diversen Subkulturen. Entgegen Marxens Diktum, die Kunst drucke die bevorzugten Werte der herrschenden Klasse aus,2 haben Vertreter*innen von Sub- und Jugendkulturen weit abseits des ,Felds der Macht‘ ihre Moral und ihre Werte ausgedruckt, welche haufig ostentativ im radikalen Widerspruch zum common sense und den Wertvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft standen. Unter den Jugendbewegungen der Nachkriegszeit finden sich neben vielen hedonistisch ausgerichteten Spaftkulturen auch solche, deren Quintessenz neben Selbstverwirklichung und der Inszenierung der eigenen Person in der Subversion und der Opposition zur herrschenden Gesellschaftsordnung lag.

Pierre Bourdieu sieht „die einzige, wahrhafte Grundlage fur eine Gegenkultur“ in der Tradition der Gewerkschaftskampfe.3 Der haufig postulierten „Kultur der unteren Klassen“ und ihrem vermeintlichen subversiven Potenzial erteilt er eine Absage. Wer auf diese unteren Klassen setze, so Bourdieu, werde „nicht die Gegenkultur antreffen, die er sucht, eine wirklich der herrschenden Klasse opponierende, die bewuftt als Symbol einer gesellschaftlichen Stellung oder als Bekenntnis zu einer autonomen Existenz reklamiert wird.“4 Grund hierfur sei, dass selbst „die klassenbewuftteste Fraktion der Arbeiterschaft sich immer noch tiefgreifend der herrschenden Kultur und Sprache und den herrschenden Normen und Werten verpflichtet fuhlt“.5 Bourdieu sieht die Beherrschten also schlicht nicht in der Lage, sich von der legitimen Kultur und den vorgegebenen Werten der herrschenden Klasse in einem MalJe zu emanzipieren, das politisch und gesellschaftlich ernstzunehmenden Widerstand erlauben wurde. Die Wurzel dieser Ohnmacht der proletarischen Kultur macht Bourdieu in einem Schulsystem aus, das lediglich die Anerkennung der Werte der herrschenden Klasse, jedoch nicht deren Kenntnis vermittelt.6 Fur Bourdieu eignen sich Kultur und Konsum vor allem als Mittel zur Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheiten und Herrschaftsverhaltnisse.

Teile der britischen Cultural Studies stehen der Moglichkeit von radikal sozialem Wandel durch Kultur optimistischer gegenuber; sie erkennen die „Moglichkeit des Revolutionaren im Kleinen, im Nebensachlichen und Alltaglichen“.7 Ausgehend von Antonio Gramscis Hegemonietheorie wird der ,popularen Kultur‘ ein inharentes Widerstandspotential zugeschrieben. Die Popularkultur, die sich sowohl aus der Alltags- und Volkskultur, als auch der kommerziellen Kulturproduktion zusammensetzt, bildet hierbei den Austragungsort fur das Ringen um Hegemonie; in der Alltagskultur steckt demnach die Moglichkeit des antihegemonialen Widerstands. Dick Hebdige, ein Vertreter der britischen Cultural Studies, interpretiert Subkulturen „as a form of resistance in which experienced contradictions and objections to [the] ruling ideology are obliquely represented in style.“8 Das Phanomen Subkultur soll hierbei jedoch nicht „as the repository of ,Truth‘“ dargestellt und die naive Behauptung eines obskuren revolutionaren Potenzials vermieden werden.9 Ausgehend von dieser kritischen Auffassung von (Sub-)Kulturen wird im Folgenden anhand von zwei Beispielen, der Hippie- und der Punkkultur, die Frage diskutiert, ob Sub- und Jugendkulturen als Triebkrafte gesellschaftlichen Wandels verstanden werden konnen.

2. Subkultur, Gegenkultur und Klassenzugehorigkeit

Nach Hebdige ist zwischen den Phanomenen Gegenkultur und Subkultur zu unterscheiden. Gegenkulturen entspringen in der Regel der burgerlichen Jugend. Im Gegensatz zu Subkulturen, die haufig aus der Arbeiter*innenklasse hervorgehen, zeichnen sich Gegenkulturen unter anderem durch ihre „explicitly political and ideological forms of its opposition to the dominant culture [...], its ,stretching‘ of the transitional stage beyond the teens, and its blurring of the distinctions, so rigorously maintained in subculture, between work, home, family, school and leisure“10 aus. Wahrend sich die Auflehnung der Subkulturen meist auf symbolischen Widerstand in Form ihres kulturspezifischen Stils beschrankt, ist die Opposition von Gegenkulturen haufig „more articulate, more confident, more directly expressed“.11 Mit Bourdieu lasst sich dieser Umstand aus der ungleichen Struktur des Gesamtkapitals sowie dem Bildungskapital erklaren, das Angehorigen der Arbeiter*innenklasse und dem Kleinburgertum zur Verfugung steht. In Die feinen Unterschiede beschreibt Bourdieu das „Gefuhl, ein Recht auf Meinungsaufterung zu besitzen“.12 Dieses Gefuhl, das Menschen mit hohem Bildungskapital zuteil wird, speist sich aus einem Bewusstsein uber die eigene „Sachkompetenz“ in politischen oder gesellschaftlichen Fragen. Politische Kompetenz „im Sinne gesellschaftlich anerkannter Eignung“ gehore zu jenen Fahigkeiten, „die man nur in dem Mafte besitzt, wie man berechtigt oder verpflichtet ist, sie zu besitzen“.13 Die Grundlage fur diese Fahigkeit bildet das Gefuhl, qua Status zur eigenen Sachkompetenz berechtigt zu sein. Auf der anderen Seite steht „jene grundlegende Barriere in Gestalt eines Ohnmachts- und Minderwertigkeitsgefuhls“,14 die Menschen mit niedrigem Bildungskapital haufig an politischer Partizipation hindert.

[...]


1 Camus, Albert: Der Mensch in der Revolte (S.68).

2 Ebd. (S.288).

3 Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft (S.616).

4 Ebd. (S.617).

5 Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft (S.619).

6 Ebd.

7 Willis, Paul: „Profane Culture“ — Rocker, Hippies: Subversive Stile der Jugendkultur (S.228).

8 Hebdige, Dick: Subculture. The Meaning of Style (S.133).

9 Ebd. (S.138).

10 Hebdige, Dick: Subculture. The Meaning of Style (S.148).

11 Ebd.

12 Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft (S.642).

13 Ebd. (S.641).

14 Ebd. (S.648).

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Das Widerstandspotenzial von Kultur und Konsum. Pierre Bourdieu, die Cultural Studies und die Kulturindustrie
Hochschule
Leuphana Universität Lüneburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
15
Katalognummer
V1236379
ISBN (eBook)
9783346657978
ISBN (Buch)
9783346657985
Sprache
Deutsch
Schlagworte
widerstandspotenzial, kultur, konsum, pierre, bourdieu, cultural, studies, kulturindustrie
Arbeit zitieren
Leon Maack (Autor:in), 2021, Das Widerstandspotenzial von Kultur und Konsum. Pierre Bourdieu, die Cultural Studies und die Kulturindustrie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1236379

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