Männer als sozialpädagogische Fachkräfte in Tageseinrichtungen für Kinder


Diplomarbeit, 2005

75 Seiten, Note: gut


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

A) Einleitung

B) Theoretischer Teil

1 Definitorisches

2 Betrachtung der aktuellen Geschlechtersituation in ihrer Bedeutung für Männer in sozialpädagogischen Berufen
2.1 Bildung der Geschlechtsidentität
2.2 Theorien der Geschlechtsrollenentwicklung
2.2.1 Psychologische Theorien
2.2.2 Biologische und evolutionsbiologische Ansätze
2.3 Auswirkungen der Anwesenheit beider Geschlechter auf die Entwicklung einer Geschlechtsidentität
2.3.1 Vorbild und Modell
2.3.2 „Der“ Mann

Exkurs 1: Männerquote an Grundschulen

3 Geschichte der institutionellen Kindertagesbetreuung
3.1 Gesellschaftliche Entwicklungen
3.2 Ein „Mutterberuf“
3.3 Männliche Gründer
3.4 Weibliche Betreuerinnen
3.5 Ausbildungen zur Kinderbetreuung
3.6 Öffnung der Ausbildungen

4 Rahmenbedingungen von Kinderbetreuung
4.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen
4.1.1 Das Kinder– und Jugendhilfegesetz (KJHG)
4.2 Institutionelle Rahmenbedingungen
4.2.1 Europäische Union
4.2.2 Anzahl und Personal in Tageseinrichtungen
4.2.3 Berufe und Einkommen in Tageseinrichtungen
4.2.4 Ausbildung und Berufe zur sozialpädagogischen Fachkraft

5 Situationen von Männern als sozialpädagogische Fachkräfte in der täglichen Betreuung von Kindern
5.1 Spezifische Erfahrungen in der Berufsausbildung
5.1.1 Männer mit beruflicher Vorbildung
5.1.2 Männer in der Ausbildung zur sozialpädagogischen Fachkraft
5.1.3 Männer und Umfeldreaktionen
5.2 Spezifische Erfahrungen in der Berufsausübung
5.2.1 Kinder und ihre Reaktionen auf Männer
5.2.2 Erfahrungen im Team
5.2.3 Besondere Erwartungen gegenüber dem Mann
5.2.4 Ein Phasenmodell
5.2.5 Eltern der Kinder
5.2.6 Fehlen der Männer und deren Mystifizierung
5.2.7 Ein Mann als Qualitätsmerkmal
5.2.8 Klagen über Männer
5.2.9 Chancengleichheit
5.2.10 Der geforderte Mann
5.2.11 Ein kleiner Unterschied
5.3 Auseinandersetzungen mit der Rolle
5.3.1 Selbstbild von Männern in Tageseinrichtungen für Kinder
5.3.2 Netzwerke und Fortbildungen als Chance für eine Minderheit

Exkurs 2: „Magnete auf zwei Beinen“

C) Methodischer Teil

6 Forschungsfrage und Hypothesen

7 Forschung
7.1 Forschungsansatz
7.2 Forschungsmethodik
7.2.1 Leitfadeninterview
7.2.2 Mein Leitfadeninterview

8 Inhaltsanalytische Auswertung der Interviews
8.1 Methode der Inhaltsanalyse
8.2 Techniken der qualitativen Inhaltsanalyse
8.3 Mein Kategoriensystem
8.4 Gesamtauswertung des Materials

D) Schlussfolgerung: Männer als sozialpädagogische

Fachkräfte in Tageseinrichtungen für Kinder

Literaturverzeichnis

Vorwort

Das Thema zu dieser Arbeit entstand während einem Praktikum in einem Forschungsinstitut, was schwerpunktmäßig an sozialpädagogischen Themen forscht. Aber auch die Tatsache, dass ich selbst eine Ausbildung zum „Educateur diplômé“ in Luxemburg (entspricht dem staatlich anerkannten Erzieher in Deutschland) absolviert habe und mehrfach in Projekten zur Kinder-/Jugendbetreuung mitgewirkt habe, weckte mein Interesse an den Erfahrungen, die andere Männer in einem überwiegend weiblich orientierten Arbeitsfeld machen.

Bei Gesprächen mit Familie, Verwandten und Freunden merke ich immer wieder, dass das Thema Männer in der Kindererziehung auf reges Interesse stößt, und von meinen Gesprächspartnern spannend empfunden wird. Auch während meiner Recherche und beim Schreiben der Arbeit wurde ich immer wieder mit neuen aktuelleren Artikeln zum Thema konfrontiert und ich fühlte mich manchmal, als würde ich auf einer Welle reiten, die gerade erst am Entstehen ist, da es bisher nur wenige Forschungen über Männer in der professionellen Kindererziehung gibt.

Bevor ich mit dem wissenschaftlichen Teil beginne, noch ein eigenes Erlebnis: „Wann kommt denn der große Mann wieder?“, war die Frage der Kinder aus der Nachbarschaft meiner Freundin. Die Vorgeschichte war, dass wir einen Tag im Sommer mit den Nachbarkindern verbrachten. Sie hatten sichtlich viel Spaß und vergaßen beim Spielen mit uns die Zeit. Noch nach mehreren Wochen klingelten die Kinder bei meiner Freundin und fragten, wann der „große Mann“ wiederkommen würde, um mit ihnen zu spielen.

Dass dieses Verlangen nach einem Spielpartner tatsächlich in direktem Zusammenhang mit dem Geschlecht zu sehen ist, möchte ich mit diesem kleinen Beispiel nicht beweisen, es existieren jedoch weitere Erfahrungsberichte, die zeigen, dass Kinder sich über die Anwesenheit von Männern als Bezugsperson freuen - können wir ausschließen, dass ein Zusammenhang besteht?

Mein Dank gilt zunächst einmal all denen, die sich zum Gespräch mit mir bereit erklärt haben und mir so geholfen haben, diese Arbeit überhaupt zu erstellen. Insbesondere danke ich Martin Verlinden, der mir durch konstruktive Gespräche geholfen hat, meine Gedanken auszubreiten und zu ordnen. Mein Dank gilt aber auch all denen, die mich während der Diplomarbeit unterstützt haben und durch Diskussionen die Arbeit mitreifen haben lassen.

A) Einleitung

Man muss zugeben, dass es sowohl Frauen als auch Männer gibt, die für die Rolle des Vaters oder der Mutter ungeeignet sind – wie es auch Männer und Frauen gibt, die unfä- hig sind, den Lehrerberuf auf irgendeine Art und Weise auszuführen. Aber es wäre falsch, a priori Männer aus der Arbeit als sozialpädagogische Fachkraft in Tageseinrichtungen für Kinder auszuschließen. In unserer Gesellschaft hat die Bewertung eines Berufes viel Gewicht. In diesem Fall stellt sich für einen Mann die Angst ein, lächerlich zu werden („Frauenberuf“), die Angst, die eigene Männlichkeit könnte in Frage gestellt werden, das Risiko für extravagant und „nicht normal“ gehalten zu werden.

Meine Fragestellung lautet: Welche besonderen Erfahrungen machen Männer als sozialpädagogische Fachkräfte in Tageseinrichtungen für Kinder, also in einem Arbeitsfeld, was überwiegend als weiblich notiert werden kann.

Ich möchte in dieser Arbeit die Erfahrungen von Männern in Tageseinrichtungen für Kinder exemplarisch untersuchen und dabei die Menschen als Subjekte sprechen lassen.

Dabei wird die Arbeit in B.) Theoretischer Teil, C.) Methodischer Teil und D.) Schlussfolgerung unterteilt. Im theoretischem Teil werden Erkenntnisse das Thema betreffend formuliert, um dann im methodischem Teil auf die Forschungsfrage und -methodik einzugehen, dann abschließend Schlussfolgerungen und Ausblick diskutiert.

In Deutschland, wo laut DESTATIS1 15% (2,2 Mio.) aller Minderjährigen (14,9 Mio.) in alleinerziehenden Situationen aufwachsen, davon 85% (1.899.750) der Minderjährigen bei der Mutter und 15% (335.250) beim Vater leben, kann man davon ausgehen, dass zumindest ein Teil dieser Kinder seltener längeren Kontakt mit dem Vater hat. Schaut man sich Statistiken zu Tageseinrichtungen für Kinder an (vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 2004a), so gibt es insgesamt 3.096.533 verfügbare Plätze, davon 190.395 für Krippenkinder, 2.507.744 für Kindergartenkinder und 398.394 für Hortkinder, zieht man den Anteil der dort sozialpädagogisch-arbeitenden Männern hinzu (der Durchschnitt liegt bei etwa 3,8%, siehe Tabelle 1, Kap. 4.2.2) wird aus dieser Sicht die Erhöhung der Anzahl von sozialpädagogischen Fachkräfte männlichen Geschlechts umso wichtiger, möchte man Kindern im Sinne der Chancengleichheit beider Geschlechter, die Möglichkeit bieten, ein partnerschaftlich-freundliches Klima zwischen den Geschlechtern zu vermitteln.

Doch nicht um die Untersuchung der Kinder sondern um die der Männer handelt die vorliegende Arbeit. Die Auseinandersetzung mit der Thematik soll sich nicht auf die problematischen Aspekte beschränken, sondern den ganzen Umfang beleuchten. Männer sind nicht nur, wie oben erwähnt, überwiegend im Berufsfeld unterrepräsentiert, sondern auch schon in der Ausbildung (siehe Kap. 4.2.4: Tab. 4). Die Kindererziehung gilt von jeher als Frauensache, von daher gehe ich davon aus, dass Männer als sozialpädagogische Fachkräfte in Tageseinrichtungen für Kinder besondere Erfahrungen machen, die oft mit den Vorstellungen ihrer Umgebung kollidieren.

Die Vorgehensweise dieser Arbeit besteht darin, erst den Fokus auf die Geschlechter und deren Entwicklung (2) zu legen und dann die Geschichte (3) der Kinderbetreuung zu beleuchten. Daraufhin werden Gesetze und allgemeine Vorschriften (4) aufgezeigt um dann in der Folge Erkenntnisse (5) aus der Literatur zu beleuchten. Dabei werden verschiedene Autoren (z.B. ROHRMANN, VERLINDEN, BLASE–GEIGER, BLANK–MATHIEU, EN-

GELHARDT) betrachtet, die zum Thema, Erfahrungsberichte, Artikel oder Bücher verfasst haben. Aus eigenen Überlegungen werden Bereiche definiert (6) und auf Grundlage der Literatur Hypothesen gebildet. Darauffolgend wird mit der Methode des Leitfadeninterviews (7) Männer als sozialpädagogische Fachkräfte befragt um anschließend durch die Methode der Inhaltsanalyse (8) Ergebnisse herauszufiltern. Abschließend werden Ergebnisse und Schlussfolgerungen diskutiert.

B) Theoretischer Teil
1 Definitorisches

Der Begriff der sozialpädagogischen Fachkraft soll alle Berufe zusammenfassen, die die „soziale Eingliederung von Individuen und Gruppen“ (BUCHKREMER 1995: 8) als Ziel haben. Tageseinrichtungen werden schon längst als sozialpädagogische Einrichtungen angesehen, da sie dort einspringt, wo vorhandene Erziehungssysteme (z.B. Familie) nicht ausreichen oder teilweise fehlen. Die öffentliche Kindererziehung ist zur „Normalität“ (BUCHKREMER 1995: 25) geworden.

Wie aus Kap. 4.2.3 hervorgeht, sind in Tageseinrichtungen für Kinder neben dem staatlich anerkannten Erzieher auch Personen mit anderen Abschlüssen tätig. Dadurch wurde offensichtlich, dass in dieser Arbeit nicht ausschließlich nur der Beruf des Erziehers betrachtet werden konnte, obwohl dieser den größten Anteil (63,8%, siehe Tabelle 3, Kap. 4.2.3) in diesem Bereich ausmacht.

Der allgemeine Begriff, der in dieser Arbeit verwendet wird, ist der der sozialpädagogischen Fachkraft (oder einfach nur Fachkraft), wobei in einzelnen Fällen auf die verschiedenen Berufe eingegangen wird.

Die unterschiedlichen Einrichtungen, wie z.B. Hort, Kindergarten, Kinderkrippen, Tageseinrichtungen mit altersgemischten Gruppen usw. werden in dieser Arbeit der Verständlichkeit wegen, wenn nicht explizit aufgeführt, als Tageseinrichtungen für Kinder oder Kindertageseinrichtungen bezeichnet.

2 Betrachtung der aktuellen Geschlechtersituation in ihrer Bedeutung für Männer in sozialpädagogischen Berufen

In diesem Kapitel geht es darum, wie Individuen in der westlichen Kultur zu einer Geschlechtsidentität gelangen, welche theoretischen Erklärungsansätze es gibt und welche Auswirkungen dies für Männer in sozialpädagogischen Tageseinrichtungen für Kinder haben kann. Kapitel 3.1 behandelt die allgemeine Bildung der Geschlechtsidentität, Kapitel 3.2 die Theorien zur Geschlechtsrollenentwicklung.

2.1 Bildung der Geschlechtsidentität

„Während die Natur bestimmt, ob wir männlich oder weiblich sind, legt die Kultur fest, was es bedeutet, weiblich oder männlich zu sein“ (TRAUTNER 2002: 648). Dabei unterscheiden die Autoren zwischen der Natur und der Gesellschaft mit deren Zuschreibungsprozess des Geschlechts. Es sind laut ALFERMANN (vgl. 1996: 24f) bei der Entwicklung von Eigenschaften und Verhaltensweisen zur männlichen und weiblichen Geschlechterkategorie unterschiedliche Sozialisationsagenten (z.B. Eltern, andere Bezugspersonen, Gleichaltrige, Lehrpersonen und Medien) aktiv. Durch sie wird nicht nur Wissen um typische Eigenheiten der Geschlechter vermittelt, sondern auch Geschlechtsrollenerwartungen. AL- FERMANN weist darauf hin, dass von Frauen „Fürsorglichkeit, Mütterlichkeit, Hilfsbereitschaft aber auch Nachgiebigkeit und Dienstbarkeit erwartet wird“ (1996:36). Dadurch wählen sie vorwiegend soziale, Erziehungsund Dienstleistungsberufe, also Berufe die somit in „doppelter Hinsicht Frauenberufe sind: Sie werden vorwiegend von Frauen ausgeübt, und sie entsprechen der weiblichen Geschlechterrolle“ (ALFERMANN 1996: 36). Von Männern wird eher Durchsetzungsfähigkeit, Entschlusskraft, Leistungsstreben erwartet. Diese Rollenerwartungen entspringen der geschlechtstypischen Arbeitsteilung (vgl. ALFERMANN 1996: 79).

ALFERMANN bezeichnet als Geschlechtsidentität (sex-identity/gender identity) die Entwicklung einer stabilen Geschlechtsidentität als männlich bzw. weiblich, die bei Kindern in frühen Jahren abläuft.2 Geschlechtsrollenidentität oder Geschlechtsrollenorientierung (sex-role identity/gender-role identity) meint die psychologische und soziale Geschlechtsidentität und somit das Bild, welches eine Person von sich selbst als Mädchen/Frau bzw. Junge/Mann entwickelt. Die Geschlechtsrollenidentität kann variabler ausfallen als die Geschlechtsidentität. Die kognitive Erkenntnis über die Zugehörigkeit der eigenen wie auch der anderer Personen zu einem Geschlecht ist dabei ein unverzichtbarer Entwicklungsschritt.

Früher wurde eine Geschlechtsrollenentwicklung als gelungen und als Basis einer gesunden Persönlichkeit betrachtet, wenn weibliche Individuen feminine Charakteristika und männliche maskuline erwarben, sie wurde als geschlechtstypische Entwicklung bezeichnet.

Das Androgyniekonzept betrachtet die Entwicklung von Menschen in mehr oder weniger großem Ausmaß in beiden Dimensionen als möglich. Mit Feminität oder Maskulinität werden Eigenschaften und Verhaltensdispositionen bezeichnet, die dem jeweiligen Geschlecht und der jeweiligen Rolle zugerechnet werden. Jedes Individuum, Frau oder Mann unabhängig vom biologischem Geschlecht, kann, nach dem Androgyniekonzept in beiden Dimensionen jeden beliebigen Punkt einnehmen (vgl. ALFERMANN 1996: 59f). Durch diesen Ansatz ist das Individuum nicht dem Druck ausgesetzt, unbedingt den dem eigenem Geschlecht zugehörigen Erwartungen zu entsprechen, differenziertere Ausprägungen sind möglich.

2.2 Theorien der Geschlechtsrollenentwicklung

Man unterscheidet zwischen psychologischen und biologisch/evolutionsbiologischen Ansätzen.

2.2.1 Psychologische Theorien

Zunächst stehen die psychologischen Ansätze im Zentrum, die man laut ALFERMANN in zwei Hauptlinien der Geschlechtsrollenentwicklung, der sozialen Lerntheorie und der kognitiven Lerntheorie, unterteilen kann. Soziale Lerntheorien Bei den sozialen Lerntheorien wird die Geschlechtsrollenentwicklung als Ergebnis reaktiver Prozesse auf die sozialen Stimuli angesehen. Individuen lernen in ihrer Entwicklung, was als geschlechtsangemessen und was als geschlechtsunangemessen gilt. Dafür liefert die soziale Umwelt entsprechende Hinweisreize, z.B. über Modelle, verbale Erläuterungen. Geschlechtstypische, sichtbare Verhaltensweisen von zentraler Bedeutung, werden durch Beobachtung von gleichgeschlechtlichen Modellen und durch Bekräftigung erworben. Durch diese werden geschlechtstypische Erwartungen herausgebildet und die Auftretenswahrscheinlichkeit des erwünschten Verhaltens erhöht. Die soziale Lerntheorie geht davon aus, dass Mädchen mehr feminine und Jungen mehr maskuline Verhaltensweisen erwerben, weil sie diese beobachten und für die Nachahmung positive Bekräftigung erfahren.

Durch die Annahme kognitiver Zwischenprozesse verbunden mit der Bedeutung kognitiver Fähigkeiten auf Seiten des Individuums wurde die soziale Lerntheorie erweitert. Der

Bekräftigung wird hierbei nicht mehr nur ein motivationaler, sondern ebenso ein Informations- und Rückmeldewert zugesprochen, der Informationen über richtiges und falsches Verhalten liefert (vgl. ALFERMANN 1996: 67ff).

Kognitive Theorien

Für die kognitive Theorie sind Beobachtung und Bekräftigung als Ergebnis sozialer Umgebungsbedingungen sekundär. Die Fähigkeit zur Kategorisierung in zwei Geschlechter und die Selbstkategorisierung sind entscheidender. „Die Geschlechtsrollenentwicklung ist somit das Ergebnis der aktiven Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt die zunächst in kognitive Konstruktion der Geschlechter mündet und dann darauf aufbauend Selbstbild und Verhalten beeinflusst“ (ALFERMANN 1996: 70). Ausgangspunkt der Theorie nach KOHLBERG ist die Entwicklung einer stabilen Geschlechtsidentität. Durch die Zuordnung der eigenen Person zu einer bestimmten Geschlechtergruppe wird diese positiver, die andere negativer bewertet. Daraus resultiert der Wunsch, die passenden geschlechtstypischen Eigenschaften und Rollenmerkmale zu übernehmen. Mit dem Erwerb der Geschlechtsidentität werden mehr oder weniger automatisch die damit konsistenten Einstellungen und Verhaltensweisen übernommen.

Bei Kindern im Alter von sechs bis sieben Jahren wird die Bevorzugung gleichgeschlechtlicher Personen (aufgrund der eigenen Geschlechtsidentität) abgelöst durch die Bevorzugung geschlechtsangemessener Verhaltensweisen (vgl. ALFERMANN 1996: 71f).

Inzwischen haben neben den kognitiven Entwicklungstheorien die Geschlechterschematheorien an Bedeutung gewonnen. Der Fokus wird hier auf die Betrachtung kognitiver Prozesse aber ebenso auf soziale Einflüsse gelegt, die in indirekter Form (über kognitive Prozesse) die Geschlechtsrollenentwicklung beeinflussen. Nach diesen Ansätzen entwickelt ein Individuum ein kognitives Schema - das Geschlechterschema. Dies dient dazu, ankommende Informationen nach ihrem geschlechtstypischen Gehalt zu gliedern. Das Geschlechterschema entwickelt motivationale Wirkungen, wird in der Umgebung die Übernahme des Geschlechtsschemas als wichtig erachtet, werden sich Kinder tendenziell danach richten. Dem Einfluss der sozialen Umgebung wird, innerhalb der Geschlechterschematheorien, ein hoher Stellenwert zugeschrieben: es wird angenommen, dass die soziale Umgebung sowohl Inhalt wie auch Bedeutsamkeit des Geschlechterschemas beeinflusst (vgl. ALFERMANN 1996: 73f).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Geschlechtsrollenentwicklung das Ergebnis einer Interaktion äußerer Einflüsse (z.B. Bekräftigung, Übermittlung von Erwartungshaltungen) und kognitiven Konstruktionen ist (vgl. ALFERMANN 1996: 77).

Einen weiteren zentralen Ansatz stellen die sozialpsychologischen Theorien dar, welche die Ausführung geschlechtstypischen Verhaltens in den Vordergrund stellen. Zwei Aspekte werden als zentral betrachtet: (1) das Geschlecht wird als sozial konstruierte Kate-

gorie gesehen, d.h. mit dem biologischem Geschlecht werden Geschlechterschemata assoziiert, (2) aus dem Geschlechterschema resultieren Erwartungen, die in soziale Interaktionen eingehen. „Es sind diese Erwartungen, die die Handlungen lenken und umgekehrt aus den Handlungen resultieren“ (ALFERMANN 1996: 79).

2.2.2 Biologische und evolutionsbiologische Ansätze

Zahlreiche Forscher betrachten biologische Determinanten als zentral für die Entwicklung geschlechtstypischen Verhaltens (vgl. ALFERMANN 1996: 86).. Verschiedene Neigungen im Spielverhalten von Kindern werden auf die unterschiedlichen Hormone und Hormonmengen der Geschlechter zurückgeführt. Jungen werden eher die körperlichen Auseinandersetzungen und Rangkämpfe zugesprochen. Gleichwohl geht man in biologischen Ansätzen davon aus, dass Geschlechtsunterschiede in psychologischen Variablen zu einem großen Teil durch Sozialisationseinflüsse zustande kommen. Hervorgehoben wird auch, dass die Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern größer sind als die Unterschiede. Wo biologische Unterschiede anzunehmen sind, wie z.B. bei der durch einen erhöhten Testosteron begünstigten Aggressivität, bedeutet dies keinen direkten Rückschluss auf Verhaltensmuster. Mögliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden durch voneinander abweichenden Funktionen bei den Aufgaben Fortpflanzung und Erhaltung der Menschheit begründet. Frauen werden im sozialen Umgang eher expressive und untergeordnete, Männern eher instrumentelle, dominante und aggressive Formen des sozialen Umgangs zugeschrieben. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass Sozialisation „kein verlängerter Arm der biologischen Prädispositionen“ (ALFERMANN 1996: 89) sei. Vielmehr ziele die Sozialisation auf eine Verringerung der Aggressionen (vgl. ALFERMANN 1996: 89). Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern verringere sich im Laufe der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen.

Geschlechterrollen und Geschlechtsrollenidentität nehmen in biologischen und evolutionsbiologischen Ansätzen ebenso wie in psychologischen einen zentralen Platz ein. Individuen nehmen Geschlechterrollen wahr, lernen dann, welche Geschlechterrolle ihnen selbst angemessen ist und, dass Übereinstimmungen mit Geschlechtsrollenerwartungen positiv bekräftigt werden. „Der Wunsch, diesen Rollenerwartungen zu entsprechen, führt dann zu einer konformen Geschlechtsrollenidentität“ (ALFERMANN 1996: 90).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Menschen durch Anlage und Umwelt und deren Zusammenspiel eine Geschlechtsidentität erlangen und entwickeln, wie dies erfolgt ist theoretische Ansichtssache. Allerdings sind sich heute alle Experten sich einig, dass der Mensch in einer zweigeschlechtlichen Welt auch zwei Geschlechter vor Augen und unmittelbar erlebbar haben sollte.

Des weiteren sind sie sich auch einig darüber, dass Kinder in den ersten Jahren hauptsächlich Frauen erleben, so kann man insgesamt sagen, dass Männer, die unmittelbar mit Kindern zusammenarbeiten, den Kindern andere Modelle sein können. Kooperatives Arbeiten von Männern und Frauen in Kindertageseinrichtungen bietet für Kinder in jedem Fall die Möglichkeit, eine breitere Vorstellung von Arbeitsund Seinsmöglichkeiten der Geschlechter zu entwickeln. Mehrere Modelle des gleichen Geschlechts zu kennen und erleben, verhilft zu einer differenzierten Sichtweise dieses Geschlechts.

2.3 Auswirkungen der Anwesenheit beider Geschlechter auf die Entwicklung einer Geschlechtsidentität

Nach allgemeinen Theorien und Erklärungsansätzen geschlechtstypischen Verhaltens steht im nächsten Abschnitt die Entwicklung von Kindern in Anwesenheit beider Geschlechter in der Erziehung im Zentrum.

2.3.1 Vorbild und Modell

Erzieherinnen werden aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit als geeignete Vorbilder für Mädchen angesehen (vgl. BLANK-MATHIEU 2001: 54). Mädchen erleben nicht nur in Tageseinrichtungen zumeist Frauen, sondern auch zuhause (Mutter oder Großmutter) und können so das Verhalten der Erzieherin entweder vollkommen ablehnen, Teile ihres Verhaltens für nachahmbar halten oder die Erzieherin als Vorbild ansehen und ihr nacheifern (vgl. BLANK–MATHIEU 2001: 54). Für die Unterstützung der Geschlechtsidentität von Jungen sind Erzieherinnen, laut BLANK–MATHIEU (2001: 54) ungeeignet, da sie stets als Frau wahrgenommen werden und deshalb als Modell für die eigene Identität nicht infrage kommen. Für das Verhalten der Jungen ist die Erzieherin aber nicht unwesentlich oder ohne Einfluss. Sie ist für Jungen eine Frau und somit ein Modell für das Denken und Handeln von Frauen. Dies beeinflusst die Wahrnehmung der Jungen im Hinblick auf weiblichen Personen (vgl. BLANK–MATHIEU 2001: 54). Nach KOHLBERG brauchen Jungen und Mädchen „Angehörige des eigenen Geschlechts, an denen sie sich ausrichten und mit denen sie sich solidarisch erklären können“ (BLANK–MATHIEU 2001: 55).

2.3.2 „Der“ Mann

Männer können in Kindereinrichtungen zentrale Funktionen erfüllen, „den Jungen könnte geholfen werden, die Furcht zu begrenzen, dass es irgendwo einen Supermann gibt, der alles bestimmt. Den Mädchen könnte vorgelebt werden, dass aggressive Gefühle zulässig und umsetzbar sind“ (HÜLLER 1992: 54) „Wir würden Jungen weniger zu Jungen, und Mädchen weniger zu Mädchen machen“ (HÜLLER 1992: 55). Da Männer in der Kindererziehung Mangelware sind, besteht das Risiko, dass Kinder zuwenig emotionale Nähe von

Männern erleben, Mädchen die Auseinandersetzung mit dem anderen, Jungen mit dem gleichen Geschlecht fehlt (vgl. NEUTZLING 1992: 99). Durch die Abwesenheit der Männer fehlt, laut BÜTTNER (2001: 50) das Männliche, personifiziert durch einen „echten“ Mann, sowohl für die Kinder als auch für die Frauen wie auch ein Dialog, der den Kindern vorführt, wie sich die Geschlechter konstruktiv begegnen können. Mit Anwesenheit beider Geschlechter könnten die Kinder zu einer integrierten, und sich mit beiden Seiten des Geschlechterverhältnisses arrangierenden, positiven Lebensplanung gelangen. Kinder brauchen das „(positive) Vorbild beider Geschlechter, um sie in ihrer Person – mit welchen Mechanismen auch immer – zu synthetisieren“ (BÜTTNER 2001: 53).

Nachdem in diesem Kapitel die Entwicklung des „eigenen“ Geschlechts für Kinder beschrieben wurde, kann man abschließend sagen, dass keiner der Theorieansätze Männern den Zugang zur Erziehung versagt. Vielmehr sind sich Fachleute darüber einig, dass Kinder, Vorbilder beider Geschlechter brauchen. Die Auseinandersetzung und die Kooperation mit dem anderen Geschlecht ist ein wichtiger Sozialisationsaspekt. Kinder können von beiden Geschlechtern lernen, dass jede Person des eigenen und anderen Geschlechts einmalig ist und mehr Ähnlichkeiten zwischen den Menschen der verschiedenen Geschlechter existieren als vermeintliche Unterschiede.

Das folgende Kapitel behandelt als Exkurs die Thematik der Grundschule und die Diskussion über die Quotierung von Männern als Grundschullehrer.

Exkurs 1: Männerquote an Grundschulen

Die Forderung einer Männerquote an Grundschulen wurde im Jahre 2003 von mehreren Kultusministern gestellt, u.a. von Bernd BUSEMANN (Niedersachsen) und Annette SCHAVAN (Baden-Württemberg) die darauf hinwiesen, dass der Schulbetrieb feminisiert (70-80% Frauen) sei, und Jungen keine Chancen hätten, sich an männlichen Rollenvorbildern zu orientieren (vgl. KELLNER 2003: 2f). Diese Tatsache hat negative Auswirkungen auf die Motivation der Jungen (vgl. FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG 2003: 1). Heike DIEFENBACH (Universität München) hat Statistiken aus allen Bundesländern ausgewertet und festgestellt: „Je mehr Lehrerinnen an einer Grundschule arbeiten, desto weniger Jungen schaffen den Wechsel aufs Gymnasium oder an die Realschule“ (KELLNER 2003: 2f). Eine Männerquote von mindestens 30% wurde gefordert. Diese Forderung wurde stark kritisiert, (u.a. vom Landesvorsitzenden von Baden-Württemberg der GEW3, Rainer DAHLEM) und als eine „unsinnige bildungspolitische Kurzschlusshand-

lung“ bezeichnet (vgl. ALLGÖWER 2003: 2). Auch der VBE4 stufte den Vorschlag als „augenblicklich realitätsfern und wenig erfolgversprechend“ ein. Das mangelnde Interesse von Männern für den Beruf, die niedrige Gehaltsstufe der Grundund Hauptschullehrer (die unter den Realund Gymnasiallehrern liegt) und die geringen Aufstiegschancen werden als Ursache angesehen, dass weniger Männer dort arbeiten (vgl. UNISPIEGEL 2003: 2). Man brauche keine Quote, sondern müsse den Beruf so attraktiv machen, dass er auch für Männer interessant wird, fordert DAHLEM. Ebenso wurde darauf hingewiesen, dass man Männer nicht nur wegen der Quote, sondern aufgrund fachlicher Kompetenz einstellen sollte (vgl. ALLGÖWER 2003: 3).

Diese Forderung, die große Pressepräsenz besaß, lässt sich mit derselben Argumentation auf die Kindertagesstätten ausweiten.

Die aufgeführten Ursachen, wie beispielsweise ein geringes Einkommen und geringe Aufstiegsmöglichkeiten mögen bestimmt viele Männer davon abhalten, diesen Beruf auszu- üben. Wie im nächsten Kapitel aufgezeigt wird, zieht sich die Feminisierung dieses Berufes von den Anfängen der Kinderbetreuung um das 18. Jahrhundert bis heute.

3 Geschichte der institutionellen Kindertagesbetreuung

In diesem Kapitel wird der Einfluss von Männer in der Neuzeit, d.h. ab dem 19. Jahrhundert auf den Bereich der institutionellen Kindertagesbetreuung beschrieben. Dabei begrenzt sich folgende Darstellung ab 1945 auf die BRD, da in der DDR andere Ausbildungen und Rahmenbedingungen stattfanden und der Vergleich beider Länder nicht Bestand dieser Arbeit ist5.

Die gesellschaftliche Entwicklung und die aufkommende Kinderbetreuung (3.1.), die gesellschaftliche Haltung der Frau gegenüber (3.2) wie auch die Mitwirkung von Männern bei Entstehen von Einrichtungen (3.3) sind Gegenstand der Betrachtung. Danach wird der Frage des Geschlechts bei der Betreuung nachgegangen (3.4), die Anoder Abwesenheit von Männern in der Ausbildung zu Berufe im Umfeld der Kinderbetreuung (3.5) skizziert. Als letzten Punkt werden die Veränderungen der Ansprüche und die Öffnung der Ausbildung (3.6) beschrieben.

3.1 Gesellschaftliche Entwicklungen

Zu Beginn der Industrialisierung wurden Kinder aus sozialen Unterschichten als zusätzlicher Risikofaktor für Verarmung betrachtet. Die Erziehungsbedingungen in diesen Familien galten als Gefährdung für die Entwicklung und den Bestand der bürgerlichen Gesellschaftsformen. Die Kinderbetreuung zielte darauf ab, durch frühzeitige Erziehung (zentrale Richtwerte waren u.a. Selbstdisziplin, Ordnungssinn, Sparsamkeit, Unterordnung) die sozialen Unterschichten in die bürgerliche Gesellschaft zu integrieren und sozialen Bewegungen die Sprengkraft zu nehmen bzw. sie erst gar nicht entstehen zu lassen (vgl. REYER 1983: 13). GRÜNEBERG/HAUSER beschreiben diese Entwicklung folgenderma- ßen: „Etwa um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert verstärkte sich das Interesse an der Erziehung des Kleinkindes. Die Industrialisierung erhöhte die Gefahr der Vernachlässigung und Verwahrlosung der Kleinkinder. Bewahrungsanstalten wurden gegründet, um insbesondere Kleinkinder solcher Eltern aufzunehmen, die durch die Notwendigkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ihre Kinder nicht beaufsichtigen konnten“ (1995: 200). Damit ging das Ziel einher, den Müttern aus sozialen Unterschichten die Erwerbstätigkeit zu ermöglichen (vgl. REYER 1983: 13). Ab 1880 war die Aufnahme zu Angeboten der Kinderbetreuung nur Kindern gestattet, deren Müttern einer Erwerbstätigkeit nachgingen (vgl. ERNING/NEUMANN/REYER 1987: 48).

Allerdings wurde die Kleinkinderschule als Notlösung oder als vorübergehendes Übel angesehen, die mit der Wiederaufnahme erzieherischer Tätigkeiten durch die Mütter überflüssig würde (vgl. ERNING/NEUMANN/REYER 1987: 48).

Insgesamt lässt sich die außerfamiliäre Versorgung und Erziehung im Vorschulalter als Reaktion auf wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Änderungsprozesse betrachten, die schon seit etwa 1800 zu einer Neuorientierung vieler Lebensbereiche führten (vgl. AMTHOR 2003: 160).

3.2 Ein „Mutterberuf“

Die Herzogin Chr. W. Pauline von LIPPE–DETMOLD (1769–1820) beschreibt die Auswirkungen der neuen Bedeutung von Kindheit auf die Rolle als Frau im Bürgertum wie folgt:

„Die Entdeckung der Kindheit als einer wichtigen Lebensphase war eng verknüpft mit der Einengung der Ehefrau auf die Funktionen der Hausfrau und Mutter“ (vgl. ERNING 1987: 17). Der Beruf der Kindergärtnerin galt als der Beruf, der am besten zur Frau passte und dem „Mutterberuf“ am nächsten kam (vgl. AMTHOR 2003: 223). Der Allgemeine Deutsche Frauenverein betrachtete um 1880 die bezahlte Berufstätigkeit in Kindererziehung als einen wichtigen Schritt zur gesellschaftlichen Teilhabe der Frau (vgl. AMTHOR 2003: 178f). Für die damalige Frauenbewegung war der „ mütterliche Erziehungsberuf der Kulturberuf der Frau für Familie und Volk“ (vgl. AMTHOR 2003: 223). Diese „Kulturaufgabe“ der Frau, sprich Kindererziehung, wurde mit „mütterlichem Wissen, bewahrendem, hegendem und pflegendem Geschlechtscharakter“ verbunden (SACHßE 1994: 127f). „Kein Beruf aber ist dem weiblichen Geschlecht angemessener als derjenige, der dem Mutterberuf am nächsten kommt, der Beruf der Kindergärtnerin des heranwachsenden Geschlechts“ (GOLDSCHMIDT: 1911: 9). Den Frauen wurde intuitive Kraft zugesprochen, ihre Arbeit galt als naturgegeben, Weiblichkeit und Mütterlichkeit als Grundbedingung für den Beruf (vgl. ERNING 1987: 85).

Auch in der Ausbildung zeigte sich die Bevorzugung für Frauen. So wollte Henriette SCHRADER-BREYMANN6 (1827-1899) in der Ausbildung nicht nur die fachlichen Kompetenzen fördern, sondern vielmehr „die Schülerinnen auch zu allen weiblichen und mütterlichen Aufgaben befähigen“ (DERSCHAU 1976: 59).

In einer Verordnung über die Beaufsichtigung von Landarbeiterkindern im Kurfürstentum Hessen-Kassel im Jahre 1825 wurde ausdrücklich auf die Notwendigkeit einer Frau als Betreuerin hingewiesen (vgl. ERNING/NEUMANN/REYER 1987: 22).

Auch im Jahre 1928 wurde auf die „weibliche Berufungen“, Ehefrau, Hausfrau und Mutter (ZYMEK 1989: 174) hingewiesen. In einem 1925 verfügter Erlass des preußischen „Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung“ wurde für Aufgaben in Kindertageseinrichtungen sogar „hausmütterliche Befähigung“ (HEINEMANN/GÜNTHER 1925:

71) voraussetzt. 1923 wurde in einem preußischen Erlass eine ausreichende hauswirtschaftliche Vorbildung, z.B. nach einem Besuch in einer Hausfrauenschule, Frauenschule, Haushaltungsschule verlangt (vgl. AMTHOR 2003: 310f).

Für Marie KIENE7 (1889-1979) war die zentrale Aufgabe der Kindergärtnerinnenseminare, die Qualifikation der Frauen für den Erzieherberuf, also: „die Durchbildung der mütterlichen Anlagen der Frau für ihren Beruf, Hüterin und Pflegerin der Kindheit“ (KIENE 1932: 10).

In Kriegssituationen galt die mütterliche Erwerbstätigkeit „nicht mehr als soziales Übel, sondern im Rahmen der Kriegsproduktion als eine nationale Notwendigkeit und Pflicht“ (ERNING 1987: 65). Die Teilnahme der Frauen an der Erwerbsarbeit wurde als nötig angesehen, die Zahl der Kinderkrippen, -horte und -tageseinrichtungen erhöhte sich und ermöglichte eine Freistellung der Frauen und Müttern (vgl. ERNING 1987: 109).

Im Nationalsozialismus war der Beruf der Erzieherin von Frauen geprägt und die Angehörigkeit zu BDM, NS-Frauenschaft oder dem Deutschen Frauenwerk wurde verlangt (vgl. AMTHOR 2003: 326f).

3.3 Männliche Gründer

Die meisten Einrichtungen zur Kinderbetreuung wurden von Männern gegründet, wie z.B. das 1816 von Robert OWEN errichtete Kleinkinderschulhaus in New Lanark (Schottland) (vgl. ERNING/NEUMANN/REYER 1987: 24ff), eine der ersten Krippen in Frankreich von Firmin MARBEAU 1844 (vgl. RUF 1993: 25ff), die Breitenfelder Krippe in Wien von Karl HELM 1849 (vgl. RUF 1993: 25ff) und die 1779 erste auf die Not der Kinder abgestimmte Anstalt8 des evangelischen Pfarrers Johann Friedrich OBERLIN (1740–1826) im elsässischen Steintal. Eine bekannte Ausnahme ist das 1907 errichtete erste Kinderhaus „Casa dei Bambini“ von Maria MONTESSORI (1870-1952) in Rom.9

Auch in Deutschland waren es Männer, die solche Einrichtungen gründeten. Die erste Einrichtung bei Friedrich FRÖBEL (1782-1852), die sich dreibis sechsjährigen widmete, hieß „Kleinkinder-Pflege und -Beschäftigungsanstalt“ oder auch „Spielund Beschäftigungsanstalt“ und wurde 1840 in Blankenburg, Thüringen gegründet. Theodor FLIEDNER (1800-1864) gründete 1835 in Düsseldorf und 1836 in Kaiserswerth Kleinkinderschulen, die an Diakonissenhäuser oder Orden angeschlossen waren.

3.4 Weibliche Betreuerinnen

Auch wenn viele Männer die Gründung von Einrichtungen in der Hand hielten, so war die Betreuung der Kinder selbst überwiegend Frauensache. So stellte OBERLIN seine Kindergruppen, die in kleinen Räumen zusammengefasst wurden, unter Aufsicht von Frauen.

Johann Heinrich PESTALOZZI (1746-1827) wollte in den Kinderhäusern noch nicht schulfähige Kinder von „älteren Schulmädchen“ betreut sehen, für deren praktische Anleitung er „verantwortungsbewusste Frauen“ vorsah (vgl. AMTHOR 2003: 161).

Es gab einige Stimmen, die einen Mann in dieser Arbeit befürworteten. So setzte FLIED- NER für die Leitung der Kleinkinderschulen zuerst einen Mann ein, übergab aber die Leitung bereits nach einem Jahr an eine Frau mit der Begründung: „Der Lehrer ist nicht so vertraut mit den Kindern wie die Lehrerin, kann auch meist sich nicht so kindlich zu ihnen herablassen.“ FLIEDNER weiter: „Ja der Unterricht, wie die Erziehung, bleibt mütterlicher, einfacher, naturgemäßer, darum zweckmäßiger und zugleich wohlfeiler“ (FLIEDNER 1958: 34). Auch Johann Georg WIRTH (1807-1851) sah grundsätzlich einen Mann dafür vor, „Das Leben und Treiben in derselben10 von vielleicht mehr als 100 Kindern, vom 2ten bis 6ten Jahre, die meisten Eltern aus der arbeitenden Klasse angehören, mag die sicherste Erklärung abgeben, ob eine männliche Leitung nöthig sey oder nicht. Übrigens können – in kleineren Anstalten – gewiss auch Frauenzimmer, welche sich für das Schulfach gebildet haben, recht viel Gutes und Nützliches leisten“ (WIRTH 1838: 20). Die Männer, die Einrichtungen leiteten, waren fast nur Lehrer und erfüllten ihre Aufgaben neben ihrer Unterrichtstätigkeit (vgl. AMTHOR 2003: 170f).

FRÖBEL hatte 1839 auch zuerst vorgeschlagen, dass Männer für die Betreuung der Kinder bis zum vorschulfähigem Alter tätig sein sollten, mit der Begründung, Männer verfügten über eine bessere Vorbildung und seien deshalb für die „verantwortungsvolle Aufgabe der Kleinkindererziehung besser gerüstet“ (METZINGER 1993: 326). Ein Jahr später waren hauptsächlich Frauen in der Ausbildung vorzufinden (vgl. AMTHOR 2003: 175). Er stellte dabei fest, dass "Je ungeteilter ich mich der ersten Kinderpflege hingebe, desto mehr sehe ich ein, dass dasjenige, was notwendig für die erste Erziehung des Menschengeschlechtes, für die Kindheit geschehen muss, am wenigsten durch den Mann und besonders nicht durch ihn vereinzelt geschehen kann, sondern dass ihm vor allem der weiblich mütterliche Sinn der Frauen, die weiblich mütterliche Liebe, zur Seite stehen muss" (PRÜFER 1927: 90f). Willhelm DIESTERWEG (1790–1866) forderte einen pädagogisch gebildeten, männlichen Vorsteher für die Kleinkinderschulen und sprach von

„höchst selten vorkommender pädagogischer Gewandtheit“ (1959: 536), die dort vonnöten seien. Ebenso wie bei der Kleinkindpädagogik waren auch bei der Wohlfahrtspflege Männer als Fachkraft eine Seltenheit, es gab sie lediglich als Brüder bei den konfessionellen Trägern (vgl. AMTHOR 2003: 355ff). Besonders hervorzuheben ist das Wirken von Johann Heinrich WICHERN (1808-1881) um 1840 in der evangelische Diakone, der überwiegend Männer als Betreuer von Kindern sah. Allerdings veränderte die Erneuerung und Anpassung an staatliche Vorgaben die Berufsausbildung (vgl. AMTHOR 2003: 359). Ein Viertel der männlichen Wohlfahrtspfleger waren im Bereich der Waisenund Ziehkinderpflege engagiert, also 11.000 von etwa 41.000 Armenpflegern (vgl. AMTHOR 2003: 266). Frauen arbeiteten meist in der Familienfürsorge, Männer eher in der Jugendfürsorge und –pflege oder in geschlossenen Anstalten (vgl. AMTHOR 2003: 359). Es wurde zwar kein eigenes Berufsbild männlicher Sozialarbeit hervorgebracht, „so trug doch die Öffnung der sozialen Berufsarbeit der Männer dazu bei, ihren Charakter als spezifischen Frauenberuf, als dem Wesen der Frau eigene, spezifisch weibliche Tätigkeit weiter zu verwischen“ (SACHßE 1994: 276).

Herzogin Chr. W. Pauline von LIPPE–DETMOLD ließ die Kinder von älteren Schülerinnen betreuen (vgl. AMTHOR 2003: 163) ähnlich ging der in Berlin tätige WADZECK (1762– 1823) 1819 vor und griff bei der Betreuung der Kinder auf ältere Waisenkinder, ausschließlich Mädchen zurück (vgl. AMTHOR 2003: 164).

Nach dem 1. Weltkrieg galten Berufe in der Kinderbetreuung aufgrund niedriger Löhne als Übergangsberufe, die kein selbständiges Leben ermöglichten. Die in diesem Bereich tätigen Frauen waren entsprechend jung (65% unter 21 Jahren) und lebten häufig (33%) bei ihren Eltern (vgl. AMTHOR 2003: 315).

Auch im Hort arbeiteten überwiegend Frauen. Die Aufgabe des Hortes, der eine Wurzeln11 im 18. Jahrhundert in den sogenannten Arbeitsund Industrieschulen hat, bestand darin, die vorwiegend männlichen Jugendlichen in die Arbeitswelt einzuführen, da Kinderarbeit noch erlaubt war, war die Vermittlung von Arbeitstechniken zentral. Allerdings wurden Industrieschulen durch Einführung der Gesetze gegen Kinderarbeit überflüssig (vgl. LÜDERS 1993: 80).

Das Personal der Horte bestand vor dem 1. Weltkrieg überwiegend aus VolksschullehrerInnen, die im Anschluss ihres Unterrichtes die Kinder und Jugendlichen betreuten (vgl. AMTHOR 2003: 244). Allerdings löste dies eine Diskussion aus, die LehrerInnen wären

„vielleicht noch mehr, müde und der Ruhe bedürftig. (...) sie (die Kinder) sollen im Hort mehr Freiheiten genießen als in der Schule“ (REIN 1897: 109,). Und so zogen sich die LehrerInnen aus diesem Arbeitsfeld weitgehend zurück.

[...]


1 DESTATIS, die Abkürzung für das Statistische Bundesamt, erörtert diese Daten unter www.destatis.de.

2 Diese ist um das fünfte oder sechste Lebensjahr erreicht (vgl. ALFERMANN 1996: 57f).

3 Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft

4 Verband Bildung und Erziehung

5 siehe weiteres bei AMTHOR: 2003: 440ff

6 Großnichte FRÖBEL’s, seit 1849 an seiner Seite (u.a. in Bad Liebenstein), spätere Gründerin des Pestalozzi-Fröbel-Hauses in Berlin.

7 Damalige Referatsleiterin für Kinderfürsorge beim Deutschen Caritas-Verband

8 Die Einrichtung trug den französischen Namen „école-à-tricoter“, übersetzt „Strickschule“.

9 Siehe weiteres unter www.montessori-ami-edu.de/montibasis3

10 Anm. des Autors: WIRTH meinte damit Einrichtungen der Kinderbetreuung (vgl. AMTHOR 2003: 165)

11 Eine zweite Wurzel, die parallel mit der ersten gedieh, war die Initiierung von Horten durch Geistliche die einerseits an der wirtschaftlichen Selbständigkeit des heranwachsenden Kindes interessiert waren, aber auch versuchten Kinder umfassend zu fördern und Schonraum für Persönlichkeit zu bieten (vgl. LÜDERS 1993: 80).

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
Männer als sozialpädagogische Fachkräfte in Tageseinrichtungen für Kinder
Hochschule
Universität zu Köln
Note
gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
75
Katalognummer
V123848
ISBN (eBook)
9783640285655
ISBN (Buch)
9783640286164
Dateigröße
1158 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Männer, Fachkräfte, Tageseinrichtungen, Kinder
Arbeit zitieren
Diplom Pädagoge Sandy Sacha Marth (Autor:in), 2005, Männer als sozialpädagogische Fachkräfte in Tageseinrichtungen für Kinder, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123848

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