Die derzeitige Diskussion um die Reform der österreichischen Bundesverfassung weist ein Element auf, das für Südtirol – und damit auch für die internationale Minderheitenproblematik – von besonderer Bedeutung ist. Es geht um die Frage, ob in die novellierte österreichische Bundesverfassung ein offizielles Bekenntnis zur Schutzfunktion Österreichs gegenüber den Minderheiten in Südtirol (bzw. den „österreichischen Minderheiten“ in diesem Lande) aufgenommen werden soll. Diese Diskussion weist verschiedene Zweige auf. Sie ruft einmal in Erinnerung, dass eine völkerrechtliche Schutzfunktion Österreichs gegenüber Südtirol ohnehin schon seit 1946, also seit dem Abschluss des „Gruber-De Gasperi-Abkommens“ (auch Pariser Abkommen genannt), besteht und fragt gleichzeitig, ob eine Schutzfunktion des Mutterstaates gegenüber „seinen“ Minderheiten im Ausland vielleicht auch unabhängig vom Völkerrecht existiert. Sollte dies der Fall sein, so wäre auch ein heikles Problem gelöst, das die erwähnte Diskussion aufgeworfen hat: Darf ein Staat unilateral eine Schutzfunktion gegenüber Gruppierungen in anderen Staaten proklamieren? Zwar sind innerstaatliche Regelungen, um die es sich bei einer Verfassungsregelung handelt, völkerrechtlich grundsätzlich unwichtig, erlangen aber bei einer eventuellen Außenwirkung durchaus völkerrechtliches Konflikt-potenzial. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dies im vorliegenden Zusammenhang allerdings nicht der Fall, weil das moderne internationale Minderheitenrecht eine generelle Interessensbekundung oder Förderung der Minderheiten im Ausland nicht verbietet.
Eine andere Frage ist die, ob der Versuch einer solchen Einflussnahme politisch opportun und für die betreffenden Minderheiten auch von Vorteil ist. Warum also ist diese Schutzfunktion für die neue Bundesverfassung – und auch international gesehen – von Bedeutung? Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- Begriffsbestimmungen
- Der Pariser Vertrag und Österreichs Schutzfunktion
- Vorschläge zur Einleitung einseitiger Schutzmaßnahmen
- Beurteilung der österreichischen Möglichkeiten vor dem Hintergrund und Wertung der geplanten Verfassungsreform
- Die Schutzfunktion als rein deklaratorische Maßnahme
- Die unilaterale Erlassung von Durchführungsmaßnahmen
- Die Schutzfunktion als Ausfluss neuerer Entwicklungen im internationalen Minderheitenrecht
- Schlussbemerkungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Bedeutung der verfassungsmäßigen Verankerung der österreichischen Schutzfunktion für Südtirol für den internationalen Minderheitenschutz. Sie beleuchtet die historische Entwicklung, die unterschiedlichen Interpretationen des Begriffs „Schutzfunktion“ und die damit verbundenen völkerrechtlichen Implikationen.
- Die historische Entwicklung der österreichischen Schutzfunktion für Südtirol.
- Verschiedene Begriffsdefinitionen von „Schutzfunktion“ und „Schutzmacht“ im Völkerrecht.
- Die völkerrechtlichen Aspekte der unilateralen Ausübung einer Schutzfunktion.
- Die Relevanz der geplanten Verfassungsreform für den internationalen Minderheitenschutz.
- Politische Opportunität und Vorteile einer solchen Einflussnahme für die betroffenen Minderheiten.
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 (Einführung): Die Arbeit führt in die Thematik der verfassungsmäßigen Verankerung der österreichischen Schutzfunktion für Südtirol ein und stellt die zentrale Forschungsfrage dar.
Kapitel 2 (Begriffsbestimmungen): Dieses Kapitel klärt terminologische Fragen und differenziert zwischen unterschiedlichen Bedeutungen von „Schutzmacht“ und „Schutzfunktion“ im Kontext des Völkerrechts.
Kapitel 3 (Der Pariser Vertrag und Österreichs Schutzfunktion): Der Pariser Vertrag von 1946 und die daraus resultierende Schutzfunktion Österreichs für Südtirol werden analysiert.
Kapitel 4 (Vorschläge zur Einleitung einseitiger Schutzmaßnahmen): Möglichkeiten und Vorschläge für die Einleitung einseitiger Schutzmaßnahmen durch Österreich werden diskutiert.
Kapitel 5 (Beurteilung der österreichischen Möglichkeiten): Die Arbeit analysiert die Möglichkeiten Österreichs vor dem Hintergrund der geplanten Verfassungsreform und bewertet die Schutzfunktion als rein deklaratorische Maßnahme, sowie die unilaterale Erlassung von Durchführungsmaßnahmen und im Kontext neuerer Entwicklungen im internationalen Minderheitenrecht.
Schlüsselwörter
Schutzfunktion, Schutzmacht, Südtirol, Minderheitenschutz, Völkerrecht, internationales Minderheitenrecht, Pariser Vertrag, Verfassungsreform, Österreich, unilaterale Maßnahmen, Gruber-De Gasperi-Abkommen.
- Arbeit zitieren
- Orkun Aktuna (Autor:in), 2008, Ist die verfassungsmäßige Verankerung der „Schutzfunktion für Südtirol“ auch für den internationalen Minderheitenschutz von Bedeutung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/123884