Silbenbasiertes Lernen im Anfangsunterricht

Ein Vergleich verschiedener didaktischer Materialien


Masterarbeit, 2022

67 Seiten, Note: 1,5

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Ausgangslage
1.2 Zielsetzung der Arbeit
1.3 Aufbau der Arbeit

2. Rolle der Silbe im Schriftspracherwerb
2.1 Phonologie
2.1.1 Sprechsilbe
2.1.2 Silbenmodell
2.1.3 Silbentypen
2.1.4 Phonologische Bewusstheit
2.2 Graphematik
2.2.1 Phonographisches Prinzip
2.2.2 Silbisches Prinzip
2.2.2.1 Schreibsilbe
2.2.2.2 Trochäus
2.2.2.3 Silbische Schreibungen
2.2.3 Morphologisches Prinzip
2.3 Didaktik
2.3.1 Schriftspracherwerb
2.3.2 Entwicklung silbischer Schrifterwerbskonzepte

3. Methode

4. Analysegegenstand
4.1 Die Kinder vom Zirkus Palope
4.2 Ich lerne lesen und richtig schreiben von Anfang an
4.3 Wir lernen lesen – vom Wort zum Satz zum Text

5. Ergebnisse
5.1 Prosodische Konzepte
5.2 Doppelkonsonanten
5.3 Dehnungsschreibung

6. Diskussion
6.1 Zirkus Palope
6.2 Bärenboot
6.3 Leselineal
6.4 Zusammenfassung

7. Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhangsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Konstituentenmodell (Noack 2010: 52)

Abbildung 2: Graphem-Phonem-Korrespondenz-Regeln für die Vokale (Eisenberg 2016: 69)

Abbildung 3: Graphem-Phonem-Korrespondenz-Regeln für die Konsonanten (Eisenberg 2016: 70)

Abbildung 4: Vier Varianten der Trochäen im Deutschen in der Häuschenschreibweise nach Röber (Röber 2005: 140)

Abbildung 5: Lassowerfen beim Lesen nach Röber (Röber-Siekmeyer 2005: 141)

Abbildung 6: Muster für trochäische Wortformen nach Bredel (Bredel 2015: 275)

Abbildung 7: Zirkuswagen mit Anhänger (Röber et al. 2020a: 9)

Abbildung 8: Das Bärenboot (Blatt et al. 2020a: 12)

Abbildung 9: Leselineal (Bangel et al. 2017: 13)

Abbildung 10: Arten von Zirkuswagen mit Anhängern (Röber et al. 2020b: 29)

Abbildung 11: Wortwahl Bärenboot (Blatt et al. 2020a: 16)

Abbildung 12: Zirkuswagen mit Anhänger für Trochäen mit Doppelkonsonanten (Röber et al. 2020a: 117)

Abbildung 13: Übertragung der Doppelkonsonantenschreibung auf den Einsilber (Röber et al. 2020a: 121)

Abbildung 14: Darstellung des Bärenboots bei Doppelkonsonanten (Blatt et al. 2020b: 37)

Abbildung 15: Morphologische Schreibung des Dehnungs-h (vgl. Röber et al. 2020b: 42)

Abbildung 16: Bärenboot abstrahiert (vgl. Blatt et al. 2020b: 37) 46

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Die vier Varianten der Reime betonter Silben

Tabelle 2: Die vier prosodischen Wortgestalten nach dem silbenanalytischen Ansatz von Röber

Tabelle 3: Kategoriensystem

Tabelle 4: Übersicht prosodischer Konzepte

Tabelle 5: Übersicht Doppelkonsonanten

Tabelle 6: Übersicht Dehnungsschreibung

1. Einleitung

In die Masterarbeit mit dem Titel Silbenbasiertes Lernen im Anfangsunterricht – Ein Vergleich verschiedener didaktischer Materialien wird folgend in drei Schritten eingeleitet. Zunächst wird die Ausgangslage des Themas dargelegt, bevor auf die Zielsetzung, Motivation und Fragestellung eingegangen wird. Darauf folgt der Aufbau der Arbeit.

1.1 Ausgangslage

Lesen gilt laut der UNESCO als individuelles Grundrecht und „Voraussetzung für psychische, soziale und ökonomische Autonomie“ (Noack 2015: 31). Trotzdem wird dieses Recht nicht jedem Menschen in Deutschland zuteil. Wie Grotlüschen und Riekmann (2011: 2-4) im Rahmen der LEO-Studie herausfanden, sind 7,5 Millionen Erwerbstätige in Deutschland funktionale Analphabet*innen. Das bedeutet 14,5% der erwerbsfähigen Bevölkerung sind nicht dazu in der Lage, kurze, zusammenhängende Texte zu schreiben, zu lesen und in angemessener Form am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Die PISA-Studie von 2000 und die IGLU-Studie von 2003 bestätigen die unzureichenden Ergebnisse der Schüler*innen beim Lesen und Rechtschreiben. In folgenden PISA-Studien von 2006 und 2009 haben sich die Leistungen nur in geringem Maß verbessert (vgl. Bredel / Röber 2015: 3). Die Ursache dieses Problems liegt in den Grundschulen. Hier müssen die Kompetenzen vermittelt, Strukturen geschaffen und die kognitiven Fähigkeiten der Schüler*innen herausgefordert werden, sodass ein Wissensgerüst als Basis für weitere Lernprozesse entsteht. Kann dies nicht in der Grundschule geschaffen werden, werden die Probleme in den folgenden Jahrgängen noch verstärkt (vgl. Bredel et al. 2017: 1-2). Der Schriftspracherwerb hat damit einen nicht verkennbaren Einfluss auf das Leben der Schülerinnen und Schüler. Umso wichtiger ist es, die Lernenden mit geeigneten Mitteln und Methoden an die Schriftsprache heranzuführen (vgl. Röber-Siekmeyer 1993: 80).

Zu den häufigsten Rechtschreibfehlern zählen Dehnungs- und Schärfungsschreibungen. Diese werden in Sprachbüchern anhand von Einzelfällen gelehrt, da von einer Unregelmäßigkeit der deutschen Orthografie ausgegangen wird. Unsystematische, isolierte Einzelregeln können Kinder jedoch verunsichern und ihnen die Motivation nehmen (vgl. ebd: 86). Zudem werden so keine kognitiven Strukturen aufgebaut, weshalb Maas dazu auffordert, stattdessen die Regelmäßigkeiten der Orthografie zu betrachten (Röber-Siekmeyer 1993: 46). Laut Röber-Siekmeyer (ebd.: 97) sollten die Regeln der Schriftsprache und die sie repräsentierenden Strukturen die Leitlinien des Sprachunterrichts in der Grundschule sein. Zusammen mit Bredel (2015: 4) plädiert sie dafür, die beim Spracherwerb aufgebaute Basis für den Schrifterwerb zu nutzen und auszubauen.

Eine sprachliche Einheit, die den Kindern schon vor dem Schuleintritt bekannt und gleichzeitig orthografisch relevant ist, sind Silben (vgl. ebd.: 8). Silben können als Brücke für den Eintritt in die Schrift genutzt werden und zum Lernerfolg des Unterrichts beitragen (vgl. ebd.: 4). Außerdem lassen sich die Dehnungs- und Schärfungsschreibungen silbisch logisch erklären. Weitere Gründe, den Schriftspracherwerb silbenbasiert zu vermitteln, werden im Verlauf der Arbeit dargelegt.

Empirische Evidenz gibt es in diesem Bereich zurzeit noch wenig. Swantje Weinhold hat von 2003 bis 2007 eine Vergleichsstudie mit 13 Klassen aus zwölf Grundschulen durchgeführt, bei der fünf Klassen mit der Silbenanalytischen Methode unterrichtet wurden und die anderen Unterricht auf Basis einer Fibel erhielten. Dabei wurden die Lese- und Rechtschreibleistungen der Schüler*innen über die ersten vier Schuljahre untersucht und verglichen. Zunächst stellte sich eine schnellere Kompetenzentwicklung der Kinder, die mit der Silbenanalytischen Methode unterrichtet wurden, heraus. Diese Ergebnisse glichen sich jedoch bis zum Ende der vierten Klasse wieder an. Bei silbenbasiert unterrichteten Schüler*innen konnten insgesamt bessere Leseleistungen festgestellt werden (vgl. Weinhold 2009: 59-70). 2007 hat auch Iris Rautenberg eine Vergleichsstudie zwischen der Silbenanalytischen Methode und dem Fibel-Unterricht durchgeführt. Sie konnte die besseren Leseleistungen bestätigen und hat zudem große Effekte der Silbenanalytischen Methode auf das Schreiben im zweiten Schuljahr herausgefunden (vgl. Rautenberg 2013: 175, 185, 191). Weiterhin findet derzeit eine Pilotstudie der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg in zehn ersten Klassen statt. Die endgültigen Ergebnisse stehen noch aus, die Erwartungen beim Lesen- und Schreibenlernen wurden jedoch schon jetzt übertroffen (vgl. Pädagogische Hochschule Vorarlberg 2017: o.S.).

1.2 Zielsetzung der Arbeit

Die jetzige Generation angehender Lehrkräfte lernt den Ansatz des silbenstrukturellen Arbeitens in ihrem Studium kennen. Besteht das Vorhaben, diesen Ansatz in den Schulen umzusetzen, ergibt sich folgendes Problem. In der Praxis kann nicht von vorneherein bestimmt werden, auf welchem Material der Unterricht aufbaut. Es muss sich dem Schullehrwerk angepasst werden. Verfolgt die Schule andere Ansätze, stehen keine vollständigen Materialien zur Verfügung, um in der gewünschten Richtung unterrichten zu können. Damit das Potenzial von Silben- und Wortstrukturen trotzdem genutzt werden können, lassen sich silbenstrukturelle Ansätze begleitend einsetzen. Ob dafür Material aus bestehenden Werken sinnvoll genutzt werden kann, wird in der vorliegenden Arbeit anhand einer Materialanalyse dreier silbenbasierter didaktischer Materialien unter folgender Fragestellung untersucht: „ Was sind typische Kriterien für silbenstrukturelles Arbeiten und wie lassen sie sich in einem Unterricht, der nicht komplett auf diesem Material aufbaut, nutzen?“. Zunächst werden die in der Theorie typischen Kriterien für silbenstrukturelles Arbeiten aus den Materialien herausgestellt, um im zweiten Teil die Analysegegenstände dahingehend zu untersuchen, wie sie als Begleitmaterial eingesetzt werden und (angehenden) Lehrkräften für die spätere Unterrichtsgestaltung helfen können. Es handelt sich dabei nicht um eine allumfassende Werkanalyse, sondern es werden nur bestimmte Aspekte des Erwerbs betrachtet. Das Ziel dieser Arbeit ist es, Elemente des silbenbasierten Ansatzes herauszuarbeiten, die in der Praxis eingebracht werden können, wenn der Ansatz in den Lehrbüchern nicht vorkommt, damit Kinder früh dazu angeleitet werden, Orthografie zu verstehen.

1.3 Aufbau der Arbeit

In dem Kapitel 2. Rolle der Silbe im Schriftspracherwerb werden die für die Analyse notwendigen Informationen und wichtigen Grundlagen zu der Thematik des silbenbasierten Anfangsunterrichts dargelegt. Die Unterteilung in die Bereiche 2.1 Phonologie, 2.2 Graphematik und 2.3 Didaktik bietet sich als Gliederung der theoretischen Grundlagen an, da die verschiedenen Ebenen des (silbischen) Schriftspracherwerbs so systematisch durchlaufen werden können. In dem Kapitel zur Phonologie werden Aspekte der gesprochenen Sprache dargelegt, bevor im Kapitel der Graphematik die der geschriebenen Sprache folgen und beide schließlich im Kapitel zur Didaktik zusammengeführt werden. Mit diesem Basiswissen werden unter dem Kapitel 3. Methode in Anlehnung an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring Kriterien formuliert, welche die oben vorgestellte Fragestellung beantworten. Das Kapitel 4. Analysegegenstand stellt ebendiesen vor. Es untergliedert sich in die drei einzelnen untersuchten Werke: 4.1 Die Kinder vom Zirkus Palope, 4.2 Ich lerne lesen …und richtig schreiben von Anfang an und 4.3 Wir lernen lesen – vom Wort zum Satz zum Text. Danach folgt die 5. Ergebnisdarstellung, geordnet nach den Kategorien des entstandenen Kategoriensystems, worauf sich die 6. Diskussion dieser anschließt, bevor abschließend ein Ausblick gegeben wird.

2. Rolle der Silbe im Schriftspracherwerb

Sprachen können auf verschiedenen Ebenen beschrieben und analysiert werden (vgl. Noack 2019: 369). Erkenntnisse über die deutsche Schriftsprache und deren Erwerb zeigen Probleme bei einem Fokus auf Laut-Buchstabenbeziehungen auf. Diese werden in Kapitel 2.2.1 Phonographisches Prinzip näher erläutert. Eine geeignetere Herangehensweise an den Schriftspracherwerb ist laut Bredel (2015: 256) deswegen die Anknüpfung an bereits vorhandenes, schriftrelevantes Wissen, wie das Bewusstsein von Silben. Silben sind die kleinsten sprachlichen Einheiten, die für Kinder wahrnehmbar sind (ebd.: 84). Es gibt viele Gelegenheiten, bei denen sie Kindern schon vor dem Schuleintritt begegnen. Dazu gehören verschiedene Sprachspiele, Lieder oder Tänze. Durch Klatschen oder Stampfen lässt sich die Silbenstruktur körperlich unterstützen. Dieses Wissen über die silbische Gliederung wird von den Kindern mit in den Anfangsunterricht gebracht (vgl. Röber-Siekmeyer 1993: 73), weshalb sie bei Analysen am Schriftanfang vorrangig Silben wahrnehmen und sie selbst bei einem einzelbuchstabenorientierten Unterricht vorerst weiternutzen (vgl. Röber 2013: 93).

Ein Wissen über die Silbe ist zudem schriftrelevantes Wissen. „Viele lautliche Phänomene einer Sprache sind überhaupt erst dann regelhaft beschreibbar, wenn sie innerhalb der Domäne Silbe betrachtet werden“ (Noack 2010: 51), wie im Kapitel 2.2.2.3 Silbische Schreibungen gezeigt wird. Werden solche Phänomene nicht silbisch basiert vermittelt, kann es zu erheblichen Problemen im Schriftspracherwerb kommen (vgl. Bredel et al. 2017: 98).

Silben nehmen also eine zentrale Rolle im Schriftspracherwerb ein (vgl. Noack 2010: 51). Diese Relevanz wird im vorliegenden Kapitel schrittweise verdeutlicht. Dafür wird eine Unterteilung in die Bereiche Phonologie (gesprochene Sprache), Graphematik (geschriebene Sprache) und Didaktik vorgenommen. So wird jede Ebene dargelegt, auch wenn es zwischen den Bereichen zu Überschneidungen kommt.

Begonnen wird mit dem Oberkapitel zur Phonologie, indem der Begriff und dessen Abgrenzung zur Phonetik dargelegt werden. Da es in dieser Arbeit um die Silbe geht, wird diese darauffolgend in einem Unterkapitel in Bezug auf die gesprochene Sprache beschrieben. Dazu gehört eine Anordnung ihrer einzelnen Segmente, die im Rahmen des Silbenmodells dargestellt werden. Im Deutschen kann eine unterschiedliche Betonung bedeutungsunterscheidend sein (vgl. Röber 2013: 284), sodass auch die verschiedenen Silbentypen beschrieben werden. Am Ende des Kapitels folgt die Darlegung der phonologischen Bewusstheit.

Das zweite Oberkapitel widmet sich der Graphematik. Hier wird der Übergang vom vorherigen Kapitel über die Darstellung des Verhältnisses von geschriebener und gesprochener Sprache gestaltet. Es folgt eine Unterteilung in die graphematischen Prinzipien, die laut Eisenberg (2016: 65) notwendig sind, um die Relevanz der Silbe im Schriftspracherwerb zu verstehen. Begonnen wird mit dem Unterkapitel zum phonographischen Prinzip, gemäß welchem Laut-Buchstaben-Beziehungen hergestellt werden. Das zweite Prinzip, das silbische, wird aufgrund des Themas der Arbeit am ausführlichsten dargelegt. Hierfür sind Aspekte des phonographischen Prinzips relevant, weshalb diese Reihenfolge gewählt wurde. Das Kapitel beginnt mit einer weiteren Begriffsbestimmung zu der Silbe, dieses Mal aus geschriebener Sicht und im Vergleich zur Sprechsilbe. Darauf folgt das Wortbetonungsmuster aus betonter und reduzierter Silbe, der Trochäus. Diese Betonungsabfolge ist die im deutschen Wortschatz am häufigsten vorkommende und deshalb die – für eine systematische Herangehensweise – wichtigste. Sie ist außerdem für orthografische Strukturen relevant. Das wird im Abschnitt zu den silbischen Schreibungen näher dargelegt. Die silbischen Schreibungen teilen sich in Schärfungs- und Dehnungsschreibungen auf. Zu ersteren zählen Doppelkonsonanten, zu letzteren das silbeninitiale <h>, das Dehnungs-h sowie Doppelvokale. Zuletzt wird das morphologische Prinzip beschrieben. Hier werden die silbischen Schreibungen auf andere Wortformen übertragen, weshalb es an den Abschnitt der silbischen Schreibungen anschließt.

Am Ende dieses Kapitels wird die Rolle der Silbe in Bezug auf die Didaktik beschrieben. Dabei geht es um die Vermittlung der Theorie, wofür der Begriff Schriftspracherwerb definiert wird und verschiedene Ansätze silbischer Schrifterwerbskonzepte chronologisch dargelegt werden.

2.1 Phonologie

Die gesprochene Sprache wird in den Bereichen der Phonetik und der Phonologie untersucht. Beide Begriffe basieren auf dem griechischen Wort phōnē für Stimme. Sie lassen sich anhand ihres methodischen Zugangs zur Sprache unterscheiden. Während Laute im Bereich der Phonetik als Naturereignisse betrachtet und naturwissenschaftlich untersucht werden, setzt die Phonologie ihren Fokus auf „die Analyse der Nutzung der Lautunterscheidung für sprachliche Belange“ (Maas 2006: 17). Die beiden Disziplinen bauen aufeinander auf, denn die Phonologie nutzt phonetische Grundlagen und deren Terminologie. In der Phonetik wird gesprochene Sprache gemessen und teils mit Hilfe physikalischer Verfahren ausgewertet, die Phonologie beschreibt und interpretiert diese Daten und versucht sie zu systematisieren. Als kleinste Beschreibungseinheit nutzt die Phonologie Phoneme. Sie gelten allgemein als „kleinste[…] bedeutungsunterscheidende[…] Einheit einer Sprache“ (ebd.: 20). Die bedeutungsunterscheidende Funktion von Phonemen lässt sich im Vergleich zweier Wörter herausstellen, die sich durch einen Laut voneinander abgrenzen und eine unterschiedliche Bedeutung tragen. Ein Beispiel dafür sind die Wörter mein [maɪn] und dein [daɪn]. Sie unterscheiden sich durch [m] und [d], welche zu einem Bedeutungsunterschied führen und somit Phoneme des Deutschen sind. Durch die Bildung solcher Minimalpaare des Deutschen lassen sich alle Phoneme herausfinden (vgl. Maas 2006: 17, 20; vgl. Noack 2010: 2-4, 22; vgl. Dahmen / Weth 2018: 13).

Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem silbischen Schriftspracherwerb und basiert somit auf wichtigen Aspekten der Phonologie. Nach dem Phonem ist die Silbe die nächstgrößere phonologische Einheit (vgl. Noack 2010: 50), welche nun näher beschrieben wird.

2.1.1 Sprechsilbe

Die Sprechsilbe bezieht sich auf die gesprochene Sprache. Sie gehört dem Bereich der Sprachwissenschaft an (vgl. Weingarten 2004: 6) und ist seit der Antike „eine feste Grundkategorie der Sprachbetrachtung“ (Maas 2006: 89). Die Sprachwissenschaft hat sich zwar auf keine einheitliche Definition der Silbe geeinigt, einige Punkte sind dennoch unstrittig. So bestehen Silben aus Lauten und sind eine Einheit zur rhythmischen Gliederung der Sprache (vgl. Noack 2010: 51-52). Der „Rhythmus gibt den Silben eine interne Ordnung, die sich in der festen Reihenfolge der Segmente zeigt“ (Röber 2013: 273). Sie umfassen auditiv eine Zu- und Abnahme der Lautstärke, artikulatorisch gehen damit Öffnungs- und Schließungsbewegungen einher (vgl. Pracht 2010: 80). Jede Silbe beginnt mit einem Druckaufbau, der zunächst stärker wird und schließlich abfällt, um mit neuem Druck die nächste Silbe zu erzeugen. Durch den kontinuierlichen Wechsel von Druckanstieg und -abfall entsteht die rhythmische Struktur (vgl. Röber 2013: 269-270), die körperlich, durch Aktivität der Bauchmuskeln, wahrgenommen werden kann. Einzelne Laute können hingegen erst nach kognitiver Bearbeitung wahrgenommen werden (vgl. Röber-Siekmeyer 1993: 73), womit die Silbe der „kleinste[n] intuitiv wahrnehmbare[n] Spracheinheit, die unabhängig von gesteuertem Sprachunterricht kognitiv verfügbar ist“ (Noack 2010: 50), entspricht. Sie ist somit nicht linear und kann analytisch, ohne Bezug auf das System der jeweiligen Sprache oder spezifisches Sprachwissen, bestimmt werden (vgl. Maas 2006: 115). In ihrem Zentrum befindet sich der vokalische Kern, der sogenannte Nukleus, mit dem Schall- beziehungsweise Sonoritätsmaximum1. Dieses ist an den konsonantischen Rändern schwächer, die Geräuschanteile der Laute aber stärker (vgl. Weingarten 2004: 6).

2.1.2 Silbenmodell

Die einzelnen Segmente einer Silbe folgen aus phonologischer Sicht einer bestimmten Anordnung (vgl. Noack 2019: 369). Durch Silbenmodelle wird versucht diese Anordnung darzustellen. Das in Abbildung 1 zu sehende Konstituentenmodell stellt die Binnenstruktur von Silben hierarchisch durch ein Baumdiagramm dar, sodass die Abhängigkeit zwischen den einzelnen Segmenten deutlich wird (vgl. Noack 2010: 52). Es wird deshalb „auch als hierarchisches Silbenmodell bezeichnet“ (ebd.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Konstituentenmodell (Noack 2010: 52)

Der oberste Punkt steht für die Einheit der Silbe. Diese wird in Form des griechischen Sigmas dargestellt. Darunter folgen der Anfangsrand und der Reim. Letzterer besteht wiederum aus dem Nukleus und dem Endrand. Die Segmente Anfangsrand, Nukleus und Endrand sind in diesem Modell nicht nebengeordnet, da laut Noack (2010: 53) die Abhängigkeitsbeziehung zwischen dem Nukleus und dem Endrand symbolisiert werden sollte. Sie bildet die Grundlage zur Erklärung vieler sprachlicher Regularitäten und Wortschreibungen (vgl. ebd.: 54), auf die unter dem Aspekt silbische Schreibungen näher eingegangen wird. Zwischen dem Anfangsrand und Nukleus existiert keine Abhängigkeitsbeziehung. Neben diesem Modell gibt es andere, in denen die Reimstrukturen nicht so klar dargestellt werden. Sie vernachlässigen damit einen wichtigen, strukturellen Aspekt (vgl. Maas 2006: 133), weshalb sie hier keine weitere Erwähnung finden.

Besteht der Nukleus aus einem Langvokal oder Diphthong2, können ihm maximal zwei weitere Segmente folgen. Trifft das nicht zu, können dem Nukleus bis zu drei weitere Segmente folgen. Sowohl der Anfangsrand als auch der Endrand können leer sein, sodass die kleinstmögliche Silbe aus einem Nukleus besteht. Eine Silbe ohne konsonantischen Endrand ist eine offene Silbe. Sonst handelt es sich um eine geschlossene Silbe. Ist hingegen der Anfangsrand leer, ist die Silbe nackt. Hat sie einen oder mehrere Konsonanten im Anfangsrand stehen, ist sie bedeckt (vgl. Noack 2010: 53). Der Nukleus, beziehungsweise Silbenkern, muss immer besetzt sein. Es können die Buchstaben a, e, i, o, u, ä, ü und ö allein oder in Diphtongkombinationen vorkommen. Silben lassen sich damit sicher durch den Silbenkern erkennen und in ihrer Anzahl bestimmen (vgl. ebd.: 31-32).

2.1.3 Silbentypen

Das Deutsche ist eine akzentzählende Sprache. Die Bedeutung eines Wortes kann also von dem gesetzten Akzent abhängen (vgl. Röber 2013: 284). Bei einem Vergleich zwischen den Wörtern Rate und Ratte zeigt sich ihr Bedeutungsunterschied in dem Längenunterschied des Vokales der ersten Silbe. Bei der Betrachtung der geschriebenen Wörter würde der Unterschied nicht bei dem Vokal, sondern dem darauffolgenden Konsonanten vermutet werden. Im Gesprochenen zeigt sich jedoch, dass der Bedeutungsunterschied auf den Vokal zurückgeht (vgl. Noack 2010: 6).

Deutsche Silben lassen sich anhand ihrer Betonung des Reims drei Kategorien, drei Silbentypen, zuordnen (vgl. Röber 2013: 283). Nach Maas sind dies die Hauptsilbe, auch prominente oder betonte Silbe genannt, die Reduktionssilbe, und die Normalsilbe (vgl. Noack 2019: 370). Diese silbenbasierten Unterschiede zu erkennen, ist didaktisch sehr bedeutsam und macht laut Röber (2013: 283) einen „wesentlichen Teil der Lese- und Rechtschreibkompetenz aus“, denn sie werden orthografisch nahezu regelhaft markiert (vgl. ebd.: 273, 283), wie im Laufe der Arbeit aufgezeigt wird. Sie sind demnach für den Schriftspracherwerb relevant und werden deshalb nun näher beschrieben. Bei der betonten Silbe wird die Luft mit mehr Druck ausgestoßen als bei den anderen beiden, wodurch sich die Tonhöhe und Lautstärke verändern. Dies führt zu einer besseren Wahrnehmbarkeit und Betonung der Silbe (vgl. ebd.: 302). Im Nukleus der prominenten Silbe befindet sich immer ein Vollvokal. Der Anfangsrand darf nicht leer sein. Er hat entweder einen, zwei oder drei Konsonantenbuchstaben. Beginnt die Silbe mit einem Vokal, befindet sich ein Glottisverschluss, ein Knacklaut, im Anfangsrand. Auch der Endrand ist immer belegt. Bei einer offenen Silbe, die auf einem Langvokal oder einem Diphthong endet, wird der Endrand durch ein vokalisches Segment besetzt. Im Nukleus befindet sich immer genau ein Element. Der Endrand kann hingegen, genau wie der Anfangsrand, durch mehrere Elemente besetzt sein (vgl. Noack 2019: 371; vgl. Röber 2013: 302).

Es gibt vier verschiedene Varianten von Reimen in betonten Silben. Diese spielen eine wichtige Rolle im silbischen Schriftspracherwerb und werden deshalb nun dargelegt (vgl. Röber 2013: 304). Tabelle 1gibt einen Überblick über die verschiedenen Varianten.

Tabelle 1: Die vier Varianten der Reime betonter Silben

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: in Anlehnung an (Röber 2013: 304)

Es wird zwischen einer offenen und einer geschlossenen Silbe, sowie zwischen einem losen und festen Anschluss unterschieden. Die Unterscheidung zwischen einem losen und festen Anschluss geht auf Maas (2006: 45-46) zurück. Er unterscheidet damit den Anschluss „der Vokale an die folgenden Konsonanten“ (ebd.: 45). Ein loser Anschluss lässt dem Vokal artikulatorisch mehr Raum bis zum folgenden Konsonanten als ein fester Anschluss (vgl. ebd.: 46).

Reduktionssilben besitzen im Gesprochenen keinen Vollvokal im Nukleus. Entweder steht dort ein Reduktionsvokal oder ein Sonorant3.Für grammatisch notwendige Silben im Deutschen ist orthografisch das Vorhandensein mindestens eines Vokalbuchstabens obligatorisch. Reduktionssilben sind grammatisch notwendig und werden im Geschriebenen um den Vokalbuchstaben <e> ergänzt, der „die grammatisch notwendige Zweisilbigkeit“ (Röber 2013: 285) garantiert. Sie können so beim Lesen leicht identifiziert und ausgesprochen werden (vgl. Bredel et al. 2017: 34, 37). Sie sind unbetonbar (vgl. Noack 2019: 370-371). Werden sie betont, verändert sich die Lautung völlig, was teilweise mit einem Bedeutungsunterschied des Wortes verbunden ist. Röber (2013: 292) führt in ihrer Argumentation unter anderem die Beispiele <Gehilfe> vs. <Gehhilfe> und <Versehen> vs. <Fersen> an.

Die Anfangs- und Endränder von Reduktionssilben können leer sein (vgl. Noack 2019: 370-371).

Normalsilben sind genau wie Reduktionssilben unbetont. Sie besitzen im Nukleus im Gegensatz zu Reduktionssilben jedoch einen Vollvokal, weshalb die Silben betonbar sind. Trägt eine Normalsilbe den Wortakzent, verändert sich die Lautung nur geringfügig (vgl. Röber 2013: 291). Eine Normalsilbe ist im Deutschen, anders als dem Namen nach zu urteilen, eine Ausnahme (vgl. Noack 2010: 56) und wird hier deshalb nicht näher beschrieben.

An dem Wort Tomate können alle drei Silbentypen veranschaulicht werden. Die erste Silbe ist die Normalsilbe. Sie ist unbetont, hat aber einen Vollvokal im Nukleus. Die zweite Silbe ist die prominente Silbe. Sie hat auch einen Vollvokal im Nukleus und ist betont. Die letzte Silbe des Worts ist die Reduktionssilbe, welche unbetont und reduziert ist (vgl. Noack 2019: 370).

2.1.4 Phonologische Bewusstheit

Phonologische Bewusstheit ist eine sprachanalytische Fähigkeit, bei der ein gesprochenes Wort in untergeordnete Einheiten gegliedert wird. Der Fokus liegt auf der lautlichen Form und Struktur, der Inhalt rückt in den Hintergrund. Die Silbe ist dabei ein wichtiger Aspekt (vgl. Pracht 2010: 80; vgl. Noack 2010: 92).

Phonologische Bewusstheit gilt laut Noack (2010: 79) als „wohl wichtigste Voraussetzung für den erfolgreichen Einstieg in das Lesen- und Schreibenlernen.“ Auch im niedersächsischen Kerncurriculum (2017: 47-48) wird sie als Voraussetzung für den Schriftspracherwerb festgehalten. Die Auswirkungen, sollte die phonologische Bewusstheit bei Schuleintritt noch nicht entwickelt sein, werden darin auf zwei Seiten ausgeführt, was die zugeschriebene Relevanz verdeutlicht.

Ob sie eine Voraussetzung oder doch eine Folge des Schrifterwerbs darstellt, wird in der Fachliteratur hinterfragt. Dem liegen unterschiedliche Definitionen zugrunde. Die enge Definition phonologischer Bewusstheit beschreibt die Wahrnehmung und Manipulation lautlicher Segmente. Die zu segmentierenden Einheiten, die Laute, entsprechen genau den Einheiten der Schrift, den Graphemen (vgl. Noack 2010: 92-93; vgl. Bredel 2015: 266). Ein Graphem besteht „aus einem oder mehreren Buchstaben“ (Busch / Stenschke 2014: 59). Der Unterschied zwischen Buchstaben und Graphemen besteht somit darin, dass erstere nicht immer ein Graphem sind, letztere jedoch immer aus Buchstaben bestehen (vgl. ebd.). Bei der weiten phonologischen Bewusstheit können Silben, Silbenkonstituenten oder Akzentstrukturen wahrgenommen und manipuliert werden. In der Diskussion der phonologischen Bewusstheit als Folge oder Voraussetzung bezieht sich Noack (2010: 92-93) auf die enge phonologische Bewusstheit. Sie greift auf eine amerikanische Studie zurück, in der herausgefunden wurde, dass Vorschulkinder nicht dazu in der Lage sind, einzelne Phoneme in komplexen Anfangsrändern zu entschlüsseln, ganze Anfangsränder und Reime hingegen schon. Das hängt mit der fehlenden Kenntnis über die Struktur der Schrift vor Schulbeginn zusammen und zeigt, dass die enge phonologische Bewusstheit noch nicht vor Schulbeginn vorhanden ist.

Die phonologische Sprache ist ein lautliches Kontinuum. Aus dem Sprachschall sind Laute unmöglich herauszuhören und Grapheme kaum vor dem Schrifterwerb entschlüsselbar. Die phonologische Bewusstheit stellt daher eher eine „Folge des vom Schriftbias geschärften Bewusstseins“ (Bredel 2015: 266) dar. Es müssen laut Bredel (ebd.) also erst schriftsprachliche Erkenntnisse erworben werden, bevor sich die enge phonologische Bewusstheit zu Nutze gemacht werden kann. Die weite phonologische Bewusstheit ist ohne Kenntnis über die Struktur der Buchstaben erreichbar und vor dem Schrifterwerb erwartbar. Mechanismen während des Lautspracherwerbs ermöglichen die Ausbildung der weiten phonologischen Bewusstheit. Bei normal entwickelten Kindern wird dieses Wissen bei Kinderreimen und -versen angewendet (vgl. Noack 2010: 92-93; vgl. Bredel 2015: 266).

2.2 Graphematik

Die Graphematik ist eine Einheit der Grammatik. Den Ausgangspunkt bilden die Grapheme des Deutschen. Durch sie wird die „Struktur von Wortformen beschrieben“ (Eisenberg 2016: 66) und Regeln, wie die Grapheme mit größeren Einheiten kombinierbar sind, aufgestellt (vgl. ebd.: 66). Ein Teil der Graphematik sind ihre Gliederungseinheiten. Dazu gehören Leerstellen, die lexikalische Einheiten im Satz voneinander trennen, Interpunktionszeichen, Großschreibung und textstrukturierende Merkmale, wie Absätze oder Überschriften (vgl. Noack 2010: 1).

Durch die im amtlichen Regelwerk und Wörterverzeichnis niedergelegte Orthografie ist die richtige Schreibweise des Deutschen festgelegt und normiert. Diese Orthografie kann nicht nur beherrscht, sondern auch verstanden werden, indem nicht nur Kenntnis darüber besteht, wie etwas geschrieben wird, sondern auch warum. Dabei wird Einsicht in die Schriftstruktur deutscher Wörter und die Systematik der Orthografie erlangt (vgl. Eisenberg 2016: 64-65). Auch wird gezeigt, „welche allgemeinen Prinzipien der Wortschreibung dem Deutschen zugrunde liegen“ (ebd.: 65). Sie zeigen das Verhältnis der Graphematik zu den anderen Ebenen des Sprachsystems auf und werden deshalb als graphematische Prinzipien bezeichnet (vgl. Rahnenführer 1989: 283).

Als graphematische Prinzipien nennt Eisenberg das phonographische, silbische und morphologische Prinzip (vgl. ebd.). Sie werden nacheinander dargelegt. Das silbische Prinzip wird etwas ausführlicher beschrieben, da es für das Thema dieser Arbeit die größte Relevanz hat.

2.2.1 Phonographisches Prinzip

Das phonographische Prinzip untersucht das Verhältnis zwischen geschriebener und gesprochener Sprache und wie ihre jeweiligen Strukturen zusammenhängen. Es beschreibt die Zuordnung zwischen Phonemen und Graphemen, die in zwei Blickrichtungen erfolgen kann. Entweder geht sie vom Geschriebenen zum Gesprochenen oder andersherum. Letzteres ist häufiger der Fall, weshalb hier von Graphem-Phonem-Korrespondenz und nicht von Phonem-Graphem-Korrespondenz gesprochen wird. Die Regeln, nach denen die Grapheme den Phonemen zugeordnet werden, heißen „Graphem-Phonem-Korrespondenz-Regeln“ (Eisenberg 2016: 68). Im Deutschen kann fast jedem Graphem mindestens ein Phonem zugewiesen werden (vgl. Eisenberg 2016: 68; vgl. Busch / Stenschke 2014: 61). Die folgende Abbildung stellt die Graphem-Phonem-Korrespondenz-Regeln für die Vokale dar. Es gibt mehrere mögliche Kriterien, um Vokale im Deutschen zu unterscheiden. Hier wurde die Quantität gewählt. Die Vokale werden nach ihrer Gespanntheit vor dem Silbenanschluss in gespannte und ungespannte Vokale unterschieden (vgl. Noack 2010: 36).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Graphem-Phonem-Korrespondenz-Regeln für die Vokale (Eisenberg 2016: 69)

Es wird sich auf die Normalschreibung der Vokale im Kernwortschatz konzentriert, die Regeln für Eigennamen oder Fremdwörter werden nicht berücksichtigt. Graphematische Einheiten werden in spitzen Klammern notiert (< >), phonetische Einheiten in eckigen ([ ]) (vgl. Eisenberg 2016: 66).

Aus der Abbildung wird deutlich, dass jedem vokalischen Graphem zwei Phoneme zugeordnet werden, einmal das Phonem für den gespannten und einmal für den ungespannten Vokal. Nur beim i gibt es unterschiedliche Grapheme, denn der gespannte Vokal wird als <ie> verschriftlicht, der ungespannte als <i>. Damit gibt es fast doppelt so viele vokalische Phoneme wie Grapheme (vgl. ebd.: 69).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Graphem-Phonem-Korrespondenz-Regeln für die Konsonanten (Eisenberg 2016: 70)

Abbildung 3 zeigt die Graphem-Phonem-Korrespondenz-Regeln für die Konsonanten. Eisenberg verweist darauf, dass „nicht alle Laute, die im Phonemsystem angesetzt werden, vorkommen“ (2016: 69), ebenso wie nicht alle Konsonantengrapheme auftauchen. Es fehlen die Regeln für die Grapheme <v> und <x> (vgl. ebd.: 70).

Im Deutschen entsteht mehrheitlich die Annahme, ein Laut entspräche einem Buchstaben, was zu einigen Problemen führt (vgl. Bredel 2015: 256). Gesprochene und geschriebene Sprache haben teilweise sehr unterschiedliche Strukturen, sodass die Schriftsprache nicht als Abbild der gesprochenen Sprache gelten kann (vgl. Noack 2010: 1-2). Ein reines Hinhören führt nicht zu einer orthografisch richtigen Schreibweise (vgl. Bredel et al. 2017: 49). Beispielsweise kommen Gliederungshilfen geschriebener Sprache, wie Leerzeichen, in der gesprochenen Sprache gar nicht vor (vgl. Noack 2010: 1). Zudem entspricht ein Laut nicht automatisch einem Buchstaben und andersherum, was sich an dem Wort <Treffer> zeigen lässt. Das erste <e> klingt anders als das zweite, bei dem zweiten <r>wird kein Konsonant gehört und <ff> entspricht nicht dem Gesprochenen, also [ff], sondern [f] (vgl. Bredel 2015: 256-257).

Viele Wortformen lassen sich orthografisch korrekt allein durch die Graphem-Phonem-Korrespondenzen verschriftlichen. Bei anderen reichen die in Abbildung 2 und 3 dargestellten Regeln nicht aus, sodass weitere Rechtschreibprinzipien, wie „die Silbenstruktur, die morphologische Struktur und anderes“ (ebd.), für eine korrekte Schreibung herangezogen werden müssen. Deshalb wird nun das silbische Prinzip dargelegt.

2.2.2 Silbisches Prinzip

Um das silbische Prinzip zu verstehen, werden zunächst die Schreibsilbe und der Trochäus beschrieben. Sie bilden grundlegende Einheiten des Prinzips. Als Zweites wird auf silbische Schreibungen eingegangen, die nach Eisenberg (2020: 325) „am einfachsten über Abweichungen der korrekten von der phonographischen Schreibung“ zugänglich sind. Deshalb werden hier die Graphem-Phonem-Korrespondenzen wieder aufgegriffen.

2.2.2.1 Schreibsilbe

Anfangs wurde die Silbe in Bezug auf die gesprochene Sprache beschrieben, sie kann auf die Schriftsprache übertragen werden (vgl. Bredel et al. 2017: 31), wie in diesem Abschnitt gezeigt wird. Die Schreibsilbe hat jedoch „häufig eine andere segmentale Gestalt als die im Gesprochenen“ (Eisenberg 2016: 71). Die Silbenstruktur ist im Geschriebenen „stärker regularisiert“ (ebd.) und umfangreicher als im Gesprochenen. Ihre Struktur folgt einer bestimmten Anordnung der Grapheme. Deren Wahrnehmung ist wichtiger als die Produktion der Silbe (vgl. Eisenberg 2020: 323). Es geht darum „dem Auge die Einzelsilbe und die Silbenfolge von Wortformen effektiv zugänglich zu machen“ (ebd.).

Die geschriebene Silbe ist eine einsehbare Einheit neben anderen Einheiten wie Buchstaben und Wörtern. Der Silbenkern lässt sich, wie oben beschrieben, leicht feststellen. Die Stelle, an der eine Silbe aufhört und die andere beginnt, die Silbengrenze, ist hingegen schwieriger zu bestimmen. Für gewöhnlich entspricht die geschriebene Silbengrenze der im Gesprochenen. Um mehrsilbige Wörter zu trennen, gilt deshalb die Regel, diese so zu trennen, „wie sie sich beim langsamen Vorlesen in Silben zerlegen lassen“ (Eisenberg 2016: 75), wozu die phonologische Bewusstheit gebraucht wird.

Laut Bredel und anderen (2017: 31) weist die Struktur der Kleinbuchstaben des Alphabets im Geschriebenen visuell auf den Aufbau einer Silbe und damit auf die Silbengrenze hin. Lange Buchstaben, die in den unteren oder oberen Schriftbereich reichen, befinden sich am Silbenrand, kürzere Buchstaben dagegen am Silbenkern. Dabei weisen sie allerdings darauf hin, Ränder seien nicht immer von langen Buchstaben besetzt, Kerne aber immer von kurzen. Eisenberg (2020: 323-324) bezeichnet die kontinuierliche Abnahme der Länge der Buchstabenköpfe in Richtung Silbenkern als Längenhierarchie, durch welche die Abfolge der Grapheme geordnet wird.

Er stellt weiter die Relevanz vom Erkennen der Silbengrenze heraus (vgl. 2016: 75) und überträgt dieser eine bedeutende und funktionale Rolle beim Lesen. Die einzelnen Regeln zur Bestimmung der Silbengrenzen (vgl. Eisenberg 2016: 46-48) darzulegen, würde im Rahmen dieser Arbeit zu weit führen und wird deshalb unterlassen. In vielen Fällen wird die Silbengrenze ausschließlich über phonologische Bedingungen bestimmt. Nur bei flektierenden Wortformen, Ableitungen und Zusammensetzungen, ohne ein Suffix, welches vokalisch anlautet, wird die Silbengrenze morphologisch bestimmt und entspricht der Morphemgrenze. Im Abschnitt 2.2.3 werden weitere Informationen zur Morphemgrenze im Rahmen des morphologischen Prinzips gegeben. Um auf der Ebene des silbischen Prinzips zu bleiben, folgt nun das zentrale Wortbetonungsmuster des Deutschen, der Trochäus.

2.2.2.2 Trochäus

Im Deutschen gibt es vier verschiedene Wortbetonungsmuster, die aus unterschiedlichen Zusammensetzungen von betonten und reduzierten Silben entstehen. Das sind „Trochäen (Ka. ter), Jamben (Ka. rat) oder auch Daktylen (Bro. kko.li) und Anapästen (Pa.pa. gei)“ (Noack 2019: 371). Der Trochäus ist das zentrale Wortbetonungsmuster des Deutschen, da die Kombination aus einer betonten Silbe, auf die eine unbetonte folgt, die meisten Zweisilber des deutschen Kernwortschatzes aufweisen (vgl. ebd.: 371-373). Eisenberg (2020: 325) bezeichnet diese Kombination aufgrund der Häufigkeit und Produktivität im Deutschen als „prototypischen Zweisilber[…].“ Diese Silbenstruktur prägt laut Bredel und anderen (2017: 34) die rhythmische Struktur des Deutschen. Es ist keine Randstruktur, sondern betrifft nahezu jedes zweite Wort. Das lässt sich anhand der Flexion der deklinierbaren Wortarten verdeutlichen. Substantive, Adjektive und Pronomen „bilden bei Flexion bevorzugt Trochäen“ (Noack 2019: 372). Die Substantive, die bereits in ihrer Einzahl eine trochäische Struktur haben, behalten diese jedoch auch im Plural bei (vgl. ebd.). Schon bevor Kinder anfangen zu sprechen, verinnerlichen sie die trochäische Struktur. Später bilden sie trochäische Zweisilber aus Mehrsilbern. So sprechen Kinder beispielsweise das Wort Banane als nane oder Marmelade als lade aus (vgl. Bredel 2015: 265-266).

Die Silbenstruktur besitzt auch eine grammatische Relevanz. Die betonten Silben tragen den Stamm mit lexikalischer Bedeutung und die Reduktionssilben beinhalten Hinweise auf Beziehungen zwischen den Wörtern eines Satzes in ihrer grammatischen Endung (vgl. ebd.: 37; vgl. Noack 2019: 373). Dieser Zusammenhang wird im Kapitel zum morphologischen Prinzip weiter ausgeführt.

„Nicht nur für die Wortgrammatik, sondern vor allem auch für die Orthographie spielt der Trochäus eine Rolle“ (Noack 2019: 373). Im folgenden Kapitel wird gezeigt, wie diese Verbindung zwischen Trochäus und orthografischen Strukturen entsteht.

2.2.2.3 Silbische Schreibungen

Die Relevanz der Silbe bei der Beschreibung orthografischer Strukturen wurde bereits erwähnt und soll hier nochmal hervorgehoben werden. Christina Noack (2010: 75) beschreibt die Silbe im Zusammenhang mit der Orthografie als die „zentrale Domäne für die Beschreibung graphematischer Regularitäten im Deutschen.“ Diese Position soll im Folgenden nähergebracht werden, indem die silbischen Schreibungen erklärt werden.

Die Anfangsränder von Silben sind „fast durchweg phonografisch“ (Eisenberg 2016: 72). Die Schreibweisen <st> und <sp>, die nach den Graphem-Phonem-Korrespondenzen <scht> und <schp> sein müssten, bilden die einzige Ausnahme. Die Schreibweise des Silbenkerns und dessen Wechselbeziehung zum Endrand sind hingegen stark silbisch behaftet (vgl. ebd.), wie im Folgenden gezeigt wird.

Im Geschriebenen wird versucht, alle Silben auf eine Länge zu bringen und das unausgeglichene Verhältnis zwischen vokalischen Phonemen und Graphemen zu beseitigen, um den Lesenden die Informationen leichter zugänglich zu machen (vgl. Eisenberg 2016: 71, 73). Dafür wird die Kürze oder Länge eines Vokals orthografisch nicht durch das Vokalgraphem, sondern durch das darauffolgende Konsonantengraphem, in Form von Schärfungs- oder Dehnungsschreibung, gekennzeichnet. Die Schreibungen werden zwischen der betonten und der reduzierten Silbe orthografisch besonders markiert (vgl. Noack 2019: 375). Phonetisch verändert sich der Konsonant nicht (vgl. Noack 2010: 80), die silbischen Schreibungen sind damit eine Lese- und keine Schreibhilfe (vgl. Noack 2019: 373). Eisenberg (2016: 71) bekräftigt diese These, indem er sagt, die silbischen Schreibungen seien ein optischer Längenausgleich und „eher für das Lesen als für das Schreiben funktional.“ Bredel und andere (2017: 39) halten fest: „Was für den Schreiber erst einmal schwieriger zu sein scheint, macht das Lesen leichter.“

[...]


1 Die Sonorität beschreibt die Wahrnehmbarkeit von Lauten (vgl. Röber 2013: 274).

2 Ein Diphthong ist ein „Doppelvokalphonem aus qualitativ unterschiedlichen Vokalen“ (Noack 2010: 97).

3 Sonoranten sind die Konsonanten mit der höchsten Sonorität (vgl. Noack 2010: 20).

Ende der Leseprobe aus 67 Seiten

Details

Titel
Silbenbasiertes Lernen im Anfangsunterricht
Untertitel
Ein Vergleich verschiedener didaktischer Materialien
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1,5
Jahr
2022
Seiten
67
Katalognummer
V1239796
ISBN (eBook)
9783346663405
ISBN (eBook)
9783346663405
ISBN (eBook)
9783346663405
ISBN (Buch)
9783346663412
Sprache
Deutsch
Schlagworte
silbenbasiertes, lernen, anfangsunterricht, vergleich, materialien
Arbeit zitieren
Anonym, 2022, Silbenbasiertes Lernen im Anfangsunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1239796

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