Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ursachen und Folgen der Ökonomisierung
3. Das neue Steuerungsmodell (NSM
4. Ökonomisierung in der Praxis der Hilfen zur Erziehung
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Ökonomisierung stellte sich viele Jahre lang als ein Begriff dar, der mit Finanzen und Wirtschaftssektor in Verbindung gebracht wurde. Inzwischen hat dies auch die Soziale Arbeit erreicht. Sowohl in operativen Tätigkeitsfeldern als auch in Feldern mit organisatorischen Schwerpunkten stellt die Fokussierung auf finanzielle Faktoren eine zentrale Rolle dar und überträgt den Mitarbeiter/Innen die Verantwortung für nachhaltiges Wirtschaften (vgl. Heister 2012:157). Die Sicherung von sozialen Systemen geht eng einher mit Kosteneinsparungen und der Reduzierung von nicht zwingend notwendigen Leistungen, ohne jedoch an Leistungsqualität zu verlieren. Dies wird mit dem Begriff der Effizienz beschrieben. Ein eng mit dieser Entwicklung in Verbindung stehender Prozess ist die Privatisierung. Durch die Ablösung von Teilen des Sozialsystems wie z.B. Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen oder auch sozialen Diensten von öffentlichen Trägernin eine privatisiert geführte Hand entwickelt sich eine Kostenverlagerung von öffentlichen in die privaten Haushalte. Aber auch sozialwirtschaftliche Non-Profit Organisationen sehen sich vor der Aufgabe, ihre Angebote zu evaluieren und dadurch die Effizienz zu steigern. Dennoch bleibt für die Organisationen der Sozialen Arbeit der Hauptauftraggeber und somit auch Hauptfinanzierungsfaktor der öffentliche Träger. Im Jahr 2020 wurden für die Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe vom öffentlichen Träger rund 36,5 Mio. Euro gezahlt. Der Größte Anteil hiervon ging an die Kindertagesbetreuung und ihre Subformen (rund 34 Mio.) Zum Vergleich hierzu beliefen sich die Anteile öffentlicher Träger im Jahr 2010 noch auf 8,8 Mio., was den Anstieg wie auch die Bedeutung finanzieller Fokussierung sowie der Generierung neuer Finanzierungsquellen aufzeigt (vgl. statistisches Bundesamt (destatis) 2021:o.S.; statistisches Bundesamt (destatis) Finanzen der Kindertageseinrichtungen in freier Trägerschaft 2012:27). Die Kennzahlen zeigen unweigerlich die Bedeutung von finanziellen Elementen in den Organisationen der Sozialen Arbeit sowie die Notwendigkeit eines wirtschaftlich nachhaltigen Einsatz von vorhandenen Mitteln auf. Dies wirft jedoch Fragen auf, die sich mit der inhaltlichen Ausgestaltung und den Auswirkungen für die sozial handelnden Personen befassen. Inwieweit hat eine zunehmende Ökonomisierung Einfluss auf die Ausgestaltungen von Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe und versetzt der übergeordnete Blick auf die Effizienz des Handelns die Akteure in eine eingeschränkte Position? In der nachfolgenden Arbeit soll diese Frage beantworten und die Hypothese verfolgt werden, dass Soziale Arbeit aktiv an der Ökonomisierung der Gesellschaft mitwirkt und der ökonomische Gedanke in der Klientenarbeit nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklungspotentiale hat.
Um sich einer Beantwortung der Fragestellung zu nähern und der Hypothese auf den Grund zu gehen, werden in der Folge neben der Begriffsbestimmung der Ökonomisierung die Ursachen und Folgen eben dieser thematisiert. Weitere Aspekte sind die Fokussierung auf das neue Steuerungsmodell sowie ein Blick auf die Auswirkungen in der Praxis. Ein Fazit soll die gewonnen Erkenntnisse mit der Beantwortung der Ausgangsfrage und einem möglichen Ausblick abschließen.
2. Ursachen und Folgen der Ökonomisierung
Um sich den zentralen Inhalten der Ökonomisierung im Kontext Sozialer Arbeit zu nähern, scheint eine Klärung der Begrifflichkeit hilfreich. Bereiche, in denen die Effektivität des Handelns der Effizienz untergeordnet und in den inhaltliche Grundprinzipien eher von sekundärer Bedeutung waren, können der Ökonomisierung zugeordnet werden. Effizienz beschreibt im Sinne der Betriebswirtschaft eine Überprüfung von Maßnahmen auf ihre Zielerreichung. Sie maximiert den Vorteil eines Unternehmens, wohingegen der Aufwand hierfür möglichst gering bleiben soll. Effektivität überprüft hingegen ob passende, inhaltliche Maßnahmen gewählt wurden, um das angestrebte Ziel zu erreichen (vgl. Schroer 2020:o.S.). Die Aspekte des Ökonomiedenkens übersteigen die zielgerichtete Perspektive der Profession und bringen diese in eine vordergründig betrachtete Dilemmasituation (vgl. Knecht 2020:o.S.). Am Beispiel des Gesundheitswesen lässt sich dies durch die Privatisierung von Institutionen verdeutlichen. Der Heilungsprozess des Patienten könnte als ein Verlauf angesehen werden, der sich nur sekundär an den eigentlich benötigten Mitteln zur Zielerreichung orientiert. Vielmehr zielt im Sinne der Ökonomisierung auf die wirtschaftliche Fokussierung im inhaltlichen Handeln ab, d.h. eine möglichst effiziente Arbeitsweise der Fachkräfte, die dennoch zur Zielerreichung führt. Dahme und Wohlfahrt beschreiben die Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit als ein Prozess der den Markt sowie den Wettbewerbscharakter beschreibt und über den Instrumente zur effizienten sowie effektiven Gestaltung in die Soziale Arbeit integriert werden (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2015:12). Inwieweit eine Priorisierung wirtschaftlicher Kennzahlen gegenüber den Inhalten der Sozialen Arbeit in der Praxis erfolgt, wird in der Folge thematisiert. Hierzu kann ein Blick auf Ursachen und Folgen der Ökonomisierung einen ersten Hinweis geben.
Zu Beginn der 90er Jahre halten Steuerungselemente mit ökonomischem Grundgedanken Einzug in die Organisationen der Sozialen Arbeit. Hierzu zählt u.a. das neue Steuerungsmodell (NSM), welches unter Punkt drei näher beschrieben wird. Ein zentraler Aspekt im Sinne der Ökonomisierung in sozialen Einrichtungen stellen die Neuregelungen in §§78a SGB VIII dar, die im Jahr 1998 den Markt der sozialen Dienstleistungen auch für privatgewerbliche Leistungsanbieter öffneten. Hierdurch wurde die Privilegierung von freien Träger zunehmend aufgehoben. Für die Soziale Arbeit kann dies als Kernpunkt des ökonomischen Wandels angesehen werden, auch wenn bereits vorher ein Blick auf Kostenaspekte und die Generierung neuer Ressourcen gerichtet wurde (vgl. Düring et al. 2014: o. S.). Allerdings kann eine Differenzierung zwischen erwerbswirtschaftlichen Anbietern und den Wohlfahrtsverbänden beschrieben werden. So übernehmen die Verbände der freien Wohlfahrtspflege neben ihren sozialen Dienstleistungen auch Aufgaben, bei denen sie Interessen von Klienten anwaltlicher Form vertreten. Anwendung findet dies im Beratungskontext, wie auch im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, wo primär die Interessen der Kinder und Jugendlichen im Fokus stehen.
In Folge der Fokussierung auf wirtschaftliche Bestandteile der sozialpädagogischen Arbeit steht die Überprüfung der Wirksamkeit durch die Einführung eines Qualitätsmanagement immer mehr im Mittelpunkt. Hierzu zählt z.B. das Controlling von Angeboten und Maßnahmen, bei denen eine Wirkungsmessung aufzeigen soll, inwieweit eingesetzte Ressourcen den gewünschten Erfolg brachten und wo ggf. Anpassungsmöglichkeiten vorliegen, die Ressourcen schonen können. Jedoch muss im Bereich der Sozialen Arbeit berücksichtigt werden, dass eine Wirkungsmessung nur bedingt auf die pädagogische Arbeit umzulegen ist. Aufgrund der Tatsache, dass die Erfolgsaussichten sozialpädagogischer Angebote von der Kooperation der Klienten abhängig sind, nimmt Soziale Arbeit im Rahmen der Wirtschaftlichkeit eine besondere Rolle gegenüber anderen Bereichen ein. Jedoch beschreibt Schneiders eine immer weiter fortschreitende Aufweichung von Grenzen zwischen erwerbswirtschaftlichen Organisationen und den Leistungserbringern mit Non-Profit Schwerpunkt (vgl. Schneiders 2018:6).
Neben einer Installation von Prozessen zur Qualitätssicherung, wie die Gegenüberstellung von Wirkung und Ressourceneinsatz, sehen sich sozialpädagogische Fachkräfte immer mehr in einer Dilemmasituation mit geringen Einflussmöglichkeiten. Die sozial handelnden Personen sind darauf bedacht den ihnen zugeschriebenen Auftrag der Begleitung, Beratung und/oder Förderung der Klienten zu erfüllen, hierbei einen möglichst geringen Einsatz an Mitteln zu nutzen, um einen qualitativen Erfolg zu erzielen, der jedoch von der individuellen Situation des Klienten abhängig ist. Eine weitere Herausforderung stellt der Umfang von Maßnahmen durch die zunehmend in den Blick geratene Personalsituation dar. Da ein Großteil des Finanzvolumens in Organisationen durch Personalkosten entsteht, entwickelt sich auch hier der Blick auf Einsparungspotentiale, die dann wieder auf die Forderung nach Effizienz stößt. Daher kann die pädagogische Arbeit als eine Wirkungssteuerung angesehen werden. Soziale Arbeit soll eine Wirkung mit ihrem Handeln erzielen, von der die Klienten profitieren. Ressourcen sollen so eingesetzt werden, dass die gewünschte Wirkung erzielt werden kann, jedoch auch die Knappheit finanzieller Möglichkeiten berücksichtigt wird. Durch die Optimierung von Angeboten soll die Möglichkeit geschaffen werden, explizit auf die Bedürfnisse der Klienten eingehen zu können und zeitgleich Ressourcen dort einzusetzen, wo sie auch Wirkung erzielen. Daher kann die Entwicklung von Qualitätsmanagement auch als ein positiver Aspekt beschrieben werden, der punktuell Anpassungen vornehmen lässt und Ressourcen zur gezielten und individuellen Problembearbeitung ermöglicht.
Ein weiterer Bestandteil der Ökonomisierung sozialer Dienste bildet das Kontraktmanagement, welches zwischen den öffentlichen und den freien Trägern im Jahr 1998 vereinbart wurde. Hierbei wurden die Kosten für die Erbringung sozialer Dienste festgelegt. Grundlage dieser Vereinbarung waren vorab definierte wirtschaftliche Standards, Qualitätsmerkmale und Leistungsbeschreibungen zwischen den Parteien (vgl. Buestrich et al. 2010:46f.). In der Praxis zeigt sich dies z.B. im Wandel von Grundfinanzierungen bestimmter Projekte hin zu Fallpauschalen oder Fachleistungsstunden, die individuell in Bezug auf den Einzelfall abrechenbar sind. Hier zeigt sich zudem ein weiterer positiver Effekt des Controllings hin zur individuellen Maßnahmengestaltung.
Auch Seithe sieht im Effizienzgedanken eine zentrale Rolle der Ökonomisierung sozialer Dienstleistungen. Ziel der Ökonomisierung sei darin, aus dem sozialen Produkt einen Wert für den Markt zu generieren, der Gewinne abwirft und marktfähig wird. Effizienz stellt den Garanten dar, der dafür sorgt, die finanziellen Investitionen knapp zu halten und dennoch ein Ziel zu erreichen. (vgl. Seithe 2016:146f.).
Zusammenfassend kann beschrieben werden, dass der Blick auf eine effiziente Ausrichtung der Sozialen Arbeit durch Kontraktmanagement, Controlling und Budgetierung nicht mehr aus der täglichen Arbeit wegzudiskutieren ist. Sozial handelnde Personen stehen immer wieder vor der Aufgabe, die ethische Grundhaltung ihrer Profession bestmöglich in Einklang mit einem sog. Sparzwang durch die Ökonomisierung zu bringen. Hierbei stehen sie vor Hürden wie Personaleinsparungen und der Verschiebung des Aufgabenschwerpunktes ihre tägliche Arbeit beeinflusst. Die Generierung finanzieller Ressourcen, der nachhaltige Umgang mit diesen und die Erfüllung der in sie gesteckten Ziele stellt sozialpädagogische Fachkräfte vor eine Herausforderung. Am Beispiel der Hilfen zur Erziehung können die Ökonomisierungsprozesse dahingehend beschrieben werden, dass eine Finanzierung meist nur vollzogen wird, insofern eine Wirkung dadurch erzielt wird. Dies erhöht den Produktionsdruck sowohl auf Fachkräfte, auf Einrichtungen, aber auch auf die Klienten. In diesem Zusammenhang bilden Qualitätsvereinbarungen die Grundlage sozialpädagogischen Handelns. Diese Vereinbarungen sollen durch die Controllinginstrumente eine Wirkungsmessung und somit eine Qualitätssicherung bewirken. Qualitäts- und Leistungsvereinbarungen stellen die Arbeitsgrundlage zwischen öffentlichen und freien Trägern dar und bilden dadurch den zentralen Aspekt der Finanzierung sozialer Dienstleistungen.
Ein Instrument zur Messung von Qualität und Effizienz für die kommunale Verwaltung stellt das neue Steuerungsmodell dar. Dieses wird in der Folge genauer betrachtet.
3. Das neue Steuerungsmodell (NSM)
Durch die zunehmende Bedeutung finanzorientierter Schwerpunktsetzung waren die handelnden Personen gefordert, Modelle zu entwickeln, die den Fokus auf Einsparungspotentiale in die praktische Arbeit implizieren. Eines dieser Möglichkeiten stellt das neue Steuerungsmodell dar, welches in den 1990er Jahren in der öffentlichen Verwaltung installiert wurde. Das NSM zeichnet sich durch Einführung verschiedener betriebswirtschaftlicher Instrumente aus, wie sie z.B. die Budgetierung oder das Kontraktmanagement für unterschiedliche Maßnahmen darstellen. Für die Träger sozialpädagogischer Maßnahmen war dies unweigerlich mit der Rationalisierung ihrer Ressourcen verbunden, denn durch die Übernahme der Finanzierung von Maßnahmen durch die öffentliche Verwaltung als Kostenträger sind die Leistungserbringer unweigerlich mit dieser Thematik konfrontiert. Die Einführung des NSM kann als der Beginn eines Ökonomisierungsprozesses in der bis dato betriebswirtschaftsfernen Sozialen Arbeit angesehen werden. Durch die Setzung betriebswirtschaftliche Schwerpunkte in der Soziale Arbeit, veränderte sich auch die Wahrnehmung der Profession hin zu einer Dienstleistungsform, welche eine sozialpolitische Motivation aufzeigt und einen personenzentrierten Schwerpunkt verfolgt (vgl. Schneiders 2018:57). In einer kritischen Betrachtungsweise wird durch das Implizieren von Steuerungsmöglichkeiten des Finanzsektors der Erhalt professioneller Strukturen im Sinne der Basis Sozialer Arbeit in Frage gestellt. So rückt besonders die Kosteneinsparung über Personalkosten in den Fokus der Kritiker/innen. Die Einsparungen durch Fachkräfte mit geringerer Ausbildung gehen so auf Kosten der qualitativen Ausgestaltung sozialpädagogischer Maßnahmen. Ein Bild, welches oftmals den Charakter von Ökonomisierung innerhalb der Gesellschaft vertritt. Die Soziale Arbeit unterliegt zunehmend einer Transformation von der Dienstleistung hin zur Sozialwirtschaft. Jedoch zeigt sich durch Steuerungssysteme, dass aus einer partnerschaftlichen Beziehung zwischen den Kostenträgern und den Leistungserbringen eine Arbeitsebene entwickelt, in der sich Auftraggeber (Kostenträger) und Auftragnehmer entwickeln (Leistungserbringer). Hierfür werden Budgets und Kontrakte zur Verfügung gestellt, in deren Rahmen eine Maßnahme absolviert werden soll. Durch das NSM wird deutlich, dass die angespannte Finanzlage in den Haushalten der öffentlichen Verwaltung nicht vor dem sozialen Dienstleistungssektor Halt macht und die Leistungserbringer vor eine zentrale Frage stellt - der Beibehalt der eigenen Ideologien oder die Sicherung betriebswirtschaftlicher Unversehrtheit (vgl. Wohlfahrt 2016:15). Träger Sozialer Arbeit sind somit unweigerlich dazu aufgefordert, sich mit der betriebswirtschaftlichen Systematik auseinanderzusetzen und einen Mittelweg zu finden, der die inhaltliche Ausgestaltung im Basisdenken der Profession fixiert und dennoch nachhaltige und effiziente Betriebswirtschaft betreibt. Wie bereits beschrieben, finden sich im Steuerungsmanagement Evaluationsmöglichkeiten wie z.B. das Controlling, welches unterschiedliche Bedeutungsweisen haben kann. Neben der Fokussierung auf den möglichst effizienten Einsatz bietet ein Controlling auch die Möglichkeit Anpassungen an Entwicklungsverläufe sozialpädagogischer Hilfemaßnahmen zu vollziehen. Hierbei dient dies zum einen der Schonung und Bündelung finanzieller Ressourcen, liefert aber auch mit einem gezielten Blick auf die Frage, inwieweit eine Maßnahme noch zielführend ist, eine mögliche Unterstützung für Klienten. Daher kann das NSM als ein Instrument der Verwaltung und der Betriebswirtschaft angesehen werden, mit dessen Inhalten aber auch die Effektivität überprüft werden kann, was es zu einem Unterstützungsmerkmal Sozialer Arbeit werden lässt.
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