Lieder und Süßigkeiten – das waren für Federico García Lorca die einzigen lebenden und dauerhaften Elemente seiner Heimat. Im Laufe seiner Reisen durch Spanien wurde er nämlich der Kathedralen und toten Steine müde und so suchte er nach Dingen, in denen sich das Gefühl der Geschichte versteckte.
Wahrscheinlich schenkte er gerade deswegen den spanischen Wiegenliedern so große Aufmerksamkeit, baute sie handlungstragend in „Bodas de sangre“ ein und hielt einen Vortrag (conferencia) zu diesem Thema. In diesem sagte er, es gäbe seiner Meinung nach zwei Arten von Wiegenliedern: europäische und spanische. Das europäische Wiegenlied habe kein anderes Ziel, als das Kind in den Schlaf zu wiegen, während das spanische Wiegenlied gleichzeitig die Sensibilität des Kindes verletzen wolle: La canción de cuna europea no tiene más objeto que dormir al niño, sin que quiera, como la española, herir al mismo tiempo su sensibilidad.
Doch sind es nur die spanischen Wiegenlieder, die die Sensibilität des Kindes verletzen? Gibt es nicht auch im deutschsprachigen Raum solche, die das Ziel verfolgen, das Kind auf die Unannehmlichkeiten und Grausamkeiten der Welt vorzubereiten? Je mehr ich mich mit dem Thema Wiegenlieder beschäftigte, desto mehr drängten sich mir diese Fragen auf. Ich hielt mich vorerst an García Lorcas conferencia, doch beschlichen mich schon im Laufe meiner ersten Recherchen leise Zweifel an seiner dort dargelegten Meinung, die immer lauter wurden.
Deswegen möchte ich mich in dieser Arbeit einerseits dem in „Bodas de sangre“ vorkommenden Wiegenlied und seiner Funktion im Text widmen und andererseits oben gestellte Fragen diskutieren und ihre Berechtigung verifizieren. Um mein Vorhaben zu realisieren, zog ich vor allem die Primärliteratur zu Rate, nämlich García Lorcas „Bodas de sangre“ in der Ausgabe von Allen Josephs und Juan Caballero und seine im Jahre 1928 erschienene conferencia „Las nanas infantiles“. Da es mir nicht möglich war, eine Anthologie spanischer Wiegenlieder zu erlangen, diente mir das Internet als Quell beispielhafter Wiegenlieder. Ich verglich diese mit jenen und gelangte so zu den Ergebnissen, die im Hauptteil dieser Arbeit dargelegt sind.
Inhalt
Vorwort
1 Das Wiegenlied in „Bodas de sangre“
1.1 Die Funktion des Wiegenliedes im Original
1.2 Inhaltsangabe „Bodas de sangre“
1.3 Die Funktion des Wiegenliedes im Text
2 Federico García Lorca und spanische Wiegenlieder
2.1 Conferencia „Las nanas infantiles“
3 Spanische und deutschsprachige Wiegenlieder im Vergleich
4 Die Entwicklung der Wiegenlieder
Schlusswort
Bibliographie
Vorwort
Lieder und Süßigkeiten - das waren für Federico García Lorca die einzigen lebenden und dauerhaften Elemente seiner Heimat. Im Laufe seiner Reisen durch Spanien wurde er nämlich der Kathedralen und toten Steine müde und so suchte er nach Dingen, in denen sich das Gefühl der Geschichte versteckte.
Wahrscheinlich schenkte er gerade deswegen den spanischen Wiegenliedern so große Aufmerksamkeit, baute sie handlungstragend in „ Bodas de sangre“ ein und hielt einen Vortrag (conferencia) zu diesem Thema. In diesem sagte er, es gäbe seiner Meinung nach zwei Arten von Wiegenliedern: europäische und spanische. Das europäische Wiegenlied habe kein anderes Ziel, als das Kind in den Schlaf zu wiegen, während das spanische Wiegenlied gleichzeitig die Sensibilität des Kindes verletzen wolle:
La canción de cuna europea no tiene más objeto que dormir al niño, sin que quiera, como la española, herir al mismo tiempo su sensibilidad.
Doch sind es nur die spanischen Wiegenlieder, die die Sensibilität des Kindes verletzen? Gibt es nicht auch im deutschsprachigen Raum solche, die das Ziel verfolgen, das Kind auf die Unannehmlichkeiten und Grausamkeiten der Welt vorzubereiten? Je mehr ich mich mit dem Thema Wiegenlieder beschäftigte, desto mehr drängten sich mir diese Fragen auf. Ich hielt mich vorerst an García Lorcas conferencia, doch beschlichen mich schon im Laufe meiner ersten Recherchen leise Zweifel an seiner dort dargelegten Meinung, die immer lauter wurden.
Deswegen möchte ich mich in dieser Arbeit einerseits dem in „Bodas de sangre“ vorkommenden Wiegenlied und seiner Funktion im Text widmen und andererseits oben gestellte Fragen diskutieren und ihre Berechtigung verifizieren. Um mein Vorhaben zu realisieren, zog ich vor allem die Primärliteratur zu Rate, nämlich García Lorcas „Bodas de sangre“ in der Ausgabe von Allen Josephs und Juan Caballero und seine im Jahre 1928 erschienene conferencia „Las nanas infantiles“. Da es mir nicht möglich war, eine Anthologie spanischer Wiegenlieder zu erlangen, diente mir das Internet als Quell beispielhafter Wiegenlieder. Ich verglich diese mit jenen und gelangte so zu den Ergebnissen, die im Hauptteil dieser Arbeit dargelegt sind.
Diesen Hauptteil untergliederte ich in vier Teile: 1. Das Wiegenlied in „Bodas de sangre“; 2. Federico García Lorca und spanische Wiegenlieder; 3. Spanische und deutschsprachige Wiegenlieder im Vergleich und 4. Die Entwicklung der Wiegenlieder.
Federico García Lorca gilt als einer der bedeutendsten spanischen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts. In all seinen Werken findet man den Einfluss seiner andalusischen Herkunftsregion wieder, angefangen bei „Primeras canciones“ bis zu „La casa de Bernarda Alba“. Ausgangspunkt für „Bodas de sangre“ war ein Pressebericht in der Tageszeitung ABC vom 24. Juli 1928 über einen Fall von Familienfehde, Brautraub und Blutrache in Níjar (Andalusien):
Ein Mord unter mysteriösen Umständen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das dramatische Ereignis scheint García Lorca so beschäftigt zu haben, dass er das Stück innerhalb von zwei Wochen niederschrieb.1 Er verfasste es also 1928, im selben Jahr, in dem auch seine conferencia „Las nanas infantiles“ erschien.2
1 Das Wiegenlied in „Bodas de sangre“
1.1 Die Funktion des Wiegenliedes im Original
Bei dem Wiegenlied, das García Lorca in abgewandelter Version in „Bodas de sangre“ einbaute, handelt es sich um das berühmteste Granadas, von welchem er insgesamt sechs Versionen vorgefunden hatte.
Im Original lautet es:
A la nana, nana nana, a la nanita de aquel que llevó el caballo al agua y lo dejó sin beber...
In dieser Sorte von Wiegenliedern konstruiert die Mutter eine - zumeist nächtliche - abstrakte Landschaft, in der eine oder mehrere Personen Handlungen ausführen, die häufig einen melancholischen Effekt mit sich bringen.
Anhand folgender Wiegenlieder aus Salamanca, Santander und Burgos lässt sich sehr gut der Vergleich zu jenem aus Granada ziehen, das García Lorca als Vorlage für „Bodas de sangre“ diente und sich ebenfalls dieser Art zuordnen lässt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese Wiegenlieder wollen die Sensibilität des Kindes nicht durch den Text verletzen - das „kein Wasser geben“ oder das „nicht essen wollen“ ruft lediglich eine mysteriöse Beklemmung hervor. Es ist im Falle des Wiegenliedes aus Granada vielmehr die Melodie, die diesen „aquel“ und sein „caballo“ dramatisch wirken lässt. Erst nachdem García Lorca den Text abgewandelt hatte, erhielt er seine dramatisierende Funktion.
Um den Sinn seines Einsatzes und die Eingliederung im Stück besser verstehen zu können, möchte ich nun in einem kurzen Exkurs den Inhalt von „Bodas de sangre“ wiedergeben.
[...]
1 Federico García Lorca: Bodas de sangre. Bluthochzeit. Frankfurt am Main: Reclam 1999, S. 65 f. Seite 2 von 12
2 siehe dazu Federico García Lorca: Conferencias I. Madrid: Alianza Editorial 1984 Seite 3 von 12
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