"The Elephant Man" (1981). Behinderung als Zeichen von Monstrosität und Abnormität in der Gesellschaft


Hausarbeit, 2022

21 Seiten, Note: 2,0

Angelina Marx (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: „The Elephant Man“ im Blick auf die Disability Studies

2. Die kulturwissenschaftliche Historisierung von Behinderung
2.1 Filmanalyse: The Elephant Man – Darstellung
2.2 Filmanalyse: The Elephant Man – Die Freakshow der Medizin
2.3 Filmanalyse: The Elephant Man – Gesellschaft
2.4 Filmanalyse: The Elephant Man – Suizid

3. Fazit: Better Dead than Disabled

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung:

„The Elephant Man“ im Blick auf die Disability Studies

„I am not an Animal. I am a human being. I am a Man“

- John Merrick, “The Elephant Man” (1981)

Das Zitat stammt aus dem 1981 in Deutschland erschienen Film „The Elephant Man“, welcher angesichts der Disability Studies als geeignetes Analysebeispiel zu sehen ist. Die Disability Studies verstehen ihren Forschungsgegenstand als soziales, kulturelles und politisches Phänomen und haben sich als Ziel gesetzt, die Selbstermächtigung behinderter Menschen zu unterstützen.1 Die stereotype und traditionelle Darstellungs- und Denkweise behinderter Menschen soll aufgebrochen und ein Forschungsnetzwerk mit behinderten Wissenschaftler*innen aufgebaut werden.2 Die Disability History setzt ihren Fokus darauf Behinderung in einen geschichtlichen Kontext und „in den Mittelpunkt von Analyse und Narration zu setzen“.3 Meine Forschungsfrage lautet: Inwiefern prägen die Gesellschaft und das Konzept der Norm die Fremd- und Eigenwahrnehmung, sowie den Entschluss des Suizids von John Merrick im Film „The Elephant Man“? Die methodische Vorgehensweise spaltet sich in einen historischen und einen analytischen Teil. Zunächst wird Behinderung in den historischen und kulturellen Kontext eingefügt, woraufhin die Filmanalyse auf die Darstellung von John Merrick als „Elefantenmann“ eingeht. Des Weiteren wird auf die Vorgehensweise der Wissenschaft im Film mit den Veranstaltungen der Freakshows verglichen. Ein Kapitel beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Konventionen und Vorurteilen und wie diese den Umgang mit Merrick mitbestimmen. Zum Abschluss wird die Szene analysiert, wie und warum sich Merrick am Ende des Films das Leben nimmt. Woraufhin im Fazit die analysierten Ergebnisse im Hinblick auf die Forschungsthese zusammengetragen werden.

2. Die kulturwissenschaftliche Historisierung von Behinderung

Das Verständnis für die damalige und heutige mediale Darstellungsweise von behinderten Charakteren muss aus den geschichtlichen und kulturellen Begebenheiten hervorgehen. Die Beeinflussung spezifischer Bilder und Wahrnehmungsweisen von behinderten Menschen sind tiefgreifend in der Gesellschaft verankert. Um die spätere Filmanalyse von „The Elephant Man“ weitgehend zu verstehen, wird im Folgenden ein Überblick der deutschen Behindertenpolitik und NS-Zeit illustriert.

Die Stigmatisierung von behinderten Menschen wurde im Mittelalter und der frühen Neuzeit durch Mythologie oktroyiert, die Behinderung wurde hierbei als Strafe oder Warnung von höheren Mächten aufgefasst.4 Die Körper, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen, wurden fortlaufend damals wie heute als „atypisch und fremd wahrgenommen“,5 auch wenn dieses Fremdsein auf unterschiedlichste Weise determiniert und bewertet wird. In Folge der Aufklärung wurden Behinderungen nicht mehr als Bestrafung für fehlerhaftes Verhalten gesehen oder mit Mythen assoziiert.6 Dennoch kam es nicht zum wertfreien Ansehen behinderter Menschen, die Suche für Begründungen solcher Missbildungen wurden zu dieser Zeit in der Rationalität und Wissenschaft gesucht.7 Die Teratologie, die Medizin, die sich mit körperlichen Fehlbildungen auseinandersetzt, erlangte im 19. Jahrhundert ihre Hochzeit, neben medizinischen Zurschaustellungen wurden außerordentliche Körper zunehmend in Freakshows exponiert.8 Ab dem 18. bis zum 20. Jahrhundert wurden behinderte Menschen vermehrt von der Gesellschaft isoliert, bis sie fast gänzlich „hinter den Mauern (häufig abgelegener) Sonderinstitutionen“9 untergebracht wurden.

Der Behindertensport in der NS-Zeit hebt die Absonderung und Stigmatisierung behinderter Menschen durch die Nationalsozialisten hervor. Der Artikel zur Behindertensportgeschichte von Bernd Wedemeyer-Kolwe wird hier kurz angerissen, um tiefergehend auf die dadurch etablierte Wahrnehmung der Gesellschaft einzugehen.10 Die Organisation des Behindertensports wurde in Kinder-, Jugend- und Erwachsenensport eingeteilt, wobei es für die Minderjährigen staatliche und kirchliche Einrichtungen gab, in denen sie lebten und lernten. Ab 1933 wurden die Verbände und Organisationen für Behinderte in die NS-Organisation assimiliert, so auch die autonomen Selbsthilfeverbände von behinderten Menschen. Schon zu dieser Zeit wurde der Appell an interne Mitarbeiter*innen laut, sich als Mensch mit Erbkrankheiten freiwillig und zum Wohle der Gesellschaft sterilisieren zu lassen. Die Nationalsozialisten schafften es Menschen mit geistiger Behinderung zu supprimieren, abzuwerten und auszusondern, bei „gleichzeitiger Aufwertung der bildungs- und arbeitsfähigen Personen mit Körper- und Sinnesbehinderungen“.11 Die Eingliederung behinderter Menschen fand nicht in den allgemeinen NS-Sportorganisationen statt, es wurden hierfür neue Abteilungen etabliert. Die Menschen mit Behinderungen waren für den Wehrdienst nicht geeignet, allerdings sollte die Bildungs- und Arbeitstüchtigkeit gefördert werden, um zu Kriegszeiten in der Gesellschaft aktiv werden zu können. Mit dem Kriegsbeginn 1939 herrschte ein Mangel an Arbeitskräften, der mit der Eingliederung von behinderten Personen und deren enormen Beteiligung ausgeglichen werden sollte. Hauptziel der Sportübungen war die strenge Beherrschung des Körpers und die Überwindung der Behinderung, um somit als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft akzeptiert zu werden. In der Zeit zwischen 1933 und 1945 wurde die „Gleichstellung der Gehörlosenanstalten, der Krüppelheime, der Blindenschulen und der Hilfsschulen“ durchgesetzt. Hinzu kommt, dass die Minderjährigen, die als unfähig in dem Lernprozess von Arbeit und Bildung klassifiziert wurden, zwangsweise sterilisiert und in Pflegeanstalten verfrachtet wurden, „wo viele von ihnen dem Krankenmord zum Opfer fielen“.12 Die behinderten Kinder und Jugendlichen absolvierten alle dieselbe körperliche und ideologische Schulung wie die gängige Hitlerjugend. Allerdings wurden die Prüfungen den Behinderungen angeglichen und die HJ-Uniform hatte Schulterklappen mit besonderen Kennzeichen, die den Behinderten-Status der Kinder und Jugendlichen hervorhob. Hierdurch wurden nochmals Absonderung und Ausgrenzung der Menschen mit Behinderung vorgenommen und somit der Gesellschaft das Bild von Andersartigkeit vermittelt. Obgleich der Diskriminierung fühlten sich einige Kinder und Jugendliche in den Organisationen des Behindertensports enthusiastisch und gestärkt in ihrem Selbstvertrauen. Wedemeyer-Kolwe spricht sich für eine zwiespältige Bewertung des Behindertensports aus, denn er „wies den Menschen, die als brauchbar eingestuft wurden, tatsächlich individuelle Handlungsspielräume zu. Gleichzeitig aber war auch er ein Element der NS-Aussonderungspolitik“.13 In der NS-Zeit wurde die Entwicklung der Rassenideologie durch Ärzte und Wissenschaftler weiter vorangetrieben, sie errichteten Programme der Euthanasie und Sterilisierung und hatten die „´Gesundung des Volkskörpers´“14 zum Zweck. Durch den Gesetzeserlass von Hitler wurde die Erwachseneneuthanasie 1939 legalisiert, das Gesetz wurde „mit den besonderen Gegebenheiten der Kriegssituation begründet [und somit] die Tötung ´lebensunwerten Lebens´ erlaubt“.15 In den sechs eingerichteten Tötungsanstalten der Nationalsozialisten wurden zwischen 1939 und 1941 allein 70 000 Menschen mit Behinderung durch Gas getötet.16 Durch die Diffamierung behinderter Menschen, in dem die NS-Regierung sie als etwas Wertloses darstellten, deren Leben nicht lebenswert ist, werden die Personen mit Behinderung nicht nur ausgegrenzt sondern auch entmenschlicht. Es instituiert sich eine „objectification of disability in medical science“,17 was sich wiederum auf die gesellschaftliche Wahrnehmung ausbreitet.

Ab den 1970er Jahren kam es allmählich zu einem Umdenken in der Bundesrepublik Deutschland, wobei Behinderung zunächst als „individuelles, funktionales Defizit in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit und Produktivität einer Person“18 angesehen wurde. Willy Brandt sprach als erster Bundeskanzler die Sachlage behinderter Personen an, er rückte somit den Diskurs in die Öffentlichkeit und prägte die Behindertenpolitik im sozialdemokratischen Sinne.19 Mit der Regierungserklärung von Willy Brandt wurden Menschen mit Behinderungen in den 1970er Jahren zum ersten Mal als Bürger*innen adressiert, durch diesen Schritt erlangten sie Mündigkeit in der Regierung und so wurde „behinderten Menschen – vor allem Männer – neue soziale Orte in der Gesellschaft zugedacht“.20 Durch diesen Prozess des Umdenkens über die Politik hinaus, schärfte sich der Blick dafür, dass Menschen mit Behinderungen auch „Konsumentinnen und Konsumenten, Kulturschaffende und -rezipierende, sexuelle und expressive Wesen“21 verkörpern. Sozialwissenschaftler*innen nahmen die Forschung über Behinderung mit ein und schufen so einen Ausgleich zu der „individuell-medizinischen Erklärung von Behinderung“22 der Ärzt*innen. Hierdurch verschob sich die Auffassung des medizinischen Modells (medical model), der die Behinderungen allein bei den Individuen lokalisiert, zu dem sozialen Modell (social model), der die Defekte in der Gesellschaft sieht, ebenso wie in „social hierarchy, legislation, attitudes and images, technologies, aesthetics and language and culture“.23

[...]


1 Goodley, Dan (2011): Disability Studies. An Interdisciplinary Introduction. London/California/New Delhi/Singapore: SAGE Publications, S. 1.

2 Bösl, Elsbeth (2010): Die Geschichte der Behindertenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland aus Sicht der Disability History. In: Aus Politik und Zeitgeschichte [APuZ], 23/2010, S. 6-12, hier S. 12.

3 Bösl, Elsbeth (2010): Was ist Disability History? Zur Geschichte und Historiografie von Behinderung. In: Elsbeth Bösl u.a. (Hrsg.) Disability History. Konstruktionen von Behinderung in der Geschichte. Eine Einführung. Bielefeld: transcript Verlag. S. 29-44, hier S. 29.

4 Vgl. Dederich, Markus (2007): Körper, Kultur und Behinderung. Eine Einführung in die Disability Studies. Band 2. Bielefeld: transcript Verlag, S. 86

5 Ebd. S. 88.

6 Vgl. ebd. S. 89.

7 Vgl. ebd.

8 Vgl. ebd. S. 101.

9 Vgl. S. 105.

10 Das folgende Beispiel wird gänzlich nach Bernd Wedemeyer-Kolwe zitiert: Wedemeyer-Kolwe, Bernd (2014): Behindertensportgeschichte: das Beispiel Nationalsozialismus. In: Elisabeth Bösl u.a. (Hrsg.) Disability History. Konstruktionen von Behinderung in der Geschichte. Eine Einführung. Band 6. Bielefeld: transcript Verlag, S. 193-209.

11 Wedemeyer-Kolwe, Bernd (2014): Behindertensportgeschichte, S. 198.

12 Ebd. S. 199.

13 Ebd. S. 206.

14 Moll, Helmut (2015): Ein dunkles Kapitel der Menschheit. ´Euthanasie´ im Nationalsozialismus: Opfer und Widerständler. In: Swiss Archives of Neurology and Psychiatry, 166/7, S. 249-256, hier S. 249.

15 Ebd. S. 250.

16 Vgl. ebd.

17 Mitchell, David T./Snyder, Sharon L. (2001): Narrative Prosthesis. Disability and the Dependencies of Discourse. USA: University of Michigan, S. 29.

18 Bösl, Elsbeth (2010): Die Geschichte der Behindertenpolitik, S. 6.

19 Vgl. Ebd. S.8.

20 Ebd. S. 9.

21 Bösl, Elsbeth (2010): Was ist Disability History?, S. 39.

22 Bösl, Elsbeth (2010): Die Geschichte der Behindertenpolitik, S. 9.

23 Marks, Deborah (1997): Models of disability. In: Disability and Rehabilitation. 19/3, S. 85-91, hier S. 85,87.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
"The Elephant Man" (1981). Behinderung als Zeichen von Monstrosität und Abnormität in der Gesellschaft
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Note
2,0
Autor
Jahr
2022
Seiten
21
Katalognummer
V1240099
ISBN (eBook)
9783346666390
ISBN (Buch)
9783346666406
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Freakshow Elephant Man Filmanalyse Gesellschaft Behinderung Disability Studies
Arbeit zitieren
Angelina Marx (Autor:in), 2022, "The Elephant Man" (1981). Behinderung als Zeichen von Monstrosität und Abnormität in der Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1240099

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: "The Elephant Man" (1981). Behinderung als Zeichen von Monstrosität und Abnormität in der Gesellschaft



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden