Der Schauspieler im Medialsystem des Theaters


Hausarbeit, 2008

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II.1. Der Orator im medialen Subsystem
1.1. Der Autor als Orator
1.2. Die Künstlerische Leitung als Orator
1.3. Die Regie als Orator
2. Die kommunikative Funktion des Schauspieler im medialen Subsystem
2.1. Rhetoriktheoretische Überlegungen
2.2. Theatertheoretische Überlegungen
3. Der Orator und die Mediale Tragfläche: Praxisbeispiel George Tabori

III. Zusammenfassung

Literaturliste

I. Einleitung

Eine Aufführung im Theater: die Person auf der Bühne spricht zu uns, ihre Worte stehen im Einklang mit der Körpersprache, ihr ganzer Habitus vermittelt ein einheitliches Bild. Wir glauben ihr, wir erleben mit, was sie uns kommuniziert.

Uns wird hier bei dieser Aufführung eine Figur mir einer ihr eigenen Intentionalität gezeigt, die mit uns kommunikativ interagiert. Es handelt sich um Face-to-face-Kommunikation, deren rhetoriktheoretische Merkmale der Gebrauch der Medien Körper und Schall durch den Kommunikator sind.

In der Rhetorik wird der strategische Kommunikator als Orator bezeichnet.[1] Die Perspektive der Rhetorik ist der Blickwinkel des Orators, ihr Forschungsgegenstand die strategische Kommunikation eines Menschen. Dieser Mensch, der Orator wird definiert als

ein Mensch, der in seinem Bewusstsein Intentionalität (kommunikative Zielvorstellungen, gerichtete Dynamik) ausprägt, sie im sozialen Handlungsraum per kommunikativer Intervention über Texte ausagiert, um sie letztendlich im Bewusstsein seiner Kommunikationspartner zu implementieren.[2]

Dem Orator wird eine richtungsweisende Rolle zugeordnet. Sein Ziel ist die Persuasion, seine actio ist einer Intentionalität unterworfen.

Um diese Intentionalität dem Adressaten kommunikativ zu übermitteln, bedient sich der Orator eines Instrumentariums verschiedener rhetorischer Mittel, Medien genannt.

Auch das Theater ist als Medium zu sehen, genauer: als Medialsystem, gegliedert in mediale Subsysteme, die alle einer Intentionalität folgend das Endprodukt Aufführung hervorbringen.

Eines dieser Subsysteme ist das Medialsystem der Face-to-face-Interaktion zwischen Kommunikator und Publikum. Dieses Medialsystem hebt sich von anderen Systemen wie z. B. der Publizistik oder technisch-elektronischen Systemen durch die korporale Präsenz des Orators ab. Auf die Kommunikationssituation im Theater übertragen erhebt dies die vom Schauspieler verkörperte Figur als Kommunikator in die strategische Handlungsrolle des Orators. Nun wird klar, dass diese Parallele nicht ohne Überlegung gezogen werden kann und es sich im Theater um einen Spezialfall der Face-to-face-Kommunikation handeln muss. Denn wer genau ist in diesem Subsystem der Orator? Wessen Intentionalität verbirgt sich hinter der vom Schauspieler verfolgten Figurenintention? Und welche Handlungsrolle übernimmt der Schauspieler?

Der Frage nach dem Orator kann man sich über die Fragestellung der Intentionalität nähern.

Ich möchte nun zuerst auf die Frage nach der Person des Orators in diesem speziellen Bruchteil des Medialsystems Theater eingehen, anhand dieser Überlegungen die Funktion des Schauspielers als mediale Tragfläche näher beleuchten und abschließend mein Augenmerk auf die Beziehung des Orators zum Kommunikator legen sowie die Handlungsrolle des Schauspielers am Beispiel George Taboris ergründen.

II.1. Der Orator im medialen Subsystem

Das Medialsystem der Face-to-face-Interaktion läßt sich rhetoriktheoretisch folgendermaßen analysieren:[3]

Bei der Face-to-face-Interaktion bedient sich der Orator der Medien Körper und Schall, er verwendet demnach die Zeichensysteme des Körpers, der Gestik, der Stimme und der Sprache. Von anderen Medialsystemen wie zum Beispiel der Publizistik hebt sich dieses System durch die korporale Präsenz des Orators ab.

Die Kommunikationssituation in einer Theateraufführung unterscheidet sich jedoch von der Kommunikationssituation anderer Face-to-face-Interaktionen, wie beispielsweise der politischen Rede: In beiden Situationen verfolgt ein Kommunikator, sein Ziel, nämlich Persuasion beim Adressaten, mithilfe rhetorischer Mittel. Der Unterschied ist in der Rolle dieses Kommunikators zu suchen.

Wenn wir diese Handlungsrollen in beiden rhetorischen Situationen nebeneinander stellen, so ergeben sich folgende Differenzen:

(1) Verfolgt der politische Redner mit rhetorischen Mitteln eine Intention, so ist es seine eigene. (2) Er gebraucht das Medium der Sprache um einen eigenen Text dem Adressaten zu vermitteln. (3) Er steht als er selbst vor dem Publikum.

Der politische Redner ist aufgrund seines Impetus ein strategisch handelnder Kommunikator und somit anhand der gängigen Definition als ein Orator anzuerkennen.

Beim Schauspieler hingegen finden wir Gegenteiliges: (1) Seine Intentionalität ist eine fremde, (2) die Wortwahl, die er zur Persuasion getroffen hat, ist nicht die eigene und (3) die Person, die er auf der Bühne darstellt, ist nicht er selbst.

Im Folgenden soll auf die theoretische Größe Figur eingegangen werden. Wir müssen klar differenzieren zwischen dem Schauspieler und der Figur, die er verkörpert. Wenn man die fiktionale Figur als Kommunikator akzeptiert, wird den Überlegungen eine weitere Ebene eröffnet und die Identifikation des Orators in der Figur wird möglich. Persuasion auf der Theaterbühne bedeutet vor allem Authentizität, Erfolg tritt ein, wenn der Zuschauer sich identifizieren kann und vom Geschehen auf der Bühne affiziert wird.

Wenn wir nun weiter davon ausgehen, dass der Schauspieler nur in seiner Funktion als ebensolcher auf der Bühne steht und somit keine Personengleichheit zwischen den einzelnen Instanzen besteht, bedeutet dies, dass Intendant, Autor, Dramaturg, Regisseur und Schauspieler einzig und allein ihre jeweilige Funktion im Rollengefüge des Theaters innehaben.

Mit derselben Begründung, mit der der Redner anhand der Intentionalität als Orator zu definieren ist, kann dem Schauspieler ebendiese Rolle abgesprochen werden.

Wer aber übernimmt im Theater die Rolle des Orators? Wessen Intentionalität wird auf der Bühne kommuniziert? Im komplexen System Theater ist die Antwort auf diese Frage vielschichtiger als zunächst angenommen.

Die Frage, die die Diskussion um den Orator im System des Theaters stellt, ist also vor allem die nach der Intentionalität, genauer, die Frage, wessen Intentionalität der Schauspieler verkörpert.

In Bezugnahme auf Medialsysteme ist die Theorie des Erst- und Zweitorators gängig[4], auch im spezifischen Falle des Theaters.[5] Die Ziffern sollten hierbei nicht als Ausdruck der Wertigkeit verstanden werden sondern dienen nur zur Differenzierung.

Ohne auf die diesbezüglichen Arbeiten genau einzugehen, da dies den Rahmen dieser Arbeit übersteigt, liegt die Idee der Oratorenpluralität dem Modell zugrunde, auf dem die folgenden Überlegungen fußen. Ich benutze bewusst ein verknapptes Modell, das im Medialsystem Theater unverzichtbare Systemkomponenten wie Ton, Licht oder Raumgestaltung außen vor lässt und beschränke mich auf das Subsystem der Face-to-face-Kommunikation.

Dieses kommunikative Subsystem bringt nach dem Prozess der Inszenierung im Endprodukt Aufführung eine Kommunikationssituation hervor. In dieser vereinigen sich in der Intentionalität der vom Schauspieler verkörperten Figur die Impetus verschiedener Oratoren, die untereinander vernetzt sind. Diese Oratoren nehmen an unterschiedlichen Zeitpunkten im Verlauf des Inszenierungsprozesses unterschiedlich starken Einfluss auf diese Figurenintentionalität. Dieser Gedanke des Produzentenkollektivs findet sich auch in Manfred Pfisters Studie Das Drama, worin er das Vorhandensein einer „Vielzahl der Produktionsfunktionen“ [6] konstatiert und im Autor des literarischen Textes nur einen der Autoren des plurimedialen Textes Aufführung erkennt.[7] Wenn wir Sonderfälle wie zum Beispiel Auftragsarbeiten außer Acht lassen und, wie oben schon als Vorraussetzung beschrieben, keine Personengleichheit von X und Y gegeben ist, wenn wir es also mit dem schlichten hierarchischen Rollengefüge des Theaters zu tun haben, so ergibt sich eine Verkettung von Oratoren, welche im folgenden beschrieben werden soll.

[...]


[1] Vgl. J. Knape: Was ist Rhetorik? Stuttgart 2000, S. 98

[2] J. Knape: Was ist Rhetorik? Stuttgart 2000, S. 46 f

[3] J. Knape: Was ist Rhetorik? Stuttgart, 2000; S. 98

[4] Vgl. J. Knape: Was ist Rhetorik? Stuttgart, 2000; S. 94

[5] Vgl. C. Rieder: Prolegomena zu einer rhetorischen Analyse des Mediums Theater und seines Mediensystems. In: J. Knape (Hg.): Medienrhetorik. Tübingen, 2005; S. 50-67

[6] M. Pfister: Das Drama. Theorie und Analyse. München, 1977; S. 53

[7] Vgl. M. Pfister: Das Drama. Theorie und Analyse. München, 1977; S. 53

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Der Schauspieler im Medialsystem des Theaters
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
16
Katalognummer
V124077
ISBN (eBook)
9783640288823
ISBN (Buch)
9783640288915
Dateigröße
446 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rhetorik, Theater, Schauspieler
Arbeit zitieren
Christine Eiche (Autor:in), 2008, Der Schauspieler im Medialsystem des Theaters, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124077

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