Katholisches Milieu und katholisches Bürgertum im späten Kaiserreich


Seminararbeit, 2007

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung

2. Katholizismus im Allgemeinen
2.1 Die Entwicklung des Katholizismus
2.2 Verhältnis von Kirche und Staat

3. Katholisches Milieu
3.1 Allgemeines zum Wesen des Milieus
3.2 Entstehung des katholischen Milieus
3.3 Charakterisierung des katholischen Milieus
3.4 Soziale und politische Heterogenität des katholischen Milieus im Ausgang des Kaiserreiches

4. Katholisches Bürgertum als wesentlicher Bestandteil des katholischen Milieus im späten Kaiserreich
4.1 Definition des Bürgertums
4.2 Das katholische Bürgertum im Konflikt zwischen bürgerlichem Anspruch und Konfession
4.3 Die Herausbildung von verschiedenen Gruppen des bürgerlichen Milieus im Kulturkampf
4.4 Erosion des katholischen Milieus durch das Ende der bürgerlichen Gesellschaft im Zuge der Industrialisierung

5. Bezug zur Quelle von Julius Bachem: Wir müssen aus dem Turm heraus!

6. Fazit

7. Literatur- und Quellenverzeichnis
7.1 Literatur
7.2 Quellen

1. Einführung

Das Thema „Katholisches Milieu und katholisches Bürgertum“ kann hinsichtlich des zeitlichen Bezugsrahmens in das „lange 19. Jahrhundert“, - das als „Neuere Geschichte“ von der „Frühen Neuzeit“ und von der „Zeitgeschichte abzugrenzen ist -, eingeordnet werden. Das „lange 19. Jahrhundert“ beginnt 1789 und endet nicht mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, sondern mit dem Beginn des ersten Weltkrieges. Als Hinführung und Orientierung zum eigentlichen Themenkomplex, soll im Folgenden ein kurzer Überblick mit die wichtigsten Entwicklungen und politischen Eckdaten gegeben werden.

Das 19. Jahrhundert kann im gesamten als ein „Modernisierungsgefälle“[1] beschrieben werden. Als Ursprung, eben dieses, ist die „politisch-industrielle Doppelrevolution“[2] zu sehen. Aus dieser Entwicklung resultierte ein weitreichender „ökonomischer, sozialer, politischer und kultureller Wandel“[3]. Daraufhin folgte 1789 die Französische Revolution, aus der auch die napoleonische Neuordnung erfolgt. Im Jahr 1815 ist der Wiener Kongress und die daraus folgende gewaltsame Wiederherstellung des Fürstenbundes zu erwähnen. Die Folgezeit wird als Vormärz bezeichnet. Die heranreifende revolutionäre Situation schließt Ereignisse, wie die Julirevolution 1830 in Frankreich, sowie, unterschiedliche Bewegungen, - Studentenbewegungen, die ihren Höhepunkt beispielsweise im Hambacherfest 1832 fanden - mit ein. Diese Ära endet mit dem Scheitern der Märzrevolution 1848. Nach diesem Ereignis der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchsphase beginnt in politischer Hinsicht die Herausbildung verschiedener Strömungen. Als Ergebnis ist die Entstehung der Parteien zu nennen. Als zentraler Einschnitt in das „lange 19. Jahrhundert“ muss natürlich die Gründung des deutschen Reiches 1870/71 erwähnt werden. Mit der Reichsgründung entsteht auch der Gedanke des Nationalismus und somit die Idee der Nation. Der Nationalismus ersetzte alte Werte und Traditionen und fungierte sogar als „Ersatzreligion“. Die negativen Auswirkungen des Nationalismus wurden dann deutlich, als erkennbar war, dass er durchaus zur Auslösung des ersten Weltkrieges beitrug. Nach der Reichsgründung mit Wilhelm I. als Kaiser und Otto von Bismarck als Reichskanzler begann ein neuer Abschnitt, der 1872 in den Kulturkampf mündete. 1890 wurde Bismarck als Reichskanzler abgesetzt. Das Kaiserreich endet 1918 mit dem Ende des ersten Weltkrieges.

Abseits dieses chronologischen Ablaufes muss erläutert werden, dass eine weiterer wichtiger Prozess des „langen 19. Jahrhunderts“ die Entwicklung der Klassengesellschaft im Zuge der Industrialisierung darstellte. Durch diesen Prozess wurde die Dominanz des Bürgertums erheblich geschwächt, denn es kamen neue Schichten, wie die Arbeiterklasse hinzu. Innerhalb der Klassengesellschaft dominierte das Bürgertum nicht mehr, sondern stellte nur noch einen Teil der Gesellschaftsschicht dar. Im wesentlichen kann man auch von einem „Zwei-Klassen-Modell“[4] sprechen, nämlich dem der Bürger und des Proletariats. Der Katholizismus und das Bürgertum und ihre Entwicklungen sind also mit diesen übergeordneten Prozessen in Zusammenhang zu bringen.

Der gegenwärtige Forschungsstand ist bezüglich des „katholischen Milieus“ sehr weit gediehen.[5] Allerdings ist anzumerken, dass ein Großteil der Literatur als schemenhaft, analog und sehr einseitig zu charakterisieren ist. In der bereits vorhandenen Literatur werden Themenkomplexe nahezu gleich aufgebaut und dargestellt. Hauptsächlich wird das „katholische Milieu“ hinsichtlich der Frage nach seiner „politischen-sozialen Homogenität oder Heterogenität“[6] untersucht. Dazu muss erwähnt werden, dass die Forschung größtenteils von einer Einheitlichkeit des katholischen Milieus ausgehen und die heterogenen Elemente kaum herausgearbeitet werden. Weiter kann an die Forschung die Forderung gestellt werden dass noch genügend Themenfelder, Aspekte und Prozesse nicht erschlossen sind.

In der folgenden Arbeit sollen grundlegende Materien aufgegriffen werden. Die Definition, Charakterisierung und die Entwicklung der einzelnen Milieus sollte dabei im Vordergrund stehen.

2. Katholizismus im Allgemeinen

2.1 Die Entwicklung des Katholizismus

Bedingt durch die Säkularisierung, welche die Kirche sehr stark im negativen Sinne getroffen hatte, ergaben sich weit reichende Konsequenzen für die katholische Kirche. Die Entfeudalisierung war der Ausgangspunkt einer spirituellen Veränderung, da die Säkularisierung sowohl „Befreiung“[7] als auch „Enteignung der Kirche“[8] in einem war. Fortan bedeutete der zentrale Gedanke nur noch religiöse Herrschaft, fernab von materieller und finanzieller Macht. Der Übergang von der Adelskirche, also dem „Episkopalismus“[9], zu einer römischen Zentralausrichtung, dem „Papalismus“[10], wird zum entscheidenden Schnittpunkt für den weiteren Verlauf des Katholizismus im 19. Jahrhundert.

Ab 1815 zeichneten sich Tendenzen ab, die den Katholizismus von innen her mehr oder weniger prägen und regional veränderten. Neben der fortdauernden katholischen Aufklärung, deren Repräsentant Heinrich Ignaz von Wessenberg war, die eine „Auflockerung des dogmatischen, juristischen und kultischen Charakters der Kirche“[11] forderten, wurden auch Lehren vorgestellt, die auf die Versöhnung und Konnexion des Katholizismus abzielen. Repräsentativ hierfür steht u.a. Georg Hermes, der auf der Basis des Philosophen Emmanuel Kant die katholischen Dogmen neu begründen und zugleich versöhnen möchte.[12]

Nachhaltiger sind allerdings Versuche, den Katholizismus mit kulturellen, klassischen aber auch romantischen Neigungen zu reformieren. Michael Sailer, einer der Wegbereiter dieser Idee, experimentierte damit, den Geist Pestalozzis und die Bildung Goethes in die katholischen Lehren einfließen zu lassen.[13] Außer des positiven Effekts auf die Bildungselite hatten die Versuche nur einen minimalen, zeitlich begrenzten Einfluss auf die entscheidende innere Entwicklung des Katholizismus. Prägend dafür wurde der Ultramontanismus, ausgehend Anfang 1821 in Mainz um den Kreis des Bischofs Colmar und der Zeitung „Der Katholik“.[14] Ziel der Ultramontanisierung ist die „Selbstbehauptung des Katholizismus in einer als durchweg feindlich erfahrenen Zeit und Welt“.[15] Diese Aussage spiegelt schon alleine die Schärfe, die die ultramontane Bewegung mit sich brachte und zugleich forderte, wider. Es wird verlangt, dass „alle Weltdinge wie Politik, Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft unter dem katholischen Aspekt gerückt und demnach beurteilt werden“[16]. Diese radikale Vorraussetzung wird als „katholischer Integralismus“[17] bezeichnet. Zunächst war der Ultramontanismus allerdings eine innerkirchliche Kampfbewegung. Er richtete sich insbesondere gegen alle Anhänger der Nationalkirche, gegen die Gegner der römischen Ausrichtung, gegen die Modernisierer, folglich gegen die Mehrheit der Kirche. Die Theologie wurde auf absolute Dogmenstränge festgelegt, so dass bestimmte Formen und Rechte einen festen Platz in der Kirche hatten. Ebenso wichtig wie die absoluten Dogmenstränge wurde für den Ultramontanismus eine Reformation der Frömmigkeitspraxis. Dazu zählten neben Heiligenverehrungen und Kulten wie dem „Herz-Jesu-Kult“[18] auch die Neuentdeckung und Faszination von Wundern und Stigmatisierungen wie Exerzitien und das Sühnen. Zu diesem Zweck wurde das Kloster- und Ordenswesen wieder belebt und führte dadurch zu einer bestimmten Einflussnahme auf Schulen, soziale und karitative Einrichtungen wie beispielsweise die Krankenpflege. Eine auftretende Massenfrömmigkeit, so wie bei der mit 1.1 Mio. Wallfahrer anlässlich der Aufstellung des heiligen Rocks in Trier 1844, war ein erstes positives Zeichen zugunsten der ultramontanen Bemühungen.[19] In den 30-40er Jahren des 19. Jahrhunderts begann die Kirche mittels eines eigenen kirchlichen Pressewesens, sich dem Volk zu nähern und übte somit eine gewisse Organisation über die Bevölkerung aus. In gleichem Zeitabschnitt fanden sich diverse Gruppen und Schichten zusammen und bildeten katholische Vereine. Der „Verbandskatholizismus“[20] vereinte somit stetig neue soziale Gebiete zu immer vielfältiger werdenden kirchlichen Sonderzwecken. 1864 folgte der „Syllabus errorum“[21], in welchem Papst Pius IX. 80 Irrtümer der Zeit verwirft. Ergebnis der „Ultramontanisierung“[22] - wie Nipperdey die Bewegung heißt – war ein von Spannungen und Konflikten gezeichnetes Verhältnis von Staat und Kirche. Vorbehalte gegen die ultramontane Richtung endeten meist nur in Schweigen und herbei gezwungener Toleranz, was zur Folge hatte, dass kaum eine aktive innerkatholische Opposition gegen die Ultramontanen existierte.

2.2 Verhältnis von Kirche und Staat

Die katholische Entwicklung wurde allerdings nicht nur von innerkatholischen Faktoren bestimmt, sondern war auch ganz besonders vom Verhältnis zwischen Staat und Kirche geprägt. Seit der Säkularisierung und den damit einhergegangenen Veränderungen ergab sich immer deutlicher das Bild einer strikten Trennung beider Gewalten, die vor allem in diversen Streitfragen, insbesondere über das Kapitel Ehe und Schule, bestätigt wurde.[23] Der Konflikt verschärfte sich 1835, als der auf Betreiben der preußischen Regierung eingesetzte, als ultramontan und konservativ geltende Erzbischof von Köln, Clemens August von Droste zu Vischering sich gegen ein Agreement über eine sehr offen auszulegende päpstliche Verfügung über die Einsegnung katholischer Ehen wendete und als Trotzreaktion die Theologische Fakultät in Bonn für den Priesternachwuchs sperrte. Daraufhin reagierte die Regierung mit einer Suspension und der Verhaftung des Erzbischofs.[24] Diese als willkürlich ausgelegte Verhaftung stürzte den Staat ins Unrecht und war somit Beginn einer öffentlichen Meinungsbildung im Streit beider traditionellen Institutionen. Der von Joseph Görres veröffentlichte „Athanasius“[25] 1838 lieferte eine öffentliche (…)„Grundsatzfrage zwischen Kirche und Staat“[26] und löste eine heiß debattierte Diskussion zugunsten der Kirche aus. Nipperdey zufolge, gilt dieses Werk als eine „Art Gründungsurkunde des politischen Katholizismus“.[27] Das wohl wichtigste Ergebnis der Kölner Wirren war der Anfang einer politischen Formierung des Katholizismus als Partei, und zwar mit anti-preußischer Ausrichtung. Bei der Revolution 1848 erreichte die Kirche eine Durchsetzung von einer Reihe ihrerseits geforderten kirchenpolitischen Zielen in der Frankfurter Verfassung. Obwohl die Verfassung nie in Kraft trat, zeigt sie dennoch die Kompromissbereitschaft, die bis zu diesem Grad möglich war. Die Preußische Verfassung, welche später erlassen wurde, war vom Resultat her der Frankfurter Verfassung ähnlich und galt für die Katholiken demzufolge als „Magna Charta des Religionsfriedens“[28]. Der politische Katholizismus, welcher 1859 mit der Entstehung der „Fraktion des Zentrums“ den Höhepunkt – bis dahin – erreichte, war zusammenfassend ausgedrückt die Folge der Konflikte zwischen Kirche und Zeitgeist, Liberalismus und Staat, also den Organisationen und Säulen, die der Ultramontanismus eine lange Zeit des 19. Jahrhunderts zielstrebig abgelehnt und bekämpft hat.

[...]


[1] Mollenhauer, Daniel: Auf dem Weg in die bürgerliche Gesellschaft, Neuere Geschichte seit 1789, in: Cornelißen, Christoph (Hrsg.): Geschichtswissenschaften, Eine Einführung, Frankfurt/Main 2000, S. 99

[2] Ebd. S. 98

[3] Ebd. S. 98

[4] Kocka Jürgen: Das lange 19. Jahrhundert: Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft (Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 13), Stuttgart 2002, S. 105

[5] Mergel, Thomas: Zwischen Klasse und Konfession, Katholisches Bürgertum im Rheinland 1794-1914 (= Bürgertum: Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte), Bd. 9, S. 24

[6] Ebd. S. 24

[7] Nippperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1914, Bd. 1 Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, S. 407

[8] Ebd. S. 407

[9] Ebd. S. 407

[10] Ebd. S. 407

[11] Ebd. S. 407

[12] Port, Johannes: Die Reaktion auf den Syllabus Pius IX. in den deutschsprachigen Ländern, Rom 1965 (= Pontificia aniversitas Gregoriana, Bd.1), S.14

[13] Nippperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1914, Bd. 1 Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, S. 408

[14] Ebd. S. 410

[15] Ebd. S. 410

[16] Ebd. S. 410

[17] Ebd. S. 410

[18] Siegfried Weichlein: Rezension zu: Busch, Norbert: Katholische Frömmigkeit und Moderne. Die Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Herz-Jesu-Kultes in Deutschland zwischen Kulturkampf und Erstem Weltkrieg.

Guetersloh 1997. In H-Soz-u-Kult, 28.07.1998

[19] Nippperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1914, Bd. 1 Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, S. 412

[20] Ebd. S. 413

[21] Port, Johannes: Die Reaktion auf den Syllabus Pius IX. in den deutschsprachigen Ländern, Rom 1965 (= Pontificia aniversitas Gregoriana, Bd. 1), S. 14

[22] Nippperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1914, Bd. 1 Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, S. 413

[23] Ebd. S. 416

[24] Lill, Rudolph: Die Beilegung der Kölner Wirren 1840-1842. Düsseldorf 1962 (=Studien zur Kölner Kirchengeschichte, Bd. 6), S. 50/51

[25] Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1914, Bd. 1 Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990

[26] Ebd. S. 419

[27] Ebd. S. 419

[28] Ebd. S. 421

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Katholisches Milieu und katholisches Bürgertum im späten Kaiserreich
Hochschule
Universität Regensburg  (Geschichte)
Veranstaltung
Proseminar
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
21
Katalognummer
V124081
ISBN (eBook)
9783640287062
ISBN (Buch)
9783640287147
Dateigröße
460 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Katholisches, Milieu, Bürgertum, Kaiserreich, Proseminar
Arbeit zitieren
Verena Liebl (Autor:in), 2007, Katholisches Milieu und katholisches Bürgertum im späten Kaiserreich , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124081

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