Die Begriffe „Liebe“ und „Ehe“ scheinen zunächst unvereinbar nebeneinander zu stehen, wenn man sie in Bezug auf das Mittelalter im deutschsprachigen Kulturraum betrachtet. Den Eindruck, den man in Bezug auf die Ehe der mittelalterlichen Gesellschaft gewinnen mag, beruht auf dem Wissen über die Vereinbarung von Eheverbindungen zwischen zwei Familien, in denen die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Ehepartner keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielten. Dazu passt das Verständnis einer auf Freiwilligkeit beruhenden Liebesheirat nicht, wie es in westlich geprägten Ländern der heutigen Zeit vorherrscht. Romantische und erotische Gefühle für den zukünftigen Lebenspartner können bei einer vereinbarten Ehe, der vor allem familiäre, finanzielle und politische Interessen zu Grunde lagen, wohl nur bedingt vorgekommen sein. Das Wissen über außereheliche Vergnügungen des Ehemannes im Bereich der Sexualität und der Beleg des Konkubinats verstärken den Eindruck, dass die Ehe im Mittelalter eine reine Zweckgemeinschaft war, die vor allem der Sicherung der Nachkommenschaft diente. Die Lieder des Minnesangs, in denen von der Liebe eines Ritters zu einer höfischen Dame erzählt wird, nehmen dagegen Bezug auf leidenschaftliche Liebe, die von der Hoffnung auf Erfüllung im Sinne von Vereinigung des Paares lebt. Dabei richtet sich das Bestreben des Werbenden jedoch häufig an eine gesellschaftlich höher stehende oder eine verheiratete Frau, so dass die Erfüllung der Liebe bloßer Wunsch bleibt. Liebe und Ehe scheinen auch hier einander auszuschließen. Die folgende Arbeit soll zunächst einen Einblick geben in die Themenfelder „Liebe“ und „Ehe“ in Bezug auf das Mittelalter. Die schriftlichen Quellen, die uns dazu zur Verfügung stehen, entstammen teils einer geistlichen Tradition und befassen sich mit bestehendem Kirchenrecht oder dienen der Unterweisung und Erziehung zu einer sittlichen und gottgefälligen Lebensweise. Weitere Quellen sind literarischer Art und entstammen unterschiedlichen Gattungen, wie beispielsweise dem Minnesang, der Heldenepik oder den höfischen Romanen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Liebe
2.1 Definition von Liebe
2.2 Das Verständnis von Liebe im Mittelalter
2.2.1 Liebe aus Sicht der Kirche
2.2.2 Liebe in weltlicher Literatur
3. Ehe
3.1 Ehe in der adligen Gesellschaft des Mittelalters
3.2 Ehe aus Sicht der Kirche
3.3 Ehe in weltlicher Literatur
4. Fazit
5. Literatur
5.1 Quellen
5.2 Lexikonartikel
5.3 Forschungsliteratur
1. Einleitung
Die Begriffe „Liebe“ und „Ehe“ scheinen zunächst unvereinbar nebeneinander zu stehen, wenn man sie in Bezug auf das Mittelalter im deutschsprachigen Kulturraum betrachtet. Den Eindruck, den man in Bezug auf die Ehe der mittelalterlichen Gesellschaft gewinnen mag, beruht auf dem Wissen über die Vereinbarung von Eheverbindungen zwischen zwei Familien, in denen die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Ehepartner keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielten. Dazu passt das Verständnis einer auf Freiwilligkeit beruhenden Liebesheirat nicht, wie es in westlich geprägten Ländern der heutigen Zeit vorherrscht. Romantische und erotische Gefühle für den zukünftigen Lebenspartner können bei einer vereinbarten Ehe, der vor allem familiäre, finanzielle und politische Interessen zu Grunde lagen, wohl nur bedingt vorgekommen sein. Das Wissen über außereheliche Vergnügungen des Ehemannes im Bereich der Sexualität und der Beleg des Konkubinats verstärken den Eindruck, dass die Ehe im Mittelalter eine reine Zweckgemeinschaft war, die vor allem der Sicherung der Nachkommenschaft diente.
Die Lieder des Minnesangs, in denen von der Liebe eines Ritters zu einer höfischen Dame erzählt wird, nehmen dagegen Bezug auf leidenschaftliche Liebe, die von der Hoffnung auf Erfüllung im Sinne von Vereinigung des Paares lebt. Dabei richtet sich das Bestreben des Werbenden jedoch häufig an eine gesellschaftlich höher stehende oder eine verheiratete Frau, so dass die Erfüllung der Liebe bloßer Wunsch bleibt. Liebe und Ehe scheinen auch hier einander auszuschließen.
Die folgende Arbeit soll zunächst einen Einblick geben in die Themenfelder „Liebe“ und „Ehe“ in Bezug auf das Mittelalter. Die schriftlichen Quellen, die uns dazu zur Verfügung stehen, entstammen teils einer geistlichen Tradition und befassen sich mit bestehendem Kirchenrecht oder dienen der Unterweisung und Erziehung zu einer sittlichen und gottgefälligen Lebensweise. Weitere Quellen sind literarischer Art und entstammen unterschiedlichen Gattungen, wie beispielsweise dem Minnesang, der Heldenepik oder den höfischen Romanen.
Das Thema der „Liebe“ soll daher aus weltlicher und geistlicher Sicht beleuchtet werden, während für den Bereich der Ehe auch Quellen zur Verfügung stehen, die uns einen Einblick in die Praxis der Eheschließung und Eheführung der adligen Schichten vor allem des Hohen Mittelalters geben. Für die Eheschließungspraxis der niederen Schichten dagegen liegen keine oder nur spärliche Quellen vor, so dass das der Bereich der Ehe an dieser Stelle nur in Bezug auf den Adel diskutiert werden kann.
Abschließend wird zu erörtern sein, ob Liebe und Ehe im Mittelalter tatsächlich unvereinbar nebeneinander gestanden haben. Dabei soll auch der Frage nachgegangen werden inwiefern unser heutiges Verständnis von Liebe und Ehe, unsere Sicht auf die Realität des Mittelalters einengt. Dieser Frage wird die Vorstellung von Liebe und Ehe in westlich geprägten Kulturkreisen zu Grunde gelegt.
2. Liebe
Mit dem Begriffspaar „Liebe“ und „Mittelalter“ wird meist die Minne als die höfische Ausdrucksform der Liebe verbunden. Minne wird dabei als die Liebe eines Ritters zu einer gesellschaftlich höher stehenden und für ihn daher unerreichbaren Frau verstanden. Außerdem ist die Vorstellung von Minne mit den Begriffen der unerfüllten Liebe und dem Leid des Werbenden verbunden. Dieses Bild beruht auf einer „Verabsolutierung einer Variante des Minnesangs“1 und ist keineswegs auf alle Anwendungsbereiche des Begriffs minne zu beziehen. Es ist daher zunächst zu klären, inwieweit das neuhochdeutsche Wort „Liebe“ und das mittelhochdeutsche Wort minne identische Begriffe sind.
2.1 Definition von Liebe
„Liebe“ bezeichnet „die gefühlsmäßige und willentliche Bindung einer Person an jemanden oder an etwas“2. Der Mensch kann einen anderen Menschen, ein Tier, ein Hobby oder eine Sache lieben. Im Folgenden wird vor allem auf die zwischenmenschliche Liebe e]inzugehen sein. Die Liebe zu Gott und die Liebe Gottes zu den Menschen, die vor allem in der geistliche Auslegung von „Liebe“ eine Rolle spielen, sind dabei der zwischenmenschlichen Liebe ähnlich, wenn man ihr das Verständnis vom Menschen als Ebenbild Gottes zugrunde legt. Wie noch zu zeigen sein wird, greifen viele Texte der Bibel auf Bilder der zwischenmenschlichen Liebe zurück, wenn es darum geht die Liebe Gottes zu den Menschen zu umschreiben.
Die Liebe zwischen zwei Menschen kann durch familiäre Bindungen geprägt sein, beispielsweise die Liebe zwischen Geschwistern oder zwischen Eltern und Kindern, sie kann sich in Freundschaft ausdrücken oder die emotionale Bindung in einer Partnerschaft bezeichnen. Drei Kategorien von Liebe sind hierbei zu unterscheiden: Eros bezeichnet die sinnliche Liebe, Philia die Freundes-Liebe und Agape die Liebe zu Gott oder die Nächstenliebe3.
2.2 Das Verständnis von Liebe im Mittelalter
Für das Mittelalter – vornehmlich das Hohe Mittelalter – gibt es zahlreiche Schriften, die sich mit der Thematik der Liebe auseinander setzen. Neben dem eingangs erwähnten Minnesang, in dem die Liebe zum zentralen Thema der Dichtung wird, finden sich auch in anderen literarischen Werken Personenkonstellationen, die durch Liebe zwischen den Individuen geprägt sind. Minneexkurse wie im „Parzival“ Wolframs von Eschenbach geben uns zusätzliche einen Einblick in das Verständnis von minne.
Neben dieser weltlich geprägten Literatur gibt es auch zahlreiche Schriften, die sich dem Thema Liebe aus geistlicher Sicht annehmen.
2.2.1 Liebe aus Sicht der Kirche
In der Bibel nimmt die Liebe Gottes zu den Menschen einen zentralen Stellenwert ein. Diese Liebe zeigt sich zunächst in der Hinwendung Gottes zu den Menschen, in der Erwählung des Volkes Israel, dann in Erbarmen – beispielsweise in der Befreiung Israels aus Ägypten –, Gnade und Vergebung der Schuld und zuletzt in der Opferung des Gottessohnes. Sie wird oft durch das Bild der Liebe eines Vaters oder einer Mutter zu seinen beziehungsweise ihren Kindern ausgedrückt.
Als Israel jung war, hatte ich ihn lieb und rief ihn, meinen Sohn, aus Ägypten. Ich lehrte Ephraim gehen und nahm ihn auf meine Arme. Ich ließ sie ein menschliches Joch ziehen und in Seilen der Liebe gehen und half ihnen das Joch auf ihrem Nacken tragen und gab ihnen Nahrung. (Hos 11,1+3a+4)
Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten. (Ps 103,8+13)
Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner auch vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen. (Jes 49,15)
Der größte Liebesbeweis Gottes ist die Menschwerdung in Jesus Christus und der Opfertod am Kreuz, durch den alle Menschen Rettung von ihrer Schuld erlangen können.
Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben. (Joh 3,16)
Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. (Röm 5,8)
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1 Schulze: Minne, S. 641.
2 Haeffner: Liebe, Philosophisch, S. 908.
3 vgl.: Söding: Liebe, Religionswissenschaftlich., S. 910.
- Arbeit zitieren
- M.A. Ann-Sophie Manderbach (Autor:in), 2008, Der Konflikt zwischen Liebe und Ehe im Hohen Mittelalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124176
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