Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt sich mit dem Umgang moralisch dilemmatischer Situationen in der sozialarbeiterischen Praxis. Es wird der Frage nachgegangen, welche Handlungsorientierung der Utilitarismus nach John Stuart Mill und die Deontologie nach Immanuel Kant den Sozialarbeitenden im Umgang mit moralischen Dilemmata geben können. Ziel dabei ist die theoretische Erprobung der Praxistauglichkeit beider Theorien. Die Fragestellung wird anhand der Auswertung der adäquaten Literatur und deren Anwendung auf einen hypothetischen Praxisfall beantwortet.
Es wird deutlich, dass moralische Dilemmata den Alltag der Praxis der Sozialen Arbeit bilden. Da moralisch dilemmatische Situationen unlösbar sind, dienen Gedankengebäude wie der Utilitarismus und die Deontologie als Handlungsorientierung für Sozialarbeitende und nicht als Lösungsweg. Die Unlösbarkeit moralischer Dilemmata hinterlässt in Sozialarbeitenden ein Gefühl des Bedauerns und der Ohnmacht, da das Handeln notwendig scheitern muss, obwohl Handlungsoptionen bestehen. Zusätzlich zeigen derartige spezifische Situationen die Grenzen der Moral in der Sozialen Arbeit auf.
Dies kann Sozialarbeiter*innen vor eine zusätzliche Herausforderung stellen: Innerhalb von moralischen Dilemmata gegen ihre persönliche Moral oder gegen die Professionalität zu verstoßen. Eine fundierte Auseinandersetzung mit Ethik unterstützt Sozialarbeitende im Umgang mit moralischen Dilemmata und dem daraus resultierenden Bedauern, sowie dem Ohnmachtsgefühl. Die philosophische Disziplin ist ein persönliches Argumentarium für Entscheidungen die Sozialarbeitende im Alltag ihrer Praxis treffen.
Inhaltsverzeichnis
1. Erwartungen in der Soziale Arbeit
2. Dilemma – Der Zweikampf der Überzeugungen
2.1. Der Zwiespalt im Dilemma
2.2. Ethik – Das Denken über Moral
2.3. Moral als Aushandlungsprozess
2.4. Zur Konstruktion moralisch dilemmatischer Situationen in der Sozialen Arbeit
2.5. Das Trilemma der Sozialarbeitenden
3. Der Fall – Ein hypothetisches Erlebnis aus der Praxis der Straßensozialarbeit
3.1. Das sozialarbeiterische Dividuum – Ein Gedankenexperiment
3.2. Über die Wahl der Theorien
4. Das utilitaristische Spektrum
4.1. Die utilitaristischen Teilschritte
4.2. Fallanwendung: ein utilitaristischer Argumentationsweg – Mögliche Konsequenzen
4.3. Fallanwendung: Ein utilitaristischer Argumentationsweg – Die utilitaristische Entscheidung
5. Pflichtethik
5.1. Kants Ethik
5.2. Deontologie nach Kant
5.3. Die kantischen Imperative – Die Negative moralischen Handelns
5.4. Fallanwendung: ein kantisch-deontologisches Urteil
6. Grenzen der sozialarbeiterischen Moral
6.1. Die Tragik des Dilemmas
6.2. Über Bedauern und Ohnmacht
6.3. Sollen und Können
6.4. Über den Nutzen ethischer Theorien für moralische dilemmatische Situationen in der Sozialen Arbeit und für Sozialarbeitende
7. Fazit – Ethik, das persönliche Argumentarium
8. Literaturliste
Abstract
Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigt sich mit dem Umgang moralisch dilemmatischer Situationen in der sozialarbeiterischen Praxis. Es wird der Frage nachgegangen, welche Handlungsorientierung der Utilitarismus nach John Stuart Mill und die Deontologie nach Immanuel Kant den Sozialarbeitenden im Umgang mit moralischen Dilemmata geben können. Ziel dabei ist die theoretische Erprobung der Praxistauglichkeit beider Theorien.
Die Fragestellung wird anhand der Auswertung der adäquaten Literatur und deren Anwendung auf einen hypothetischen Praxisfall beantwortet.
Es wird deutlich, dass moralische Dilemmata den Alltag der Praxis der Sozialen Arbeit bilden. Da moralisch dilemmatische Situationen unlösbar sind, dienen Gedankengebäude wie der Utilitarismus und die Deontologie als Handlungsorientierung für Sozialarbeitende und nicht als Lösungsweg. Die Unlösbarkeit moralischer Dilemmata hinterlässt in Sozialarbeitenden ein Gefühl des Bedauerns und der Ohnmacht, da das Handeln notwendig scheitern muss, obwohl Handlungsoptionen bestehen. Zusätzlich zeigen derartige spezifische Situationen die Grenzen der Moral in der Sozialen Arbeit auf. Dies kann Sozialarbeiter*innen vor eine zusätzliche Herausforderung stellen: Innerhalb von moralischen Dilemmata gegen ihre persönliche Moral oder gegen die Professionalität zu verstoßen. Eine fundierte Auseinandersetzung mit Ethik unterstützt Sozialarbeitende im Umgang mit moralischen Dilemmata und dem daraus resultierenden Bedauern, sowie dem Ohnmachtsgefühl. Die philosophische Disziplin ist ein persönliches Argumentarium für Entscheidungen die Sozialarbeitende im Alltag ihrer Praxis treffen.
1. Erwartungen in der Soziale Arbeit
Soziale Hilfe kann als die Geburtsstätte Sozialer Arbeit betrachtet werden. Doch Helfen allein macht noch keine Soziale Arbeit. Erst die Professionalisierung „des sozialen Helfens“ ist eine erste Annäherung an diese (Lambers 2018, S. 17). Hilfe ist demnach eine (Rollen-)Erwartung, die die Klientel Sozialer Arbeit grundsätzlich an die professionellen Vertreter*innen1 stellen. Für gewöhnlich erwarten ebenso Sozialarbeiter*innen von ihren Klient*innen, dass diese bei Bedarf eine konkrete Hilfestellung wollen. Beide Parteien haben aneinander konkrete -teilweise sogar gesetzlich normierte- Erwartungen. Eben jene Erwartungen reduzieren die Komplexität des Handelns der zwei Parteien (Luhmann 2016, S. 30). Somit sind die Interagierenden in der Lage das Verhalten ihres Gegenübers besser abzuschätzen. Dadurch gelingen eine reibungslosere Interaktion und Kommunikation eben sowie ein soziales Miteinander (ebd.). Um zu wissen, wie sich eine Person verhalten wird, dienen unter anderem in sozialen Systemen prozesshaft entstandene Erwartungen, welche ein*e Teilnehmer*in dieses Systems an den*die andere*n stellt. Dies entspricht in der Sozialen Arbeit der Erwartung an das ‚Helfen bei Bedarf‘.
Der Soziologe Niklas Luhmann hält über Erwartungen Folgendes fest:
„Der Erwartende muß [sic!] lernen, nicht nur fremdes Verhalten, sondern auch fremde Erwartungen zu erwarten, vor allem die an ihn selbst gerichteten Erwartungen. Anders als gegenüber der Natur wird die Anpassung unter Menschen nicht nur über gelernte Verhaltenserwartungen, sondern über gelernte Erwartungserwartungen geleistet und auf dieser abstrakteren Ebene psychisch und sozial gesteuert. Dies Erwarten von Erwartungen ist für jedes Verhalten erforderlich, das Menschen als Menschen berücksichtigt – für die Erhaltung von Ordnungen ebenso wie für ihre Zerstörung, für Kooperation ebenso wie für Konflikt. […] Wer Erwartungen des Anderen ablesen, lernen und dann selbst erwarten kann, ist durch Miterwartung fremder Erwartungen in der Lage, eine Umwelt mit mehr Alternativen zu sehen und trotzdem enttäuschungsfreier zu leben.“ (Luhmann 2016, S. 31).
Bezogen auf die Soziale Arbeit bedeutet die Annahme Niklas Luhmanns: Die Sozialarbeitenden erwarten gleichzeitig die Erwartungen ihrer Klientel, dass diese in der Regel Hilfe wollen und nicht keine Hilfe möchten. Wohingegen ihre Klientel die Erwartungen der Sozialarbeitenden erwarten, die darin bestehen, dass die Sozialarbeitenden davon ausgehen, bei Bedarf helfen zu sollen und nicht keine Hilfestellung anzubieten. Beide haben folglich Erwartungen an die Erwartungen ihres Gegenübers, also „gelernte Erwartungserwartungen“ (ebd.). Die „gelernten Erwartungserwartungen“ ordnen unter anderem das Arbeitsverhältnis in der Praxis der Sozialen Arbeit (ebd.). Doch was ist, wenn keine Hilfestellung durch die Sozialarbeiter*innen geleistet werden kann oder darf? Was geschieht, wenn die Erwartungen oder „gelernten Erwartungserwartungen“ (ebd.) an die Soziale Arbeit nicht erfüllt werden können oder dürfen? Wo sind hier die Grenzen abzustecken? Wie bereits im Zitat Luhmanns deutlich wurde, kann die Enttäuschung von Erwartungen (an die Erwartungen) eine gegebene Ordnung ‚zerstören‘ und Konflikte hervorrufen (ebd.).
Wenn Soziale Arbeit die professionalisierte Hilfe in Form eines Berufs ist, muss diese ihre Grenzen haben, um sich von nicht-professionalisierten Hilfeformen, wie zum Beispiel dem Ehrenamt, abzugrenzen. Nach dieser Logik gibt es Grenzen des Helfens für Sozialarbeiter*innen, an denen professionelle Hilfe zu nicht-professioneller Hilfe wird und wo die Übergänge des professionellen Helfens und nicht-professionellen Helfens nicht eindeutig voneinander zu trennen sind.
Dürfen Sozialarbeiter*innen dort helfen, wo die Hilfe nicht mehr professionell geboten und erlaubt ist?
Diese Handlungsunklarheit ist unter anderem in dilemmatischen Situationen gegeben. Dabei sind Dilemmata nicht ausschließlich an Grenzen des professionellen Helfens zu verorten, denn sie geschehen alltäglich in der beruflichen Praxis. Ein Dilemma verschärft sich insbesondere, wenn es sich um Fragen der Moral handelt. In diesem Fall wird von einem moralischen Dilemma gesprochen. Diese Arbeit untersucht ein exemplarisches moralisches Dilemma, welches unter anderem die Grenzen sozialarbeiterischen Helfens offenbart. Um an ein moralisches Dilemma heranzugehen, existiert kein Königsweg. Für Sozialarbeiter*innen, die vor einer derartigen Situation stehen, offenbaren sich zahlreiche und unterschiedlichste Umgangsweisen. All diese führen sie zum Ziel, lediglich der dahin eingeschlagene Weg kann verschieden verlaufen. Um dabei nicht die Orientierung zu verlieren sind konkrete Wegweiser nötig, die das Herantasten an die Problemlage gangbar machen. Dabei wird auf altbewährte moralische Landkarten Rückgriff genommen. Für das Vorhaben eignen sich Moraltheorien, welche das weite Feld der Moral auf eigene Art und Weise ausloten. Hierbei entscheidend sind der Utilitarismus und die Deontologie. Da sie verschiedene Routen einschlagen sind diese Theorien entgegengesetzt. Damit der theoretische Tiefgang beider Moralsysteme gewährleistet werden kann, muss sich vorab auf jeweils ein*e Vertreter*in derselben festgelegt werden. Beim Utilitarismus wird auf die Ausführungen John Stuart Mills zurückgegriffen. Die Deontologie vertritt Immanuel Kant. Daraus ergibt sich für die vorliegende Bachelorarbeit die Fragestellung: Welche Handlungsorientierung bieten der Utilitarismus nach John Stuart Mill und die Deontologie nach Immanuel Kant den Sozialarbeitenden in moralisch dilemmatischen Situationen?
Um den Theorien gerecht zu werden wird ein praxisnahes moralisch dilemmatisches Fallbeispiel gedanklich konstruiert. Dieses soll, durch die Anwendung der zwei konkurrierenden Theorien der Ethik, diskutiert werden. Zuvor werden die notwendigen Begrifflichkeiten dieser Arbeit definiert. Dazu gehören Dilemma, moralisches Dilemma, Ethik und Moral. Im Anschluss daran soll erarbeitet werden, wie sich (moralische) Dilemmata in der Sozialen Arbeit für den*die einzelne*n Sozialarbeiter*in konstruieren.
Der Fokus dieser Bachelorarbeit ruht auf dem*der einzelnen* Sozialarbeitenden, weil diese Person es letztendlich ist, die ihre Entscheidung fällen, ausführen, begründen und mit ihrem Gewissen vereinbaren muss. Dabei wird selbstverständlich die Profession nicht außer Acht gelassen, da diese den Spielrahmen entscheidend vorgibt, innerhalb dessen sich die Sozialarbeitenden bewegen dürfen und können. Da die Unlösbarkeit der Wesenskern der (moralischen) Dilemmata ist, kann nicht dort stehen geblieben werden, wo eine ethische Theorie die Handlungsrichtung für den*die Sozialarbeitende*n aufzeigt. Diese Arbeit muss daher weiter in die Tiefe gehen und den Kern dessen erschließen, den die vielseitigen Facetten des Dilemmas nach sich ziehen. Denn eine Entscheidung, die aus einem moralischen Dilemma herrührt hinterlässt eine Person, die bedauern empfindet. Sie bedauert nicht zu einer tatsächlichen Lösung des moralischen Dilemmas gekommen zu sein. Sie ist im Zweifel mit ihrer Handlung, selbst wenn eben diese von einer ethischen Theorie angeleitet wurde. Darüber handelt unter anderem das sechste Kapitel. In diesem wird außerdem die Frage behandelt, ob aus einem (moralischen) Dilemma überhaupt eine Handlungsaufforderung resultieren kann, weil derartige Situationen das Unmögliche abverlangen. Das Unmögliche besteht darin, dass zwei Handlungen geboten sind, wobei jedoch nur eine der beiden ausgeführt werden kann. Den Anfang dieser Arbeit beinhaltet die Definition des Dilemma-Begriffs, weil die klare Eingrenzung der Begrifflichkeit wesentlich für die Verständlichkeit der grob skizzierten Überlegungen ist.
2. Dilemma – Der Zweikampf der Überzeugungen
Der Begriff des Dilemmas erhielt längst Einzug in den Alltagswortschatz.
„>Dilemma< bedeutet wörtlich >Zwiegriff< oder >Doppelannahme< (griech. di-lemma ). Das Wort wurde im 19. Jh. Aus dem Lateinischen dilemma ins Deutsche übernommen und wird in der Alltagssprache bis heute für schwierige Entscheidungssituationen - sog. >Zwickmühlen< - verwandt, in denen eine von zwei unerwünschten oder unerlaubten Alternativen gewählt werden muss.“2 (Brune 2011, S. 331).
Die Professorin für Philosophie in Potsdam Marie-Luise Raters unterscheidet vier verschiedene Arten von Dilemmata: das logische, echte, symmetrische und strategische Dilemma (Raters 2011, S. 100; für eine alternative Unterscheidung s. Kannetzky 2010, s. S. 421-426). Für diese Arbeit relevant ist jedoch lediglich eine Kategorie der Dilemmata: das moralische Dilemma (für eine Differenzierung der unterschiedlichen Dilemmata s. Raters 2011, S. 100). Raters vertritt die Meinung, dass ein moralisches Dilemma grundsätzlich ein „echtes Dilemma“ sei (ebd.) In Anlehnung an den Philosophen Thomas Nagel definiert Raters das echte Dilemma als „(1) eine praktische Situation, in der ein Akteur (2) zwischen zwei Handlungsoptionen wählen muss, die (3) sich gegenseitig ausschließen, für bzw. gegen die aber (4) jeweils vergleichbar starke Gründe sprechen, ohne dass es (5) die Ausweichmöglichkeit einer dritten Handlungsoption gäbe. Sollte er zwischen drei sich ausschließenden Handlungsoptionen zu wählen haben, spricht man von einem >echten Trilemma< usw.“ (Raters 2011, S. 100; vgl. ebenso Nagel 2008, S. 181-182). Nagel schließt sogar das Nicht-Handeln als eine der beiden Handlungsoption eines echten Dilemmas ein (2008, S. 181-182).
Die Definition eines moralischen Dilemmas bei dem Philosophen Christopher Gowan der Universität New York stellt den*die Akteur*in in den Vordergrund. Er definiert ein moralisches Dilemma als „eine Situation, in der ein Handelnder S moralisch verpflichtet ist, A zu tun [morally ought to do A], und moralisch verpflichtet ist, B zu tun, aber nicht beides tun kann, weil entweder B gerade die Unterlassung von A ist oder einige Merkmale der Welt verhindern, beides zu tun“ (Gowans zitiert nach Brune 2011, S. 332). Bei Gowans findet sich die handelnde Person in einem Spannungsfeld zweier kollidierender moralischer Handlungsoptionen wieder.
Ein moralisches Dilemma „liegt vor, wenn für mindestens eine der beiden Handlungsoptionen ein moralischer Handlungsgrund (wie z.B. eine moralische Norm oder ein moralisches Verbot) spricht.“ (Raters 2011, S. 100).
Bei Raters müssen nicht notwendig zwei moralische Pflichten im Widerstreit stehen. Sie fügt eine zusätzliche Klassifizierung des Sachverhalts hinzu und differenziert zwischen „reinen“ und „vermischten“ moralischen Dilemmata, sowie „realen“ und „hypothetischen moralischen Dilemmata (ebd.). Das „hypothetische Dilemma“ ist von dem realen“ Dilemma dadurch abgegrenzt, dass es eine rein fiktive Situation beschreibt (ebd.).
Wesentlicher für das Interesse dieser Arbeit ist die Einteilung in „reine“ und „vermischte“ moralische Dilemmata.
„Ein >reines moralisches Dilemma< liegt vor, wenn für beide Handlungsoptionen ein moralischer Handlungsgrund spricht, während für die beiden Handlungsoptionen im Falle eines >vermischten moralischen Dilemmas< jeweils ein moralischer und ein nicht-moralischer Handlungsgrund sprechen.“ (ebd.; für eine Vertiefung der Begriffsdebatte s. Raters 2013, S. 73-88).
Diese Unterscheidung begründet die Autorin damit, dass moralische Gründe oft mehr gewichtet werden als nicht-moralische (Raters 2011, S.100). Moralische Gründe werden nach ihr ohne Achtung des Inhalts den nicht-moralischen Begründungen vorgezogen. Wie ein Grund das Gütesiegel der Moral erhält, wird in Kapitel 2.3 angegangen und im Laufe der gesamten Arbeit erörtert.
Zusammenfassend gilt: Moralische Dilemmata entspringen aus dem Zweikampf mindestens einer moralischen Handlungsoption mit einer nicht-moralischen oder einer zweiten moralischen Handlungsoption. Innerhalb derer kann sich eine handelnde Person lediglich für eine der beiden Optionen entscheiden, wobei die Wahl der einen Möglichkeit gleichzeitig immer die Unterlassung der anderen ist.
2.1. Der Zwiespalt im Dilemma
Nachdem der Begriff des (moralischen) Dilemmas erläutert wurde, ist es notwendig die Grundkonstellation eines moralischen Dilemmas zu betrachten.
Wird eine Handlung moralisch verwerflich genannt, bedeutet dies, dass eine Person etwas unterlassen solle. Es ist durchaus möglich, dass eine Person zugleich moralisch korrekt und inkorrekt handelt. Wenn Handlung A und Handlung B gleichwertig moralisch geboten sind, ergibt sich eben jenes widersprüchliche Ergebnis. Entscheidet sich der*die Handelnde für Option A handelt er*sie richtig und gleichzeitig nicht richtig. Denn Option A zu tun, bedeutet Option B nicht zu tun. Das heißt sich nach Option A zu richten, ist das Unterlassen der Option B. Da jedoch beide Optionen als moralisch gleichwertig gesetzt worden sind, ist das Handeln nach Variante A nicht richtig und umgekehrt.
Das Handeln ist allerdings nicht als falsch zu bezeichnen, da beide Handlungen eine moralische Option bilden und folglich die Entscheidung für eine der Möglichkeiten das Unterlassen der zweiten bedeutet. Da eine Person niemals in der Lage ist innerhalb einer moralisch dilemmatischen Situation beide Handlungen auszuführen, ist jede Entscheidung immer zugleich richtig und nicht richtig. Dabei kann aber niemals von einer daraus resultierenden falschen Handlungsoption gesprochen werden. Folglich existiert keine richtige Entscheidung in moralischen Dilemmata.
Gleichzeitig besteht eine dritte Wahlmöglichkeit: Das Unterlassen von A und B. Die Unterlassung beider Handlungen A und B gestaltet sich als ein kompliziertes, theoretisches Konstrukt. Nicht handeln innerhalb einer moralisch dilemmatischen Situation ist in der Praxis der Sozialen Arbeit undenkbar und deshalb wird diese Option in dieser Arbeit nicht behandelt.
Festzuhalten ist folglich, dass es ein Zwiespalt im Dilemma gibt. Dieser Zwiespalt im Dilemma zeigt sich dadurch, dass keine Lösung für die Handelnden zufriedenstellend ist. Auf die Konsequenzen einer Dilemma-Entscheidung soll in dieser Arbeit noch eingegangen werden.
Es wurde erwähnt, dass moralische Gründe den Vorrang vor nicht-moralischen genießen. Daraus entsteht die Notwendigkeit festzulegen, ab wann ein Argument ein moralisches Argument genannt werden kann. Belege hierfür finden sich in der Moralphilosophie mit den Begriffen der Ethik, des Ethos und der Moral. Auf diese wird nun im Folgendem eingegangen, wobei den Anfang die Ethik bildet.
2.2. Ethik – Das Denken über Moral
Ethik bezeichnet die „Lehre oder Wissenschaft vom Sittlichen, jener Teil der Philosophie, der das moralische Bewusstsein und Verhalten der Menschen zum Gegenstand hat.“ (Klein 1972a, S. 327).
Der Begriff Ethik ist dem griechischen Begriff ethos entlehnt (ebd., S. 328). Dieser weist mehrere Bedeutungen auf. Zum einen bezeichnet er
„den gewohnten Aufenthaltsort, den Wohnsitz, die Wohnung, auch Heimat; zweitens, ebenfalls meist im Plural, die Gewohnheit, das Herkommen, die gewohnte Art der Menschen, sich zu verhalten, die Lebensgewohnheiten, Sitten, Bräuche usw.; drittens das sittliche Bewußtsein [sic!], die sittliche Gesinnung und Haltung, den sittlichen Charakter, das Sittliche, die Sittlichkeit.“ (ebd.).
Trotz der Mannigfaltigkeit des Wortes spiegelt sich eine Facette des griechischen ethos: Es ist die Gewohnheit. Übersetzt heißt ethos das Gewöhnliche. Das Gewöhnliche erweckt zuerst den Anschein des Immer-Schon-Dagewesenen, als eine statische Größe und steht für Beständigkeit. Die wissenschaftliche Reflexion darüber, die Ethik, zeigt das Gegenteilige auf. Ihr geht es um die Anschauung des kleinsten Bestandteiles sozialer Ordnung, die einzelne Handlung einer Person.
Die Gretchenfragen der Ethik lauten demnach: „Wie sollen wir leben? An welchen (letzten) Zielen und Werten sollen wir unser Leben orientieren?“ (Merker 2010, S.622.).
Als philosophische Disziplin ermöglicht die Ethik Theorien des Umgangs in dilemmatischen Situationen. Denn sie ist eine Theorie, die unser Handeln reflektiert. Sie gibt uns somit Argumentationswege vor, durch die unser Handeln Geleit findet.
Neben der Ethik befassen sich die verschiedensten Wissenschaften mit dem Handeln des Menschen. Das Moment der Unterscheidung zu anderen Gebieten ist der Fokus der Ethik, welcher auf der Moral ruht (Lutz-Bachmann 2013, S. 14).
„Die philosophische Ethik fragt also danach, ob ein bestimmtes Handeln oder menschliches Wollen, ob eine Handlungsabsicht oder ein Handlungsziel, eine Handlungsregel oder auch eine Handlungsweise, ob Institutionen des Handelns und der Vermittlung von handlungsrelevanten Einstellungen, Vorbildern, Tugenden etc. als moralisch richtig oder moralisch falsch, als gut oder schlecht, als gerecht(fertigt) oder ungerecht(fertigt), als moralisch legitim oder illegitim bezeichnet werden können oder ob sie gegebenenfalls gar nicht moralisch relevant sind und in diesem Sinn als nicht moralische Handlungen […] keinen zentralen Platz in den Debatten der Ethik haben.“ (ebd., S. 14-15).
Ethik kann als das Denken über Moral beschrieben werden. Daher bezeichnet Luhmann die „Ethik als Reflexionstheorie der Moral“ (2016, S. 270).
Das Kennzeichen eines moralischen Dilemmas ist, dass mindestens eine Handlung moralisch geboten ist (Raters 2011, S. 100). Das wirft die Fragen auf: Wann erlangt ein Tun das Sigel des Moralischen? Und was konkret bedeutet Moral?
2.3. Moral als Aushandlungsprozess
Der Begriff der Moral leitet sich von dem lateinischen Wort „mos“ ab, welches einige inhaltliche Überkreuzungen mit dem Begriff ethos aufweist. „Mos“ bedeutet Sitte und Charakter (Pieper 2007, S. 26). Der lateinische Begriff bildet den Ursprung für das deutsche Wort der Moral (ebd.). Moral beschreibt die „Form des gesellschaftlichen Bewußtseins [sic!], Gesamtheit der sittlichen Anschauungen und Normen, von denen sich die Menschen in ihrem praktisch-sittlichen Verhalten leiten lassen.“ (Klein 1972b, S. 745). Die Moral umfasst Handlungsregeln/-orientierungen, die zwischenmenschliche Interaktionen ordnen. Moral als „Form des gesellschaftlichen Bewußtseins [sic!]“ ist gesellschaftlich und kulturell variabel. Durch diese Variabilität unterliegt sie einer Dynamik, die die Begrifflichkeit so ungreifbar erscheinen lässt (Luhmann 1988, S. 325). Nach Luhmann verliert sie seit dem 18. Jahrhundert, vorwiegend durch Säkularisierung und funktionale Differenzierung, die Funktion des gesellschaftlichen Kitts (1988, S.318). Aber „[n]atürlich verzichtet keine Gesellschaft auf Moral“ (ebd., S. 325). Denn als Ordnerin menschlicher Handlungen ist sie stets nützlich, um „Komplexität zu reduzieren.“ (ebd., S. 317).
Ein Begriff, der nicht nur im Ursprung, sondern auch namentlich mit dem der Ethik eine Verwandtschaft aufweist, ist Ethos. Dieser „bezeichnet eine Gesamtheit moralischer Normen, Ideale usw., soweit diese als subjektive Motive, als innere Maßstäbe der Haltung und des Handelns von Individuen, von Angehörigen sozialer Gruppen, Klassen oder Gesellschaftsordnungen wirksam werden und in tatsächlichen, dauerhaften, sich wiederholenden Handlungsweisen von progressiver gesellschaftlicher Bedeutung zum Ausdruck kommen.“ (Eichhorn 1972a, S. 346).
Ethos ist zwar dem Namen nach eher mit der Begrifflichkeit der Ethik verwandt, aber nicht inhaltlich. Die Definition erinnert vielmehr an jene der Moral. Von dieser ist der Ethos Begriff jedoch abzugrenzen. Ethos bezeichnet die Moral einer konkreten sozialen Gruppe oder einer Person. Zum Beispiel ist das Ethos der Sozialarbeiter*innen eine Moral einer bestimmten sozialen Gruppe. Dieses Ethos der Sozialarbeiter*innen mag moralisch sein, muss aber nicht mit den gesamtgesellschaftlichen Moralanschauungen komplett übereinstimmen. Das Ethos einer sozialen Gruppe oder eines Individuums kann stets in manchen Punkten von einer Moral der Gesellschaft abweichen. Da es sich bei Sozialer Arbeit um einen Beruf3 handelt, ist demnach die Rede von einem Berufsethos in Bezug auf Sozialarbeiter*innen trefflicher. So definieren Dallmann und Volz das Ethos folgendermaßen: „Dieser Begriff wird gegenwärtig vor allem im Zusammenhang mit einem Berufs- oder Standesethos gebraucht. Ethos bezeichnet das, was üblicherweise in Geltung ist, Konventionen und Selbstverständlichkeiten, angefangen von Formen des Grüßens über die Tischmanieren bis hin zu gesellschaftlichen Hierarchien.“ (2013, S. 10-11). Das Berufsethos der Sozialen Arbeit umfasst also den ‚state of the art‘ derselben.
Nun kann die Frage beantwortet werden, ab wann ein Dilemma ein moralisches genannt werden kann. Es ist dann moralisch zu nennen, sobald es um konkrete Werte oder Normen et cetera geht, über die es zu entscheiden gilt. Das kann in der Sozialen Arbeit zum Beispiel die simple Frage des Helfens oder Nicht-Helfens sein. Zum Beispiel spielen bei dem Sachverhalt der Inobhutnahme von Kindern dilemmatische Situationen ebenso eine gewichtige Rolle. Dilemmata begleiten den sozialarbeiterischen Alltag permanent. Das Erkennen von dilemmatischen Konflikten ist eine Frage der Selbstreflexion. Denn durch Abstumpfung der Sozialarbeitenden drohen moralische Dilemmata zu oberflächlichen Entscheidungen gemäß dem Prinzip ‚Dienst nach Vorschrift‘ zu verfallen.
Dadurch, dass Moral sich unter anderem aus Normen und somit ebenso aus Werten zusammensetzt, gibt es zu keinem konkreten Zeitpunkt in einer Gesellschaft die explizite Moral, der alle zustimmen. Jede*r verfügt über jeweils eigene Ansichten, Überzeugungen, Werte, Normen et cetera. Somit gibt es immer mehrere Moralen, die in einem gesellschaftlichen Gefüge bestimmte Schnittstellen aufzeigen, aber auch voneinander abweichen können. Das Moralische ist dadurch verhandelbar. Moral ist ein Aushandlungsprozess. Das Paradebeispiel dafür ist das moralische Dilemma, weil es der handelnde Person Grenzen aufzeigt. Im moralischen Dilemma existiert nicht mehr die Moral, nach der sich orientiert werden soll. Es kommt zum Zusammenstoß der moralischen Überzeugungen, welche miteinander in Verhandlung treten. Aber wie geschehen derartige Kollisionen in der Sozialen Arbeit?
2.4. Zur Konstruktion moralisch dilemmatischer Situationen in der Sozialen Arbeit
Die Soziale Arbeit befindet sich grundsätzlich im Dilemma zwischen „Hilfe und Kontrolle“ (Böhnisch/Lösch zitiert nach Staub-Bernasconi 2018, S. 113). Dieser Zwiespalt sozialarbeiterischer Tätigkeit ist unter dem Begriff des doppelten Mandats oder „Doppelmandat“ bereits ein geflügeltes Wort der Sozialen Arbeit (ebd.).
Das Doppelmandat
„charakterisiert Soziale Arbeit als weisungsgebundenen Beruf auf rechtlicher Basis, der im Auftrag der Verfassung und den Gesetzgebungen eines Rechtsstaates <<Hilfe und Kontrolle>>, je nach machtpolitischer Konstellation auch <<Hilfe als Kontrolle>>ausübt. Das heißt, es beinhaltet im besten Fall eine Vermittlungstätigkeit zwischen dem Auftrag der staatlich mandatierten Träger des Sozialwesens als Repräsentanten der Gesellschaft und den Ansprüchen der AdressatInnen Sozialer Arbeit.“ (ebd.).
Die Gratwanderung zwischen helfender und kotrollierender Tätigkeit birgt bereits den Ursprung dilemmatischer Situationen. Auf der einen Seite sollen die Interessen der Auftraggebenden gewährleistet werden und gleichzeitig auf der anderen Seite die Belange der Adressat*innen. Dabei droht Hilfe zu Kontrolle zu korrumpieren, sobald die Interessen von Seiten der Auftraggebenden den Nutzen der angebotenen Hilfeleistung für die Adressat*innen überwiegen. Zum Beispiel gehören nach foucaultscher Analyse unter anderem Sozialarbeitende und Pädagog*innen bereits zu jenem Personenkreis, die als „Richter-Sozialarbeiter“ über „das Reich des Normativen“ herrschen (Foucault 1977, Klapptext).
„In dem Maße, in dem die Medizin, die Psychologie, die Erziehung, die Fürsorge, die Sozialarbeit immer mehr Kontroll- und Sanktionsgewalten übernehmen, kann sich der Justizapparat seinerseits zunehmend medizinisieren, psychologisieren, pädagogisieren.“ (ebd.).
Denn eben dieser aufgeführte Personenkreis hilft dabei die geltenden Gesetze, Werte und Normen der Makroebene umzusetzen. Dadurch erhalten sie auf der Mikroebene den Anschein von Richtigkeit und Gerechtigkeit, ungeachtet dessen, ob geltendes Recht tatsächlich gerecht ist.
In dem Modell des Doppelmandats ist Soziale Arbeit eine Tätigkeit, bei der der*die Sozialarbeiter*innen den zwei Kontrapunkten Hilfe und Kontrolle die Waage hält. Die Herausforderung dabei ist es, dass keines der Interessen der Mandatierten überwiegt und folglich das Gleichgewicht kippt. Soziale Arbeit ist hierbei ein vermittelndes Medium, das versucht die beidseitigen Anliegen zu harmonisieren.
Um das Dilemma des doppelten Mandats aufzulösen erweiterte Silvia Staub-Bernasconi das Doppeltmandat um ein zusätzliches „dritte[s] Mandat“: die Profession der Sozialen Arbeit (Staub-Bernasconi 2018, S. 113-114).
Nach ihr setzt sich das dritte Mandat, welches im Nachhinein unter dem Begriff „Tripelmandat“ (Staub-Bernasconi 2007 S. 13) diskutiert werden sollte, aus zwei Komponenten zusammen. Zum ersten aus der „Wissenschaftsbasierung der professionellen Praxis“ und zum zweiten aus der „Ethikbasierung aufgrund der nationalen und internationalen Ethikkodices der Profession“ (Staub-Bernasconi 2018, S. 114). Die Handlungsmaxime des dritten Mandats an die Profession lautet: „<<nach bestem Wissen und Gewissen >> zu handeln.“ (ebd.).
Folglich muss der*die Sozialarbeiter*in nicht mehr die Interessen zweier Pole austarieren, sondern befindet sich durch das dritte Mandat in einem Spannungsfeld dreier Parteien. Eben jenes Beziehungsgeflecht gestaltet sich nun zu einem „Interaktions-Dreieck der Mandatspartner“ (ebd., S. 121). Das Ziel des Tripelmandats besteht in „relativer fachlicher und ethischer Autonomie“ der Sozialen Arbeit gegenüber den Auftraggebenden der zwei weiteren Mandate (ebd., S. 113).
Im „Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz“ des schweizerischen Berufsverbands „AvenirSocial“ ist unter dem Punkt zehn der „Ziele und Verpflichtung der Sozialen Arbeit“ das dreifache Mandat behandelt (2010, S. 7). In dieser Textpassage wird das Ziel des Tripelmandats darin begründet, dass es „Professionelle der Sozialen Arbeit durch mögliche Konflikte zwischen dem ersten und dem zweiten Mandat.“ führt (ebd.). Im Berufskodex der Schweiz und bei Silvia Staub-Bernasconi umfasst das dritte Mandat die Profession selbst. Der Unterschied zwischen beiden skizzierten Beschreibungen liegt allerdings im Ziel des Tripelmandats. Silvia Staub-Bernasconis Darstellung zielt auf die Autonomie der Profession ab und eben nicht des*der einzelnen Professionelle*n (2018, S. 113; vgl. ebenso Staub-Bernasconi 2007, S. 7). Im Gegensatz dazu betont der Schweizer Berufskodex den Nutzen des dritten Mandats in der Emanzipation der*des Sozialarbeiters*Sozialarbeiterin (AvernirSocial 2010, S. 7). Hieraus ergeben sich Vorteile für die Profession zu Ungunsten des*der einzelnen Sozialarbeiter*in. Hierbei wird deutlich, dass sich das Tripelmandat bei genauerer Betrachtung als ein zweischneidiges Schwert entpuppt.
2.5. Das Trilemma der Sozialarbeitenden
Das Herauslösen der Sozialen Arbeit aus der Dichotomie des Doppelmandats war ein Akt der notwendigen Selbstermächtigung. Nutzen davon zieht vor allem die Soziale Arbeit selbst, denn die Profession steht dadurch in teilweiser Eigenverwaltung. Somit scheint das Dilemma von „Hilfe und Kontrolle“ durch die Trias Klient*innen-Profession-Auftraggeber*innen in Einklang gebracht worden zu sein. Allerdings wird in diesem Dreiklang die kleinste Einheit der Sozialen Arbeit außer Acht gelassen: der Sozialarbeitende selbst.
Die Sozialarbeiter*innen stehen nun im Spannungsfeld der drei Mandate, wobei jedes Mandat sein Auftrag an die Sozialarbeitenden richtet. Die Profession verlangt nach Professionalität. Die Adressat*innen möchten Unterstützung, indem zum Beispiel ihre*seine Rechte umgesetzt werden. Und die Auftraggeber*innen4 die Umsetzung ihrer*seiner Ziele.
Das „Interaktions-Dreieck“ (Staub-Bernasconi 2018, S. 121) der Makroebene entpuppt sich auf der Mikroebene für den*die Umzusetzende*n als ein Trilemma. Das Tripelmandat scheint auf der Makroebene zu interagieren, aber konfligiert letztendlich auf der Mikroebene. Selbstverständlich besteht keine reibungslose Einheit zwischen den drei Mandaten auf der Makroebene. Die daraus entspringenden Interessenskonflikte zeigen ihre Spannung vor allem in dem Reaktionsdruck, den sie auf die Sozialarbeiter*innen ausüben.
Das dritte Mandat der Sozialen Arbeit zeigt sich dem*der Sozialarbeiter*in janusköpfig. Zum einen ist der*die Sozialarbeiter*in durch das Professionsmandat erstarkt, da er sich bei Herausforderungen auf die Profession berufen kann. Zum anderen verschiebt sich die Abhängigkeit der Sozialarbeitenden in Richtung der Sozialen Arbeit. Denn durch das Herausarbeiten des Tripelmandats entstand eine zusätzliche Instanz, die zwar Fürsprecher der Sozialarbeiter*innen ist, aber gleichzeitig Ansprüche an ihre Nutzer*innen, die praktischen Vertreter*innen der Sozialen Arbeit, stellt.
Eben dies Skizzierte ist die Doppelgesichtigkeit des Tripelmandats, die sich in schwebend wirksamer Heteronomie bei zeitgleicher Autonomie zeigt. Das dritte Mandat ist Recht und Pflicht zugleich. Doch lediglich für ein Kollektiv an Sozialarbeiter*innen. Doch was ist mit der einzelnen Person, dem Sozialarbeitenden? Ist das Tripelmandat Ent-Lastung oder Be-Lastung?
Um dieser Frage nachzugehen, wird im Folgenden ein praxisnaher Fall aus dem Alltag der Straßensozialarbeit konstruiert, um den Umgang mit moralischen Dilemmata an einem Beispiel zu veranschaulichen. Dieses Fallbeispiel soll keine Grenzen der Moralphilosophie testen, sondern exemplarisch für dilemmatische Situationen stehen, die alltäglich Sozialarbeiter*innen passieren können. Denn Dilemmata geschehen in der Praxis jeden Tag, selbst, wenn diese spezifischen Konstellationen vorerst unbemerkt verbleiben. Erst die Handlungsfolgen lassen den*die Handelnde*n innehalten und nach dem Sollen des Tuns fragen.
3. Der Fall – Ein hypothetisches Erlebnis aus der Praxis der Straßensozialarbeit
Eine Straßensozialarbeiterin beziehungsweise Streetworkerin5 verlässt zu ihrem Dienstschluss die Einrichtung X, in der sie arbeitet. Dabei handelt es sich um eine niedrigschwellige Einrichtung, die mit Jugendwohnungslosen arbeitet. Diese Klientel wohnt aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr zu Hause und findet deshalb bei Freunden, Bekannten, Pensionen oder Notschlafstellen vorübergehend Unterkunft (=wohnungslos). Besucher*innen, die nicht wohnungslos sind, schlafen unter anderem entweder auf der Straße, auf Wiesen, unter Brücken oder am örtlichen Bahnhof (=obdachlos). Die Einrichtung X bietet den Jugendlichen unter anderem Streetwork, Einzelfallberatung, Hilfe bei Arbeits- und Wohnungssuche, sanitäre Anlagen, Büroinfrastruktur und Essen an. Die Räumlichkeiten sind außer an Wochenenden und Feiertagen tagsüber bis 20 Uhr geöffnet.6
[...]
1 In dieser Bachelorarbeit wird auf gendergerechte Sprache geachtet. Da es noch keine festgelegten Regeln dafür gibt, geschieht das Gendern folgendermaßen: In dieser Arbeit wird zwischen die feminine Endung des konkreten Nomens und das generische Maskulinum dessen der Genderstern eingefügt, damit sich alle Personen -auch jene außerhalb des binären Geschlechtersystems- wiederfinden. Die jeweiligen Artikel werden nach dem gleichen Schema angepasst. Das sieht bei dem generischen Maskulinum des Wortes „der Sozialarbeiter“ folgendermaßen aus: der*die Sozialarbeiter*in. Bei Wörtern, die sich nicht lediglich durch ein Anhängen des Gendersterns und der femininen Wortform bilden lassen -weil sie ansonsten grammatikalisch inkorrekt wären- entfällt die maskuline Form zugunsten der beiden anderen. Diese Ausnahmeregelung gilt daher auch für die männliche Form. Dies ist zum Beispiel bei dem Ausdruck „Klient*innen“ der Fall. Hier sind auch KlientEN sprachlich eingeschlossen.
2 Sofern es nicht anders angegeben wird, sind die Zeichensetzungen in Zitaten, die in dieser Arbeit angeführt werden, durch die zitierten Autor*innen der Zitate selbst erhoben worden. Lediglich die Einfügungen innerhalb von Zitaten in eckigen Klammern passieren durch den Autor dieser Bachelorarbeit.
3 In dieser Arbeit werden in Bezug auf die Soziale Arbeit die Begriffe Beruf und Profession synonym verwendet.
4 Hierbei ist ebenso der Staat gemeint.
5 Kurt Gref beschreibt Streetwork als „eine Kontaktform im Sinne aufsuchender Arbeit.“ (1995, S. 13). Straßensozialarbeiter*innen „arbeiten nicht (nur) in den Räumen einer Institution, sondern begeben sich (auch) in das unmittelbare Lebensumfeld ihrer Zielgruppe, indem sie deren informelle Treffpunkte aufsuchen: Straßenecken, Scenetreffs, Parks, öffentliche Plätze, Ladenpassagen, Fußgängerzonen, Spiel- und Bolzplätze, Schulhöfe, Kneipen, Discos, Spielcenter sowie teilweise auch Privaträume und Wohnungen.” (ebd.).
6 In dem Fallbeispiel handelt es sich um ein gedanklich konstruiertes Beispiel. Das Ziel dabei ist es ein Dilemma zu veranschaulichen, um im Nachtrag die ethischen Theorien dazu anschaulicher zu diskutieren. Deswegen verharren die Beschreibungen der Hilfsangebote sowie der Einrichtungen an der Oberfläche. Es soll lediglich ein Eindruck zum besseren Verständnis vermittelt werden.
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