Feuer und Blut in E.T.A Hoffmanns "Der Sandmann"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2021

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Feuermotiv
2.1 Die handlungstreibende Wirkung
2.2 Die Sprachliche Umsetzung
2.2.1 Teuflisches Feuer
2.2.2 Das Feuermotiv im Konflikt
2.2.3 Das Empfinden von Lebendigkeit
2.2.4 Hitze als ‚Gradmesser‘ für Nathanaels Gemütszustand

3. Das Blutmotiv

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis
5.1 Primärliteratur
5.2 Sekundärliteratur

1. Einleitung

1816 veröffentlichte E.T.A. Hoffmann Der Sandmann als Teil der acht Werke umfassenden Nachtstücke. Nachtstück ist ein Begriff der bildenden Kunst, der ein durch hell-dunkel Kontraste geprägtes Gemälde eine nächtlichen Szenerie beschreibt. Im Sandmann, ebenso wie in den weiteren Nachtstücken sind „Kindheit als Trauma, Liebe als katastrophische Passion und gestörte Wahrnehmung als Ursache des Wahnsinns“ wiederkehrende Themen.1

Da es sich um die heute meistgelesene und gedeutete Erzählung der Romantik handelt2, existiert bereits ein ausgeprägter Forschungsbestand. Ein wichtiger Forschungsschwerpunkt ist das „komplexe Netzwerk von Motiven“3, allen voran das Augen-Motiv. Weitere wesentliche Motive des Nachtstückes sind das Automatenmotiv und das Feuermotiv. Letzteres entfaltet seine Wirkung sowohl handlungstreibend als auch im übertragenen Sinn4. Beispielsweise wird Nathanael auf der Handlungsebene durch einen Brand zum Umzug gezwungen5, während das Feuermotiv auf sprachlicher Ebene an folgendem Zitat deutlich wird: „Da zuckte es krampfhaft in seinen Pulsen und Adern - totenbleich starrte er Klara an, aber bald glühten und sprühten Feuerströme durch die rollenden Augen […].“6 Gleichzeitig lässt das Beispiel erkennen, dass Hoffmann auch das Blutmotiv nutzt, um die sprachliche Wirkung des Feuers zu ergänzen. Die bisherige Forschung greift das Feuermotiv auf7, jedoch ist die explizite sprachliche Auseinandersetzung in dieser Arbeit mit der Dichte an Textbeispielen neuartig. Auch der metaphorische Einsatz des Blutmotivs wurde in der bestehenden Forschung bisher nur am Rande aufgegriffen. Beide Motive werden in der folgenden Arbeit auf ihre Funktionen untersucht, in verschiedenen Textstellen beleuchtet und ihre Verbindungen zu anderen Motiven aufgezeigt. Dabei wird aufgezeigt, dass beide Begriffe Nathanaels subjektives Wahrnehmung von Lebendigkeit beschreiben und die Steigerung dieser Wahrnehmung mit seinem Wahnsinn einhergeht. Diesen romantischen und fantasievollen Aspekten stehen die aufklärerischen und rationalen Aspekte gegenüber, die von Nathanael als kalt und gefühllos wahrgenommen werden.

2. Das Feuermotiv

2.1 Die handlungstreibende Wirkung

Das Feuermotiv wirkt auf zwei Arten handlungstreibend. Zum einen sorgt es als Naturelement und Gegenstand der Naturwissenschaft und Alchemie für Veränderung und Zerstörung. Zum anderen steht es im Zusammenhang mit Nathanaels Gewaltausbrüchen und wirkt wie eine „dämonische Macht“.8 Zunächst wird auf die erstgenannte Wirkung eingegangen.

In seinen Briefen, mit denen Hoffmann seine Erzählung einleitet, berichtet Nathanael von seiner Kindheit. Zunächst wird das Feuer als Naturelement in einem positiven Zusammenhang erwähnt: „Oft erzählte er [der Vater] uns viele wunderbare Geschichten und geriet darüber so in Eifer, dass ihm die Pfeife immer ausging, die ich, ihm brennend Papier hinhaltend, wieder anzünden musste, welches mir denn ein Hauptspaß war.9 Noch im Studentenalter erinnert sich Nathanael an das Detail, wie er die Pfeife seines Vaters anzündete und dabei Freude empfand. Diese Schilderung steht im Kontrast zu dem Bericht von den Besuchen des Coppelius, die sich durch die bedrückte Stimmung des Vaters ankündigten und zu einem traumatischen Erlebnis Nathanaels führen: „Da ergriff mich Coppelius. „Kleine Bestie! - kleine Bestie!,meckerte er zähnefletschend - riss mich auf und warf mich auf den Herd, dass die Flamme mein Haar zu sengen begann […] So flüsterte Coppelius und griff mit den Fäusten glutrote Körner aus der Flamme, die er mir in die Augen streuen wollte.10 Dieses Erlebnis scheint imaginiert zu sein, doch das Feuer, in Verbindung mit Coppelius, dem vermeintlichen Sandmann und der Verlustangst der Augen prägen Nathanael im weiteren Verlauf.

Nathanaels Vater stirbt schließlich bei einem Experiment durch Verbrennungen und im späteren Verlauf brennt Nathanaels Wohnung ab, so dass er kurzfristig umziehen muss und zufällig in die Nähe von Olimpia gerät.11 In beiden Fällen wirkt das Feuer handlungstreibend und bewirkt eine tiefgreifende Veränderung, was sich nach Bachelard (1985) wie folgt beschreiben lässt: „Wenn alles, was sich langsam ändert, sich durch das Leben erklären lässt, so lässt sich alles, was sich schnell ändert, durch das Feuer erklären.“12 Die schnelle Veränderung, die das Feuer hervorruft, wird ihm Bezug auf die abgebrannte Wohnung auch sprachlich gestützt, da das Ereignis sehr direkt und ohne Vorwarnung zu Beginn des Absatzes geschildert wird: „Wie erstaunte Nathanael, als er in seine Wohnung wollte und sah, dass das ganze Haus niedergebrannt war, sodass aus dem Schutthaufen nur die nackten Feuermauern hervorragten.“13

Der Hausbrand wird auf das Laboratorium des Apothekers zurückgeführt, ist also Resultat naturwissenschaftlicher Arbeit, die der Aufklärung zuzuordnen ist. Hier kann eine Verbindung zu dem Apotheker Glaser aus Hoffmanns Das Fräulein von Scuderi hergestellt werden, der durch Experimente versucht, den Stein der Weisen zu finden.14 Mit der Darstellung des Feuers als Werkzeug der Naturwissenschaft kritisiert Hoffmann die moderne Naturwissenschaft. Da sowohl Alchemie als auch die Arbeit des Apothekers destruktiv enden. Zudem sorgt der künstliche Mensch Olimpia für Streit und Misstrauen. Die Menschheit eignet sich Fähigkeiten an, die als für Gott bestimmt erachtet werden und droht dadurch Unheil auf sich zu ziehen. Hier passt der Bezug zu Prometheus, wie er von Tsuchiya hergestellt wurde. Prometheus nahm den Göttern das Feuer, brachte es den Menschen und wurde dafür bestraft, ebenso, wie die Menschen für ihre Experimente bestraft werden.15

Neben diesen direkten Einflüssen auf den Handlungsverlauf, wirkt das Feuer mehrmals indirekt handlungsweisend, da es im Zusammenhang mit Nathanaels Gewaltausbrüchen steht. In einem Gedicht, dass die schreckliche Trennung von seiner Verlobten prophezeit, nutzt Nathanael den flammenden Feuerkreis als Metapher und verursacht einen Streit mit Klaras Bruder Lothar, der beinahe in einer gewaltsamen Auseinandersetzung endet.16

Nathanaels Ausruf: „Hui - hui - hui -! Feuerkreis - Feuerkreis! dreh dich Feuerkreis - lustig - lustig! - Holzpüppchen, hui, schön Holzpüppchen, dreh dich […]“17 steht im Zusammenhang mit einem Anfall, durch den er vier Wochen im Tollhaus landet. Zuletzt stürzt sich Nathanael in den Tod, während er den Ausruf „[…] Feuerkreis […]“ wiederholt. In „Elixiere des Teufels“, das von Hoffmann zeitgleich bearbeitet wurde, wirkt der „Feuerkreis“ auf den Mönch Medardus ebenfalls destruktiv.18

2.2 Die Sprachliche Umsetzung

Neben den direkten handlungstreibenden Funktionen ist das Feuermotiv in Der Sandmann auch auf sprachlicher Ebene von Bedeutung. Feuer gilt allgemein als „Symbol des Lebens, des Todes und des Unheimlichen, der Begeisterung, der Liebe und der Hochzeit, der Wahrheit, Aufklärung und Erneuerung sowie der Zerstörung, des Zorns und des Krieges.“19 Die Zusammenhänge des Feuers mit Zerstörung, Aufklärung, Zorn und Tod wurden bereits im Bezug auf die handlungstreibende Wirkung deutlich. Im Folgenden wird diese Arbeit aufzeigen, dass es in der sprachlichen Ebene auch das Unheimliche, sowie die Begeisterung und Liebe symbolisiert.

Die Schilderung von Dampf dient bei der Ankunft von Coppelius als Vorbote des Feuers: „In meinem Kämmerchen vernahm ich, wie er bei dem Vater hineintrat, und bald darauf war es mir dann, als verbreite sich im Hause ein feiner, seltsam riechender Dampf.“20

Zwar wird nicht explizit erwähnt, worauf der Geruch zurückzuführen ist, jedoch liegt es nahe, dass es sich um Sulphur (Schwefel) handelt. Dieser Stoff symbolisiert seit Paracelsus die Eigenschaft, brennbar zu sein und steht seit Böhme (1575-1624) in Verbindung mit den Eigenschaften der Angst und der Dunkelheit. Von der Arbeit des Letzteren wurden unter anderem Goethe und Leibnitz beeinflusst21. Sowohl die Brennbarkeit, als auch die Angst sind Eigenschaften, die nicht nur mit dem chemischen Element Schwefel, sondern auch mit Coppelius in Verbindung stehen und die an dieser Stelle noch nicht direkt hervorgehoben, aber subtil angedeutet werden. Kurz darauf erblickt Nathanael den Sandmann , dem der helle Schein der Lichter ins Gesicht brennt.22

Schließlich beobachtet Nathanael seinen Vater und Coppelius bei den Experimenten, bei denen das Feuer von Bedeutung ist: „Der Vater öffnete die Flügeltür eines Wandschranks, aber ich sah, dass das, was ich lange dafür gehalten, kein Wandschrank, sondern vielmehr eine schwarze Höhle war, in der ein kleiner Herd stand. Coppelius trat hinzu, und eine blaue Flamme knisterte auf dem Herde empor.“23 Wo Nathanael einen Wandschrank erwartete, ist stattdessen eine schwarze Höhle mit einem Herd. Der Herd ist ein Werkzeug, um die Hitze des Feuers nutzbar zu machen und dessen Produkt sind „glutrote Körner aus der Flamme“24 die Coppelius Nathanael in seiner Einbildung in die Augen streuen will. Der Begriff schwarze Höhle tritt an zwei weiteren Stellen auf und sorgt stets für Angst und Verwirrung bei Nathanael. Zum einen im Zuge des Experimentes, dass der junge Nathanael beobachtet: „Mir war es, als würden Menschengesichter ringsumher sichtbar, aber ohne Augen - scheußliche schwarze Höhlen statt ihrer.“25 Zum anderen als er erfährt, dass Olimpia ein Automat ist: „[…]Erstarrt stand Nathanael - nur zu deutlich hatte er gesehen, Olimpias toderbleichtes Wachsgesicht hatte keine Augen, statt ihrer schwarze Höhlen […].“26 Der Herd und dessen Feuer sorgen bei der erstgenannten schwarzen Höhle beinahe zum Verlust der Augen, in beiden weiteren Fällen ist diese Angst umgesetzt, da sowohl die eingebildeten Menschengesichter, als auch Olimpia augenlos sind. Somit wird das Feuermotiv mit dem Augenmotiv verknüpft.

[...]


1 Vgl. Neumeyer, Harald: Einführung. In: E.T.A. Hoffmann-Handbuch : Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart 2015, S. 46.

2 Vgl. Herrmann, Britta: Der Sandmann. In: Lubkoll, Christiane & Neumeyer, Harald (Hg.): E.T.A. Hoffmann-Handbuch : Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart 2015, S. 51

3 Neymeyr, Barbara: E. T. A. Hoffmann. Der Sandmann. Braunschweig 2014, S. 65.

4 Vgl. Ebd., S. 71.

5 Vgl. Hoffmann, E.T.A.: Der Sandmann. Das öde Haus. Nachtstücke. Husum/ Nordsee 2013, S. 23.

6 Ebd., S. 34.

7 ZB. Tsuchiya, Kyoko: Das Feuer des Prometheus und E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann“ In: Orient im Okzident - Okzident im Orient. 27 (2015), S. 215-224.

8 Vgl. Tsuchiya: Das Feuer des Prometheus und E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann“ (Anm. 7) S. 221.

9 Hoffmann: Der Sandmann. (Anm. 5), S. 6.

10 Ebd., S. 10.

11 Vgl. Neymeyr: E. T. A. Hoffmann. Der Sandmann. (Anm. 3), S. 71f.

12 Vgl. Tsuchiya: Das Feuer des Prometheus und E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann“ (Anm. 7), S. 215.

13 Hoffmann: Der Sandmann (Anm. 5), S. 23.

14 Vgl. Neymeyer, Harald: Arkanwissenschaften In: E.T.A. Hoffmann-Handbuch : Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart 2015, S. 238.

15 Vgl. Tsuchiya: Das Feuer des Prometheus und E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann“ (Anm.7) , S. 222.

16 Vgl. Hoffmann: Der Sandmann (Anm, 5), S. 20.

17 Ebd., S. 31.

18 Vgl. Stiasny, Kurt: E.T.A. Hoffmann und die Alchemie. Frankfurt am Main 1997, S. 56.

19 Hübener, Andrea: Feuer [Art.]. In: Metzler Lexikon literarischer Symbole. Hrsg. von Günter Butzer und Joachim Jacob. 2. erweiterte Auflage. Stuttgart 2012, S. 119-121, hier S. 108.

20 Hoffmann, E.T.A.: Der Sandmann (Anm 5), S. 7

21 Vgl. Stiasny: E.T.A. Hoffmann und die Alchemie. (Anm. 17), S. 14.

22 Vgl. Hoffmann: Der Sandmann (Anm. 5), S. 8.

23 Hoffmann: Der Sandmann (Anm. 5), S. 9.

24 Ebd., S. 10.

25 Ebd., S. 9-10.

26 Ebd., S. 31.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Feuer und Blut in E.T.A Hoffmanns "Der Sandmann"
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig  (Germanistik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
18
Katalognummer
V1242866
ISBN (Buch)
9783346667397
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hoffmann, Sandmann, Motive, Feuer, Blut, Romantik
Arbeit zitieren
Lennart Bödecker (Autor:in), 2021, Feuer und Blut in E.T.A Hoffmanns "Der Sandmann", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1242866

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