Der mächtigste Mann der Welt, Barack Obama, wurde 2008 durch das Internet zum Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Genauer: durch Ressourcen, die ihm eine virtuelle Gemeinschaft von Unterstützerinnen und Unterstützern zur Verfügung stellten. Im Rahmen einer nie da gewesenen Online-Kampagne gelang es Obama bis Juli 2008 Online-Spenden in Höhe von rund 200 Millionen Dollar einzutreiben. Die soziale Vernetzungsplattform mybarackobama.com (MyBO) verzeichnete nach Angaben der Betreiber über eine Million registrierte NutzerInnen und hatte bei der Organisation von 75.000 lokalen Aktionen geholfen. Über Tauschbörsen, Communities und Blogs fanden weitere Wahlkampfmittel ihren Weg auf die heimischen Computer der WählerInnenschaft.1 Viele Mitglieder von MyBo hatten sich verpflichtet, eine bestimmte Summe aufzutreiben. Sie aktivierten ihre Freunde und Verbindungen – ein Thermometer auf ihrer persönlichen Seite zeigte den Fortschritt. Auf diesem Weg konnte der Außenseiter Obama, meint der Spiegel, durch ein soziales Netzwerk von Kleinspendern eine Infrastruktur aufbauen, um so Zuneigung und Interesse in Geld und Arbeit zu transformieren. Eine Wettbewerbskonzept, welches der „altmodischen, elitefixierten Variante“ der Gegner Obama's „eindeutig überlegen“ war.2 Welche Mechanismen wirken, wenn rein virtuelle Ressourcen in der realen Welt solch bedeutende Auswirkungen annehmen? Warum haben so viele Menschen im Internet Geld an den demokratischen Kandidaten gespendet?
Nicht zuletzt unter Hinweis auf die Effekte neuer Medien hat der amerikanische Soziologe Robert Putnam vor einigen Jahren dem Begriff Sozialkapital, der schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch verschiedene Gesellschaftswissenschaften geistert, zu neuer Aufmerksamkeit verholfen. In seinem Buch Bowling Alone diskutiert er die Abnahme an bürgergesellschaftlichem Engagement und die daraus resultierenden Probleme in den USA.3 Treffen diese Beobachtungen auch auf den neu entstandenen virtuellen Raum zu, oder hat vielmehr eine Verlagerung der Aktivitäten, anstelle einer Abnahme, stattgefunden? Wie ist diese These mit der immens wachsenden Bedeutung virtueller Netzwerke zu vereinbaren?
Neben SoziologInnen, PolitikwissenschaftlerInnen, StädteplanerInnen, Kriminalistinnen und ArchitektInnen haben sich auch ÖkonomInnen mit dem Begriff des sozialen Kapitals auseinandergesetzt. Vergleichsweise wenig Anstrengungen dagegen gibt es von Seiten der Medienwissenschaften. Nichtsdestotrotz liegen einige neuere Arbeiten vor, die sich mit der Bedeutung von Computer-vermittelter Kommunikation und virtuellen Gemeinschaften auf das Sozialkapital auseinander setzen. Wie ausgeführt wird, stellt vor allem die mangelhafte Vermittlung von Vertrauen ein Grundproblem dar. Mit der Notwendigkeit von sozialem Vertrauen für erfolgreiche Kommunikation und der Bildung von Sozialkapital wird sich in der vorliegenden Arbeit abschließend auseinander gesetzt. Dazu werden verschiedene technische und regulative Mittel zur Beseitigung des Defizits vorgestellt.
Die sozialwissenschaftliche Fachliteratur versteht unter dem Begriff „Sozialkapital“ drei unterschiedliche Sachverhalte; zum einen jene Ressourcen, auf die ein Individuum aufgrund seiner Zugehörigkeit zu verschiedenen Netzwerken potenziell zugreifen kann und zum anderen die Generalisierung von Vertrauen in Personen und Institutionen. Darüber hinaus werden allgemeine Normen, wie Fairness- oder Reziprozitätsnorm, darunter verstanden.4 Nach der Auseinandersetzung mit verschiedenen Aspekten des Begriffs und modernen Phänomenen Computer-vermittelter Kommunikation und virtueller Vergemeinschaftung wird in einer Zusammenfassung versucht, die Kompatibilität der Theoreme mit der jüngsten sozialen Entwicklung zu bewerten.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Sozialkapital
- 2.1 ... als kollektiver Wert sozialer Netzwerke bei Robert Putnam
- 2.2 ... als Ressource zwischenmenschlicher Beziehung bei Pierre Bourdieu
- 2.3 ... als privates und öffentliches Gut
- 2.4 als funktionale Ressource bei James Coleman
- 3 Reale und virtuelle Vergemeinschaftung
- 3.1 Beziehungsformen im Cyberspace
- 4 Sozialkapital 2.0
- 4.1 Netzwerke im Cyberspace
- 4.2 Individuelle Ressourcen virtueller Beziehungen
- 5 Chance und Defizit: Soziales Vertrauen
- 5.1 Beispiel I: Reputation in Online-Foren
- 5.2 Beispiel II: Netz des Vertrauens
- 6 Organisationales Sozialkapital
- 7 Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den Einfluss virtueller Gemeinschaften auf Sozialkapital. Sie beleuchtet, wie Online-Netzwerke Ressourcen bereitstellen und die Entstehung von sozialem Vertrauen beeinflussen. Die Arbeit analysiert die Kompatibilität verschiedener sozialwissenschaftlicher Theorien zum Sozialkapital mit den Entwicklungen im digitalen Raum.
- Der Einfluss des Internets auf die Bildung von Sozialkapital
- Die Rolle von Vertrauen in virtuellen Gemeinschaften
- Die verschiedenen Definitionen und Konzepte von Sozialkapital
- Die Anwendung von Sozialkapitaltheorien auf virtuelle Netzwerke
- Chancen und Herausforderungen des Sozialkapitals 2.0
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung präsentiert den Fall der Obama-Wahlkampagne 2008 als Beispiel für die erfolgreiche Nutzung virtueller Gemeinschaften zur Mobilisierung von Ressourcen. Sie stellt die zentrale Forschungsfrage nach den Mechanismen, die virtuelle Ressourcen in reale Wirkung transformieren, und die Frage nach der Vereinbarkeit des Konzepts des Sozialkapitals mit der wachsenden Bedeutung virtueller Netzwerke. Die Einleitung betont den Forschungsbedarf im Bereich der Medienwissenschaften bezüglich des Sozialkapitals im Kontext computervermittelter Kommunikation und weist auf das Problem mangelnden Vertrauens hin.
2. Sozialkapital: Dieses Kapitel erörtert verschiedene sozialwissenschaftliche Perspektiven auf den Begriff „Sozialkapital“. Es werden die Ansätze von Robert Putnam, Pierre Bourdieu und James Coleman vorgestellt, die jeweils unterschiedliche Aspekte – kollektiven Wert sozialer Netzwerke, Ressource zwischenmenschlicher Beziehungen und funktionale Ressource – hervorheben. Das Kapitel beleuchtet die drei Hauptaspekte des Begriffs: potenziell zugängliche Ressourcen aufgrund von Netzwerkzugehörigkeit, generalisiertes Vertrauen und soziale Normen wie Fairness und Reziprozität.
3. Reale und virtuelle Vergemeinschaftung: Dieses Kapitel befasst sich mit den Beziehungen im Cyberspace und untersucht, wie sich virtuelle Vergemeinschaftungen von realen unterscheiden. Es legt den Fokus auf die spezifischen Formen der Beziehungsgestaltung im digitalen Raum und deren Auswirkungen auf den Aufbau von Sozialkapital. Die Analyse von Beziehungsformen im Cyberspace bildet die Brücke zwischen traditionellen Sozialkapitaltheorien und deren Anwendung auf virtuelle Umgebungen.
4. Sozialkapital 2.0: Dieses Kapitel analysiert spezifisch das Sozialkapital in virtuellen Netzwerken. Es untersucht, wie Netzwerke im Cyberspace funktionieren und welche individuellen Ressourcen aus virtuellen Beziehungen entstehen. Der Schwerpunkt liegt darauf, wie digitale Plattformen und Technologien das Entstehen und die Nutzung von Sozialkapital beeinflussen.
5. Chance und Defizit: Soziales Vertrauen: Dieses Kapitel widmet sich der zentralen Rolle von sozialem Vertrauen für das Sozialkapital in virtuellen Gemeinschaften. Es untersucht anhand von Beispielen wie Online-Foren und „Netzen des Vertrauens“, wie Vertrauen aufgebaut und erhalten werden kann, aber auch welche Defizite bestehen. Die Beispiele veranschaulichen sowohl Chancen als auch Herausforderungen des Vertrauensaufbaus im digitalen Umfeld.
6. Organisationales Sozialkapital: Dieses Kapitel wird sich mit der Bedeutung und den Formen von organisationalem Sozialkapital beschäftigen. Es wird die Frage nach dem Aufbau und der Nutzung von Sozialkapital innerhalb von Organisationen im virtuellen Kontext untersuchen.
Schlüsselwörter
Sozialkapital, virtuelle Gemeinschaften, soziales Vertrauen, Online-Netzwerke, computervermittelte Kommunikation, Robert Putnam, Pierre Bourdieu, James Coleman, digitale Ressourcen, Reputation, Organisationskapital.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Einfluss Virtueller Gemeinschaften auf Sozialkapital
Was ist der Hauptgegenstand dieser Arbeit?
Die Arbeit untersucht den Einfluss virtueller Gemeinschaften auf Sozialkapital. Sie analysiert, wie Online-Netzwerke Ressourcen bereitstellen, soziales Vertrauen beeinflussen und wie verschiedene sozialwissenschaftliche Theorien zum Sozialkapital mit Entwicklungen im digitalen Raum vereinbar sind.
Welche Theorien zum Sozialkapital werden behandelt?
Die Arbeit beleuchtet verschiedene sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Sozialkapital, insbesondere die Ansätze von Robert Putnam (kollektiver Wert sozialer Netzwerke), Pierre Bourdieu (Ressource zwischenmenschlicher Beziehungen) und James Coleman (funktionale Ressource).
Welche Aspekte des Sozialkapitals werden untersucht?
Die Arbeit behandelt zentrale Aspekte des Sozialkapitals, darunter potenziell zugängliche Ressourcen durch Netzwerkzugehörigkeit, generalisiertes Vertrauen und soziale Normen wie Fairness und Reziprozität, sowohl im realen als auch im virtuellen Kontext.
Wie werden reale und virtuelle Vergemeinschaftungen verglichen?
Die Arbeit vergleicht reale und virtuelle Vergemeinschaftungen, indem sie die spezifischen Formen der Beziehungsgestaltung im digitalen Raum und deren Auswirkungen auf den Aufbau von Sozialkapital untersucht. Der Fokus liegt auf den Unterschieden und Gemeinsamkeiten im Aufbau von Sozialkapital in diesen beiden Umgebungen.
Welche Rolle spielt soziales Vertrauen?
Soziales Vertrauen wird als zentraler Aspekt für das Sozialkapital in virtuellen Gemeinschaften betrachtet. Die Arbeit analysiert anhand von Beispielen (Online-Foren, „Netze des Vertrauens“), wie Vertrauen aufgebaut und erhalten werden kann und welche Herausforderungen bestehen.
Was ist mit „Sozialkapital 2.0“ gemeint?
„Sozialkapital 2.0“ bezieht sich auf das Sozialkapital in virtuellen Netzwerken. Die Arbeit analysiert, wie Netzwerke im Cyberspace funktionieren, welche individuellen Ressourcen aus virtuellen Beziehungen entstehen und wie digitale Plattformen und Technologien das Entstehen und die Nutzung von Sozialkapital beeinflussen.
Wie wird organisatorisches Sozialkapital behandelt?
Die Arbeit befasst sich mit der Bedeutung und den Formen von organisationalem Sozialkapital im virtuellen Kontext, und untersucht den Aufbau und die Nutzung von Sozialkapital innerhalb von Organisationen in virtuellen Umgebungen.
Welche Schlüsselbegriffe sind relevant?
Schlüsselbegriffe sind: Sozialkapital, virtuelle Gemeinschaften, soziales Vertrauen, Online-Netzwerke, computervermittelte Kommunikation, Robert Putnam, Pierre Bourdieu, James Coleman, digitale Ressourcen, Reputation, Organisationskapital.
Welche Beispiele werden verwendet?
Die Obama-Wahlkampagne 2008 dient als Beispiel für die erfolgreiche Nutzung virtueller Gemeinschaften zur Mobilisierung von Ressourcen. Weitere Beispiele umfassen die Analyse von Reputation in Online-Foren und „Netzen des Vertrauens“ zur Veranschaulichung von Chancen und Herausforderungen des Vertrauensaufbaus im digitalen Umfeld.
Welche Forschungsfrage steht im Mittelpunkt?
Die zentrale Forschungsfrage lautet: Welche Mechanismen transformieren virtuelle Ressourcen in reale Wirkung? Eine weitere wichtige Frage befasst sich mit der Vereinbarkeit des Konzepts des Sozialkapitals mit der wachsenden Bedeutung virtueller Netzwerke.
- Arbeit zitieren
- Matthias Quent (Autor:in), 2009, Sozialkapital 2.0, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124324