Die frühe Neuzeit war eine Epoche in der die Deutschen1 lernen mussten, große
Krisen, sowohl politischer und natürlicher Art, als auch und insbesondere
kultureller und spiritueller Natur, zu bewältigen. Eines der Hauptventile zum
Abbau der daraus entstandenen soziokulturellen Spannungen waren diverse
Feind- und Angstbilder, deren Objekte, dem einfachen Menschen als
Sündenbock dienend, ein starkes machtpolitisches Instrument der Kirchen2
darstellten. Das wohl auffallendste und absurdeste Bild in diesem Kontext ist das
der Juden, das hier näher untersucht werden soll.
Die Kirche setzte viel daran, die Juden öffentlich zu diskreditieren und als
Mörder, Gottesschänder und generell als die Schuldigen für viele größere und
kleinere Übel darzustellen. Auf der einen Seite wurden dubiose Scheinprozesse
abgehalten, die häufig durch unter Folter erzwungene Geständnisse entschieden
wurden (der Trienter Prozess, auf den hier näher eingegangen wird, dient als
eindrucksvolles Beispiel). Horrornachrichten über „jüdische Hostienfrevel“ und
Ritualmorde, verbreitet in Flugblättern, Traktaten und Chroniken“3 taten ein
Weiteres.
Es lässt sich schwer nachvollziehen, wie groß und wie direkt der Einfluss der
Kirchen auf den Aberglauben der Bevölkerung sein musste, um die weit
verbreitete Angst vor den „mordenden, schändenden und vergiftenden4 Juden“
zu schüren. Sicher ist jedoch, dass die Geschichtswissenschaft erst nach Ende
des Zweiten Weltkriegs begann, die weit reichenden Facetten, und vor allem Schlüsselmomente wie den Trienter oder den Prozess zu Rinn, kritisch zu
untersuchen.5
Zweierlei Dinge müssen zum besseren Verständnis getrennt voneinander
untersucht werden: auf der einen Seite der Konflikt der gelehrten Religion und
auf der anderen Seite die Problematik des Volksglaubens. Die Briefe und
Schriften Luthers zum Beispiel richten sich an eine komplett andere Zielgruppe
als öffentliche Scheinprozesse mit anschließender Hinrichtung. Trotzdem ist das
vermittelte Bild des Juden dasselbe.
[...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Ritualmorde
- Ritualmordbeschuldigung
- Die Trienter Ritualmordbeschuldigung
- Luther und die Juden
- Gegenstimmen
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den Judenhass in der frühen Neuzeit anhand von Ritualmordbeschuldigungen und den Schriften Luthers. Sie beleuchtet die Rolle der Kirche bei der Verbreitung von Feindbildern und analysiert die Mechanismen der Schuldzuweisung an die jüdische Bevölkerung. Der Fokus liegt auf dem deutschsprachigen Raum, aber auch vergleichende Aspekte werden angesprochen.
- Ritualmordlegenden und ihre Verbreitung
- Der Trienter Ritualmordprozess als Fallbeispiel
- Luthers antijüdische Schriften und ihre Wirkung
- Der Unterschied zwischen gelehrter Religion und Volksglauben
- Die Konstruktion von Feindbildern und die Rolle der Kirche
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beschreibt den Kontext des Judenhasses in der frühen Neuzeit als Ausdruck soziokultureller Spannungen. Kapitel 2 analysiert die weitverbreitete Legende der Ritualmorde und deren Bedeutung für den Antijudaismus. Der Trienter Prozess wird als exemplarischer Fall detailliert untersucht. Das Kapitel über Luther beleuchtet dessen antijüdische Schriften und deren Einfluss auf die öffentliche Meinung. (Die Zusammenfassung und die Kapitel über Gegenstimmen und Schlussfolgerungen werden hier aus Gründen der Spoilervermeidung ausgelassen.)
Schlüsselwörter
Judenhass, Frühe Neuzeit, Ritualmordbeschuldigungen, Trienter Prozess, Luther, Antijudaismus, Volksglaube, Kirche, Blutbeschuldigung, Feindbilder.
- Quote paper
- Lars-Benja Braasch (Author), 2006, Judenhass in der frühen Neuzeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124336