Die Grundlagen für den I. Weltkrieg wurden im eigentlichen Sinne durch verschiedene politische Veränderungen schon im Europa des 19. Jahrhunderts gelegt, die alle miteinander in Verbindung stehen. Ein Faktor entwickelte sich so entweder als Grund oder Ursache des anderen.
Der osmanische Staat trat neben den Deutschen in den I. Weltkrieg ein, nachdem die deut-schen Kriegsschiffe Goeben und Breslau am 29. Oktober 1914 mit Wissen von Enver Pascha im Schwarzen Meer einliefen und russische Häfen bombardierten.
In den beiden der Schwarzmeerschlacht folgenden Tagen verlangten die Staaten der Entente den Abzug der Deutschen. Der osmanische Staat dagegen lehnte diese Forderung ab, worauf der Krieg ausbrach. Nach diesem Vorfall ergriffen die Russen am 1. November an der kauka-sischen Grenze die Offensive. England dagegen erklärte am 5. November 1914 dem osmani-schen Staat den Krieg und erklärte zugleich, Zypern annektiert zu haben. Dieser Tag, an dem die Entente dem Osmanischen Reich den Krieg erklärte, war auch zugleich der Tag, wo Boden- und Grenzprobleme ihren Anfang nahmen.
Der im späteren Verlauf durch das letzte osmanische Abgeordneten-Parlament erklärte Nationalpakt (Misak-i Milliye) basierte eben auf den an diesem Tag noch im Territorium des os-manischen Staates liegenden Grenzen. Auch bei den Friedensgesprächen von Lausanne griff die türkische Delegation in Bezug auf die Boden- und Grenzprobleme als Basis immer wieder auf dieses Datum und auf den Nationalpakt zurück. Da dieser „Pakt“ die Grenzen und Ziele der anzuwendenden Außenpolitik des „neuen türkischen Staates“ festlegt, stellte er die Infrastruktur für die abzuschließenden Abkommen und der Grenzdefinition dar.
In diesem Kontext werden im ersten Teil dieser Arbeit die Gründe des Ersten Weltkrieges und die Lage des osmanischen Staates analysiert. Im zweiten Teil wird die Situation des osmani-schen Staates an verschiedenen Fronten während der Kriegsjahre behandelt und im dritten Teil in groben Zügen auf die Resultate des Krieges sowie die geschlossenen Verträge eingegangen.
Gliederung
EINFÜHRUNG
ERSTER TEIL: DIE ALGEMEINE LAGE VOR DEM ERSTEN WELTKRIEG
1 Militärischer und wirtschaftlicher Aufbau in Europa – Machtpositionen vor dem Weltkrieg
2 Militärischer und wirtschaftlicher Aufbau des Osmanischen Reiches vor dem Weltkrieg
3 Das Osmanische Reich vor dem I. Weltkrieg
3.1 Die Inselprobleme
3.2 Arabische Unabhängigkeitsbewegung
ZWEITER TEIL: FRONTEN UND DIE LAGE DES OSMANISCHEN REICHES IM ERSTEN WELTKRIEG
1 Gründe, die das Osmanische Reich zum Krieg führten
2 Die Fronten während des Krieges
2.1 Dardanellen-Front
2.2 Kaukasus-Front
2.3 Irakische Front
2.4 Fronten im Jemen, in Palästina und Syrien
2.5 Iranische Front
2.6 Europäische Fronten mit Beteiligung osmanischer Soldaten
2.6.1 Rumänische Front
2.6.2 Galizische Front
DRITTER TEIL: KRIEGSENDE
1 Ende des Krieges und neu errichtetes internationales System
2 Die Abkommen von Moudros und Lausanne
HISTORISCHES KARTEN- UND BILDMATERIAL
RESÜMEE
LITERATURVERZEICHNIS
EINFÜHRUNG
Die Grundlagen für den I. Weltkrieg wurden im eigentlichen Sinne durch verschiedene politische Veränderungen schon im Europa des 19. Jahrhunderts gelegt, die alle miteinander in Verbindung stehen. Ein Faktor entwickelte sich so entweder als Grund oder Ursache des anderen.
Der osmanische Staat trat neben den Deutschen in den I. Weltkrieg ein, nachdem die deutschen Kriegsschiffe Goeben und Breslau am 29. Oktober 1914 mit Wissen von Enver Pascha im Schwarzen Meer einliefen und russische Häfen bombardierten.
In den beiden der Schwarzmeerschlacht folgenden Tagen verlangten die Staaten der Entente den Abzug der Deutschen. Der osmanische Staat dagegen lehnte diese Forderung ab, worauf der Krieg ausbrach. Nach diesem Vorfall ergriffen die Russen am 1. November an der kaukasischen Grenze die Offensive. England dagegen erklärte am 5. November 1914 dem osmanischen Staat den Krieg und erklärte zugleich, Zypern annektiert zu haben. Dieser Tag, an dem die Entente dem Osmanischen Reich den Krieg erklärte, war auch zugleich der Tag, wo Boden- und Grenzprobleme ihren Anfang nahmen.
Der im späteren Verlauf durch das letzte osmanische Abgeordneten-Parlament erklärte Nationalpakt (Misak-i Milliye) basierte eben auf den an diesem Tag noch im Territorium des osmanischen Staates liegenden Grenzen. Auch bei den Friedensgesprächen von Lausanne griff die türkische Delegation in Bezug auf die Boden- und Grenzprobleme als Basis immer wieder auf dieses Datum und auf den Nationalpakt zurück. Da dieser „Pakt“ die Grenzen und Ziele der anzuwendenden Außenpolitik des „neuen türkischen Staates“ festlegt, stellte er die Infrastruktur für die abzuschließenden Abkommen und der Grenzdefinition dar.
In diesem Kontext werden im ersten Teil dieser Arbeit die Gründe des Ersten Weltkrieges und die Lage des osmanischen Staates analysiert. Im zweiten Teil wird die Situation des osmanischen Staates an verschiedenen Fronten während der Kriegsjahre behandelt und im dritten Teil in groben Zügen auf die Resultate des Krieges sowie die geschlossenen Verträge eingegangen.
ERSTER TEIL: DIE ALGEMEINE LAGE VOR DEM ERSTEN WELTKRIEG
1 Militärischer und wirtschaftlicher Aufbau in Europa – Machtpositionen vor dem Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg verursachte allen an diesem Krieg beteiligten Staaten riesige Verluste und Schwierigkeiten. Keine der Autoritäten konnte in der Geschichte des Menschen auch nur erahnen, dass sich ein Krieg sowohl geografisch als auch massenmäßig derartig ausbreiten konnte und dann auch noch solange dauern würde. Aus diesem Grunde hatten sogar die großen europäischen Streitkräfte ihre Vorbereitungen und Reserven auf einen viel kürzeren Krieg eingestellt.
Alle Wirtschaftsreserven und Bewaffnungsorganisation wurden unter diesen Gesichtspunkten aufgestellt. Dadurch, dass sich der Krieg in die Länge zog, kamen auch große Mächte in Bedrängnis; sie konnten jedoch ihre Infrastruktur, ihre wirtschaftliche Machtposition und ihre Fähigkeit, auf Bedarfsquellen zugreifen zu können, aufrecht erhalten. Beim Kampf im großen Spiel, Asien und den Mittleren Osten aufzuteilen, schafften es die europäischen Staaten durch ihre starke Wirtschaft, ihre funktionierende Industrie und durch die Macht zur Finanzierung eines lang andauernden Krieges auch, den technologischen Bedürfnissen ihrer Truppen im Schlachtfeld Rechnung zu tragen.[1]
Die Lage des Osmanischen Reichens war – als eine der Schlüsselpositionen in Asien und im Nahen Osten – im Kriegsjahr 1914 nicht unbedingt glänzend. Die Wirtschaft des Landes war zusammengebrochen, und das Reich wand und krümmte sich in Abhängigkeit der öffentlichen Schulden unter der großen Schuldenlast. Die Bevölkerung war verarmt. Die Streitkräfte dagegen versuchten, den Fortbestand des Reiches sicherzustellen, konnten sich aber aufgrund mangelnder Finanzmittel nicht modernisieren. In den Kriegen von 1911 und 1912/13 war Tripolis und die Balkanregion verloren gegangen, was im Reich zu einem Stimmungsverfall geführt hatte. Dass insbesondere die militärische Niederlage auf dem Balkan von Nationen herbeigeführt wurde, die über Jahrhunderte unter dem Banner des Reiches gelebt hatten, führte zu tiefen psychologischen Wunden.[2]
Die fünf Jahrhunderte während osmanischer Herrschaft auf dem Gebiet Balkans gingen zu Ende. Die Wurzeln der zum Ersten Weltkrieg führenden Gründe lagen bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Da in Europa Deutschland und Italien die Phase der Gründung einer Einheit abschlossen, veränderte sich das Gleichgewicht. Für beide dieser neuen Mächte waren Kolonien unabdingbar, um den Bedarf an Rohstoffen zu decken. Natürlich würden diese beiden Staaten, welche die imperialistische Aufteilung verpasst hatten, einer Weiterentwicklung und Expansion hinterherhinken, und eine auf Ausdehnung gerichtete Politik würde unweigerlich zu Konflikten mit anderen imperialistischen Mächten führen, wobei hier mit anderen Staaten im Allgemeinen England und Frankreich gemeint sind, da die größte Aufteilung zwischen diesen beiden Mächten erfolgte.
Die von den Deutschen in Kontinentaleuropa im Jahre 1866 mit Österreich und 1871 wegen Elsass-Lothringen mit Frankreich geführten Kriege waren die ersten Anzeichen einer kommenden Großmacht. Diese als erstes Anzeichen Vorzeichen der deutschen Expansion anzusehenden Manöver gefährdeten die Zukunft des Friedens in Europa. Das deutsche Interesse, insbesondere an Vorderasien, trat schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Erscheinung, noch bevor damals Preußen seine Einheit erreicht hatte. In der Zeit des osmanischen Sultans Mahmud II. waren preußische Offiziere bemüht, die neu organisierte osmanische Armee auszubilden und ihr taktische Fähigkeiten zu verleihen. Major Helmuth von Moltke, zu dieser Zeit rangoberster deutscher Offizier in der osmanischen Armee, der im späteren Verlauf an großen militärischen Erfolgen seines Landes teilhaben sollte, nahm neben den osmanischen Einheiten am Krieg von Nizip (1839) teil. „Dadurch, dass auf die Empfehlungen von Moltke nicht gehört wurde, erlitt die Armee eine schwere Niederlage.”[3]
Der I. Weltkrieg zeigt sich auch im Hinblick auf die seit Menschengedenken bestehenden Kriegsstrategien voller Veränderungen und Neuigkeiten. Parallel zu den technologischen Entwicklungen aus dem 19. Jh. wurden eine Reihe von Modernisierungen auch in Armee und Marine erforderlich. Die Begriffe „Front“, „Kavallerie“ und „logistische Unterstützung“ erlangten neue Bedeutungen. Der amerikanische Bürgerkrieg demonstrierte ganz eindeutig, dass eben diese Begriffe einem systematischen Wandel unterzogen waren. „Während dieser wichtige Krieg aus den Jahren 1861-1865 in Amerika zu einer großen Zerstörung und Schmerz führte, haben die angewandten Taktiken der Süd- wie auch der Nordstaaten, sich gegenseitig zu vernichten, zu einer militärischen Revolution geführt.”[4]
Zum ersten Mal wurde für den schnellen Transport und der Versorgung der Truppen die Eisenbahn eingesetzt; dies hat Tausende von Jahren bestehende Traditionen und Taktiken verändert. Deutschland ist der erste Staat, welcher die militärische Bedeutung der Eisenbahn begriffen hat. „Bei den 1866 Österreich und 1871 Frankreich-Kriegen brachte die gute Nutzung der Eisenbahn den Preußen den frühen Sieg mit sich.”[5]
Wie bekannt, war England in der als „Großer Frieden“ bezeichneten Zeit zwischen 1814 und 1915 die wichtigste politische und militärische Macht. Eine von den Engländern bestimmte Welt konnte von der Niederlage Napoleons bis zum I. Weltkrieg existieren. Deutschland, einwohnermäßig schwach gestellt, wurde durch seine geografische Lage und seine Diplomatie mit der Zeit geschwächt.
Da sich Deutschland im Zentrum des Kontinentes befindet, wurde sein Wachstum von einigen großen Mächten als Gefahr betrachtet. Dass die militärischen Mechanismen ausreichend waren und dazu die alldeutschen Anhänger immer wieder betonten, dass die Grenzen in Europa neu geregelt werden müssten, brachte sowohl die Franzosen als auch die Russen aus der Fassung, und dies so sehr, dass sich diese beiden politisch annäherten. Die rasche Entwicklung der deutschen Marine störte England, dieselbe Wirkung kam auch dann auf, als die Deutschen, ohne aufzutauchen, die Niederländer und Nordfrankreich bedrohten. Der Erfolg der Deutschen in der ersten Kriegszeit bewies, wie gut sie vorbereitet waren.[6]
Vor dem Kriegsbeginn war das Gleichgewicht zwischen Deutschland und Frankreich ziemlich gestört. Das Bruttosozialprodukt der Franzosen war auf die Hälfte des deutschen gefallen, und Frankreich sah mit seinen aus 40 Millionen Einwohnern rekrutierten 80 Divisionen gegenüber Österreich-Ungarn mit seinen 48 Divisionen, mobilisiert aus 52 Millionen Einwohnern, überlegen aus; Deutschland konnte aber demgegenüber mehr als 100 Divisionen bereitstellen. Den gut ausgebildeten 112 000 Unteroffizieren der Deutschen hatte Frankreich lediglich 48 000 Unteroffiziere gegenüberzustellen.[7]
Aus der Sicht der Entente ging die eigentliche Gefahr von der deutschen Marine aus, die sich soweit entwickelt hatte, um das Gleichgewicht auf den Meeren verändern zu können. Die Engländer hatten lange Jahre nur die Franzosen als Rivalen betrachtet und sich dementsprechend vorbereitet. „England, wenn auch spät, erkannte, dass Deutschland zu einer großen Gefahr wuchs, erkannte auch zugleich, mit Frankreich und Russland gemeinsam agieren zu müssen.“[8]
2 Militärischer und wirtschaftlicher Aufbau des Osmanischen Reiches vor dem Weltkrieg
Vor dem großen Krieg befand sich das Osmanische Reich, wie schon erwähnt, aufgrund des ihm auferlegten Status eines mittlerweile ablebenden Staates in einer schwierigen Lage. Um fortbestehen zu können, wurde im 19. Jh. gegen große Staaten eine Ausgleichspolitik betrieben. Um sich den Entwicklungen anpassen zu können, wurden Reformen eingeleitet. Da allerdings sehr stark am Traditionalismus festgehalten wurde, konnte mit diesen Reformen eigentlich niemals der erwünschte Erfolg erzielt werden. „Der Trend zur Orientierung nach dem Westen konnte sogar auf oberster Ebene missverstanden werden.”[9]
Die Annäherung des Osmanischen Reiches an Deutschland verlief vor dem großen Krieg parallel zu den Entwicklungen in der Weltpolitik. Die imperialistische Annäherung der Engländer und der Franzosen sowie die historischen Absichten des zaristischen Russlands auf die warmen Meere – dem Mittelmeer und Meeresengen – brachte gezwungenermaßen die Annäherung zu Deutschland mit sich. Wenngleich auch die Absichten Deutschlands im Hinblick auf Vorderasien ebenfalls imperialistisch aussahen, war dies im Vergleich zu den anderen Mächten weniger signifikant. Nach der absoluten Machtstellung der Partei für Einheit und Fortschritt konnte sich die westliche Orientierung und die Modernisierung in der Gesellschaft festsetzen und schneller fortschreiten, um sich eine Identität zuzulegen.[10]
In dieser Phase lagen die Wurzeln der Modernisierungen in der osmanischen Armee nahezu nur bei den Deutschen. Inwieweit die deutschen Delegationen die osmanische Armee modernisieren konnten, kann dahingestellt werden. Was keine Diskussion erlaubt, ist die Tatsache, dass gemeinsam mit der Ankunft dieser Delegation die Lagerbestände der Waffenfabriken an der Ruhr bei den Anschaffungen der osmanischen Armee auf einmal auf die vordersten Plätzen gerückt waren.[11]
Die beiden von England für die osmanische Marine gebauten, aber – obwohl der Kaufpreis entrichtet war – nicht ausgelieferten und zurückbehaltenen Panzerschiffe zogen die osmanisch-englischen Beziehungen sehr in Mitleidenschaft, sodass eine osmanisch-deutsche Annäherung unweigerlich eintreten musste. „Sollte in dieser Phase die mit den Deutschen abgeschlossene Vereinbarung bekannt gegeben werden, wäre dies unzweifelhaft ohne irgendwelche Widersprüche mit Freude akzeptiert worden.”[12]
Nachdem am 1. August 1914 gegen Russland in den Krieg gezogen wurde, nahmen die Deutschen mit dem osmanischen Staat, den sie zukünftig als Kolonie zu nutzen gedachten, in Istanbul in Balta Limanı Gespräche auf. Da sich die wichtigsten Personen der Partei für Einheit und Fortschritt und insbesondere Enver Pascha für die Deutschen einsetzte, wurden diese Gespräche mit einem geheimen Abkommen abgeschlossen, da man hoffte, nach einem siegreichen Krieg neben Deutschland auf dem Balkan und im Osten erneut Einfluss zu erlangen.[13]
Nachdem der osmanische Staat erfolglos nach verschiedenen Verbündeten Ausschau gehalten hatte, wurden auf Vorschlag der Österreicher am 27. Juli 1914 in Istanbul Gespräche mit Deutschland aufgenommen. „Am 2. August 1914 wurde durch den Großwesir Sait Halim Pascha und dem deutschen Botschafter in Istanbul, Baron von Wangenheim, die osmanisch-deutsche Allianz unterzeichnet.”[14]
Nach den Diskussionen unter den Mitgliedern der Partei für Einheit und Fortschritt, die im osmanischen Kabinett geführt worden waren, wurde ersichtlich, dass das mit Deutschland abgeschlossene geheime Abkommen nicht befriedigend sein konnte. Aus diesem Grund wurde am 4. August einen Beschluss gefasst, dem deutschen Botschafter einige Änderungen bzw. Ergänzungen zu diesem Abkommen mitzuteilen. Als der Krieg ausbrach, erklärte das Osmanische Reich vorerst seine Parteilosigkeit. Die Staaten der Entente begriffen die Bedeutung dieser Angelegenheit und versuchten, mit dem Osmanischen Reich eine Vereinbarung zu treffen. England und Frankreich gaben dabei dem Osmanischen Reich einige Zusicherungen, würde dieses bis zum Ende des Kriegs seine Neutralität beibehalten. Als Gegenleistung forderte der osmanische Staat die Aufhebung der Kapitulationen, die Rückgabe der Ägäischen Inseln sowie die Lösung des Ägyptenproblems. Insbesondere England widersprach jedoch diesem Ansinnen, was dazu führte, dass sich das Osmanische Reich der deutschen Politik näherte.[15]
Die Lage der osmanischen Streitkräfte, nämlich der Land-, See- und Luftstreitkräfte, sah vor dem großen Weltkrieg wie folgt aus:
- Landstreitkräfte: „11 221 Offiziere, 294 029 Unteroffiziere und einfache Soldaten, 43 872 Zugtiere, 2310 Kanonen mit diversen Durchmessern und Ausführungen, 256 Maschinengewehre.“[16]
- Seestreitkräfte: „Die Tonnage der Seestreitkräfte erhöhte sich auf 100 279, nachdem die beiden deutschen Panzerschiffe Goeben (Yavuz) und Breslau (Midilli) zu den Seestreitkräften einbezogen wurden. Die Flotte wurde vorwiegend aus alten Schiffen gebildet und hatte keine hohe Kriegsfähigkeit.“[17]
- Luftstreitkräfte: „Obwohl die Luftstreitkräfte den Entwicklungen auf dem Weltmarkt folgten, konnten zu ihrer Weiterentwicklung keine ausreichende Zeit und Mittel beschafft werden.“ Daneben wurde im Balkankrieg eine bestimmte Anzahl von Kriegsflugzeugen verloren. Als die Mobilisierung erklärt wurde, hatten die Luftstreitkräfte nur vier aktive Kriegsflugzeuge. Damals wurden diese Flugzeuge aus dem Ausland eingeführt. Da aber der osmanische Staat mit den Ländern, aus denen er Flugzeuge einführte, im Krieg war, gab es damals einen einzigen Staat, nämlich Deutschland, aus welchem Flugzeuge eingeführt werden konnten. „Aus diesem Grunde konnten sich die Luftstreitkräfte 1916 nur mit Unterstützung Deutschlands verstärken und danach eine effektive Funktion übernehmen.“[18] (90 Flugzeuge, 81 Piloten, 58 Beobachter)
Wie den obigen Angaben zu entnehmen ist, wies die osmanische Armee in vielen Bereichen große Mängel auf, als der I. Weltkrieg ausbrach. Die Schlagkräftigkeit der Armee war abhängig von deutscher Unterstützung. Doch es war immer unbekannt, ob und inwieweit diese Unterstützungen während eines langen und auf seine Art und Weise ungedachten Krieges gewährt würden.
3 Das Osmanische Reich vor dem I. Weltkrieg
3.1 Die Inselprobleme
Der osmanische Staat war nach Artikel 5 des mit den Balkanstaaten abgeschlossenen Abkommens vom 30. Mai 1913 damit einverstanden, dass über die Zukunft der von Griechenland besetzten Inseln von großen Staaten entschieden werden soll.[19]
Diese Entscheidung wurde deshalb getroffen, weil der osmanische Staat bemüht war, seine Interessen sowie die Interessen der Inseln und der benachbarten anatolischen Gebiete zu schützen. Daneben erklärte er mit der Befürchtung, dass diese Inseln Griechenland überlassen würden, den großen Staaten, erklärte er am 22./23. Dezember 1913, alles Mögliche . zu unternehmen, um die Inseln Lesbos und Chios, die in der Nähe Anatoliens liegen, zurückzunehmen. Obwohl der osmanische Staat in dieser Angelegenheit große Anstrengungen unternahm und sich gegen Englands Meinung, dass die Inseln Griechenland überlassen werden sollten, stellte, legte Deutschland, zu dem er viel Vertrauen hatte, keine Einwände gegen Englands Position ein, und zwar mit der Begründung, Konflikte zwischen den europäischen Staaten zu vermeiden. Letztendlich kamen die vier großen Staaten zu einer gemeinsamen Vereinbarung über die Inseln.[20]
Am 14. Februar 1914 wurde die gemeinsame Entscheidung der sechs Staaten über die Zukunft der Ägäischen Inseln durch eine diplomatische Nota Bab-ı Ali der osmanischen Regierung, mitgeteilt. Nach ihr wurden die Inseln Imvros, Tenedos und Meis dem Osmanischen Reich, die unter griechischer Besetzung liegenden Inseln Griechenland überlassen.[21]
Der osmanische Staat forderte, die Inseln Lemnos, Lesbos, Chios und Samos der Souveränität des osmanischen Staats zu unterstellen, denn er konnte sich niemals in westlicher Richtung Anatoliens sicher sein, solange die Inseln Lesbos und Chios unter griechischer Souveränität standen. Da das Osmanische Reich auf dieser Sache beharrte, wurden in der zweiten Hälfte im August 1914 die türkisch-griechischen Verhandlungen in Bukarest eingeleitet. Als bei diesen Unterredungen keine konkreten Ergebnisse erzielt wurden, übte die türkische Regierung dermaßen Druck auf Griechenland hinsichtlich der Inseln aus, dass sogar von einem Krieg die Rede war.[22]
Das Osmanische Reich verzichtete auf das gesamte Balkangebiet, überließ aber die Souveränität der Inseln nicht. Die Inselprobleme führten die beiden Parteien dazu, ihre Flotten entsprechend neu aufzurüsten, und Griechenland führte mit der Begründung, das Osmanische Reich übe Druck aus, in den Tageszeitungen der Vereinigten Staaten gezielte Propaganda aus und kaufte dort zu diesem Anlass zwei Panzerschiffe. Im Frühjahr und in den Sommermonaten des Jahres 1914 war die Beziehung zwischen der Türkei und Griechenland ziemlich gespannt. Zwischen den beiden Staaten war sogar ein Kriegsausbruch denkbar. Inwieweit dies der Fall sein könnte, hing auch vom Flottenwettrüsten ab.[23]
Das Osmanische Reich wurde in einer sehr sensiblen Sache enttäuscht, wofür England eine wesentliche Verantwortung trug. Dadurch entfernte England das enttäuschte Osmanische Reich politisch noch etwas weiter und ließ eine engere Bindung an Deutschland zu. Man kann durchaus behaupten, dass diese Enttäuschung dazu führte, dass das Osmanische Reich beim Ausbruch des I. Weltkriegs an Deutschlands Seite stand.
[...]
[1] Vgl. Alan Palmer, Das Osmanische Reich: Die letzten Drei Jahrhunderte, Neue Geschichte eines Untergangs (Osmanlı İmparatorluğu Son Üç Yüz Yıl Bir Çöküşün Yeni Tarihi), Sabah Yayınları, İstanbul 1995, S. 209.
[2] Vgl. Abdurrahman Çaycı, Türkisch-Französischer Wettbewerb in der Großen Sahara 1858-1911 (Büyük Sah-rada Türk-Fransız Rekabeti 1858-1911), Türk Tarih Kurumu, İstanbul 1995, S.110-118; vgl. Rifat Uçarol, Po-litische Geschichte (Siyasi Tarih), Harp Akademileri Basımevi, İstanbul 21982, S. 376.
[3] Palmer, Das Osmanische Reich, S. 165.
[4] Paul Kennedy, Aufstieg und Niedergang Großer Mächte. Wirtschaftliche Wandlung und Militärische Eskalationen von 1500 bis 2000 (Büyük Güçlerin Yükseliş ve Çöküşleri. 1500’den 2000’e Ekonomik Değişme ve Askeri Çatışmalar), Türkiye İş Bankası Kültür Yayınları, İstanbul 1996, S. 312.
[5] John Keegan, Geschichte der Kriegskunst (Savaş Sanatı Tarihi), Sabah Yayınları, İstanbul 1995, S. 440.
[6] Vgl. Keegan, Geschichte, S. 441-444.; Oral Sander, Politikgeschichte, Von den ersten Zeitaltern nach 1918 (Siyasi Tarih, İlk Çağlardan 1918’e), İmge Kitabevi, Ankara,1997, S. 248.
[7] Vgl. Fahir Armaoğlu, Politikgeschichte des 20. Jhd. (20.Yüzyıl Siyasi Tarihi 1914-1990), Türkiye İş Bankası Kültür Yayınları, Ankara 1991, S. 100.
[8] Kennedy, Aufstieg und Niedergang, S. 234-235.
[9] Niyazi Berkes, Modernisierung in der Türkei (Türkiye’de Çağdaşlaşma), Doğu Batı Yayınları, İstanbul 1978, S. 21.
[10] Vgl. Bernard Lewis, Entstehung der modernen Türkei (Modern Türkiye’nin Doğusu), Türk Tarih Kurumu, Ankara 1996, S. 235.
[11] Vgl. İlber Ortaylı, Deutscher Einfluss im Osmanischen Reich (Osmanlı İmparatorluğu’nda Alman Nüfuzu), Kaynak Yayınları, İstanbul 1983, S. 82.; vgl. Coşkun Üçok, Politische Geschichte (Siyasal Tarih 1789-1960), Ankara Üniversitesi Hukuk Fakültesi Yayınları, Ankara 21978, S. 212.
[12] İlber Ortaylı, Einfluss, S. 83-84.
[13] Vgl. Lewis, Entstehung , S. 235.
[14] Ortaylı, Einfluss, S. 83-84.
[15] Vgl. Yusuf Hikmet Bayur, Geschichte türkischer Revolution (Türk İnkılabı Tarihi), Bd. 2, Kap. 4, Türk Tarih Kurumu Basımevi, Ankara 1991, S. 642-643.; vgl. Geschichte türkischer Streitkräfte (Türk Silahlı Kuvvetleri Tarihi), Bd. 3, 6. Kap. (1908-1920), Genelkurmay Basımevi, Ankara 1971, S. 192-193.
[16] Vedat Eldem, Die wirtschaftliche Lage des osmanischen Staates in den Kriegs- und Waffenstillstandsjahren (Harp ve Mütareke Yıllarında Osmanlı İmparatorluğu’nun Ekonomisi), Türk Tarih Kurumu Basımevi, Ankara 1994. S. 199.
[17] Selçuk Kızıldağ, Dardanellen: der Preis des Muts (Çanakkale Cesaretin Bedeli), Arma Yayınları, İstanbul 2003, S. 18.
[18] Eldem, Wirtschaftliche Lage, S. 200.
[19] Vgl. Bilal N. Şimşir, Ägäisches Problem, Dokumente (Ege Sorunu, Belgeler), Bd. 2, Ankara, 1982, S. 25-28.
[20] Vgl. Mustafa Balcıoğlu, Die Türkei am Anfang des 20. Jhd. Geschichte der Türkei I (Yirminci Yüzyıl Baslarında Dünya. Türkiye Cumhuriyeti Tarihi I), Ankara, 2000, S. 65.
[21] Vgl. Şimşir, Problem, S. 27.
[22] Vgl. Şimşir, Problem, S. 27.; vgl. Balcıoğlu, Türkei am Anfang, S. 66.
[23] Vgl. Balcıoğlu, Türkei am Anfang, S. 66.
- Arbeit zitieren
- Aktuna Orkun (Autor:in), 2009, Das Osmanische Reich und der Erste Weltkrieg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124475
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