Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel eines Vergleichs auf inhaltlicher und formaler Ebene zwischen der Erzählung „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ und dem gleichnamigen Film. Als Einführung dient ein stark geraffter Überblick zur Geschichte und Theorie der Literaturverfilmung. Die folgenden Beschreibungen der Erzählung und des Films dienen als Grundlage für den inhaltlichen und strukturellen Vergleich. Dieser erfolgt vor allem im Hinblick auf inhaltliche Unterschiede, das heißt auf Ereignisse, die in Buch und Film unterschiedlich dargestellt werden, und den jeweiligen Verlauf von Christianes Drogenkarriere. Hier wird untersucht, ob in Erzählung und Film verschiedene Ursachen für die Sucht präsentiert werden. Anhand dieser Ergebnisse wird die Frage erörtert, inwieweit sich die grundsätzlichen Charakteristika der beiden Werke unterscheiden und ob sich in der jeweiligen „Botschaft“ Verschiebungen ergeben. Des Weiteren wird untersucht, ob die in der Einführung vorgestellten Kategorien auf die untersuchte Verfilmung anwendbar sind.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorgehensweise
2. Thema Literaturverfilmung
3. Christiane F. - Das Buch
3.1. Formales
3.2. Ursachen der Sucht
3.3. Zur Authentizität des Buches
4. Christiane F. - Der Film
4.1. Inhalt
4.2. Formales
4.3. Ursachen der Sucht
4.4. Zur Authentizität des Films
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
1. Vorgehensweise
Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel eines Vergleichs auf inhaltlicher und formaler Ebene zwischen der Erzählung `Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof ZooA und dem gleichnamigen Film. Als Einführung dient ein stark geraffter Überblick zur Geschichte und Theorie der Literaturverfilmung. Die folgenden Beschreibungen der Erzählung und des Films dienen als Grundlage für den inhaltlichen und strukturellen Vergleich. Dieser erfolgt vor allem im Hinblick auf inhaltliche Unterschiede, d.h. auf Ereignisse, die in Buch und Film unterschiedlich dargestellt werden, und den jeweiligen Verlauf Christianes Drogenkarriere. Hier wird untersucht, ob in Buch und Film verschiedene Ursachen für die Sucht präsentiert werden. Anhand dieser Ergebnisse wird die Frage erörtert, inwieweit sich die grundsätzlichen Charakteristika der beiden Werke unterscheiden, ob sich Verschiebungen ergeben in der jeweiligen `BotschaftA.
Des weiteren wird untersucht, ob die in der Einführung vorgestellten Kategorien auf die untersuchte Verfilmung anwendbar sind.
2. Thema ` Literaturverfilmung A
Die Anfänge der Literaturverfilmung fallen mit den Anfängen des Films zusammen. Unter den ersten überhaupt gedrehten Filmen finden sich bereits Motive aus Werken wie Goethes `FaustA. Das aufstrebende neue Medium verlangte nach einer Unmenge von Stoffen, so dass die Anleihe bei der Literatur die logische Konsequenz war, auch, weil viele der Filmregisseure vom Theater kamen und keinen Grund sahen, ihre Arbeitsweise zu ändern. Folglich waren viele der frühen Filme mit längerer Laufzeit (das heißt mit mehr als zwei oder drei Minuten) nichts anderes als abgefilmtes Theater.
Freilich riefen die in der traditionellen Kunstform Literatur sich bedienenden Drehbuchschreiber erheblichen Widerstand auf den Plan: insbesondere in Frankreich entbrannte um die Wende zum 20. Jahrhundert eine hitzige Diskussion. Der Film als neues Medium trug den Geruch des Vulgären, weil er zum einen in den Varietés seine Heimat hatte, zum anderen, weil er anscheinend kunstlos war und sich aus Sensationslust der altehrwürdigen literarischen Meisterwerke bediente. Erst um 1920 traten auch andere Positionen auf. Avantgardistische Autoren hielten den Film für ein adäquates Mittel, ihre gewünschten Wirkungen anders als in der Literatur zum Ausdruck zu bringen. Auch Antonin Artaud, der mit seiner Konzeption eines `grausamen TheatersA auf eine extreme Publikumserfahrung zielte, begeisterte sich für den Film. Bei ihm trat an die Stelle einer wertenden Trennung eine rein formale Abgrenzung, in der Film und Theater gleichberechtigt nebeneinander stehen.
Vor dem ersten Weltkrieg wetterten die dem Film abgeneigten Gruppen gegen die Literaturverfilmung als Verrat am literarischen Erbe, während die Befürworter die Verfilmung verteidigten, da sie darin eine Möglichkeit sahen, den Film aus dem Abseits holen und mit den traditionellen Kunstformen gleichstellen zu können. Nach dem Krieg kehrten sich die Positionen beinahe um: die Avantgardisten sahen in der Adaption Verrat am spezifisch Filmischen, während die Traditionalisten die Literaturverfilmung als Bollwerk gegen die zunehmende Trivialisierung des Films betrachteten.
Mit den Jahren verflachten die Gegensätze beider Positionen, verschwanden jedoch nicht. Die Geringschätzung des Films gegenüber den traditionellen Künsten zeigt sich noch heute markant in den öffentlich aufgebrachten Förderungen: während zum Beispiel die Frankfurter Theater trotz der Kürzungen Millionenförderungen erhalten, wird die Filmkultur mit Beträgen unterstützt, die die 30.000 DM - Marke im Jahr selten überschreiten.
Auch hinkt die Literaturverfilmung dem Ansehen der Buchvorlage weiterhin hinterher: Der Regelfall, dass zuerst das Buch da war und erst dann der Film, verleitet dazu, den Film als minderwertig zu betrachten. Zudem suchen viele in der Verfilmung die spezifisch literarischen Eigenschaften der Vorlage, die sie zwangsläufig nicht finden, und dabei übersehen sie die spezifisch filmischen Eigenschaften, die sie entsprechend nicht würdigen. Die Position, dass die Literaturverfilmung eine Interpretation eines Stoffes in einem anderen Medium ist, und somit der Literatur gleichkommt, setzt sich nur langsam durch:
Der Film aber ist immer zuerst Film, und daß seinem Drehbuch, ohnehin nur eine Zwischenstufe im Arbeitsprozeß, einmal ein Roman zugrunde gelegen hat, ist für das Filmische an ihm von peripherer Bedeutung. Wir verstehen den Film, auch ohne den Roman zuvor gelesen zu haben.[1]
Aus dem Grund der Nichtachtung des Films und der angeblichen Irreführung durch den Begriff `VerfilmungA lehnen einige Theoretiker eben diesen ab. Der Begriff `VerfilmungA vermittle bereits eine abwertende Meinung durch Assoziationen wie `Verformung des OriginalsA und derartiges mehr. Andere Vorschläge zur Begrifflichkeit wie `Filmische LiteraturadaptionA umgehen das Problem jedoch nicht. Außerdem ist `VerfilmungA geläufig und sollte als Begriff beibehalten werden.
Die Frage, wie eine `gelungeneA Literaturverfilmung denn auszusehen habe, wurde bisher nicht zufriedenstellend beantwortet. Einig ist man sich, dass der `CharakterA der literarischen Vorlage erhalten bleiben muss. Es hat sich jedoch niemand die Mühe gemacht, genauer zu beschreiben, was damit gemeint ist. Wenn Syd Field in seiner Anleitung zum Schreiben eines Drehbuchs meint:
`Wenn sie einen Roman für ein Drehbuch adaptieren, sind sie nicht verpflichtet, dem Originalmaterial treu zu bleiben. Ihr Drehbuch muss eine visuelle Erfahrung werden. Das ist ihr Job als Drehbuchautor. Korrekt bleiben müssen sie nur gegenüber dem Geist des QuellenmaterialsA[2],
wird das dem Drehbuchautoren nicht viel weiterhelfen. Klar ist nur, dass es zur Verfilmung geeignete und weniger geeignete Vorlagen gibt. Texte, in denen viel Bedeutung auf inneren Vorgängen der Figuren liegt, sind visuell schwer umzusetzen, was aber nicht bedeutet, dass es nicht immer wieder versucht würde (eines der jüngeren Beispiele: die Verfilmung von Prousts `unverfilmbarenA Roman `Die Suche nach der verlorenen ZeitA).
Die Bewertung von Literaturverfilmungen ist auch abhängig von den Intentionen des Filmemachers. Helmut Kreuzer[3] hat vier Arten der Literaturadaption differenziert:
1. Die Aneignung von literarischem Rohstoff, die sich nur bestimmte Motive aus einem Buch herausgreift und filmisch verarbeitet. Hier ist der Film kaum als Literaturverfilmung zu bewerten, es sei denn, er erhebt diesen Anspruch, obwohl er sich wenig an der Vorlage orientiert.
2. Die Illustration eines Romans, die sich sehr eng an Figurenkonstellationen und Vorgänge hält und teilweise Originaldialoge übernimmt. Oft werden auch längere auktoriale Erzähltextpassagen übernommen, die im Off gesprochen werden. Solche Verfilmungen werden häufig als die gelungensten angesehen, weil der Wiedererkennungseffekt am höchsten ist. Doch kann man hier kaum von einem Film sprechen, da er seine eigenen Möglichkeiten unterdrückt und meistens sind diese Werke ohne Kenntnis der Romanvorlage als Film kaum zu genießen.
3. Die interpretierende Transformation lässt ein neues, aber möglichst analoges Kunstwerk entstehen. Der Film versucht nicht, das Buch nachzuahmen, sondern den Text des Buches in filmischen Text zu übersetzen. Hierbei hält Kreuzer fest, dass es die absolute Verfilmung nicht geben kann, da die Subjektivität einer Interpretation ein zu großer Faktor ist (darum wird sich auch mit der Definition einer gelungenen Verfilmung so schwer getan).
4. Die Dokumentation schließlich meint vor allem abgefilmtes Theater, die Aufzeichnung einer Bühnenaufführung vor Publikum oder auch nur der Kamera. Diese Kategorie ist eher hypothetisch, denn diese Art von Verfilmung bezieht sich nur noch auf Film in seiner Materialität und Aufführungsform, hat aber mit dem Kunstwerk Film wenig zu tun.
Kreuzer hält die dritte von ihm aufgestellte Kategorie für die einzig vollwertige Möglichkeit der Literaturverfilmung. Die Grenzen sind dabei natürlich fließend und für jeden Film neu zu ziehen. Zudem bedarf diese Kategorie bei der Untersuchung einer Verfilmung einer weiteren Differenzierung: die Art des ursprünglich vom Roman verwendeten Stoffes. Ob der Stoff rein fiktiv ist oder sich auf reale Begebenheiten stützt, ist natürlich von Bedeutung.
3. Christiane F. - Das Buch
Auf eine Inhaltsangabe wird hier verzichtet und sich nur auf die Aspekte beschränkt, die für den geplanten Vergleich mit dem Film von Bedeutung sind. Zu diesen Elementen gehören die formalen Bestimmungen (Erzählperspektive, Erzählzeit/erzählte Zeit, etc.), der Grad der Authentizität des Textes und die aus dem ihm zu entnehmenden Ursachen für die Drogensucht Christianes.
3.1. Formales
Das Buch hat einen Umfang von 324 Seiten, davon sind 32 Seiten mit Erklärungen versehene Fotos von Personen und Orten, die zu der in der Authentizitätsfiktion geschilderten Szenerie gehören. Die erzählte Zeit umfasst einen Zeitraum von etwa 20 Jahren: der Bericht der Mutter über ein Erlebnis mit sechzehn Jahren ist der früheste erwähnte Zeitpunkt, der späteste das Frühjahr 1978.
Den größten Teil des Textes nimmt die Erzählung Christianes ein, mit einer Einleitung eines Psychologen, unterbrochen von Berichten der Mutter und anderen direkt oder indirekt involvierten Personen. Die Berichte sind jeweils homodiegetisch und intern fokalisiert. Jedoch wird durch die verschiedenen Blickwinkel auf das Geschehen dem Leser praktisch ein auktorialer Überblick geboten. Es handelt sich hauptsächlich um späteres Erzählen, das Vorwort und Teile des Berichtes des Pfarrers sind in der Gegenwartsform geschrieben; ebenso das Ende der Erzählung, wo Christiane in der Gegenwart angelangt ist.
Der Text ist sehr narrativ, es gibt wenig direkte Figurenrede und zeitdeckendes Erzählen.
Daraus resultierende Ellipsen sind in der Regel bestimmt; vor allem in Christianes Text kommt es selten zu unbestimmten Ellipsen. Die Ereignisse sind chronologisch aufgebaut. Es kommt aber immer wieder zu Analepsen, zum Beispiel wenn die Mutter bereits von Christiane geschilderte Begebenheiten berichtet, oder wenn die Vorgeschichte anderer Personen erläutert wird. Prolepsen findet man meistens dann, wenn Christiane ihre eigenen Handlungen bewertet: `Ich wollte das, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, dass das der nächste Schritt in die totale Scheiße war.A[4]
Die Frequenz der Erzählung ist grundsätzlich singulativ; eine Aneinanderreihung von Eck- und Wendepunkten im Leben Christianes, die die Gesamtentwicklung ergeben. Durch die Passagen, in der die Mutter zu Wort kommt, werden einige Ereignisse wiederholt erzählt (z.B. als die Mutter Christianes Drogenkonsum entdeckt) und erhalten so repetitiven Charakter. Auch der Drogenkonsum und die Prostitution werden in ihren verschiedenen Ausprägungen wiederholt aufgegriffen, sind aber nicht nur repetetiv, sondern auf einer weiteren Ebene auch iterativ: die Wirkung bestimmter Drogen und Drogencocktails sowie besondere Freier, mit denen Christiane oder ein Mitglied ihrer Clique häufiger zu tun hat, werden exemplarisch behandelt.
3.2. Ursachen der Sucht
Das Buch führt als Ursachen für die Verelendung von Christiane F. eine Vielzahl von Gründen an. Schon das Vorwort verdeutlicht die Multikausalität der Fehlentwicklungen ihres Lebens. Es handelt sich um
`...eine Vielzahl miteinander verzahnter Probleme von inhumanem Wohnen, Unterdrückung der kindlichen Spielwelt, Krisen in den Zweierbeziehungen der Eltern, allgemeine Entfremdung und Isolation innerhalb der Familie wie in der Schule, usw.A[5]
Dies sind die grundlegenden, zum Teil für sie selbst offensichtlichen, zum Teil unterschwelligen Probleme der heranwachsenden Christiane. Infolge dieser Zustände wird sie vor Entscheidungen gestellt, wie sie sich im Angesicht dieser vor allem seelischen Belastung verhalten soll. Und hier nun spielen andere Faktoren hinein, die ihre Entscheidungen beeinflussen.
[...]
[1] Hickethier, Knut: `Der Film nach der Literatur ist FilmA, in: Albersmeier/Roloff (Hrsgb.), Literaturverfilmungen
[2] Field,Syd, `Das DrehbuchA, in: Andreas Meyer/Gunther Witte (Hrsgb.), `Drehbuchschreiben für Fernsehen und FilmA
[3] Kreuzer, Helmut, `Arten der LiteraturadaptionA in: Gast, Wolfgang, Literaturverfilmung
[4] K. Hermann, H. Rieck: Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, 1998, S. 94
[5] Kai Hermann, Horst Rieck: Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo,1998, S. 5
- Arbeit zitieren
- Magister Artium René Filippek (Autor:in), 2001, Verfilmte Problemliteratur. Buch- und Filmanalyse von "Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12448
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