Der Tod ist ein unerklärbares Urphänomen, das nicht wirklich verstanden werden kann. Er bestimmt alles Leben entscheidend als begrenzender Faktor mit.
In Perioden tief greifender geschichtlicher Umbrüche, so auch dem frühen 20. Jahrhundert, zeigt die Literatur heftige Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Sterben. Die Figuren eines literarischen Textes entwickeln eine besondere Beziehung zum Tod, denn das Wissen, sterben zu müssen, beeinflusst die Konzeption der menschlichen Entwicklung, die vergangenes und zukünftiges Leben in ein anderes Licht rückt. Leben bedeutet eine bewusste Auseinandersetzung mit der Frage des Sterbens oder den Versuch, die Todessehnsucht zu überwinden. Auffallend für die Literatur um 1900 ist der Wandel ästhetischer Ausdrucksformen, die darüber hinaus eine Vielzahl neuer Stiltendenzen mit sich brachte. Die Veränderungen lassen sich auf die durch Industrialisierung und Urbanisierung des Lebensraums hervorgerufenen Wandlungen im Erfahrungs- und Wahrnehmungsbereich zurückführen. Die Jahrhundertwende war geprägt durch Wirtschaftswachstum, Bevölkerungsexplosion, Landflucht und politische Resignation. Das Bildungsbürgertum war auf der einen Seite einer wachsenden Unsicherheit durch Technik und Lebensbedingungen einer Industriegesellschaft ausgesetzt, auf der anderen Seite entwickelte sich ein neues menschliches Selbstbewusstsein, der Mensch wurde durch die neue Technik Herr über das Sein und Nichtsein in der Welt. Die Religion bot keine ausreichenden Antworten auf neu entstehende Fragen in diesem Zusammenhang. Es gab keinen gegebenen Daseinszweck, eine Krise des Lebens und gleichsam des Todes entstand, sowie die Frage, was nach dem Tod folgt. In diesem Zusammenhang stehen Trennungsangst und Angst vor dem Verlust der Autonomie und der Individualität durch den Tod, ein Kontrollverlust des selbstkontrollierten technischen Menschen, der hier in seine Grenzen verwiesen wird. Die einzige Möglichkeit der eigenen Todesentscheidung ist der Selbstmord. Deshalb ist das Todesthema oft mit Motivbereichen kombiniert, die in der Geschichte menschlicher Ängste eine herausragende Rolle spielen wie Wasser, Feuer, Nacht und Erotik.
Durch diese Umbrüche und Wandlungen im Leben der Menschen wurde ein Prozess evoziert, welcher als Subjektivierung bezeichnet wird, weil sich der Mensch aus seiner passiven Rolle, nämlich Objekt der Geschichte zu sein, löst und sich zum Subjekt der Weltgeschichte macht. [...]
Inhalt
I. Einleitung
I.1 Todesthematik in der Literatur
I.2 Untersuchungsgegenstand und Thema der Seminararbeit
II Der Tod
II. 1 Der Tod des Cornet in der Forschung
II. 2 Der Tod im „Cornet“
II. 3 Menschliche und göttliche Gewalt
II. 3. 1 Männlichkeit
II. 3. 2 Weiblichkeit
II. 3. 2.1 Die Frauengestalten im „Cornet“
II. 3. 2. 2 Mutterrolle
II. 3. 2. 3 Rilkes Mutterbezug
III. Tod und Liebe
III. 1 Menschliche und göttliche Liebe
III. 2 Die Liebe im „Cornet“
III. 3 Das Motiv des Traums als Verknüpfung von Liebe und Tod
IV Subjekt und Identität
V Zusammenfassung
VI Literatur
I. Einleitung
I.1 Todesthematik in der Literatur
Der Tod ist ein unerklärbares Urphänomen, das nicht wirklich verstanden werden kann. Er bestimmt alles Leben entscheidend als begrenzender Faktor mit.[1]
In Perioden tief greifender geschichtlicher Umbrüche, so auch dem frühen 20. Jahrhundert, zeigt die Literatur heftige Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Sterben. Die Figuren eines literarischen Textes entwickeln eine besondere Beziehung zum Tod, denn das Wissen, sterben zu müssen, beeinflusst die Konzeption der menschlichen Entwicklung, die vergangenes und zukünftiges Leben in ein anderes Licht rückt. Leben bedeutet eine bewusste Auseinandersetzung mit der Frage des Sterbens oder den Versuch, die Todessehnsucht zu überwinden. Auffallend für die Literatur um 1900 ist der Wandel ästhetischer Ausdrucksformen, die darüber hinaus eine Vielzahl neuer Stiltendenzen mit sich brachte. Die Veränderungen lassen sich auf die durch Industrialisierung und Urbanisierung des Lebensraums hervorgerufenen Wandlungen im Erfahrungs- und Wahrnehmungsbereich zurückführen. Die Jahrhundertwende war geprägt durch Wirtschaftswachstum, Bevölkerungsexplosion, Landflucht und politische Resignation. Das Bildungsbürgertum war auf der einen Seite einer wachsenden Unsicherheit durch Technik und Lebensbedingungen einer Industriegesellschaft ausgesetzt, auf der anderen Seite entwickelte sich ein neues menschliches Selbstbewusstsein, der Mensch wurde durch die neue Technik Herr über das Sein und Nichtsein in der Welt. Die Religion bot keine ausreichenden Antworten auf neu entstehende Fragen in diesem Zusammenhang. Es gab keinen gegebenen Daseinszweck, eine Krise des Lebens und gleichsam des Todes entstand, sowie die Frage, was nach dem Tod folgt. In diesem Zusammenhang stehen Trennungsangst und Angst vor dem Verlust der Autonomie und der Individualität durch den Tod, ein Kontrollverlust des selbstkontrollierten technischen Menschen, der hier in seine Grenzen verwiesen wird. Die einzige Möglichkeit der eigenen Todesentscheidung ist der Selbstmord. Deshalb ist das Todesthema oft mit Motivbereichen kombiniert, die in der Geschichte menschlicher Ängste eine herausragende Rolle spielen wie Wasser, Feuer, Nacht und Erotik.
Durch diese Umbrüche und Wandlungen im Leben der Menschen wurde ein Prozess evoziert, welcher als Subjektivierung bezeichnet wird, weil sich der Mensch aus seiner passiven Rolle, nämlich Objekt der Geschichte zu sein, löst und sich zum Subjekt der Weltgeschichte macht. Der Subjektivierungsprozess spiegelt sich auch in den Sterbe- und Todesvorstellungen wider. Die Menschen starben isoliert und allein, nicht mehr im Kreise der Angehörigen.
Die Gesellschaft dementierte den Tod zunehmend, es entstand eine Abwehrhaltung gegenüber dem Tod. Es entwickelten sich zwei Mechanismen zur Bewältigung dieser Bedrohung. Zum einen wurde die Überwindung des Todes in den Erlösungslehren verschiedener Religionen gesucht, zum anderen versuchte der Mensch, als Handelnder durch historisch einmalige Leistungen und bedeutsame Denkmäler auf zahlreichen kulturellen Gebieten fortzubestehen.[2] Die Dichtung nahm den „Tod in Schutz“. Rilke forderte die Besinnung auf den eigenen Tod, er konfrontierte die Menschen mit Bildern des Todes, um ihnen den Tod als zum Leben zugehörig begreiflich zu machen. Die Tabuisierung des Todes in der Realität spiegelt sich in der Literatur der Jahrhundertwende in einer Veränderung des Erzählens, die zum einen Ausdruck der Unsicherheit und Gleichgültigkeit gegenüber traditioneller Formen ist und zum anderen auch das Bemühen um neue Formen dokumentiert.
Die Darstellung des Todes in der Literatur veränderte sich zusehends: in decadènce und fin de siécle war zwar noch eine Tendenz zur Ästhetisierung des Todes vorhanden, doch gleichzeitig häuften sich Todesbilder desillusionierender Hässlichkeit.
I.2 Untersuchungsgegenstand und Thema der Seminararbeit
In dieser Arbeit soll untersucht werden, wie der Tod in der frühen Dichtung Rilkes „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ dargestellt wird. Die in der Einleitung genannten Aspekte sollen dabei in die Betrachtung mit einbezogen werden, besonders bestehende Zusammenhänge zwischen Tod und Liebe und die Frage nach Identität und Subjekts sollen geklärt werden. Dabei werden auch Parallelen zum Leben des Dichters gezogen.
II Der Tod
II. 1 Der Tod des Cornets in der Forschung
Die Forschung interpretiert das Werk oftmals als ein verklärtes Jugendwerk und zieht Parallelen zum jungen Autor. Der Tod des „Cornet“ wird als das erforderliche Ende jugendlichen Heldentums angesehen, besonders nachdem in allen Bereichen Erfüllung stattfand, die sich ein junger Mann wünscht. Seine letzte Mission sei unvermeidbar und bewirke die Schliessung des Kreises eines jungen Heldenlebens.[3] Dabei wird der Tod oft unter rein ästhetischen Gesichtspunkten bewertet, die den Inhalt als schöne Form beschreiben wie z. B. Roffler, für den der Tod des Cornets „eine vom Leben selbst stilisierte Notwendigkeit, ein im tiefsten Sinne organischer Abschluss“[4] ist. Auch Petersen stellt heraus, dass die Schönheit eines jungen Lebens in einer einzigen Nacht zusammengefasst ist, an deren Ende nur noch das Ende des Lebens möglich ist.[5] Betz beurteilt den frühen Tod nicht als grausam, sondern als sinnvolles Schicksal, das „die steil aufsteigenden Kurve dieses Lebens schließt, ehe sie verflachen kann“. Gerade in der Einmaligkeit der Erlebnisse liegt ihre „wunderbare Süße und Kraft- und ihre Heiligkeit“. Die Faszination des Werks ist auf diesem jungen Sterben begründet, das das gedrängte Leben schöner und kostbarer erscheinen lässt.[6] Das Bild des Todes als Höhepunkt einer Steigerung des Lebens verwendet auch Bollnow: „Leben und Tod werden eins auf der Höhe einer letzten rauschhaften Steigerung des Lebens, so dass gerade auf seinem Höhepunkt das Leben zugleich in den Tod übergeht“. Im Überschwang des Gefühls des jungen Dichters leistete dieser noch unbewusst, verklärt durch die Begeisterung der Liebe, die höchste Verwirklichung des eigenen Daseins in einem Überschreiten darzustellen.[7] Angelloz hingegen negiert einer Verwirklichung im Tode. Er spricht von einer „einfachen Idee“: „Wie weiterleben, wenn man in verliebter Trunkenheit den Höhepunkt des Leben erfahren hat?“[8] Diese Interpretationen erklären die Beliebtheit des Werkes in den beiden Weltkriegen, in denen der „Cornet“ zur nationalistischen Literatur zählte und von vielen Soldaten gelesen wurde. Die Figur des Cornets ist durch die mangelnde Spezifik und die allgemeine, volksliedhafte, den Leser einbeziehende Sprache eine ideale Projektionsfläche für Wünsche und Phantasien. Diese Darstellungen behandeln aber lediglich Teilaspekte des Werkes, das viel komplexer ist. Kohlschmidt setzt sich bereits mit der Thematik der Individualität auseinander. Er beschreibt das Motiv des „Cornets“ als die Selbstverwirklichung einer reinen Individualität, zu der der festliche Tod als höchste Steigerung gehört.[9] Grote spricht von einem individuellen Sterben des Cornets, da Leben und Tod im Einklang miteinander gebracht werden durch das Liebeserlebnis der vergangenen Nacht.[10] Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, die Rilke immer wieder in seinen Schriften fordert, lässt den Erkennenden intensiver leben und diesem eigenen, individuellen Leben folgt ein ausgereifter, individueller Tod, den jeder in sich trägt, wodurch erklärbar wird, dass der Tod des Anderen als fremd und schwer empfunden wird.[11]
Die Ambivalenz von Leben und Tod ist das Thema schlechthin im Gesamtwerk Rilkes, wobei nicht der physische Aspekt thematisiert wird, sondern die Betonung auf der Wichtigkeit eines bewussten, erfüllten Lebens und einem damit verknüpften bewussten und individuellen Tod liegt.
Der Tod im Cornet stellt eine vielschichtige, komplexe Verbindung mehrerer existenzieller Themen dar, die auf die kunstvollste Weise miteinander verbunden sind, sowohl in der Dichtung für sich, als auch mit Rilkes Leben, zu dem sich eindeutige Parallelen ziehen lassen. Diese verschiedenen Aspekte werden schrittweise erörtert und miteinander in Verbindung gebracht. Die bisher besprochenen Ergebnisse der Forschung werden erweitert.
II. 2 Der Tod im „Cornet“
Es ist auffällig, dass das Wort „Tod“ als solches nur im Titel erscheint und außer im nüchternen, auf historische Glaubwürdigkeit bedachten Vorspann im ganzen Stück bis hin zum „ ästhetisierten Soldatentod“[12] nicht mehr genannt wird. Trotzdem wird der Leser schon in der ersten von 26 Momentaufnahmen mit dem Tod konfrontiert, indem er, intensiviert durch die personale Erzählweise, an einer Abschiedssituation teilhat, die zwar indirekt erzählt, aber dennoch eindeutig den Ritt in den Krieg schildert, wobei der Ausgang eines solchen immer ungewiss ist und einen möglichen Tod beinhaltet. Die Situation ist schon anfangs hoffnungslos geschildert, die Soldaten sind mutlos und voller Sehnsucht. Der Sog der Melancholie ist verbunden mit dem Verlust der Zeichen, die Orientierung geben könnten „keine Berge mehr, kaum einen Baum...“[13] Dies sind Koordinaten für die Orientierung des Subjekts[14]. Wiederholt werden die Adjektive „müde, schwer, staubig, traurig“ verwendet, die diese Eindrücke bestärken. In der zehnten Szene findet eine erneute Konfrontation mit dem Tod statt, als der Cornet seiner Mutter einen Brief schreibt, da er sich gedanklich mit dem Tod auseinandersetzt und weiß, dass er seiner Mutter vielleicht nicht mehr selbst berichten kann, dass er zum Cornet ernannt wurde. Er denkt, als er den Brief in den Waffenrock schiebt „vielleicht findet ihn einmal Einer…Und denkt….Denn der Feind ist nah.“[15] Die Negierung des Todes durch die Ellipse wird in der nächsten Szene aufgehoben, wodurch symbolisiert wird, dass man den Tod nicht negieren kann. „Sie reiten über einen erschlagenen Bauer. Er hat die Augen weit offen und Etwas spiegelt sich drin; kein Himmel“[16]. Dieser Tote hält dem Cornet den Tod durch den Krieg, der auch ihm droht und den er verdrängt hatte, vor Augen und weist auf einen weiteren Aspekt hin, der die Hoffnungslosigkeit verstärkt: Der Glaube an die Religion, symbolisiert durch die transzendente Bedeutung des Worts „Himmel“ und von ihr vermittelte Grundfesten ist verloren (kein „Himmel“ ist zu erkennen), der Mensch ist haltlos. Selbst in der Schlossszene sind die Kriegs- und Todesassoziationen präsent, wie „ein Grab“ schlafen die Soldaten in der „lumpigen Furche“[17].
Die letzte Konfrontation mit dem Tod ist der eigentliche Tod des Cornets in der Schlacht. Diese ist völlig konträr zu den melancholischen Schilderungen der Todeskonfrontationen zuvor und lässt eine Wandlung des Cornets in Bezug auf seine Todesängste erkennen, da er lächelt und an „Gärten“[18] denkt. Die Verkoppelung von Tod und Garten ist in der Dichtung Rilkes sehr beliebt. „Er ist allein mit seinem Selbst, mitten im Sein“, das ihn umringende Dasein wird transparent und wird zu einer archaischen Daseinsform des Paradiesgartens.[19] Etwas ist anders, die Sprache unterstreicht es und deutet es an, der junge Cornet hat sich entwickelt, die Einstellung zum Tod hat sich radikal verändert.
Die Forschung hat herausgestellt, dass der Tod im „Cornet“ zum einen als ästhetisierter, verklärter Heldentod dargestellt wird, zum anderen wurde erkannt, dass der Tod die Vollendung der Individualität bedeutet und Rilke die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod forderte. Beim Betrachten des Primärtextes hat sich der Tod auf der einen Seite im Rahmen der Kriegsgewalt präsentiert, auf der anderen Seite stirbt der Cornet zwar durch den Feind, aber wie auch schon vorher in der Forschungsliteratur herausgestellt, wird dieser Tod völlig gewaltfrei und symbolistisch dargestellt. Diese Darstellungsweise wird in einem späteren Teil der Arbeit noch eingehend behandelt.
Zuerst werden weitere Interpretationsarten vorgestellt:
Die auffällig häufigen religiösen Textstellen könnten darauf hin deuten, den Tod des Cornets als Märtyrertod anzusehen, auch vergleichbar mit dem in der Einleitung genannten Selbstmord, um den Verlust der Autonomie durch den Tod zu umgehen.
Das Blatt der Rose, die der Marquis „wie eine Hostie“ bricht, damit sie den Cornet zusammen mit der „Maria schützt“[20], der „Wein...oder [das]Blut“[21] in den soldatischen Helmen stellen das Abendmahl dar, die Jugendfreundin heißt Magdalena, explizit christusähnlich erscheint der Cornet „nackt wie ein Heiliger. Hell und schlank“[22]. Der anschließende Liebesakt mit der Gräfin wird zum sakralen und sakramentalen Akt. Die symbolische Kommunion mit der Rose wird zur realen, leiblichen, sakramental aufgeladen[23] „da betet sichs anders als in der lumpigen Furche unterwegs, die, wenn man einschlafen will, wie ein Grab wird. Herrgott, wie du willst! Kürzer sind die Gebete im Bett. Aber inniger“[24] Die Worte Christus’ in Gezehmane am Vorabend seiner Hinrichtung, der auch die gleiche Todesangst verspürte „Herrgott, wie du willst!“ bestätigen diese These noch, ebenso wie der Cornet lächelnd und angstbefreit in den Tod geht. Das Wort „Gärten“ ruft in diesem Kontext die Assoziation vom paradiesischen Garten hervor und lässt doch noch hoffen auf eine biblische Erlösung nach dem Tod und evoziert vor allem die Frage, was nach dem Tod sein wird. Der vorherige Bezug des Soldatischen bzw. Männlichen, repräsentiert durch die steil an das Fensterkreuz gelehnte Fahne, auf das Zeichen des christlichen Kreuzes deutet erneut auf den Märtyrertod und auf die Unausweichlichkeit des Todes selbst durch Kraft und Gewalt hin.[25]
An dieser Stelle lassen sich eindeutige autobiographische Züge erkennen, wie auch im restlichen Werk. Rilke war als Junge auf einem Militärinternat. Die Zeit dort war für ihn eine Qual. In zwei Prosawerken, der Novelle „Pierre Dumont“ und der Erzählung „Die Turnstunde“ von 1899, attackiert er hasserfüllt die Brutalität und Gefühllosigkeit der Militärschule. Der feminine, ewig kränkliche, sonderbar wirkende Einzelgänger ertrug die Peinigung der Kameraden, indem er sich in ein „falsches Martyrium“[26] flüchtete. Die übermäßige Frömmigkeit seiner Mutter, die bei ihm genährt wurde durch Einsamkeit und Selbstbeobachtung, evozierte das Bild des leidenden Heiligen, der zu seinem Leitbild wurde. Das Kind konnte in Gedanken an diese Mythen ein Bild von sich entwerfen, mit dem es leben konnte und es nicht als schwach und feige, sondern als heroisch und christusähnlich darstellte.
Ebenfalls in den Bereich des Religiösen, Kultischen geht eine Deutung Wagner- Egelhaafs, die den Tod des Cornets als kultisches Menschenopfer darstellt. Die ganze Dichtung weist Merkmale eines kultischen Ritus auf, wenn auch die Elemente etwas verschoben sind.[27]
[...]
[1] Nach Katja Grote, Der Tod in der Literatur der Jahrhundertwende. Peter Lang, Frankfurt 1996.S.13-38
[2] Gerhard Stebner: Einleitung, in: Marx, Rainer (Hrsg.):Perspektiven des Todes. Interdisziplinäres Symposium I, Heidelberg 1999, S.13
[3] Kip Wilson: “Force and Love in the Works of Rainer Maria Rilke. Heroic Life Attitudes and the Acceptance of Defeat and Suffering as Complementary parts”. Peter Lang, Frankfurt am Main,1999, S. 32
[4] Thomas Roffler: „Bildnisse aus der neueren deutschen Literatur“. Frauenfeld und Leipzig, 1933, S. 101
[5] Jürgen Petersen: „Das Todesproblem bei Rainer Maria Rilke“, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1974, S. 270
[6] Irene Betz: „Der Tod in der deutschen Dichtung des Impressionismus“, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1974, S. 286
[7] Otto Friedrich Bollnow: „Existenzphilosophie“. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1974, S. 305
[8] J.- F. Angelloz: „Rainer Maria Rilke“. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1974, S. 344
[9] Werner Kohlschmidt: „Rainer Maria Rilke“. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1974, S.318
[10] Katja Grote, Der Tod in der Literatur der Jahrhundertwende. Peter Lang, Frankfurt 1996.S.122
[11] Alfred Fo>
[12] Rüdiger Görner: „Rainer Maria Rilke. Im Herzwerk der Sprache“. Paul Zsolnay Verlag, Wien, 2004
[13] Textstellen fortan zitiert aus Rainer Maria Rilke: „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. In: Walter Simon: „Rainer Maria Rilke- Die Weise von Liebe und Tod. Texte und Dokumente“. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1974, S. 39- 69, hier S. 43
[14] Wolfgang Braungart: „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. In: „Rilke- Handbuch. Leben- Werk- Wirkung“. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2004, S. 210- 216
[15] Rainer Maria Rilke: „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. In: Walter Simon: „Rainer Maria Rilke- Die Weise von Liebe und Tod. Texte und Dokumente“. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1974, S. 54
[16] ebd. S. 55
[17] ebd. S. 61
[18] ebd. S. 68
[19] Walther Huder: „Die Dialektik in der Dichtung Rainer Maria Rilkes“, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1974, S. 353f
[20] Rainer Maria Rilke: „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. In: Walter Simon: „Rainer Maria Rilke- Die Weise von Liebe und Tod. Texte und Dokumente“. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1974, S. 50
[21] ebd. S. 51
[22] ebd. S. 60
[23] Wolfgang Braungart: „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“. In: „Rilke- Handbuch. Leben- Werk- Wirkung“. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2004, S. 210- 216
[24] ebd. S. 61
[25] Dabei darf man die Symbolik der Fahne, die äußerst vielschichtig ist, nicht auf die genannten Attribute beschränken: Die Fahne ist das persönliche Symbol des Cornets, von der Allmacht des Generals verliehen. Er erhält erst durch die Fahne seine Identität, hat geradezu sakrale Bedeutung. Erst seit er die Fahne trägt, kann er der Mutter mit Selbstbewusstsein entgegentreten. Auf der metaphorischen Ebene ist die Fahne Phallussymbol und steht im Zusammenhang mit dem Schreiben, da der Cornet gegen ein Schreiben die Fahne vom General Spork erhält und die Präsentation der Fahne gegenüber der Mutter in Form eines Briefes geschieht, den sich der Cornet zum Rosenblatt an die „heimlichste Stelle“ steckt. Beide verbrennen, wie auch der Cornet mit seiner Fahne zugrunde geht. Im christlichen Bereich gilt die Fahne als Siegessymbol und ist Attribut des auferstandenen Christus. Im Text besteht eine enge Motivverknüpfung: Im Bild der Fahne begegnen sich erotische Wünsche, Schreibphantasien und an religiöse Dimensionen reichende Größenträume.
Nach: Martina Wagner- Egelhaaf: „Kultbuch und Buchkult. Die Ästhetik des Ichs in Rilkes „Cornet““. In: „Zeitschrift für deutsche Philologie“, Band 107, Heft 4, 1988, S. 542-556
[26] an Ludwig Ganghofer, 16.04.1897. Rainer Maria Rilke: Briefe aus den Jahren 1892 bis 1904. Herausgegeben von Ruth Sieber- Rilke und Carl Sieber, Leipzig, 1939, S.37 f.
[27] Beispielsweise das Beginnen der Opferszene mit einem Festmahl, Genuss der Opferspeise, der Tod als Fest und die Präsenz machthaltiger Stoffe wie Feuer, Wasser und Blut, mit denen kultische Reinigungsriten erfolgen. Vor allem aber die transzendente Bedeutung der Dinge, wie sie Rilke erzählt, lässt den Leser den Text zelebrieren.
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