Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einführung
1.1 Zielsetzung der Arbeit
1.2 Methodik und Aufbau der Arbeit
2 Armut und Ungleichheit
2.1 Dimensionen und Messung der Armut
2.1.1 Die ökonomische Dimension: Absolute und relative Armut
2.1.2 Messung der absoluten Armut
2.1.3 Problematik der Armutsmessung
2.1.4 Multidimensionaler Armutsbegriff
2.2 Ursachen für die Verstetigung von Armut in Entwicklungsländern
2.3 Einführung in das Konzept der ökonomischen Ungleichheit
2.3.1 Messung der Ungleichheit
2.3.2 Auswirkungen extremer Ungleichheit
3 Das Konzept des Wirtschaftswachstums
3.1 Entwicklung des Wirtschaftswachstums
3.2 Wachstumsdeterminanten
3.3 Instrumente zur Förderung des Wirtschaftswachstums
4 Armutsorientiertes Wachstum (Pro-Poor Growth)
4.1 Wirkungszusammenhänge zwischen Wachstum und Verteilung
4.2 Die Kuznets-Kurve
5 Methodischer Teil
5.1 Methodisches Vorgehen: Experteninterview
5.2 Wer sind die ExpertInnen?
5.3 Erhebungsinstrument: Der Interviewleitfaden
5.4 Ergebnisdarstellung
6 Fallbeispiel: Die Demokratische Volksrepublik Laos
6.1 Länderkontext
6.2 Wachstumstrends und Wirtschaftsentwicklung
6.2.1 Ausbau des Bergbau- und Energiesektors
6.2.2 Auswirkungen der Bauprojekte auf lokale Gemeinschaften
6.3 Armutsreduzierung und regionale Divergenzen
6.3.1 Ausprägung der multidimensionalen Armut
7 Fazit und Ausblick
Quellenverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Messung der Total Poverty Gap
Abbildung 2: Interdependente Armutsdimensionen
Abbildung 3: Die Lorenz-Kurve
Abbildung 4: Bestimmung des Gini-Koeffizienten
Abbildung 5: Interne und externe Wachstumsdeterminanten
Abbildung 6: Kuznets-Kurve
Abbildung 7: BIP pro Kopf in Laos
Abbildung 8: Armutsinzidenzrückgänge in ASEAN-Ländern von 2005-2017
Abbildung 9: Intensität der multidimensionalen Armut in Laos je nach Provinz
Abbildung 10: Einkommensungleichheit, Laos, 1980-2019
Abbildung 11: Regionale Ausprägungen von multidimensionaler Armut in Laos
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Absolute Armut in Entwicklungsländern (1,90 US-Dollar pro Tag)
Tabelle 2: Multidimensional Poverty Index (MPI), Daten von 2010-2019
Abkürzungsverzeichnis
ASEAN Association of Southeast Asian Nations
BIP Bruttoinlandsprodukt
BNE Bruttonationaleinkommen
BRI Belt and Road Initiative
CDE Centre for Development and Environment
EU Europäische Union
EZ Entwicklungszusammenarbeit
FDI foreign direct investment
HDI Human Development Index
HI Headcount Index
IMF International Monetary Fund
INEF Institut für Entwicklung und Frieden
INR Indische Rupie
KKP Kaufkraftparität
LDCs least developed countries
MICs Middle Income Countries
MPI Multidimensional Poverty Index
NAD Namibia-Dollar
NEM New Economic Mechanism
OAV Ostasiatischer Verein e.V.
OECD Organization for Economic Cooperation and Development
PGI Poverty Gap Index
PPG Pro-Poor Growth
SDG Sustainable Development Goals
SFr. Schweizer Franken
TPG Total Poverty Gap
UNDP United Nations Development Programme
1 Einführung
Eine der zentralen Fragen im sozialwirtschaftlichen Diskurs lautet, wie man Armut nachhaltig bekämpfen kann. Im Zuge der Globalisierung hat diese Frage eine wesentliche Rolle in der globalen Entwicklungspolitik eingenommen. Dabei hat vor allem das Wirtschaftswachstum für die Entwicklung von Volkswirtschaften eine neue, herausragende Bedeutung erlangt. Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, mit welchen Wirkungen rasantes Wirtschaftswachstum miteinhergehen kann. Die fundamentalen Veränderungen in der Weltwirtschaftsordnung und der zunehmende Austausch von Gütern, Technologien, Kapital und Informationen hat wesentlich dazu beigetragen, dass eine Gruppe von Schwellenländern zu gleichberechtigten Akteuren der Weltwirtschaft aufsteigen konnte (vgl. Di Weder Mauro, 2008, S. 7–9). Konstant hohe Wachstumsraten ermöglichten ehemals armen Ländern wie China und Indien ihr Handelsvolumen zu erhöhen, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und die Aufmerksamkeit multinationaler Entwicklungsbanken und Großunternehmen zu wecken (vgl. Stiftung Asienhaus und philippinenbüro e.V., 2017, S. 4).
Doch wie nachhaltig und armutsorientiert verliefen diese Entwicklungen? Je nach gewählter Berechnungsart und Indikatoren ist die extreme Armut weltweit in relativen Zahlen zwar gesunken, die absolute Zahl der Armen ist jedoch weitgehend gleichgeblieben. Somit wird trotz des eindrucksvollen, globalen Wirtschaftswachstums, der zunehmenden Anzahl an nationalen und internationalen Armutsbekämpfungskonzepten sowie des steigenden Engagements der Industrieländer bei der Entwicklungsfinanzierung ersichtlich, dass die Unterschiede in den Lebensstandards nach wie vor immens sind (vgl. Bliss et al., 2017, S. 11). Vor allem in den sog. Middle Income Countries (MICs)1 haben sich vielerorts die Einkommensgegensätze vergrößert, wodurch große Bevölkerungsteile sozial und wirtschaftlich abgehängt wurden (vgl. Stiftung Asienhaus und philippinenbüro e.V., 2017, S. 4). Obwohl die MICs der Weltbank (2020) zufolge rund ein Drittel des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen und somit als wesentlicher Wirtschaftstreiber des globalen Wachstums fungieren, beherbergen sie circa 62% der weltweit in Armut lebenden Menschen. Aufgrund dieser divergierenden Entwicklung wurde die Wirksamkeit steigender Wachstumsraten im Hinblick auf eine nachhaltige Armutsreduzierung zunehmend in Frage gestellt.
1.1 Zielsetzung der Arbeit
Vor dem Hintergrund weltweit steigender Einkommensgegensätze und der Verstetigung von Armut in Entwicklungs- und Schwellenländern ist das Ziel der vorliegenden Arbeit zu untersuchen, ob (rasantes) Wirtschaftswachstum genügt, um Armut nachhaltig zu bekämpfen. Dazu wird am Beispiel der Demokratischen Volksrepublik Laos aufgezeigt, welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen und Strategien einen positiven Effekt auf die Armutsreduzierung haben, und welche nicht. Gleichzeitig werden regionale Gewinner und Verlierer identifiziert und regionale Unterschiede bezüglich der Einkommensverteilung aufgezeigt.
Zusätzlich ist das Ziel dieser Arbeit folgende Fragen zu beantworten:
(1) Haben urbanes und ländliches Wirtschaftswachstum den Wohlhabenden mehr zugespielt als den Armen?
(2) Inwiefern war urbanes und ländliches Wirtschaftswachstum ,, pro-poor “?
(3) Welche möglichen Probleme gehen mit den entwicklungsstrategischen Projekten der laotischen Regierung vor allem für die ländliche Dorfbevölkerung einher?
1.2 Methodik und Aufbau der Arbeit
Im ersten Teil der Arbeit (Kapitel 2-3) werden die theoretischen Wirkungszusammenhänge zwischen Armut, Ungleichheit und Wirtschaftswachstum vorgestellt. Wie wird Armut gemessen? Kann Wirtschaftswachstum mit steigender Ungleichheit miteinhergehen? Diese und ähnliche Fragen werden in dem Teil beantwortet.
Der zweite Teil der Arbeit (Kapitel 4-7) widmet sich der Beantwortung der Forschungsfrage. Das methodische Vorgehen der Arbeit wird in Kapitel 5 vorgestellt. In Kapitel 6 soll zunächst eine Übersicht zu den Wachstumstrends und der Armutssituation in der Demokratischen Volksrepublik Laos geschaffen werden. Im Anschluss darauf sollen die vorangegangenen Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus dem methodischen Teil am Fallbeispiel Laos diskutiert und in Kapitel 7 zusammengefasst werden.
2 Armut und Ungleichheit
Das Ausmaß der weltweiten Armut und wachsende globale Einkommensunterschiede2 haben in den letzten Jahrzehnten den Anlass gegeben, neue Fragen zu den Wirkungszusammenhängen zwischen Armut und Ungleichheit zu stellen. Noch bis ins 20. Jahrhundert rechtfertigte die Konzeption des Utilitarismus die divergierende Einkommensverteilung, indem man die Armut Einzelner als Zweck zur Erreichung des Reichtums Anderer ansah (vgl. Günther et al., 2021, S. 26). Die von John Stuart Mill (1806-1873) und Jeremy Bentham (1748-1832) begründete Denkschule basiert auf der politischen Philosophie, dass der Staat zunächst alle politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen ergreifen sollte, um die Summe der Nutzen aller Gesellschaftsmitglieder zu maximieren (vgl. Mankiw & Taylor, 2012, S. 522).
Inzwischen lehnt die vorherrschende Meinung die utilitaristische Sichtweise der Ungleichheit ab und seit der Veröffentlichung von Werken wie „ A Theory of Justice “ (Rawls, 1971) wurde im Rahmen der entwicklungspolitischen Debatte erstmals die Prämisse aufgestellt, dass allen Menschen gleiche Rechte zustehen. Nach Rawls sollte der Staat politische Maßnahmen ergreifen, die nicht den Nutzen aller, sondern derer maximiert, die innerhalb einer Gesellschaft am schlechtesten gestellt sind. Die von Rawls begründete politische Ideologie (egalitärer Liberalismus) hat somit zu einer neuen Betrachtungsweise von Armut und Ungleichheit geführt, deren Bekämpfung sich zum wesentlichen Ziel der heutigen Entwicklungsökonomik entwickelt hat (vgl. Günther et al., 2021, S. 24–26). Diesem Ziel stehen trotz der Entwicklung von nationalen und internationalen Armutsbekämpfungskonzepten nach wie vor erhebliche Herausforderungen gegenüber. Obwohl Armutsraten weltweit im Zuge der Liberalisierung des Weltmarkts und der Umstrukturierung der Weltwirtschaft reduziert werden konnten, spricht die Entwicklungsorganisation Oxfam von einer globalen ,,Ungleichheitskrise“, die sich in den letzten Jahren erheblich zugespitzt hat. Berechnungen der Organisation zeigen beispielsweise, dass im Jahr 2017 rund 82 Prozent des weltweiten Vermögenswachstums an das reichste Prozent der Weltbevölkerung ging (vgl. Oxfam Deutschland e.V, 2018, S. 1). Aus diesem Grund soll die Problematik der steigenden Ungleichheit im Rahmen dieser Bachelorarbeit in die Debatte um armutsorientiertes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum (pro-poor versus pro-growth) miteinbezogen werden, da eine gerechtere Verteilung unumgänglich ist, um extreme Armut gänzlich zu überwinden.
2.1 Dimensionen und Messung der Armut
Um Armut nachhaltig zu bekämpfen, müssen zunächst die verschiedenen Formen und Dimensionen der Armut analysiert werden. Da in der Entwicklungsökonomik vorwiegend die ökonomische (einkommensbasierte) Betrachtungsweise der Armut genutzt wird, um wohlhabende und arme Staaten voneinander abzugrenzen und zu klassifizieren, wird im folgenden Kapitel zunächst die ökonomische Dimension vorgestellt und diskutiert (vgl. Durth et al., 2002, S. 13).
2.1.1 Die ökonomische Dimension: Absolute und relative Armut
Für die einkommensbasierte Betrachtungsweise wird vorwiegend das Pro-Kopf-Einkommen3 (bzw. das Bruttonationaleinkommen4, BNE) eines Landes verwendet, da es aufgrund seiner einfachen Messbarkeit und der relativ hohen Datenverfügbarkeit eine gute Vergleichbarkeit zwischen Ländern ermöglicht (vgl. Günther et al., 2021, S. 31). Da das nationale Einkommen in US-Dollar anhand von Kaufkraftparitäten (KKP) und nicht anhand von Wechselkursen umgerechnet wird, kann mit Hilfe einer festgelegten monetären Armutslinie (poverty line) berücksichtigt werden, welche Güter zur Deckung des täglichen Bedarfs für den vorgegeben Geldbetrag gekauft werden können (vgl. Durth et al., 2002, S. 13). Die monetäre Armutslinie gilt als Maßstab zur Messung von absoluter Armut. Liegt das Einkommen eines Menschen unterhalb dieser Armutslinie, so gilt dieser als absolut arm. Nationale Armutslinien können von Land zu Land stark variieren: Im Jahr 2015 galten in der Schweiz diejenigen als arm, die täglich weniger als 73,87 SFr. (62,02 internationale US-Dollar5 ) zur Verfügung hatten. In Deutschland belief sich die nationale Armutslinie auf 33,98 Euro (43,90 internationale US-Dollar), in Indien auf 32,00 INR (1,88 internationale US-Dollar) und in Namibia auf 17,08 NAD (2,64 internationale US-Dollar) (vgl. Günther et al., 2021, S. 35; Weltbank, 2019). Folglich zeigt sich, dass nationale Armutslinien vom jeweiligen Einkommen des Landes abhängen und diese in Ländern mit hohem Einkommen dementsprechend höher ausfallen als in denen mit niedrigem Einkommen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich die Preise zur Deckung des täglichen Bedarfs von Land zu Land unterscheiden und in Niedriglohnländern demgemäß niedriger ausfallen. Ein weiterer Grund für die unterschiedlichen nationalen Armutslinien liegt in der jeweiligen Berechnungsart des Landes (vgl. Günther et al., 2021, S. 34–35).
Absolute und relative Armut
Absolute Armut kann neben dem Unterschreiten eines monetären Schwellwerts auch als Zustand beschrieben werden, in dem man nicht oder nur spärlich in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und den Bedarf an essentiellen Gütern wie ausreichend Essen, Kleidung und Unterkunft zu decken (vgl. Todaro & Smith, 2015, S. 226). Das Konzept der absoluten Armut basiert auf der Idee des Subsistenzniveaus und wird im internationalen Kontext vor allem für Entwicklungs- und Schwellenländer angewendet. Diesbezüglich ist dennoch hinzuzufügen, dass absolute Armut, wenn auch in einem geringeren Ausmaß, gleichermaßen in Industrieländern existent sein kann.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verwendet in Bezug auf die OECD-Länder6 vorwiegend den Begriff der relativen Armut. Dieser basiert im Gegensatz zur absoluten Armut auf der Idee der Partizipation am gesellschaftlichen Leben und hängt vom Lebensstandard der Bevölkerung in einem festgelegten Zeitraum ab. Gemäß der OECD Definition, gelten Individuen und Haushalte dann als arm, wenn ihr Durchschnitts- oder Medianeinkommen eine bestimmte Einkommensgrenze (relative Armutslinie) unterschreitet (vgl. Garroway & R. de Laiglesia, 2012, S. 14).7 Steigt das Einkommen einer Bevölkerung, so steigt auch die relative Armutslinie. Neben den Konzepten der relativen und der absoluten Armut wird darüber hinaus noch zwischen extremer (1,25 US-Dollar pro Tag pro Kopf), schwerwiegender (0,70 US-Dollar pro Tag pro Kopf) und chronischer Armut (generationsübergreifende extreme Armut, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt) unterschieden (vgl. Shepherd et al., 2014, S. 3). Da der Begriff der relativen Armut im Kontext dieser Bachelorarbeit nicht relevant ist, beschränkt sich der folgende Teil der Arbeit auf die Verwendung von absoluten Armutsmaßen.
2.1.2 Messung der absoluten Armut
Das gängigste Armutsmaß, welches in der Entwicklungsökonomik verwendet wird, ist die sogenannte Armutsrate. Diese gibt den Anteil der Bevölkerung (P0) innerhalb eines Landes an, der unterhalb der absoluten Armutslinie lebt:
NP gibt hierbei die Anzahl der Armen, und N die Anzahl der Gesamtbevölkerung an. Ergibt eine Umfrage, an der 500 Menschen teilgenommen haben, z.B. dass 100 dieser Menschen arm sind, so gilt: P0 = 100/500 = 0,2 = 20% (World Bank Institute, 2005, S. 70). Je nach Region gibt es signifikante Unterschiede in den jeweiligen Armutsraten (vgl. Tabelle 1):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Absolute Armut in Entwicklungsländern (1,90 US-Dollar pro Tag)
Die Zahlen in Tabelle 1 geben die regionalen Veränderungen zwischen 1993 und 2013 an. Bemerkenswert ist hierbei der Rückgang der Armut in Ostasien und Pazifik. Während 1993 noch 53,7% der Bevölkerung weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag zur Verfügung hatten, reduzierte sich der Anteil nach nur 20 Jahren auf 3,6%.
Dieser drastische Rückgang der Armut ist vor allem auf das rasante Wirtschaftswachstum Chinas zurückzuführen. Neben Ostasien und Pazifik, verzeichnete Südasien ebenfalls einen erheblichen Rückgang der Armut. Nach monetären Maßstäben lebten 1993 noch rund 45% der Bevölkerung Südasiens in absoluter Armut. 2013 waren es nur noch 16,1%. Im internationalen Vergleich erfuhren die afrikanischen Länder südlich der Sahara die geringste Armutsreduzierung. Trotz Rückgang um 17,3%, lebten im Jahr 2013 noch 42,4% der Bevölkerung in der Region mit weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag. Weltweit ergab sich von 1993 bis 2013 ein Rückgang um ca. 23% (vgl. Alekhina & Ganelli, 2020, S. 6). Obwohl die globale Armutsreduzierung nach monetären Maßstäben einer bemerkenswerten Entwicklung unterlief, müssen diese Zahlen mit Vorsicht bewertet werden. Verwendet man nicht-monetäre Armutsmaße, wie z.B. den Multidimensional Poverty Index (MPI), so können die Armutsraten von der monetären Betrachtungsweise zum Teil erheblich abweichen (vgl. Kapitel 2.1.4).
Im Hinblick auf Tabelle 2 sollte ebenfalls berücksichtigt werden, dass hier lediglich die absolute Zahl der Armut aufgeführt wird und nicht dessen Intensität. Nimmt man beispielsweise an, die Armutslinie eines Landes beliefe sich auf 500 US-Dollar, so macht es einen erheblichen Unterschied, ob eine arme Person in dem jeweiligen Land jährlich 450 US-Dollar oder 350 US-Dollar verdient. Im Hinblick auf die Ermittlung des Headcount Index (HI) würden beide Personen gleichermaßen als absolut arm gelten, unabhängig von der tatsächlichen Höhe beider Einkommen. Infolgedessen ist die absolute Zahl der Armen nicht aussagekräftig genug, um die jeweilige Intensität der Armut innerhalb des Entwicklungslandes abzubilden (vgl. Todaro & Smith, 2015, S. 226–227). Aus diesem Grund wird zusätzlich die Größe der Armutslücke (total poverty gap, TPG oder poverty gap index, PGI) bestimmt, um sich ein umfangreicheres Bild von dem Ausmaß der Armut zu machen. Die Armutslücke zeigt, wie weit sich das Einkommen im Durchschnitt unterhalb der Armutslinie befindet. Die Armutslücke (poverty gap) Gi kann mithilfe der Armutslinie z und dem Einkommen yi berechnet werden (Alekhina & Ganelli, 2020, S. 72):
Mithilfe der grafischen Darstellung der TPG kann die jeweilige Intensität der ausgeprägten Armut aufgezeigt werden. Dies wird anhand der folgenden Abbildung ersichtlich:
Abbildung 1: Messung der Total Poverty Gap
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Todaro & Smith, 2015, S. 227
Die beiden Graphen, die von Todaro und Smith (2015, S. 227) entnommen wurden, zeigen, dass sich das Ausmaß der Armut trotz gleicher Armutsraten zwischen zwei Entwicklungsländern erheblich unterscheiden kann. Sowohl in Land A als auch in Land B liegen 50% der Bevölkerung unterhalb der Armutslinie V. Dennoch lässt sich erkennen, dass Land A eine größere Armutslücke als Land B aufweist. Daher kann man davon ausgehen, dass die Armutsreduzierung in Land A aufgrund seiner höheren Intensität länger dauern wird als in Land B.
2.1.3 Problematik der Armutsmessung
Nach Bliss et al. (2017, S. 11) liegt die Problematik in der monetären Armutsmessung darin, dass die absolute Zahl der weltweit in Armut lebenden Menschen je nach Berechnungsart und Indikatoren von verschiedenen Quellen anders angegeben wird. Offiziellen Berechnungen der Weltbank (2021b) zufolge ist die weltweite Armutsquote für den Zeitraum von 1990 bis 2017 beispielsweise von etwa 36% auf circa 9% gesunken. In absoluten Zahlen entspräche dies einer Reduzierung von 1,2 Milliarden armen Menschen (Weltbank, 2021a).
Mit Hinzurechnung des weltweiten Bevölkerungsanstiegs seit 1990 um etwa 2,5 Milliarden Menschen (United Nations, 2021), stellt dies eine bemerkenswerte und hoffnungsvolle Entwicklung dar. Gegen diese Beobachtung lässt sich jedoch einwenden, dass die von der Weltbank definierte Armutslinie von 1,90 US-Dollar pro Tag (in 2011 KKP), die die Grundlage dieser Berechnungen bildet, zu niedrig sei, um ein realistisches Abbild der aktuellen Armutslage zu schaffen. Während die Weltbank (2021a) von etwa 696 Millionen Menschen in absoluter Armut ausgeht, gehen Bliss et al. (2017, S. 8) in einer neuen Studie des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) von derzeit etwa zwei Milliarden armen Menschen weltweit aus.
Auch Autoren wie Friesenbichler und Pajank verweisen auf einen alternativen Armutsindikator von 5 US-Dollar pro Tag, da ,,die 1,90-US-Dollar-Armutsschwelle nicht mehr zeitgemäß“ sei (2019). Dazu sieht auch Oberholzer eine Notwendigkeit in der Neudefinierung des Armutsindikators, da es mindestens 5 US-Dollar brauche, „um nur […] die notwendigsten Ausgaben für Nahrungsmittel abdecken zu können“ (2021, S. 5). Erhöht man die Armutslinie beispielsweise von 1,90 auf 3,20 US-Dollar pro Tag, so ergibt sich für das Jahr 2019 eine Armutsrate von 24,3% der Weltbevölkerung. Bei einer Armutslinie von 1,90 US-Dollar pro Tag, waren es lediglich 9,3%, die in absoluter Armut lebten. Erhöht man den Schwellwert auf 5,50 US-Dollar, beläuft sich die weltweite Armutsrate im Jahr 2019 auf 43,5% (Weltbank, 2021c). Würde man demnach wie von Oberholzer, Friesenbichler und Pajank empfohlen, den höheren Schwellwert von 5 US-Dollar für die Armutsmessung in den sog. least developed countries (LDC) als Indikator anwenden, so müsste man von einer weltweiten Armutsquote von mindestens 40% sprechen. Bei Anwendung dieses Indikators wird ersichtlich, dass das Niveau der Armutsraten weiterhin außerordentlich hoch ist und der Rückgang im Hinblick auf die von der UN definierten Nachhaltigkeitsziele (SDGs) im Rahmen der Agenda 2030 somit weit weniger beeindruckend ausfällt als bei der oben angewendeten Armutslinie von 1,90 US-Dollar pro Tag. Neben der Debatte um die Höhe des Schwellwerts, ist ein weiteres Problem, dass mit der Benutzung konstanter ökonomischer Schwellwerte miteinhergeht, die Tatsache, dass soziale Indikatoren wie soziale Ausgrenzung, unzureichende Bildung, Krankheiten, fehlende soziale Absicherungen und Analphabetismus nicht in die Berechnungen miteinbezogen werden und somit der Armutsdimension nicht gerecht wird. Aus diesem Grund versucht man seit Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend neben den rein ökonomischen, auch die sozialen Maßstäbe in die Bewertung miteinzubeziehen.
2.1.4 Multidimensionaler Armutsbegriff
Während die entwicklungspolitischen Ansätze der 50er und 60er Jahre bis dato auf theoretischen Beiträgen wie der u-förmigen „Kuznets-Kurve“ (vgl. Kapitel 3.5.1) basierten und darin bestanden, Einkommenssteigerungen in Entwicklungsländern zu generieren, geht die heutige Armutsbekämpfung über die eindimensionale Förderung des Wirtschaftswachstums hinaus. Seither besteht die Zielsetzung der internationalen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) darin, ein ganzheitliches Bild der Armut zu schaffen, in dem verschiedenste interdependente Dimensionen in die Debatte miteinbezogen werden (vgl. Durth et al., 2002, S. 8–10). Folglich kann Armut nicht nur als Frage des Einkommens aufgefasst werden, sondern sollte vielmehr als multidimensionales Phänomen begriffen werden, welches eine Vielzahl an ökonomischer, sozialer, politischer und ökologischer Einflussfaktoren aufweist. Die folgende Abbildung 2, stellt die jeweiligen Armutsdimensionen dar, die den multidimensionalen Armutsbegriff und dessen Einflussfaktoren prägen. Da die empirische Forschung lange Zeit objektive Bewertungsmaßstäbe und Indikatoren (vgl. Kapitel 2.1.2) zur Messung und Definition von Armut verwendete, soll der folgende Abschnitt zunächst einen alternativen Ansatz vorstellen, der auf Basis von subjektiven Indikatoren die komplexen Auswirkungen darstellt (vgl. Seddig et al., 2017, S. 1–2).
Abbildung 2: Interdependente Armutsdimensionen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: In Anlehnung an Durth et al., 2002, S. 10
Die abgebildeten Armutsdimensionen (vgl. Abbildung 2) bestehen aus schutzbezogenen, politischen, sozio-kulturellen, menschlichen und ökonomischen Komponenten. Jede der abgebildeten äußeren Einflussfaktoren stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander. Die menschliche Armutsdimension umfasst beispielsweise die Bereiche Gesundheit und Ernährung, welche nicht nur eine Ursache, sondern auch eine direkte Auswirkung von Armut darstellt. Gesundheit, Bildung und Ernährung stehen in unmittelbarer Beziehung zu der ökonomischen Komponente. Dies wird daran deutlich, dass sich Krankheit und Unterernährung beispielsweise direkt auf die Fähigkeit der Einkommenserzielung einer Familie auswirken kann. Gleichermaßen beeinflusst auch das Bildungsniveau die Einkommenserzielung. Gleichzeitig steht ein geringer Bildungsstandard in vielen Kulturkreisen im direkten Zusammenhang mit dem Ansehen und der Würde eines Menschen. Betrachtet man diese Korrelationen aus der anderen Perspektive, so wird ersichtlich, dass sich Gesundheit als Grundvoraussetzung positiv auf die Fähigkeit zur Einkommenserzielung und ein hohes Bildungsniveau in Verbindung mit steigendem Einkommen in einem höheren Einflussgrad resultieren kann (vgl. Durth et al., 2002, S. 10–11).
Bezüglich der politischen Armutsdimension ist vor allem die Rechtssicherheit von hoher Bedeutung. Die Rolle der Rechtssicherheit in einem Entwicklungsland lässt sich besonders am Beispiel von Bangladesch verdeutlichen: Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklungen und im Hinblick auf das Ziel, bis zum Jahr 2021 den Status eines Landes mittleren Einkommens zu erlangen, ist das Risiko von Landnahme (Land Grabbing) seither rasant gestiegen. Die zunehmende Kommerzialisierung und Privatisierung von natürlichen Rohstoffen im Südosten des Landes hatte zur Folge, dass armen Bevölkerungsgruppen (zu denen vorwiegend indigene und religiöse Minderheiten gehören) der direkte Zugang zu Rohstoffen, Land, Eigentum und Vermögen verwehrt oder erschwert wurde (vgl. Saam, 2017, S. 14–15). Der Schutz vor Landnahme steht ebenso in Verbindung mit der Komponente Umweltschutz, die zusammen mit der Komponente Gender aufgrund ihrer zunehmenden Relevanz innerhalb der Armutsbekämpfung ebenfalls in das Schaubild miteinbezogen wurde.
Nach Durth et al. (2002, S. 11–12) wäre durch das Missachten des Faktors Umwelt keine nachhaltige Armutsbekämpfung möglich, da gerade die ärmsten Bevölkerungsgruppen den Umweltkatastrophen am meisten ausgeliefert sind. Da der Großteil der armen Bevölkerungsgruppen ihren Lebensunterhalt durch die Landwirtschaft bestreiten, sind diese besonders vulnerabel in Bezug auf Hitze, Dürren und Fluten. Die ökologischen und ökonomischen Konsequenzen des Klimawandels, der globalen Erwärmung und die der Abholzung von Regenwäldern in Regionen wie Zentralafrika oder in Ländern wie Indonesien, Peru, Brasilien oder den Philippinen haben gravierende Folgen auf die Existenzgrundlagen zahlreicher armer Menschen (vgl. Todaro & Smith, 2015, S. 491).
Die Komponente Gender ist in Bezug auf die interdependenten Armutsdimensionen daher relevant, da der Anteil der Frauen weltweit den Großteil der Armen ausmacht. Frauen werden in der Regel eher mit sozialer und materieller Deprivation konfrontiert, die häufig aufgrund der unfreiwilligen Entbehrung bzw. des Entzugs von materiellen Gütern und sozialen Beziehungen mit negativen Auswirkungen auf das Wohlbefinden verbunden ist. Untersuchungen zeigen, dass Frauen in Entwicklungsländern eher an Mangel- und Unterernährung leiden und einen grundsätzlich schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung, sauberem Wasser und sanitären Anlagen haben (vgl. Todaro & Smith, 2015, S. 251–253). Bei Studien zu den Auswirkungen von Bildung und Ausbildung von Frauen konnte gezeigt werden, dass sich dies wiederum positiv auf die Bildung, Gesundheit und Ernährung der Kinder und der Familie auswirkt (Michaelowa, 2001). Gleichzeitig wurde festgestellt, dass dies einen Effekt auf den Rückgang der Geburtenrate eines Landes hat, was sich wiederum begünstigend auf die Reduzierung der Armutsrate auswirkt.
Multidimensional Poverty Index (MPI)
Die in Abbildung 2 dargestellten äußeren Einflussfaktoren sind eng mit der sozialen Wohlfahrt eines Landes verbunden und wurden folglich aufgrund ihrer steigenden Relevanz in die Entwicklung eines alternativen Konzepts zur Armutsmessung miteingebunden. Wie bereits in Kapitel 2.1.2 angedeutet, können sich Armutsraten von Regionen je nach Verwendung von monetären oder nicht-monetären Armutsmaßen erheblich unterscheiden. Um soziale Faktoren in die Betrachtungsweise des Armutsproblems miteinzubeziehen, hat das Entwicklungsprogramm der UN (United Nations Development Programme, UNDP) den MPI erarbeitet, der seit 2010 neben dem zuvor konzipierten Human Development Index (HDI) jährlich veröffentlicht wird. Während der HDI neben dem Pro-Kopf-Einkommen die Indikatoren Bildung und Lebenserwartung in die Berechnungen miteinfließen lässt, beruht der neu konzipierte MPI auf zehn statt ehemals drei Indikatoren. Nach Definition des MPI, gilt eine Familie dann als arm, wenn Familienmitglieder unterernährt sind, ein Kind der Familie in den letzten 5 Jahren verstorben ist, Kinder nicht oder nicht mindestens 5 Jahre die Schule besucht haben, sanitäre Anlagen und Küchenausstattungen unzureichend sind, kein oder nur unzureichender Zugang zu sauberem Wasser und Elektrizität besteht, die Bauart und Ausstattung des Hauses mangelhaft ist (z.B. Boden aus Sand) und letztlich, wenn die Familie nicht mindestens eins dieser Güter besitzt: Motorrad, Kühlschrank, Auto, Fernseher etc. Treffen mindestens 3 dieser Zustände auf die Familie zu, gilt sie folglich als arm (vgl. Günther et al., 2021, S. 28–30). Die Indikatoren werden auf Basis von Haushaltsumfragen bezüglich der bestehenden Deprivationen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Lebensstandard identifiziert und ausgewertet.
Die folgende Tabelle 1 soll einen kurzen Überblick zu den MPI Daten zu ausgewählten Entwicklungs- und Schwellenländern geben. Die Daten wurden dem Human Development Report der UNDP aus dem Jahr 2020 entnommen.
Tabelle 2: Multidimensional Poverty Index (MPI), Daten von 2010-2019
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: UNDP, Human Development Report, 2020, S. 365-367
Länder, die einen besonders hohen MPI Wert aufweisen sind beispielsweise die Zentralafrikanische Republik (0,465), Burundi (0,403), Mosambik (0,411) und Tansania (0,273).
Außerhalb Afrikas sind vor allem Bangladesch (0,104), die Demokratische Volksrepublik Laos (0,108), Pakistan (0,198) und Kambodscha (0,170) von multidimensionaler Armut betroffen. Einen bemerkenswert niedrigen Wert in der Region weist Vietnam (0,019) auf. Vergleicht man den prozentualen Anteil der Armen nach MPI Definition in Ghana (30,1) beispielsweise mit dem Anteil derjenigen, die sich nach offiziellen Angaben unterhalb der von der Weltbank definierten Armutslinie in Höhe von 1,90 US-Dollar pro Tag und pro Kopf befinden (13,3%), so wird klar, dass die Zahl der Armen nach MPI Definition höher ausfällt als bei der Verwendung des monetären Maßstabs. Besonders ersichtlich wird dies am Beispiel Pakistans. Unterhalb der Einkommensgrenze von 1,90 US-Dollar befinden sich lediglich 3,9% der Bevölkerung. Verwendet man den Maßstab der nationalen Armutslinie, so erhöht sich der Anteil auf 24,3%. Berücksichtigt man die Indikatoren des MPI, so steigt der Anteil der Armen auf 38,3%. Die Unterschiedlichkeiten in den Ausprägungen der Armut deutet auf die Komplexität der Darstellungsweise an. Je nach Berechnungsart und Wahl der Indikatoren kommt man folglich auf ein anderes Ergebnis. Daher muss im Hinblick auf die Armutsbekämpfung berücksichtigt werden, dass eine rein objektive, auf statistischen Kennzahlen basierende Abbildung der Armut nicht möglich ist.
2.2 Ursachen für die Verstetigung von Armut in Entwicklungsländern
Die Ursachen für die Armut im Globalen Süden8 sind sehr komplex und weitreichend. Eine der gängigsten Erklärungsversuche für die Verstetigung von Armut in Entwicklungsländern war lange Zeit das Argument, dass Armut eine Folge natürlicher Gegebenheiten sei. Diese These wird in der Literatur häufig damit begründet, dass die klimatischen Bedingungen eines Landes und damit verbundene Umweltprobleme wie schlechte Böden häufig zu Hungersnöten und einer generell unzureichend entwickelten Landwirtschaft führen würden (vgl. Reichel, 1994, S. 16–17). Auf den ersten Blick erscheint das angeführte Argument naheliegend. Blickt man auf die regionale Verteilung der Entwicklungsländer, so befinden sich tatsächlich die meisten in tropischen oder subtropischen Klimazonen. Länder wie Äthiopien oder Somalia haben in jüngster Zeit immer häufiger lange Perioden der Trockenheit und damit verbundene Hungersnöte erlebt. Auch Inselstaaten wie die Philippinen oder Haiti haben in der Vergangenheit vermehrt mit Naturkatastrophen wie Taifune zu kämpfen gehabt.
Diese Umweltkatastrophen haben eine erhebliche Auswirkung auf die Wirtschaftsentwicklung dieser Länder. Nichtsdestotrotz lassen sich niedrige wirtschaftliche Entwicklungsstandards nicht einfach auf die klimatischen Bedingungen eines Landes reduzieren. Nach Reichel (1994, S. 17) seien die Entwicklungserfahrungen der letzten Jahrzehnte zu unterschiedlich, als dass man die Komplexität dieses Problems in einer simplen Formel „heißes Klima = wirtschaftliche Unterentwicklung“ zusammenfassen könnte. So lässt sich beispielsweise einwenden, dass die Wirtschaft vieler afrikanischer Länder südlich der Sahara zwar stagnierten, die Länder Süd- und Südostasiens (wie z.B. Singapur, Indien, Malaysia, Indonesien etc.) momentan jedoch trotz ähnlicher klimatischer Bedingungen erhebliche wirtschaftliche Aufschwünge erleben. Daraus lässt sich schließen, dass die Ursachenkomplexe weitaus tiefgreifender sein müssen und keineswegs das Produkt einer natürlichen Gegebenheit sein können.
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1 Als MIC werden Länder mit einem Pro-Kopf-Bruttonationaleinkommen (BNE) zwischen 1.026 und 12.535 US-Dollar bezeichnet. Man unterscheidet zwischen sog. lower middle-income economies (BNE zwischen 1.036 und 4.045 US-Dollar) und sog. upper-middle-income-economies (BNE zwischen 4.046 und 12.535 US-Dollar) (World Bank, 2021).
2 Die Anzahl der Milliardärinnen und Milliardäre zwischen 2016 und 2017 ist erheblich angestiegen: 2017 erhöhte sich das Gesamtvermögen des reichsten Prozents um 762 Milliarden US-Dollar. Nach Oxfam (2018, S. 1) sei diese Zahl das Siebenfache dessen, was nötig wäre, um die weltweite Armut zu beseitigen.
3 Pro-Kopf-Einkommen oder BIP pro Kopf = BIP / Bevölkerungszahl
4 Das BNE misst das von den dauerhaft in einem Land lebenden Personen erwirtschaftete Einkommen in einem bestimmten Zeitabschnitt.
5 Der internationale US-Dollar ist eine in den 60er Jahren an der University of Pennsylvania etablierte Vergleichswährung, die anhand von KKP umgerechnet wird.
6 Die OECD besteht aus 38 Mitgliedsstaaten, vorwiegend aus Europa und Nordamerika. In den letzten Jahren sind der Organisation neben Mexiko (1994) weitere südamerikanische Länder wie Chile (2010), Kolumbien (2020) und Costa Rica (2021) beigetreten. Die OECD Länder machen etwa 80% des weltweiten Handels und der getätigten Investitionen aus (OECD, 2021). (OECD (2021).
7 Die Europäische Union (EU) hat diesbezüglich einen Schwellwert von 60% des Median-Einkommens festgelegt. Liegt das Einkommen von Haushalten darunter, so gelten diese in der EU als relativ arm (vgl. Günther et al., 2021, S. 35). (vgl. Günther et al. (2021, S. 35).
8 Die Länder des Globalen Südens (Global South) umfassen alle Entwicklungs- und Schwellenländer.