Kultur und Macht – Eine Analyse der Rolle des Intellektuellen in der Kulturproduktion nach Pierre Bourdieu


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

18 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Kapital – Feld – Spiel: Sozialer Raum nach Bourdieu

3. Fluchtpunkt Form: Distinktion über die Kunst
3.1 Ästhetische Distinktion: Bourdieus Thesen am Beispiel des Kunstfilms
3.2 Möglichst wenig Zuschauer: Die Kunst und die Verachtung der Masse

4. Machtstrukturen in der Kulturproduktion nach Bourdieu und Foucault

5. Fazit

Literatur

1. Einleitung

In dieser Arbeit möchte ich das Distinktionspotential des europäischen Films, auf den Texten Bourdieus aufbauend, untersuchen. Aufgrund fehlenden Datenmaterials werde ich mich weitgehend auf die eigenen Analysen von Filmen in Abgleich zu Bourdieus theoretischen Überlegungen berufen.

Des Weiteren möchte ich anhand dieses Beispiels zur Beschreibung allgemeiner Strukturen des kulturellen Feldes gelangen. Ein Hauptaugenmerk wird dabei der Stereotyp des ‚Linksintellektuellen’ sein.

Die Schlussbetrachtung stellt dabei die Thesen Bourdieus in Beziehung zu ihm als Autor selbst. Ziel ist hier eine Auseinandersetzung zwischen dem Selbstentwurf Bourdieus als Soziologe in marxistischer Tradition und der simultanen Privilegierung durch das akademische Feld. Dabei soll es vor allem um den Machtbegriff Bourdieus gehen, der in einer weitergehenden Analyse dem Machtbegriff Foucaults gegenüber gestellt werden soll. Zunächst möchte ich jedoch kurz auf das Leben und Werk Pierre Bourdieus näher eingehen:

Am 1. August 1930 wird Pierre Bourdieu in Denguin im Departement Pyrénées Atlantiques geboren. Dort verbringt der Sohn eines Bauern und späteren Postbeamten den größten Teil seiner frühen Jugend. Einem Studium an der Sorbonne und der École Normale Supérieure folgt eine kurze Lehrertätigkeit, der sich eine Forschungsprofessur in Algier (1958–1960), sowie eine Professur an der Sorbonne (1960–1961) anschließen. Zu Begin der 1960er Jahre gelangt er an die Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, dort ist er zunächst Assistent am Centre de Sociologie Européenne, zu dessen Direktor er 1964 ernannt wird. 1982 wird er auf den Lehrstuhl für Soziologie am Collège de France berufen, der prestigeträchtigsten Bildungsinstitution Frankreichs. Bourdieu starb am 23. Januar 2002 in Paris (vgl. Bohn / Hahn 2003: 252 f). Bourdieu ist gekennzeichnet durch eine kritische Reflexion der Rolle des Intellektuellen:

Bruch aber auch mit der intellektualistischen Illusion, als bilde die vom Wissenschaftler entworfene theoretische Klasse eine reale Klasse oder tatsächlich mobilisierte Gruppe; […] Intellektualismus, [der] die symbolischen Auseinandersetzungen und Kämpfe unterschlägt, die innerhalb der verschiedenen Felder ausgetragen werden … (Bourdieu 1991: 9)

Bourdieu lehnt hier den Anspruch des engagierten Intellektuellen ab, der weder in eigener Erfahrung noch in eigener Position die Berechtigung hat, aus der Pose des Wissenden über andere zu urteilen oder andere zu instrumentalisieren. Bourdieu bleibt diesem Anspruch des ‚Nichteinmischens’ jedoch selbst nicht treu, wenn man an seine Beteiligung bei der Gründung von ‚Attac’ denkt.

Bourdieu hat den Anspruch die Soziologie als empirische Einzelwissenschaft zu etablieren. Die üblichen Strukturen und Konventionen der französischen Intellektuellen werden von ihm abgelehnt, einer öffentlich wirksamen, vornehmlich theoretisch orientierten Autorenschaft im Milieu der Intellektuellen setzt er ausdifferenzierte empirische Forschung im Feld, eine schwer verständliche Sprache und korrespondenzanalytische Berechnungen entgegen (vgl. Bohn / Hahn 2003: 253). Zum grundsätzlichen Verständnis Bourdieus ist es wichtig seine Vorstellungen von Gesellschaft nachzuvollziehen, die ich nun kurz im anschließenden Kapitel darstellen möchte.

2. Kapital – Feld – Spiel: Sozialer Raum nach Bourdieu

Bourdieu schreibt in Sozialer Raum und Klassen, dass es zum Verständnis einer angemessenen Theorie des sozialen Raumes wichtig sei, mit einer Reihe von Momenten der marxistischen Theorie zu brechen (vgl. Bourdieu 1991: 9). Eine Aufforderung zur Brechung mit einigen Annahmen der marxistischen Theorie zeigt an, dass Bourdieu das marxistische ‚Konzept’ der Gesellschaft seinen Überlegungen zu Grunde legt. Ebenso wie bei Marx spricht Bourdieu von Klassen und dem Kapital, verweist jedoch darauf, dass die Klasse in ihrer theoretischen Konstruktion keine direkte Entsprechung, im Sinne einer mobilisierbaren Gruppe, in der Realität hat. Bourdieu differenziert Gesellschaft – vereinfacht ausgedrückt – in drei theoretische Klassen: Die ‚herrschende Klasse’, die sich je nach Verteilung der Kapitalien (s.u.) in eine ökonomische Fraktion der ‚ herrschenden Herrschenden’ (z.B. Unternehmer) und eine – strukturell betrachtet – kulturelle Fraktion der ‚ beherrschten Herrschenden ’ (Künstler, Intellektuelle) aufspaltet. Die zweite Klasse stellt die so genannte ‚Mittelklasse’ bzw. das Kleinbürgertum dar. Diese Klasse differenziert sich ähnlich wie die herrschende Klasse, in der die Mobilitätsprozesse in Auf- und Abstieg einzelner Individuen oder ganzer Klassenfraktionen am ausgeprägtesten sind. Die ‚Volksklasse’ schließlich zeichnet sich durch den geringsten Anteil an den Kapitalien der Gesellschaft aus (vgl. Wayand 1998: 223 f.).

Der Kapitalbegriff Bourdieus geht weit über den Ökonomischen der marxistischen Theorie hinaus. Er unterscheidet ökonomisches (materieller Besitz), soziales (soziale Beziehungen) und kulturelles Kapital zu denen noch das symbolische Kapital (Prestige Renommee) als wahrgenommene und legitim anerkannte Form der drei vorgenannten Kapitalien hinzukommt. Das kulturelle Kapital wird dabei noch einmal differenziert, Bourdieu unterscheidet inkorporiertes (Bildung/Wissen), objektiviertes (Besitz von Kunstgegenständen und Büchern) und institutionalisiertes (Bildungstitel z. B. Diplom). Rang und Wert der verschiedenen Kapitalsorten variieren in den jeweiligen Feldern des sozialen Raums. In seiner Wirkungsmächtigkeit käme dem ökonomischen Feld jedoch eine tendenzielle Dominanz zu (vgl. Wayand 1998: 223). Weiter unten werde ich noch einmal detaillierter auf den Kapitalbegriff in Bezug auf den Grad der Macht eingehen. Zunächst möchte ich mich aber, auf die Betrachtung des kulturellen Kapitals beschränken.

Dementsprechend möchte ich nun im folgenden Kapitel, die Distinktionsstrategien der Intellektuellen in der Auseinandersetzung mit Kunst – und dabei vor allem Film – anhand Bourdieus näher beschreiben und analysieren.

3. Fluchtpunkt Form: Distinktion über die Kunst

Ich werde mich in diesem Kapitel vor allem an folgenden Texten Bourdieus orientieren: Zum einen an dem Werk ‚ Die feinen Unterschiede ’, zum anderen an ‚ Die Regeln der Kunst – Genese und Struktur des literarischen Feldes ’. In Bezug auf das letztgenannte Werk werde ich versuchen, die literaturspezifischen Ausführungen auf den Film zu übertragen.

Stärker als die anderen Kapitalien erlauben Umfang und Struktur des kulturellen Kapitals Abgrenzungsbewegungen und Distinktionsstrategien im sozialen Raum. Diese Distinktionsstrategien artikulieren sich im spezifischen Geschmack der Akteure auf den einzelnen Feldern und dem sozialen Raum insgesamt. Bourdieu schreibt dazu in „ Die feinen Unterschiede “:

Nur selten nimmt die Soziologie derart prägnant Züge einer Psychoanalyse des Sozialen an wie in der Beschäftigung mit dem ‚Geschmack’, einem Gegenstand, dem innerhalb der Auseinandersetzungen auf dem Kräftefeld der herrschenden Klase wie dem der kulturellen Produktion eine herausragende Rolle zukommt. Dies nicht nur, weil das Geschmacksurteil gewissermaßen die höchste Ausprägung des Unterscheidungsvermögens darstellt, jenes Vermögen also, das Verstand und Sinnlichkeit, die unsinnliche Begrifflichkeit des Pedanten mit dem begrifflosen Genuß [sic!] des ‚Weltmanns’ versöhnt und darin den ‚vollkommenen Menschen’ definiert. Dies auch nicht nur deshalb, weil jeder Versuch einer Definition dieses Undefinierbaren von vornherein durch die jeweiligen Hüter dessen, ‚was sich schickt’, als sinnfälliger Ausdruck von Philistertum abgetan wird: […] von den trockensten akademischen Kommentatoren der Klassiker bis zu den avantgardistischen Semiologen […], wird die formalistische Lektüre des Kunstwerks nicht weniger nachdrücklich gefordert, wie es dem ‚Mann von Welt’ unvorstellbar erscheint, den Geschmack, für ihn untrügliches Anzeichen von echtem Adel, auf etwas anderes als auf sich selbst zu beziehen. (Bourdieu 1982: 31)

Der Geschmack als Ausdruck echten Adels offenbart die Bedeutung des kulturellen Kapitals hinsichtlich der Distinktionsstrategien der herrschenden Klassen. Geschmack konstituiert sich dabei aus Kultur im Sinne faktischer Bildung und Kultur im Sinne der Vermittlung von Bildung. Dieses Bildungs-Kapital wirkt auch in solchen Bereichen ungebrochen, die über den explizit schulischen Lehrstoff hinausgehen. Allerdings so Bourdieu gibt ein Bildungstitel nur bedingt Auskunft über den tatsächlichen Umfang kulturellen Kapitals (vgl. Bourdieu 1982: 32 ff.).

Bourdieu unterscheidet – analog zu seinen drei großen Klassen – drei Dimensionen des Geschmacks: Der legitime Geschmack umfasst dabei jene Werke, die als Kunst deklariert und so auch legitimiert wurden sowie die anerkannten Werke jener Künste oder Subgenres, die auf dem Weg zur Legitimierung sind. Der mittlere Geschmack bezieht sich auf die minder bewerteten Werke der legitimen Künste und die legitimsten Werke der minder bewerteten Künste. Der populäre Geschmack ist dabei der Geschmack der Volksklasse, der sich solcher Werke bedient, die durch ihre Verbreitung entwertet wurden sowie der so genannten leichten Kunst (vgl. Bourdieu 1982: 36 f.).

Bourdieu stellt die Geschmacksdimensionen hinsichtlich eines inhaltlichen Kanons von Kunstgegenständen dar. Mir erscheint es an dieser Stelle, auch in Anbetracht der zeitlichen Distanz, fraglich die Dimensionen des Geschmacks auf eine bloße Akkumulation von Kulturgegenständen zu reduzieren. Als Ergänzung zu Bourdieus Überlegungen scheint es mir wichtig, auf die Prozesse der Legitimierung von Kunst hinzuweisen. Während Bourdieu beispielsweise die Kenntnis Goyas in der Malerei als ein Kriterium des legitimen Geschmacks ansieht, erscheint mir aus heutiger Sicht nicht so sehr die reine Kenntnis eines Werks oder Künstlers, sondern der spezifische Umgang mit den Werken der Kunst entscheidend zu sein. Das Niveau der Abstraktion ist dabei von entscheidender Bedeutung. Somit erscheinen mir jene Werke, die sich vornehmlich über die Reflexion erfahren lassen und zudem eine kulturelle Kompetenz hinsichtlich des Erkennens von Zitaten und Verweisen erfordern, als legitim. Das entsprechende Gegenstück zum mittleren Geschmack und dem populären Geschmack nach Bourdieu stellt für mich der so genannte Mainstream dar, dessen signifikantes Problem der Anerkennung durch die Träger der Kultur vornehmlich dessen Verbreitung in der Gesellschaft ist.

An dieser Stelle muss hinterfragt werden, wer über die Legitimierung der Kunst entscheidet, also den Wert eines Werks festlegt. In dieser Hinsicht spielt der Titel all derer, die sich in einer Art Expertenschaft über die ‚Güter der Kultur’ befinden eine herausragende Rolle. Nach Bourdieu stellt der Bildungstitel die institutionalisierte Äußerung der kulturellen Kompetenz in Bewertung und Beschreibung von Kunst dar. Insbesondere der Universitätsabschluss provoziert die Projektion von Kompetenz im Umgang mit kulturellen Werken, dabei stellt der Titel die symbolische Durchsetzung dieser Fähigkeiten dar (vgl. Bourdieu 1982: 47 ff.). Die Beurteilung von Kunst erfolgt nach Bourdieu durch die ‚ ästhetische Einstellung ’. Die ästhetische Einstellung ist die von der Gesellschaft als einzig, richtig angesehene Art und Weise, sich den Gegenständen zu nähern, die von der Gesellschaft den Titel ‚Kunstwerke’ erhalten haben (vgl. Bourdieu 1982: 57 ff.).

An diesem Punkt möchte ich – wie angekündigt – die theoretische Dimension verlassen und Bourdieus Thesen am Beispiel des europäischen Kunstfilms hinterfragen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Kultur und Macht – Eine Analyse der Rolle des Intellektuellen in der Kulturproduktion nach Pierre Bourdieu
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Institut für Neuere deutsche Literatur und Medien )
Veranstaltung
Pierre Bourdieu
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V124592
ISBN (eBook)
9783640297856
Dateigröße
406 KB
Sprache
Deutsch
Arbeit zitieren
Magister Artium Philipp Blum (Autor:in), 2005, Kultur und Macht – Eine Analyse der Rolle des Intellektuellen in der Kulturproduktion nach Pierre Bourdieu, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/124592

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