Leseprobe
1. Einleitung
2. Allgemeines
2.1 Symbolik
2.2 Tiersymbolik im Mittelalter
2.3 Traumsymbolik im Mittelalter
3. Symbolik des Falken in der mittelalterlichen Literatur
3.1 Der Falke als Symbol fur den Adel
3.2 Der Falke als Symbol fur den Helden
3.3 Der Falke als Symbol fur den Geliebten
3.4 Der Falke als Symbol fur Freiheit
4. Symbolik des Falken in der Traumdeutung
5. Kriemhilds Falkentraum
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In disen hohen eren troumte Kriemhilde,
wie si zuge emen valken, stare, schten und wilde,
den ir zwene aren erkrummen. daz si daz muoste sehen,
ir enkunde in dirre werlde leider nimmer geschehen.
Den troum si do sagete ir muoter Uoten.
Sine kundes niht bescheiden baz der guoten:
»der valke, den zu ziuhest, daz ist ein edel man.
in enwelle got behueten, du muost in schiere vloren han.«1 2
Damit nimmt der eigentliche Falkentraum im Gesamtwerk des Nibelungenliedes gerade einmal zwei Strophen ein. Trotz der Kurze kommt ihm jedoch eine bedeutende Rolle im Nibelungenlied zu. Zum einen bildet er das erste dargestellte Handlungselement des Textes. Zum anderen nimmt er im Hinblick auf den Handlungsverlauf eine zentrale Position ein, da er Siegfrieds Tod durch die Interpretation Utes vorausdeutet: der valke, den du ziuhest, daz ist ein edel man. In enwelle got behueten, du muost in schiere vloren han. Wie sowohl Leser als auch mittelalterlicher Rezipient im weiteren Verlauf der Handlung feststellen mussen, wird sich diese Vorausdeutung der Mutter Kriemhilds alsbald bestatigen. Doch nicht nur daran lasst sich die Besonderheit des Falkentraums festmachen. Traume und ihre Deutung haben die Menschen seit jeher fasziniert und spielen auch im Mittelalter eine groBe Rolle. Besonders augenfallig ist die Tatsache, dass Traume dabei eng mit Zeichen und Symbolen verwoben sind. Zur Deutung von Traumen muss ihr Symbolcharakter erkannt und der Traum in seinen Elementen als Symboltrager verstanden werden. Im Falkentraum ist das zentrale Symbol unumstritten der Falke, der in der allgemeinen mittelalterlichen Literatur haufig Einzug erhalt. Dabei nimmt er die verschiedensten Bedeutungen ein, die im Verlauf dieser Arbeit aufgezeigt und am Falkentraum gepruft werden sollen. Leitfrage dieser Ausarbeitung ist dabei unter anderem die Bedeutung des Falken fur Kriemhilds Traum. Welche Rolle spielt es uberhaupt, dass es sich um einen Falken handelt? Konnte man das Falkenmotiv durch ein anderes ersetzen? Welche Hintergrunde hat die Wahl des Falken? Spiegelt der Falkentraum einfach das Verstandnis der Zeit wieder und reiht sich in zahlreiche Falkenliteratur ein oder kommt hier eine besondere Bedeutung zum Tragen? Gibt es Alleinstellungsmerkmale und wenn ja, welche? MaBgebend ist dafur nicht nur der Falke als wissenschaftlicher Betrachtungsgegenstand, sondern vor allem der Falke in seiner dichterischen Funktion. Um der Losung auf die Fragestellung moglichst nahe zu kommen, wird diese Arbeit zunachst eine allgemeine Einfuhrung in die Tier- und Traumsymbolik liefern und daran die Bedeutung des Falken fur das Mittelalter herausstellen. Dabei wird der Begriff des Symbols definiert, um anschlieBend den Falken als ein solches zu verstehen. Die daraus resultierende Polysemie soll dann im Kontext diverser mittelalterlicher Literatur und der Traumdeutung kategorisiert werden. Schlussendlich widmet sich diese Arbeit der Analyse und Ausdeutung des Falkentraums unter Anwendung der vorher festgestellten Kategorien.
2. Allgemeines
2.1 Symbolik
In seiner grundlegendsten und einfachsten Definition meint ein Symbol eine Sache oder ein Zeichen, das fur etwas Anderes steht. Diese allgemein gehaltene Definition muss jedoch weiter prazisiert werden, da ihr wesentliche Punkte fehlen, die fur das Verstandnis des Symbols von groBer Bedeutung sind. Der Duden beschreibt den Begriff Symbol wie folgt:
Symbol »Sinnbild; Zeichen; Kennzeichen«: Das seit dem 15.Jh. bezeugte Fremdwort ist aus gleichbed. lat. Symbolum entlehnt, das seinerseits aus griech. Symbolon »Kennzeichen, Zeichen« ubernommen ist. Das griech. Wort, das zu griech. sym-ballein »zusammenwerfen; zusammenfugen usw.« gehort (vgl. syn..., Syn... und den Artikel ballistisch), bezeichnet eigentlich ein zwischen Freunden oder Verwandten vereinbartes Erkennungszeichen, bestehend aus Bruchstucken (z.B. eines Ringes), die »zusammengefugt« ein Ganzes ergeben und dadurch die Verbundenheit ihrer Besitzer erweisen.3
Aus dieser Definition lassen sich zwei wichtige Merkmale eines Symbols erfassen; zum einen sind Symbole Gegenstande, denen Eigenschaften zugeschrieben werden konnen. Der Ring steht hier als Sinnbild; Zeichen; Kennzeichen fur die Verbundenheit ihrer Besitzer. Zum anderen kommt hier die Konventionalitat eines Symbols zum Ausdruck. Ein Gegenstand, dem eine Eigenschaft zugeschrieben wird, kann also nur zum Symbol werden, wenn der Symbolcharakter vorher vereinbart wurde, sprich das Symbol auch als ein solches erkannt und gedeutet wird. Bei willkurlichem Zusammenhang zwischen Gegenstand und Eigenschaft ist diese Vereinbarung in der Regel durch gesellschaftliche Normen, gemeinsame Kultur oder Religion gegeben, beispielsweise bei der Taube als Friedenssymbol. Dieser immer noch einfache aber nicht zu allgemeine Symbolbegriff, soll die Grundlage fur die folgenden Untersuchungen sein. Das menschliche Interesse an Symbolen reicht bis in vorchristliche Zeiten zuruck. Auch im Mittelalter sind ,,symbolische Positionen, symbolische Handlungen, symbolische Gegenstande, symbolische Worte [...] konstitutiv und sinngebend“4, sodass diese im Folgenden naher beleuchtet werden.
2.2 Tiersymbolik im Mittelalter
Eine hervorgehobene Stellung nimmt die Tiersymbolik im Mittelalter ein. Neben der Bibel, die sich bereits zahlreicher Tiersymbole bedient, bildet der Physiologus das zentrale Referenzwerk fur die Symbolsprache der Tiere in Dichtung, Kunst und Religion/5 Abgesehen von der Bibel ist kein anderes fruhchristliches Werk so haufig ubersetzt worden.6 7 Allein diese Tatsache stellt die zentrale Bedeutung der Tiersymbolik im Mittelalter heraus. Die christlich-allegorische Naturdeutung im Physiologus verbindet traditionelle Naturlehre mit heilsgeschichtlicher Auslegung und beschreibt eine spirituelle Auffassung der Natur mit Symbolcharakter. Auf der ersten Ebene wird die aubere Erscheinungswelt mit ihren Eigenschaften beschrieben, um dann auf einer zweiten Ebene ihre Gottlichkeit und damit ihren Wert zum Ausdruck zu bringen. Interessant erscheint hier vor allem die Gleichsetzung von Gottlichkeit und Wert, die eine mogliche Erklarung fur den zahlreichen Einsatz von Tiersymbolen im mittelalterlichen Adel bietet. So wie die Tiere im Physiologus ihren Wert erst durch den Gottesbezug erhalten, so erhalt der mittelalterliche Adel seinen Wert durch den Vergleich mit diesen Tiersymbolen. Besonders im Rittertum kann sich die Tiersymbolik in Form von Wappen etablieren, die alsbald zu Identitatszeichen aufsteigen. Grundsatzlich war das Wappen als Ergebnis ritterlichen Verstandnisses ein weithin wirkendes und bekanntes Zeichen, das mit der entsprechenden Person und ihrer Familie verknupft wurde.“8 9 Nach Wenzel leistet die Einfuhrung eines solchen wertenden Symbolsystems dem avancierten Adel ein entscheidendes Mittel der Reprasentation, das ihn nicht nur klar nach auBen abgrenzt, sondern auch nach innen verstandigt.10 11 12 13 Die Tiersymbolik dient also nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern hat zweifelsohne einen identifikatorischen Charakter. Durch diese Form des Selbstverstandnisses wird deutlich, wie tief die Tiersymbolik in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft verankert ist, was im Hinblick auf die Analyse und Deutung des Falkentraums von Bedeutung ist.
2.3 Traumsymbolik im Mittelalter
Ahnlich der Tiersymbolik finden sich auch schon Traume und ihre Deutungsversuche bereits in fruhchristlichen Werken wie in der Bibel, sodass auch hier von einer tiefen Verwurzelung ausgegangen werden kann. Uber Jahrhunderte hinweg werden Traume als Inspiration genutzt und finden auch in der Literatur ihren Niederschlag. Man kann also von einem „uranfanglichen“ Zusammenhang zwischen Literatur und Traum sprechen. Auch das Mittelalter bildet dabei keine Ausnahme. Allerdings gilt es hier zu erwahnen, dass sich literarische fiktive Traume von realen Traumen unterscheiden, da sie durch ihren narrativen Hintergrund immer von Bedeutung sind, wahrend reale Traume auch belanglos sein konnen.
Im Hinblick auf die Fragestellung sollen diese fiktiven Traume im Zentrum der Betrachtung stehen. Anders als in der Tiersymbolik, in der die Tiere erst zum Symbol werden mussen, ist im Traum selbst schon die Anlage der Symbolik bedingt. Barbara Frischmuth schreibt dazu:
Die Traume erhalten den Status einer anderen Art von Denken, einer anderen Art der Sprache, einer Zeichensprache, einer Schrift, der Traumschrift, aus der die Traumgedanken entziffert werden, wie Texte aus altagyptischen Hieroglyphen.14
[...]
1 Ursula Schulze, Siegfried Grosse: Das Nibelungenlied. Nach der Handschrift B. Stuttgart, 2010. S.8.
2Ebd.
3 Duden. Das Herkunftsworterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. Band 7.
4 Michail A. Bojcov: Mittelalterlicher Symbolismus und (post)moderner Historismus. In: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Historische Forschungen. Berlin, 2000. S.752.
5 Emil Peters (Hrsg.): Der Physiologus. Tiere und ihre Symbolik. Umschlag.
6 Ebd.
7 Vgl. Gernot Muller: Symbolisches im Nibelungenlied. Beobachtungen zum sinnbildlichen Darstellen des hochmittelalterlichen Epos. Heidelberg, 1968. S.21f.
8 Vgl. Georg Scheibelreiter: Tiersymbolik und Wappen im Mittelalter. Grundsatzliche Uberlegungen. In: Das Mittelalter. Berlin, 2007. Band 12, Heft 2, S.11.
9 Ebd.
10 Vgl. Horst Wenzel: Hofische Reprasentation. Symbolische Kommunikation und Literatur im Mittelalter. Darmstadt, 2005. S. 22.
11 Frischmuth, Barbara: Traum der Literatur, Literatur des Traumes. Salzburg, 1991. S.39.
12 Ebd.
13 Vgl. Alfred ten Katen: Traume Kriemhilds. Analyse und Vergleich. http://www.nibelungenlied- gesellschaft.de/03_beitrag/katen/ten-katen.html Zugriff 25.08.2017.
14 Frischmuth, Barbara: Traum der Literatur. Literatur des Traumes. Salzburg, 1991. S.37.