Der italienische Faschismus nahm spätestens mit den Rassengesetzen von 1938 deutliche antisemitische Züge an. In der italienischen Geschichtswissenschaft ist dieser Wandel des faschistischen Regimes lange Zeit vernachlässigt worden, indem die Gründe für die Hinwendung Roms zum staatlich verordneten Antisemitismus auf die Bündnispolitik Mussolinis reduziert wurden. Die italienischen Historiker, allen voran Renzo De Felice, sprachen dem Faschismus jegliche genuin-antisemitischen Charakterzüge ab, und führten die rassistische Gesetzgebung von 1938 auf den politischen Druck NS-Deutschlands auf das faschistische Regime zurück. Mussolini, so lautete der Tenor bis in die 1980er Jahre hinein, sei von Hitler gar gezwungen worden, den Antisemitismus nach Italien zu importieren.
Das Jahr 1988 und der 50. Jahrestag der Verkündung der Rassengesetze stellt in der Geschichtsschreibung einen Wendepunkt dar. Der Antisemitismus im italienischen Faschismus wurde Gegenstand der Forschung. In der neueren Forschung gilt als unbestritten, dass der Antisemitismus nicht durch den unmittelbaren Druck des Achsenpartners Deutschlands in die faschistische Politik Italiens integriert wurde. Vor dem Hintergrund dieser Forschung ist offensichtlich, dass Mussolini einen entscheidenden Anteil an der Konvertierung des italienischen Faschismus zu einem rassistischen Faschismus hatte.
Der Antisemitismus im Denken Mussolinis soll daher im Zentrum dieser Betrachtung stehen. Wenngleich Mussolini politisches Handeln während seiner Regierungszeit selbstredend nicht völlig außer Acht gelassen werden kann, so liegt doch der Fokus auf Mussolinis Äußerungen und Empfindungen bezüglich der Juden, um ein möglichst genaues Bild von Mussolinis Einstellung zum Judentum zeichnen zu können. Mussolini war ein großer Opportunist. Weitgehend frei von Prinzipien und ideologischen Überlegungen war es ihm möglich, seine Meinung von heute auf morgen zu ändern. Die zentrale Fragestellung dieser Arbeit wird demnach sein, ob Mussolini 1938 den Antisemitismus aus reinem politischen Kalkül zur Staatsraison erhob, oder ob Mussolini seinen möglicherweise vorhandenen Antisemitismus bis 1938 wiederum aus taktischen Überlegungen unterdrückte. Die Frage lautet also, war Mussolini Antisemit oder ein skrupelloser, menschenverachtender Taktiker, der die Verfolgung einer religiösen Minderheit zu machtpolitischen Zwecken missbrauchte.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Rolle Mussolinis im faschistischen Staat
- Judenhetze, antisemitische Gesetzgebung und Ausgrenzung der Juden im faschistischen Italien
- Der Antisemitismus bei Benito Mussolini
- Mussolinis Einstellung zum Judentum während des Aufstiegs der faschistischen Bewegung
- Mussolini und die Juden 1922 - 1933
- Mussolini und die Juden vor dem Hintergrund von Hitlers Machtergreifung bis zu den Rassengesetzen von 1938
- Der Duce und die Juden von 1938 – 1943
- Mussolini und die Juden in der Republik von Salò
- Mussolini zwischen Opportunismus und Überzeugung (Schlussteil)
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den Antisemitismus Benito Mussolinis und dessen Rolle bei der Einführung antisemitischer Maßnahmen im italienischen Faschismus. Sie hinterfragt die gängigen Interpretationen, die den Antisemitismus in Italien lediglich auf den Druck des NS-Regimes zurückführen, und beleuchtet Mussolinis eigene Einstellungen und Handlungen.
- Mussolinis Rolle im faschistischen Staat und seine Machtposition
- Die Entwicklung des Antisemitismus im italienischen Faschismus bis 1938
- Chronologische Analyse von Mussolinis antisemitischen Äußerungen und Handlungen
- Die Frage nach Mussolinis Motivation: Opportunismus oder Überzeugung?
- Bewertung der bisherigen Forschung zum Thema
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt die Forschungsfrage nach Mussolinis Motivation bezüglich des Antisemitismus. Kapitel 2 beschreibt Mussolinis Machtposition im faschistischen Italien und seinen Einfluss auf politische Entscheidungen. Kapitel 3 gibt einen Überblick über den Antisemitismus im italienischen Faschismus vor 1938. Die Kapitel 4.1-4.4 analysieren chronologisch Mussolinis Einstellung und Handlungen gegenüber Juden in verschiedenen Phasen seiner Herrschaft.
Schlüsselwörter
Benito Mussolini, italienischer Faschismus, Antisemitismus, Rassengesetze 1938, Opportunismus, Machtpolitik, Rolle des Duce, italienische Geschichtswissenschaft, Forschungsstand.
- Quote paper
- Joscha Hansen (Author), 2007, Antisemitismus bei Benito Mussolini, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125111