Der Islamismus im Niedergang? Gilles Kepel im Vergleich mit Bassam Tibi


Hausarbeit, 2006

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

Einleitung

1 Gilles Kepels und seine These vom Niedergang des Islamismus in den 1990er Jahren.
1.1 Gilles Kepel
1.2 Kepels These des Niedergangs des Islamismus.

2 Bassam Tibi und seine Wahrnehmung des Islamismus bzw. seiner Zukunftsperspektive
2.1 Bassam Tibi
2.2 Der islamische Fundamentalismus und seine Zukunfts-und Entwicklungsaussichten bei Bassam Tibi.

3 Tibi und Kepel im Vergleich – Niedergang des Islamismus versus anhaltende Bedrohung für die westliche Welt durch den politischen Islam.

4 Der Islamismus im Niedergang – Kann die These Aufrecht erhalten werden? (Schlussteil)

Einleitung

Die provokante These des Islamismus-Forschers Gilles Kepel, vom „ Niedergang des Islamismus1, sowie die, wie wir sehen werden, gegensätzliche Einschätzung des Phänomens des politischen Islam und seiner Zukunftsperspektive seitens des Islamwissenschaftlers Bassam Tibi, stehen im Zentrum dieser Betrachtung.

Die Hausarbeit soll eine vergleichende Analyse der Standpunkte dieser beiden international anerkannten Islam- bzw. Islamismus-Wissenschaftler bezüglich der Zukunftsaussichten der politischen Ideologie des Islamismus darstellen. Ziel der Analyse wird sein, zu klären, wie die Wissenschaftler zu einer so diametral unterschiedlichen Wahrnehmung des Bedrohungspotentials durch den Islamismus für die westliche Welt gelangen.

Es gilt somit auch der Frage nachzugehen, ob eine der beiden Einschätzungen des Zustandes der islamistischen Bewegung auf einem sichereren theoretischen Fundament steht, als die andere, oder ob, trotz der Gegensätzlichkeit der Thesen, beide nebeneinander ihre Daseinsberechtigung haben.

Die zeitgeschichtliche Brisanz dieser Thematik gebietet, dass die These Kepels, der den Islamismus im Niedergang sieht, vor dem Hintergrund des aktuellen Geschehens in der islamischen Welt gesehen werden muss. Im Verlaufe dieser Hausarbeit soll daher auch versucht werden, die These Kepels, wie auch Tibis Einschätzung zur Lage in der islamischen Welt vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund zu reflektieren und, soweit wie möglich, auf seine Richtigkeit zu untersuchen.

Es soll noch erwähnt werden, wie der „schwierige“ Begriff Islamismus in dieser Hausarbeit Verwendung findet. Islamismus ist im Folgenden als politisierte Form des Islam zu verstehen, d.h. als eine politische Ideologie, die sich lediglich auf den Islam bzw. Koran beruft und in keinem Falle gleichbedeutend mit der Religionsgemeinschaft des Islam ist.

Im Wesentlichen stützt sich diese Analyse auf Gilles Kepels „ Schwarzbuch des Dschihad2, in dem er die These des Aufstiegs und Niedergangs des Islamismus entwirft und das Buch somit von zentraler Bedeutung für diese Untersuchung wird, sowie auf die Monographien „ Die neue Weltunordnung3 und „ Der neue Totalitarismus4, beide von Bassam Tibi, in denen der islamische Fundamentalismus, sowie die Auswirkungen seiner Ausbreitung auf die Weltpolitik im Zentrum stehen und somit für die umrissene Thematik dieser Arbeit von entscheidender Bedeutung sind.

Im ersten Teil der Arbeit (1) wird Gilles Kepel und seine These dargestellt, im zweiten Teil (2) soll dann auf Bassam Tibis Einschätzungen eingegangen werden, um im dritten Abschnitt (3) einen Vergleich dieser beiden Positionen anzustellen. Abschließend sollen im letzten Teil der Hausarbeit, so weit wie möglich, die in dieser Einleitung aufgeworfenen Fragen zur Beantwortung kommen.

Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass zum Zwecke einer intensiven Auseinandersetzung mit den beiden angeführten Autoren, nur bedingt auf weitere Wissenschaftler und deren Positionen eingegangen werden kann. Im dritten Abschnitt sollen auch durch Bezugnahme auf einige Positionen anderer Forscher die Argumente Tibis und Kepels gewichtet werden. Im Wesentlichen beschränkt sich die Hausarbeit aber auf einen Vergleich der Thesen Kepels und Tibis.

1 Gilles Kepels und seine These vom Niedergang des Islamismus in den 1990er Jahren.

1.1 Gilles Kepel

Gilles Kepel, geboren 1955, ist ein französischer Professor für Politische Studien am Institut d’Etudes Politiques in Paris. Er studierte Soziologie und Arabistik. Kepel hatte in seiner universitären Laufbahn zahlreiche Gastprofessuren inne. Heute gilt Kepel als einer der renommiertesten Forscher zum Thema islamischer Fundamentalismus und ist weit über die französische Landesgrenze durch seine Forschungsarbeiten bekannt geworden. Neben dem hier im Zentrum stehenden Werk, „Schwarzbuch des Dschihad“, hat er einige weitere Monographien verfasst, die sich mit der heutigen islamischen Welt befassen.

1.2 Kepels These des Niedergangs des Islamismus.

Wie bereits erwähnt verfasst Kepel die These des Niedergangs des Islamismus in seinem „ Schwarzbuch des Dschihad “. Bereits im Titel des Buches klingt an, dass Kepel mit dem Islamismus in gewisser Weise abrechnet und er scheint dem Phänomen des politischen Islam mit seinem Schwarzbuch nicht gerade pragmatisch entgegen zu treten. Im französischen Original ist der Titel des Buches sachlicher und zurückhaltender: „ Jihad, Expansion et déclin de l’Islamisme “. Vermutlich lässt sich ein Buch mit dem Titel „ Schwarzbuch des Dschihad “ schlicht besser verkaufen, was die inhaltlich falsche Übersetzung der deutschen Ausgabe erklären könnte.

Ohne Frage stellt Kepels Werk eine entscheidende Arbeit zu diesem Thema dar, weil er erstmalig die These der Schwäche der islamistischen Ideologie in den 1990er Jahren aufwirft und sie - vermeintlich - bis zu Ende denkt, wenn er vom Niedergang des politischen Islam spricht: „ Die islamistischen Bewegungen sind, [...] in eine Phase des Niedergangs eingetreten [...]“5.

Diese Einschätzung der Lage muss für den durchschnittlich politisch interessierten Menschen zu einer gehörigen Portion Verwirrung und Unverständnis führen, sieht er doch in Zeiten radikal-islamischer Terroranschläge und des durch US-Präsident Bush ausgerufenen „war on terror“, sowie durch die Berichterstattung in den westlichen Medien, den Islamismus auf dem Vormarsch. Wie kann Gilles Kepel dennoch zu einer solchen Einschätzung gelangen?

An dieser Stelle sei erwähnt, dass Kepel die Thesen vor der Zäsur des 11. Septembers entworfen hat. Das „ Schwarzbuch des Dschihad “ erschien erstmalig im Jahre 2000. In der deutschen Ausgabe von 2002 geht Kepel in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe jedoch auf den 11. September ein und bettet ihn gewissermaßen in seine These vom Niedergang ein: „ Die Attentate von New York und Washington bezweckten offenbar [...] muslimische Bevölkerungsgruppen mit Dschihad-Parolen zu mobilisieren, [...] 6, um, so Kepel weiter, der schwächelnden islamistischen Bewegung wieder Auftrieb zu verleihen.7. Zur Konfrontation der These Kepels mit der aktuellen Situation des Islamismus in der muslimischen Welt wird an späterer Stelle eingegangen.

Nun soll im Folgenden aber genauer untersucht und beschrieben werden worauf sich Gilles Kepel stützt, wenn er den Islamismus als eine sich im Niedergang befindliche Ideologie bzw. Bewegung charakterisiert.

Nach Kepels Beurteilung befand sich der Islamismus in den frühen 1970er Jahren im Aufschwung und wurde zur tonangebenden Strömungen in weiten Teilen der islamischen Welt.8 Es gelang dem Islamismus, so Kepel weiter, die verschiedenen gesellschaftlichen Strömungen für seine Sache zu gewinnen. Die Schriften der islamistischen Vordenker wie Qutb, Maududi und Khomeini fanden nach Kepel insbesondere an den Hochschulen bei den jungen, intellektuellen Muslimen Anklang. Dieser muslimischen Intelligenzija gelang es demnach, die verarmten, städtischen Jugendlichen für ihre Sache zu gewinnen, welche mit der Ideologie des arabischen Nationalismus ihrer Väter gebrochen hatten und sich von der islamistischen Ideologie eine Besserung ihrer Lebensumstände versprachen. In weiten Teilen der muslimischen Welt, so fährt Kepel fort, gelang es den islamistischen Ideologen dann auch durch die vermeintlich religiöse Neuausrichtung und die Verheißung von politischer Partizipation, die der frommen Mittelschicht in den zumeist autoritären Regimen der islamischen Welt versagt blieb, das fromme Bürgertum für ihre Sache zu mobilisieren.9

Diese Konstellation ist für Kepels Argumentation bezüglich des Aufstiegs und Niedergangs des Islamismus zentral. Er spricht von „ sozialer Dualität10. Auf der einen Seite steht demnach die mittellose Jugend und dem gegenüber die fromme Mittelschicht. So ist für den politischen Erfolg der Ideologie von entscheidender Bedeutung, ob die Einheit dieser „ sozialen Dualität “, d.h. das Bündnis der mittellosen Jugend mit der einflussreicheren frommen Mittelschicht zum Ziele der Machtergreifung durch die islamistische Bewegung, gegeben ist bzw. aufrecht erhalten werden kann. Im Umkehrschluss bedeutet dies, nach Kepel, dass die islamistische Bewegung scheitert und es ihr nicht gelingt einen Gottesstaat auf Grundlage der koranischen „scharia“ zu errichten, wenn dieses Gesellschaftsbündnis der sozial schwachen Jugendlichen der Vorstädte mit den frommen Mittelschichten nicht gelingt oder gespalten wird.11

Diese These scheint sich bei der Revolution im Iran zu bestätigen. Khomeini gelang es, eben diese Gesellschaftsschichten zu einen und somit durch einen breiten Rückhalt in der Gesellschaft den Schah zu stürzen. Hierin besteht für Kepel die „ Einzigartigkeit der iranischen Revolution “.12

In der „ sozialen Dualität “ sieht er allerdings gleichsam den Schwachpunkt des Islamismus: Indem er, dass für den Erfolg des Islamismus notwendige Bündnis der verschiedenen Gesellschaftsschichten als „ vorübergehend und zerbrechlich13 charakterisiert.

Trotz der Signalwirkung der iranischen Revolution für islamistische Bewegungen in der muslimischen Welt und der damit verbundenen Hochzeit des Islamismus im darauf folgenden Jahrzehnt geht nach Kepel mit der Expansion der Bewegung die „ Verschärfung ihrer Widersprüche [der divergierenden Gesellschaftsschichten] einher14.

Diesem theoretischen Konstrukt ordnet Kepel seine Argumentation unter. So verwundert es nicht, dass er der islamistischen Revolution im Sudan nur wenig Beachtung schenkt, passt diese doch so gar nicht in seine Theorie des Bündnisses der unterschiedlichen Gesellschaftsschichten als Vorraussetzung für einen Erfolg der Islamisten. Im Sudan gelang es der islamistischen Bewegung durch langjährige Unterwanderung des Staatsapparates einen Militärputsch „von oben“ durchzuführen und einen Gottesstaat zu errichten. Immerhin attestiert Kepel, dass das Jahr der sudanesischen Revolution, 1989 ein „ bedeutendes Jahr für Ausbreitung des Islamismus15 darstellt, allerdings nicht ohne sich im „ Schwarzbuch “ ein paar Seiten später selbst zu widersprechen, indem er die Fatwa16 Khomeinis, in der Khomeini zur Tötung des vermeintlich islam-kritischen Schriftstellers und englischen Staatsbürgers Salman Rushdies aufruft, (und den kurz darauf folgenden Tod Khomeinis) gleichzeitig als Beendigung des zehnjährigen Höhenfluges des Islamismus charakterisiert.17

Das ohne Zweifel einschneidende Ereignis für die islamistische Bewegung, der Golfkrieg 1990, ist für Kepel der endgültige Beginn des Niedergangs des Islamismus.18 Das saudische Königshaus, das mit seinen großzügigen finanziellen Zuwendungen bzw. der Vorenthaltung selbiger, die islamistischen Strömungen in der Welt weitgehend kontrollieren konnte und so, nach Kepel, für einen Zusammenhalt des fragilen Bündnisses des Bürgertums und der verarmten städtischen Jugend sorgte, verlor seine Legitimation: Im Zuge des Golfkrieges forderte Saudi-Arabien die Unterstützung von US-amerikanischen Truppen an. Gerade die mittellose Jugend der Vorstädte der muslimischen Metropolen sah hierin einen Verrat an der gemeinsamen Sache, indem „Ungläubige“ das Land der heiligen Stätten vermeintlich besetzten. Kepel sieht hiernach die Mittelschicht und die besitzlose Jugend immer weiter auseinander driften und behauptet, dass letztere in Richtung Gewalt und Terrorismus abrutsche.19

Die Entwicklung führt nach Kepel also zu einer Radikalisierung auf der einen Seite, und auf der Seite der frommen Mittelschicht eher zu einer Mäßigung, bis hin zu einer Assimilation an die säkulare Gesellschaft, da eine offene Konfrontation mit Riad und Washington von der mit dem Islamismus sympathisierenden Mittelschicht, nicht getragen wird, weil diese Konfrontation die Eigeninteressen des Bürgertums gefährde.20

Diese Spaltung, die Kepel im Ansatz durchaus richtig erkennt, führt u.a. dazu, dass sich die Afghanistan-Krieger, die mit Unterstützung der USA und vor allem des saudischen Königshauses den sowjetischen Feind zum Rückzug zwangen, nun gegen ihre einstigen Gönner wenden. Diesen radikalen Schritt, eine offene Gegnerschaft zu Saudi-Arabien und den USA, gehen nicht alle Teile der islamistischen Bewegung mit.“ Gewagt scheint allerdings die These, dass diese „Nichtradikalen“ der islamistischen Ideologie, enttäuscht von den „ Gewaltexzessen21 der Radikalen, ihr aufgrund dessen komplett den Rücken kehren: „ In diesem Fall wenden sich die vom Islamismus enttäuschten aus dem Mittelstand und der Intelligenzija wieder der säkularisierten bürgerlichen Gesellschaft zu [...]“22 Die „gemäßigten Islamisten“ mögen von der Entwicklung „ihrer“ Bewegung angewidert sein, es bleibt jedoch bestehen, dass diese sich in dem vorherrschenden politischen System nicht hinreichend repräsentiert sehen, daher scheint es fraglich, ob sie sich tatsächlich wieder der säkularen Gesellschaft angedient haben bzw. andienen werden.

[...]


1 Siehe: Kepel, Gilles: Das Schwarzbuch des Dschihad. Aufstieg und Niedergang des Islamismus, München 2002.

2 Ders.

3 Tibi, Bassam: Die neue Weltunordnung. Westliche Dominanz und islamischer Fundamentalismus, Berlin 1999.

4 Tibi, Bassam: Der neue Totalitarismus. „Heiliger Krieg“ und westliche Sicherheit, Darmstadt 2004.

5 Kepel: „Schwarzbuch“, S. 27.

6 Ders. S.11.

7 Vgl. Ders. S. 11.

8 Kepel: „Schwarzbuch“, Vgl. S. 61.

9 Ders. Vgl. S. 88.

10 Ders. S. 89.

11 Ders. Vgl. S. 89f.

12 Kepel: „Schwarzbuch“, S. 138.

13 Ders. S. 147.

14 Ders. S.147.

15 Ders. S. 225.

16 Islamisches Rechtsgutachten, welches von islamischen Geistlichen ausgestellt wird und von den jeweiligen Gläubigen befolgt werden muss. Im Fall Rushdie hatte Khomeini die Fatwa politisch instrumentalisiert.

17 Kepel: „Schwarzbuch“, S. 234.

18 Kepel: „Schwarzbuch“, Vgl. S. 259.

19 Ders. Vgl. S. 259.

20 Ders. Vgl. S. 380.

21 Ders. S. 426.

22 Ders. S. 423.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Der Islamismus im Niedergang? Gilles Kepel im Vergleich mit Bassam Tibi
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Seminar für Politische Wissenschaft und Soziologie)
Veranstaltung
Einführung in die Politische Theorie und Ideengeschichte
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V125112
ISBN (eBook)
9783640308125
ISBN (Buch)
9783640306282
Dateigröße
428 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Islamismus, Niedergang, Gilles, Kepel, Vergleich, Bassam, Tibi, Einführung, Politische, Theorie, Ideengeschichte
Arbeit zitieren
Joscha Hansen (Autor:in), 2006, Der Islamismus im Niedergang? Gilles Kepel im Vergleich mit Bassam Tibi, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125112

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