Die Parteien in Deutschland definieren sich schon ihrer Bezeichnung nach über ihre Mitglieder. Die Parteienforschung konstatiert jedoch seit längerer Zeit eine Krise eben dieser so genannten Mitgliederparteien durch den fortlaufenden Rückgang ihres Personenbestandes. Auch ein Wandel des Parteimitgliedprofils wird diskutiert und so sehen einige aktuelle Überlegungen auch eine Veränderung der Organisationen zu Parteien eines neuen Typs als notwendig, um aus der Krise heraus zu kommen. Ist das Modell der Mitgliederpartei also veraltet und ein Wandel tatsächlich erforderlich? Um diese Frage zu beantworten, wird die Arbeit sich mit dem wichtigsten Faktor bei einer Partei des Mitgliedertyps beschäftigen, der Partizipation. Wie stellt sie sich heute dar? Kann man aus dem Partizipationsverhalten einen notwendigen oder bereits erfolgten Mitglieder- und/oder Parteienwandel im Laufe der Zeit konstatieren? Dafür wird sowohl die Entscheidung, einer Partei beizutreten, als auch die Entscheidung über Ausmaß und Form innerparteilicher Partizipation untersucht.
Zunächst einmal muss jedoch geklärt werden, worauf die obigen Aussagen sich gründen und deshalb werden zuerst die faktische Mitgliederentwicklung, die daraus entstehenden Krisenfaktoren und die favorisierten theoretischen Erklärungsmuster für diese Entwicklung dargestellt. Darauf aufbauend werden die Wandelthesen sowohl zu neuen Mitglieds- als auch neuen Parteitypen umrissen.
Im Folgenden wird dann die allgemeine und innerparteiliche Partizipation in Deutschland dargestellt und daraufhin untersucht, ob sie die Notwendigkeit eines Parteienwandels untermauert. Die Basis dafür bilden vor allem die Potsdamer Parteimitgliederstudie und aus ihr entstandene empirischen Analyse von Markus Klein zu dieser Thematik. In diesem Zusammenhang wird versucht darzustellen, welche Motive hinter einem Parteieintritt und weiterführend hinter innerparteilicher Partizipation stehen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Mitgliederentwicklung – Fakten, Krise, Hintergründe
2.1 Definition: Mitgliederpartei
2.2 Mitgliederentwicklung der Parteien
2.2.1 1945-1965
2.2.2 1965-2004
2.3 Hintergründe der Mitgliederentwicklung
2.3.1 Nachwuchskrise und Rekrutierungsschwäche
2.3.2 Jungmitgliederdefizit
2.3.3 Überalterung und Regenerationskrise
2.4 Hintergründe des Mitgliederschwundes
2.4.1 Individualisierung und Milieuerosion
2.4.2 Kognitive Mobilisierung, Wertewandel und Partizipationsverlagerung
2.4.3 Anreizschwäche der Parteien
2.4.4 Politische Demobilisierung und massenmediale Freizeitgesellschaft
2.4.5 Vertrauensschwund zwischen Parteien und Bürgern
2.4.6 Zusammenfassung
3 Von der Krise zum Wandel?
3.1 Wandel wohin? Neue Parteitypen
3.2 Wandel wodurch? Theorien des neuen Mitglieds
4 Politische Partizipation in Deutschland
4.1 empirische Vorgehen
4.2 Überblick: politische Partizipation in Deutschland
4.2.1 Struktur der Parteimitglieder
4.2.2 Überblick innerparteilicher Partizipation
4.2.3 Motive zur innerparteilichen Partizipation
5 Zusammenfassung und Ausblick
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die Parteien in Deutschland definieren sich schon ihrer Bezeichnung nach über ihre Mitglieder. Die Parteienforschung konstatiert jedoch seit längerer Zeit eine Krise eben dieser so genannten Mitgliederparteien durch den fortlaufenden Rückgang ihres Personenbestandes. Auch ein Wandel des Parteimitgliedprofils wird diskutiert und so sehen einige aktuelle Überlegungen auch eine Veränderung der Organisationen zu Parteien eines neuen Typs als notwendig, um aus der Krise heraus zu kommen. Ist das Modell der Mitgliederpartei also veraltet und ein Wandel tatsächlich erforderlich? Um diese Frage zu beantworten, wird die Arbeit sich mit dem wichtigsten Faktor bei einer Partei des Mitgliedertyps beschäftigen, der Partizipation. Wie stellt sie sich heute dar? Kann man aus dem Partizipationsverhalten einen notwendigen oder bereits erfolgten Mitglieder- und/oder Parteienwandel im Laufe der Zeit konstatieren? Dafür wird sowohl die Entscheidung, einer Partei beizutreten, als auch die Entscheidung über Ausmaß und Form innerparteilicher Partizipation untersucht.
Zunächst einmal muss jedoch geklärt werden, worauf die obigen Aussagen sich gründen und deshalb werden zuerst die faktische Mitgliederentwicklung, die daraus entstehenden Krisenfaktoren und die favorisierten theoretischen Erklärungsmuster für diese Entwicklung dargestellt. Darauf aufbauend werden die Wandelthesen sowohl zu neuen Mitglieds- als auch neuen Parteitypen umrissen.
Im Folgenden wird dann die allgemeine und innerparteiliche Partizipation in Deutschland dargestellt und daraufhin untersucht, ob sie die Notwendigkeit eines Parteienwandels untermauert. Die Basis dafür bilden vor allem die Potsdamer Parteimitgliederstudie und aus ihr entstandene empirischen Analyse von Markus Klein zu dieser Thematik. In diesem Zusammenhang wird versucht darzustellen, welche Motive hinter einem Parteieintritt und weiterführend hinter innerparteilicher Partizipation stehen.
Abschließend wird die aktuelle Diskussion der Politikwissenschaft anhand der Analyseergebnisse daraufhin untersucht, ob und inwieweit sich die Parteienlandschaft verändern muss, um ein Fortbestehen der Mitgliederparteien gewährleisten zu können.
2 Die Mitgliederentwicklung – Fakten, Krise, Hintergründe
Im folgenden Kapitel werden nun zunächst alle notwendigen Fakten zur Mitgliederentwicklung der Parteien in der Bundesrepublik Deutschland im Überblick dargestellt. Dabei wird zuerst der Typus der Mitgliederpartei selbst definiert und danach werden die empirischen Fakten zugrunde gelegt, auf die Faktoren und Hintergründe der Krise folgen.
2.1 Definition: Mitgliederpartei
Um im Folgenden von der Mitgliederentwicklung im deutschen Parteiensystem sprechen zu können, muss im Vorfeld der Begriff der Mitgliederpartei definiert werden. In den Diskussionen um den eventuell stattfindenden Wandel der Mitgliederparteien, der im Rahmen dieser Arbeit kritische betrachtet wird, wird selten eine spezifische Definition des Begriffes zu Grunde gelegt.
Diese Arbeit definiert den Begriff „Mitgliederpartei“ nach Elmar Wiesendahl:
Das Minimalkriterium dieser Definition stellen die Mitglieder dar. Die Parteiform der Mitgliederpartei grenzt sich von anderen Parteiformen dadurch ab, dass sie über „einen festen und dauerhaft organisierten Mitgliederstamm“[1] verfügt. Als Abgrenzungskriterium reicht dieses Minimalkriterium jedoch nicht aus, da bei alleiniger Anwendung dieses Kriteriums „nahezu alle Parteien, weil sie allesamt über eine mehr oder minder breite Mitgliederbasis verfügen, als Mitgliederparteien zu bezeichnen“[2] wären.
Elmar Wiesendahl sieht in der Abgrenzung des Begriffes „Mitgliederpartei“ von anderen Parteiformen eine Möglichkeit, den Begriff eindeutiger definieren zu können, da er sagt, dass „alle mit absoluten und Verhältniszahlen operierenden Bestimmungsansätze [...] in einer Sackgasse endeten.“[3]
Seiner Meinung nach grenzt sich die „Mitgliederpartei anderen Parteiformen dadurch ab, dass sie sich freiwilliger Mitglieder und der von ihnen bereit gestellten Ressourcen bedient, um den Parteibetrieb zu unterhalten und um ihre Kernaufgaben zu erfüllen. Wenn Parteimitglieder auch nicht die alleinige Ressourcenquelle stellen, investieren Mitgliederparteien zur Deckung ihres Ressourcenbedarfs gezielt in Mitglieder, ohne die sie ihre Machterwerbsziele nicht hinreichend realisieren könnten.“[4]
Dieses Vorgehen hat Konsequenzen für die innere Struktur haben, da die Partei ihren Mitgliedern Anreize im nichtmateriellen, organisatorischen Bereich schaffen muss, um sie an sich zu binden.
Nach Elmar Wiesendahl gibt es 5 Bestimmungsmerkmale für eine Mitgliederpartei:[5]
Eine Mitgliederpartei definiert sich in ihrem offiziellen Selbstverständnis und in ihren öffentlichen Äußerungen als Mitgliederpartei.
Weiterhin wird gezielt von den Parteien Mitgliederwerbung betrieben und es wird versucht, möglichst viele Mitglieder zu rekrutieren. Ein breites Netz von lokalen Basisorganisationen erfasst die Mitglieder und versorgt diese kontinuierlich mit Organisationsleistungen.
Als das dritte Bestimmungsmerkmal wird die Bereitstellung von folgenden Ressourcen durch die Parteimitglieder angesehen. Auf der einen Seite kommen die Parteimitglieder für die Beitragsleistungen auf, die für die Aufrechterhaltung des Parteibetriebs unentbehrlich sind. Auf der anderen Seite wird von den Mitgliedern auf lokaler Ebene Wahlkampfarbeit geleistet, die sich nicht durch andere Formen und Kanäle ersetzen lässt.
Die abschließende Ressource, die sich die Parteien von den Mitgliedern versprechen, stellt die Multiplikator- und Botschafterrolle in der Außenkommunikation der Partei dar.
Um die Parteimitglieder zur Abgabe dieser Ressourcen zu bewegen, stattet die Partei ihre Mitglieder mit folgenden Privilegien aus:
„Parteimitglieder üben ein Exklusivrecht bei der Führungsauslese von Amts- und Mandatsträgern aus“[6] und verfügen über Einflussmöglichkeiten in parteiinternen Beschlüssen. Weiterhin haben die Parteimitglieder politische Karrierechancen, über die Nichtmitglieder nicht verfügen. Abschließend sind die Amts- und Mandatsträgern in ihrem Handeln den Parteimitgliedern gegenüber verpflichtet und haben sich in regelmäßigen Abständen der Wiederwahl durch die Mitglieder zu stellen.[7]
Über diese partizipatorischen Anreize hinaus offerieren die Parteien auch ideologische Anreize, die es den Mitgliedern erlauben soll, sich mit der Partei zu identifizieren. Sie stellen Werte- und Überzeugungsgemeinschaften dar und veröffentlichen ihre politischen Absichten in Programmen, in denen sich ihre Überzeugungen und Policy-Vorstellungen widerspiegeln.[8]
2.2 Mitgliederentwicklung der Parteien
Im Folgenden wird die vorliegende Arbeit einen Überblick über die faktische Entwicklung der Mitgliederzahlen der Parteien der Bundesrepublik Deutschland geben, um im anschließenden Kapitel die daraus resultierenden Krisenfaktoren vorzustellen.
Es ist schwierig, eine Gesamtübersicht der Mitgliederzahlen von 1945 bis 2004 zu erstellen, da nicht alle Parteien über eine verlässliche Übersicht der Mitgliederbewegungen verfügen und viele Zahlen nach oben geschönt sind. Ab 1969 erleichterte die Einführung der EDV die Verwaltung der Mitgliedsdaten, so dass die Zahlen nach 1969 verlässlicher sind.
Besonderes Augenmerk wird in der vorliegenden Arbeit auf Zusammensetzung der Mitgliederzahlen gelegt, da es bei der Analyse wichtig zu beachten ist ob es sich bei den sinkenden Mitgliedszahlen um Austritte oder aber um ausbleibenden Nachwuchs handelt.
Die Mitgliederentwicklung der deutschen Parteien vollzog sich nicht linear, sondern bewegte sich im Hinblick auf die Zu und –Abgänge diskontinuierlich in einem Auf und Ab.[9] Nach kurzen Zeiten des Aufschwungs folgten längere Jahre des Mitgliederniedergangs.
Der erste Zyklus lässt sich auf die Zeit von 1945 bis in die Mitte der 60er Jahre begrenzen, während der zweite Zyklus in der zweiten Hälfte der 60er Jahre einsetzte und nach seinem Abflauen ab den 80ern bis heute noch nicht seine endgültige Talsohle erreicht hat.[10]
2.2.1 1945-1965
Betrachtet man in der Nachkriegszeit die Mitgliederzahlen, lassen sich Parteien mit großer Mitgliederzahl von Parteien mit kleiner Mitgliederzahl unterscheiden. „Die Parteimitglieder teilen sich hauptsächlich auf die Großparteien SPD und CDU/CSU auf, während die FDP nie über den Status einer Mitgliederkleinpartei hinauswuchs.“[11]
„Den ersten Mitgliederzyklus der Nachkriegszeit prägt mit seiner kurzzeitigen Aufschwung-, dann raschen Abschwung- und schließlich langen Stagnationsphase bis über den Beginn der 60er Jahre hinaus ein charakteristisches Gesicht“[12].
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einem großen Mitgliederzuwachs der Parteien, der durch das Politisierungshoch in dieser Zeit hervorgerufen wurde. Dieser Migliederzulauf löste sich auf, als mit der Währungsreform von 1948 wichtige Weichenstellungen für die Wiederaufbauphase in Westdeutschland vorgenommen waren.
Bereits 1949 kam es zu einer Erosion der gerade neu aufgenommenen Mitgliederbestände. Die Mitgliederzahlen sanken bis Anfang der 50er Jahre rapide und ab Mitte der 50er Jahre stagnierte die Mitgliederentwicklung.
Bei der Mitgliederentwicklung der einzelnen Parteien lassen sich jedoch einige Besonderheiten und Unterschiede feststellen.
Die SPD beginnt als erklärte Mitgliederpartei mit dem Organisationsleben dort, wo sie vor Hitler und der folgenden Exilzeit aufgehört hatte. Die Möglichkeit, dass ihr die Rolle der führenden Kraft bei der Gestaltung Nachkriegsdeutschlands zufallen könnte, erhöhte die Attraktivität einer Parteimitgliedschaft, was die Mitgliederzahl auf fast 900 000 steigen ließ. Nach der verlorenen Bundestagswahl 1949 begann eine Zeit herber Mitgliederverluste und die Mitgliederzahl erreicht 1954 einen Tiefstpunkt von unter 600 000. Danach kam es zu leichten aber stetigen Neueintritten, so dass sich die Mitgliederzahl Anfang der 60er Jahre wieder auf ca. 650 000 hob. Seit 1964 setzte eine Wende ein, die im Mitgliederboom der frühen 1970er Jahre münden sollte.[13]
Die Mitgliederentwicklung der CDU lässt sich mit der der SPD vergleichen, wobei die CDU mit einer weit geringern Mitgliederzahl startete. Auch die CSU durchlebte nach ihrer Gründung 1945 eine ähnliche Entwicklung. Die CSU entwickelte sich nach einer grundlegenden Strukturreform von einer ländlichen Honoratiorenpartei zu einer durchorganisierten Mitgliederpartei.
Die FDP gibt seit 1950 konstant 80 000 Mitglieder an, obwohl sie anfangs von einer zentralen Mitgliedererfassung weit entfernt war, so dass eine realitätsnahe Beschreibung der Mitgliederentwicklung bei der FDP nur eingeschränkt möglich ist.
2.2.2 1965-2004
Der zweite Zyklus der Parteimitgliederentwicklung nach 1945 setzte mit einer schnell zunehmenden Beitrittswelle ein. Zu dieser Zeit traten Hunderttausende Neumitglieder den Parteien bei. Diese Welle erreichte ihren Gipfelpunkt in der Mitte der 70er Jahre und spätestens seit 1983 entwickelten sich die Mitgliederzahlen wieder negativ. Diese Entwicklung wurde nur von der Deutschen Einheit temporär aufgehalten. Die Rezession in der Mitgliederentwicklung verschärfte sich anhaltend bis heute.
Diese Zeit lässt sich in zwei Phasen aufteilen. Der zweite Zyklus beginnt mit der Phase der „Eintrittsschwemme“ und eines „Mitgliederbooms“, um ab 1983 in die Phase der negativen Mitgliedszahlenentwicklung überzugehen.
Die Mitgliederentwicklung in den 1970er und frühen 1980er Jahren ist auf die stark polarisierende Konkurrenzsituation zwischen dem sozialliberalen Regierungslager und dem oppositionellen Unionslager zurückzuführen. Die dynamischen Kräfte des Mitgliederzulaufs, die dabei freigesetzt wurden, sorgten dafür, dass sich die Mitgliederzahlen der Großparteien sehr stark positiv entwickelten.
Die Zeit der sehr hohen Mitgliederzuwächse lässt sich auf die Jahre zwischen 1968 und 1983 eingrenzen. Diese Mitgliederzuwächse ebbten allerdings ab Mitte der 1970er Jahre relativ schnell ab, so dass die Aufschwungenergie am Ende der Wachstumsjahre verbraucht ist.
Die eigentliche Zeit der Mitgliederschwemme mit exorbitant hohen Zuwächsen ist sogar auf die Jahre zwischen 1968 und 1976 zu begrenzen, wobei man auch in diesem Fall wieder zwischen den einzelnen Parteien unterscheiden kann.
Die SPD steigerte ihre Mitgliederzahl in den Jahren zwischen 1968 und 1976 um 40 Prozent. Mit Beginn der Regierungsära Schmidt setzt bei der SPD die Zeit der negativen Entwicklung ihrer Mitgliederzahlen ein.
Bei der CDU war der Gipfelpunkt des Mitgliederbooms erst 1983 erreicht. Die CDU nutze ihre Chance zur Gegenmobilisierung und trat gezielte Rekrutierungskampagnen los, so dass sich die Mitgliederzahl bis 1976 um 117 Prozent mehr als verdoppelte. Mit der Regierungsära Kohl setze auch bei der CDU/CSU die Zeit des Abstiegs ein.[14]
Der CDU/CSU gelang es, ihre Mitgliederzahl in den Jahren von 1968 bis 1983 um 256 Prozent zu steigern.
Durch die immens steigenden Mitgliederzahlen der CDU/CSU nahm die Partei den Charakter einer Mitgliederpartei an und machte der SPD die Alleinstellung als Partei mit breiter Mitgliederbasis streitig.
Durch den Mitgliederboom im westdeutschen Parteiensystem lässt sich fortan von einem kräftemäßigen halbwegs ausgewogenem und gesellschaftlich breit verankerten Mitgliederparteiensystem sprechen.[15]
Seit 1983 entwickeln sich die Mitgliederzahlen stetig rückläufig und die Phase der negativen Mitgliederzahlentwicklung beginnt. Die hohen Mitgliederzahlen, die während der Phase der „Eintrittsschwemme“ erreicht wurden, sind heute wieder auf dem Ausgangsniveau.
In den Jahren 1989/1990 kam es zwar noch einmal zu einer Eintrittswelle, was daher rührte, dass die CDU und FDP mit gewendeten DDR-Blockparteien fusionierte und die PDS zum Parteiensystem hinzukam. Doch verstärkte sich der negative Verlauf der Mitgliederentwicklung in den 1990er Jahren sogar noch und setzte sich beschleunigt fort.
Die Parteien sind gesamtdeutsch hinter das Mitgliederniveau von 1972 zurückgefallen, ragen aber immer noch 32,7 Prozent über das Anfangsniveau von 1968 hinaus. Nach dem bisherigen Trendverlauf lässt sich ein weiterer Schwund prognostizieren, so dass vermutlich bis zum Jahr 2015 die Zahl der Parteimitglieder von ehemals 2,26 Millionen Mitgliedern im Jahr 1990 auf insgesamt 1,25 Millionen zurückgehen wird.
Der Mitgliederniedergang hat sich allerdings nicht gleichmäßig auf alle Parteien verteilt. „Es gibt Hauptbetroffene des Mitgliederniedergangs, während andere Parteien sich vom Trend abgekoppelt und sogar antizyklisch entwickelt haben.“[16]
Die SPD ist von der negativen Mitgliederzahlentwicklung am stärksten betroffen. Nach der deutschen Einheit konnte sie bereits ihre alten Stammgebiete im Osten Deutschlands nicht mehr für sich gewinnen und es stellte sich als Fehler heraus, ehemaligen Mitgliedern der SED strikt den Eintritt zu verwehren. Ihre Fusion mit der neu gegründeten Splitterpartei SDP brachte ihr auch nur 25 000 neue Mitglieder.
Den herbsten Verlust musste die SPD unter der Schröder-Ära einstecken. In dieser Zeit verlor sie allein 169 229 Mitglieder.
Innerhalb von weniger als 30 Jahren die SPD 40,7 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Diese Entwicklung wirft sie in Bezug auf ihre Mitgliedszahlen auf den Stand von 1967 zurück.
Die Verluste der CDU sind nicht so hoch wie die der SPD. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sie, die Einheitsgewinne, gründend auf der Einverleibung von ehemaligen Blockparteimitgliedern während der Vereinigungsjahre der Bundesrepublik Deutschland, miteingerechnet, in der Zeit von 1991 bis 2004 insgesamt 22,9 Prozent verloren hat. Der Mitgliederschwund der CDU fällt somit nicht annähernd so hoch aus, wie der der SPD. Voraussichtlich wird die CDU die SPD vom ersten Platz als Mitgliederpartei in Deutschland verdrängen.[17]
Die CSU profitierte sehr stark von dem Mitgliederboom und konnte sich der Mitgliedermisere der SPD und CDU bis Ende der 1990er Jahre entziehen. Zu dieser Zeit schwankten die Mitgliederzahlen und erst ab dem Jahr 2000 fing der stabile Mitgliedersockel zu bröckeln, wobei der Verlust von 6,5 Prozent der Mitglieder noch relativ gering ist.
Bei Betrachtung der Veränderung in der Mitgliederverteilung von SPD und CDU/CSU wird eine spektakuläre Umwälzung in der Mitgliederkräfteverteilung deutlich. Während 1968 die SPD über 103,4 Prozent mehr Mitglieder als die CDU/CSU verfügte, unterliegt die Mitgliederzahl 2004 um 24,3 Prozent.[18]
Zum mitgliederreichen bürgerlichen Lager ist heute auch noch die FDP zu zählen, deren Mitgliederentwicklung sich in den zweimaligen koalitionspolitischen Wechseln spiegelt. Bis 1981 erlebte sie einen stetigen Mitgliederzulauf, nach dem Koalitionswechsel 1982 reduzierte sich die Mitgliederzahl allerdings wieder um 25,6 Prozent bis 1989. Durch die Einverleibung der alten LDPD- und NDPD-Mitgliederlisten zur Zeit der Deutschen Wiedervereinigung löste sie eine Scheinvermehrung aus, die die Mitgliederzahlen kurzfristig stark ansteigen ließ. Doch in den darauffolgenden Jahren beschleunigte sich die negative Mitgliederzahl unproportional.
Die Mitgliederentwicklung der Grünen ist nicht weiter nennenswert, da sie als traditionell mitgliederarme Partei keine nennenswerte Veränderung der Gesamtentwicklung bewirkte.
In den Neuen Bundesländern geht der Mitgliederschwund noch rasanter vor sich als in den westdeutschen Bundesländern. 1990 lag der Anteil ostdeutscher Parteimitglieder an der Gesamtmitgliederzahl noch bei 22,7 Prozent, 2004 lag er nur noch bei 9,7 Prozent. Misselwitz spricht in diesem Zusammenhang von „einer tiefsitzenden Organisationsdistanz der neuen Bundesbürger, aus der der krasse Verfall des parteiförmigen politischen Engagements hervorgeht.“[19] Der Gesamtverlust der Mitgliederzahlen zwischen 1990 und 2003 geht anteilig zu 60 Prozent auf das ostdeutsche und zu 40 Prozent auf das westdeutsche Konto.
[...]
[1] Wiesendahl, Elmar: Mitgliederparteien am Ende. Eine Kritik der Niedergangsdiskussion. 2006. S. 17.
[2] Ebd. S. 17.
[3] Ebd. S. 20.
[4] Wiesendahl, Elmar: Mitgliederparteien am Ende. Eine Kritik der Niedergangsdiskussion. 2006. S. 20.
[5] Vgl.: Ebd. S. 20.
[6] Ebd. S. 21.
[7] Vgl.: Wiesendahl, Elmar: Mitgliederparteien am Ende. Eine Kritik der Niedergangsdiskussion. 2006.. S. 21.
[8] Vgl.: Ebd. S. 22.
[9] Vgl.: Ebd. S. 25.
[10] Vgl.: Wiesendahl, Elmar: Mitgliederparteien am Ende. Eine Kritik der Niedergangsdiskussion. 2006. S. 28.
[11] Ebd.. S. 27.
[12] Ebd.. S. 29.
[13] Vgl.: Wiesendahl, Elmar: Mitgliederparteien am Ende. Eine Kritik der Niedergangsdiskussion. 2006. S. 29.
[14] Wiesendahl, Elmar: Mitgliederparteien am Ende. Eine Kritik der Niedergangsdiskussion. 2006. S. 33.
[15] Vgl.: Ebd.. S. 34.
[16] Wiesendahl, Elmar: Mitgliederparteien am Ende. Eine Kritik der Niedergangsdiskussion. 2006. S. 36.
[17] Vgl.. Ebd.. S. 38.
[18] Vgl.: Wiesendahl, Elmar: Mitgliederparteien am Ende. Eine Kritik der Niedergangsdiskussion. 2006. S. 38.
[19] Ebd. S. 42.
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