Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Überlegungen der Sprachphilosophie
3 Zur Theorie der Sprachakte nach Austin
4 Weiterentwicklung der Sprechakttheorie durch Searle
4.1 Sprechaktregeln
4.2 Indirekte Sprechakte
4.3 Klassifikation der Sprechakte
5 Vergleichende Beobachtungen
6 Abschliessende Bemerkungen
7 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die theoretischen Konzeptionen der Sprachwissenschaft haben sich in den letzten knapp 100 Jahren stetig geändert und weiterentwickelt. Dabei können die Theorien der modernen Linguistik im wesentlichen in folgende Grundpositionen zusammengefasst werden: die Systemlinguistik (inklusive der generativen Grammatik) und die Pragmalinguistik.
Die systematische Linguistik, die bis 1970 vorherrschte, ist durchzogen von einer struktualistischen Betrachtungsweise, mit welcher man die sprachlichen Formen als Sprachsystem mit verschiedenen Teilsystemen interpretierte. Zu ihren entwicklungsrelevanten Stationen seien die Prager Schule (1926), die Kopenhagener Schule (1930) und der Amerikanische Deskriptivismus (bzw. Distributionalismus ab 1951) erwähnt, welche im wesentlichen auf den Ideen Ferdinand de Saussures basieren. Saussure gliederte (1905) die Sprache in die Trias langue (das Zeichensystem als soziale Erscheinung), parole (die individuelle Anwendung dieses Systems) und language (die allgemeine Sprachfähigkeit) und gilt mit dieser ersten Systematisierung als Begründer der modernen Sprachwissenschaft. Die Vertreter der generativen Linguistik hingegen beschäftigten sich mit der Sprachkompetenz und suchten nach Formulierungen für Regeln, welche die menschliche Fähigkeit zur Produktion immer neuer Sätze ermöglicht.[1]
Seit etwa 1970 verlagerte sich das Interesse von der systemorientierten Linguistik zur kommunikationsorientierten Linguistik.. Es wurde erkannt, dass „die sprachlichen Zeichensysteme kein Selbstzweck sind, sondern immer nur Mittel zu außersprachlichen Zwecken“.[2] Dieser neue Aspekt der Funktionen sprachlicher Mittel in der kommunikativen Tätigkeit führte 1970 zur kommunikativ-pragmatischen Wende. Die Pragmalinguistik ging nun der Frage nach, wie der Gebrauch der Sprache durch situative und kommunikative Bedingungen gelenkt wird. Somit stellt die Pragmatik einen selbständigen Bereich der Sprachwissenschaft dar, da sie eine zusätzliche Betrachtungsweise von Sprache ist. Der Gebrauch der sprachlichen Formen wurde zuerst mit der Sprechakttheorie systematisiert, der innere Zusammenhang zwischen einzelnen sprachlichen Handlungen wurde in ein Ordnungssystem zu bringen versucht.
Die vorliegende Arbeit umreißt die verschiedenen Entwicklungsstufen der Sprechakttheorie, die ihre Ursprünge in der Sprachphilosophie bzw. Logik findet, von John L. Austin zuerst ausgebildet und u.a. von Searle weiterentwickelt wurde.
2 Überlegungen der Sprachphilosophie
Über die Welt sprechen zu können, dies sei der eigentliche Zweck der Sprache – diese eher unklare philosophische Aufgabe der Sprache reichte den Vertretern der Sprachphilosophie nicht mehr aus. Die traditionelle Philosophie schien an einer „überzüchteten und damit bedeutungslosen Sprache“[3] zu kranken. So beschäftigten sich die Sprachphilosophen nicht mehr mit konstruierten Beispielsätzen, sondern mit der Verwendung der Alltagssprache. Sie erkannten, dass die Sprache in Handlungsvollzüge eingebettet ist und es nicht nur um den Gegenstand des Sprechens geht.
Bereits Aristoteles erwähnte, dass zur guten Rede neben dem Gegenstand auch der Sprechende und der Angesprochene zu berücksichtigen seien, erkannte also den kommunikativen Charakter der gesprochenen Sprache.[4] Diese Überlegungen zielen auf die Frage ab, mit welchen Bedingungen Sätze zu gebrauchen und zu verstehen sind, wenn die Sprache prinzipiell (mindestens) zweien angehört. Diese Gedanken können zu den ersten Ansätzen der Sprechhandlungstheorie gezählt werden, welche hat ihren Ursprung in der englischen Ordinary-Language-Philosophy hat.
Die Dreiteilung Aristoteles’ wurde von Bühler in den Mittelpunkt seiner Sprachbetrachtung gezogen und unterscheidet sie in Ausdruck oder Kundgabe (vom Sprecher her), als Appell oder Signal an den oder die Kommunikationspartner und als Bezeichnung oder Darstellung.[5] Hier sind bereits eindeutige Hinweise auf den Handlungscharakter der Sprache zu erkennen, da nicht nur das Erkennen der Bedeutungen von Zeichen, sondern offenbar verschiedene Tätigkeiten (Appell oder Signal, etwas zu tun) vom Gesprächspartner gefordert werden. Dadurch unterliegen diese Überlegungen auch einer psychologischen Dimension, da sich beim Sprechen das Innere des Sprechers ausdrückt und er in seinem Sprechen etwas sozial Relevantes tut – er vollzieht perlokutionäre Handlungen.[6] Es geht nicht mehr um „das Auffinden irgendwelcher, vom menschlichen Handeln isolierbarer Relationen zwischen Signalen und Bedeutungen, sondern um das Verstehen von Handlungen“.[7]
Diese sprachphilosophischen Überlegungen zum Handlungscharakter der Sprache wurden v.a. durch L. Wittgenstein konkretisiert. „Was in den Zeichen nicht zum Ausdruck kommt, das zeigt ihre Anwendung. [...] Was die Zeichen verschlucken, das spricht ihre Anwendung aus“.[8] Wittgenstein hält das Sprechen für eine menschliche Aktivität wie Holzhacken oder Turnen. Da die sprachliche Tätigkeit jedoch in verschiedenen Handlungs- und Situationskontexten vorkommt, muss man sie auf dem Hintergrund dieser Kontexte untersuchen. Die unendlichen Verwendungsformen sprachlicher Äußerungen und die ggf. nachfolgenden nichtsprachlichen Tätigkeiten bezeichnet Wittgenstein als Sprachspiele, z.B. Befehlen, Vermuten, Beschreiben, einen Witz erzählen etc. Für jedes Sprachspiel gibt es Regeln, die den Sprachgebrauch in seinen verschiedenen Handlungssituationen regelt.[9] Wittgenstein erkannte jedoch, dass diese Sprechhandlungskonventionen weder festgelegt noch der Willkür unterliegen, sondern sich aus dem sozialen Kontext ergeben und dementsprechend variabel sind.[10]
Das Wort gewinnt dadurch Bedeutung, da es in einem Sprachspiel eine bestimmte Funktion hat (auch wenn es in der Bedeutung des gleichen Sprachgebrauchs in verschiedenen Sprachspielen durchaus Übereinstimmungen gibt, wird diese Verwandtschaft von Wittgenstein nicht berücksichtigt). Zu beachten sei also nicht die Bedeutung, die dem Wort tatsächlich zugeordnet ist, sondern seine situationsabhängige Verwendung. Wittgenstein will damit ausdrücken, dass z.B. äußerlich gleiche Wörter und Sprachformen in verschiedenen Sprachspielen ganz unterschiedliche Funktionen haben können und „die Sprache prinzipiell von ihrem Gebrauch in bestimmten praktischen Situationen zu verstehen ist“,[11] kurz: Man sollte also nicht von Sätzen und Wörtern als phonische und graphische Gegenstände ausgehen, sondern die Ausdrucksvollzüge, die Sprechakte untersuchen.
Viele sprachliche Äußerungen sind durch sprachliche Konventionen geregelt, die sich auf bestimmte Handlungsweisen, also auf Ausdrücke beziehen. Diese Regeln bestimmen nun nicht, dass man zu einem bestimmten Termin, in einer bestimmten Art und Weise zu einer bestimmten Person „Hallo“ sagen darf, sondern dass diese Regeln den funktionalen Aspekt des Ausdrucks bestimmen. So werden „Hallo“ und synonym verwandte Ausdrücke (Grüß dich, Einen wunderbaren guten Tag etc.) in einer Sprachgemeinschaft als Begrüßung, also als bestimmte Funktion erkannt und verstanden.
Doch die Funktion einer Äußerung ist nicht nur durch Konventionen organisiert, die Umstände einer Äußerung können ganz verschiedene illokutionäre Rollen nach sich ziehen. Die Funktion des Satzes „Es regnet“ ergibt sich nicht durch Konventionen, sondern direkt aus den Umständen dieser Äußerung. Denn so kann „Es regnet“ als Warnung („Pass auf, es regnet herein“), als Empfehlung („Nimm einen Regenschirm mit“) oder eben als Feststellung gelten. Die illokutionäre Rolle kann man dem Satz nicht ansehen, die kommunikative Funktion ergibt sich erst aus dem pragmatischen Kontext seiner Verwendung.[12]
Die Überlegungen Wittgensteins zum Gebrauch der Sprache hat der Sprachphilosoph John L. Austin aufgegriffen und eine Theorie der Sprachakte entwickelt, die einen systematischen Zugang zur Semantik sprachlicher Äußerungen ermöglicht. Dabei geht er von weitgehend alltagssprachlichen Gesprächssituationen aus und entfernt sich somit von den Betrachtungen der klassischen Philosophie, in welcher vorwiegend deskriptive und wirklichkeitsferne Sätze untersucht wurden.
3 Zur Theorie der Sprachakte nach Austin
In seiner Vorlesung „How to do things with words“ (1955) entwickelte Austin die Sprechakttheorie, welche in der posthumen Veröffentlichung zusammen mit dem Buch „Speech Acts“ von Searle einen entscheidenden Anstoß zur pragmatischen Wende darstellt. Austin und die Vertreter der Sprechakttheorie gehen von der grundlegenden Fragestellung aus, was wir tun, wenn und indem wir sprechen. Es geht um die Suche nach den Eigenschaften der Sprachverwendung, nicht mehr um die Aspekte des Sprachsystems.
Die erste wesentliche Beobachtung Austins liegt in der Überzeugung, dass die Sätze natürlicher Sprachen nicht immer deskriptiven Charakter haben, also nicht immer als wahr oder falsch eingestuft werden können. Aussagen, die eine Behauptung darstellen, also als wahr oder falsch bezeichnet werden können, benennt Austin als konstativ, z.B. „Ich habe heute sechs Stunden an dieser Arbeit geschrieben“. Jedoch können mit so genannten performativen Sätzen Handlungen vollzogen werden. Mit performativen Äußerungen beschreibt man nicht, was man tut, sondern vollzieht unter bestimmten Umständen eine Handlung. Sie beschreiben Sätze, „in denen wir etwas tun, dadurch dass wir etwas sagen oder indem wir etwas sagen“.[13]
„Ich taufe die auf den Namen Valentin“ bezeichnet durch das Verwenden eines besonderen Verbs und unter bestimmten Bedingungen der Akt einer Taufe. Im Rahmen eines kirchlichen Ritus, und wenn der Sprecher tatsächlich Pfarrer ist, bekommt das performative Verb „taufen“ Handlungscharakter. Da dieses Beispiel mit diesen Bedingungen kaum als wahr oder falsch bezeichnet werden kann, handelt es sich um eine performative Äußerung.
Die besonderen Eigenschaften performativer Verben (z.B. kündigen, danken, warnen etc.) zeigen sich in ihrer Verwendung in der 1. Person Präsens Indikativ aktiv, wobei mit der Partikel „hiermit“ der Vollzug der Handlung unterstrichen werden kann. Sobald performative Verben in anderen Verwendungsformen vorkommen, bezeichnen sie lediglich einen Vorgang. „Ich habe dich doch gewarnt“ bezeichnet keine aktuelle Warnung mehr.[14]
Austin unterscheidet explizit performative und primär performative Äußerungen. Mit den ersten meint er Sätze, welche den performativen Charakter besonders demonstrieren wie „Hiermit verspreche ich dir ganz fest, dass ich morgen komme.“ Deutlich alltäglicher sind Formulierungen der zweiten Gruppe wie „Ich komme morgen ganz bestimmt.“ Beide Sätze sind durch den Handlungsvollzug des Versprechens gleichermaßen performative Äußerungen. Zwar haben beiden Formulierungen nicht die gleiche Bedeutung, können aber in bestimmte kommunikativen Situationen das gleiche meinen.
[...]
[1] Vgl.. Hindelang, Götz: Einführung in die Sprechakttheorie. 2., durchges. Auflage. Tübingen: Niemeyer, 1994, S.1.
[2] Helbig, Gerhard: Entwicklung der Sprachwissenschaft seit 1970. 1. Auflage. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1986, S. 13.
[3] Hindelang, S.1.
[4] Vgl. Simon, S. 211.
[5] Vgl. Bühler, K.: Sprachtheorie. Jena: 1934. In. Simon, S. 211.
[6] Vgl. Simon, 212.
[7] Schneider, H.J.: Pragmatik als Basis von Semantik und Syntax. Frankfurt/Main: 1975. In: Simon, S. 144.
[8] Wittgenstein, L.: Tractatus logico-philosophicus. In: Oswalds Annalen der Naturphilosophie (1921), dt.-engl. Ausgabe. London: 1922. In. Kutschera, F. von: Sprachphilosophie. 2., völlig neu bearb. und erw. Auflage, Nachdruck. München: Fink, 1993, S. 166.
[9] Vgl. Anscombe, G., Rhees, R. (Hrsg.): Wittgenstein, L.: Philosophische Überlegungen. Oxford: 1953. In: Kutschera, S. 136ff.
[10] Vgl. Helbig, S. 181.
[11] Kutschera, S. 139.
[12] Vgl. Kutschera, S. 168f.
[13] Austin, J.L.: Zur Theorie der Sprechakte. Philipp Reclam jun. GmbH: Stuttgart, 1972 (1979), S. 35.
[14] Vgl. Linke, A., Nussbaumer, M., Portmann, P.: Studienbuch Linguistik. 3., unveränd. Aufl. Tübingen: Niemeyer, 1996, S. 183.