Die Legende des Jochanan ben Zakkai und ihre politischen Dimensionen


Seminararbeit, 1999

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Zur Quellenlage

2. Die Person Jochanan ben Zakkai

3. Die jüdische ”Revolution”

4.1 Die Legende des Jochanan ben Zakkai
4.2 Textanalyse der Version ARNa

5. Entstehungszeit und Rückschlüsse auf politische Implikationen
5.1 Der Bar-Kochba Aufstand
5.2 Die Zeit nach dem Bar-Kochba Aufstand, Bet Schearim und Jehuda ha-Nasi

6. Resumé

7. Literatur

1. Zur Quellenlage

Die Geschichte der Flucht des Jochanan ben Zakkai aus Jerusalem findet sich in vier Quellen aus unterschiedlichen Zeitepochen. Die erste Quelle diente offenbar als Referenztext der anderen, sie ist Teil des Avot deRabbi Nathan (ARN) und ist der Midrash vorangesetzt. Diese erste Version wird nachfolgend ARNa benannt, die zweite, nachfolgend ARNb genannt, scheint lediglich eine ältere Kopie des ersten Textes mit unterschiedlicher Gewichtung zu sein und findet sich ebenfalls in der Avot. Die Endredaktion der Avot wird in das 8. Jh. datiert, sie enthält jedoch Material, welches in die tannaitische Zeit zurückreicht. Der Begriff Midrash wird hergeleitet vom hebräischen Term darosch = suchen/forschen und meint die Erforschung der Bibel und ihr Ergebnis, der Kommentar. Als Verfasser der Avot gilt gemeinhin Natan der Babylonier, ein Tannait der im 2. Jh. lebte und Amtsgenosse von R. Simon ben Gamaliel III bis Jehuda ha Nasi war. Der Vater Natans war Exilarch in Babylonien und Natan selbst übersiedelte nach Palästina und wurde dort dessen Stellvertreter.

Die dritte Version des Textes ist enthalten im babylonischen Talmud (b.Git. 56 b) und die vierte in den Wehklagen der Midrash (Lam. R. 1.5.31). Eine Entstehungsdatierung der beiden letzteren Texte ist derzeit nicht möglich, was eine Untersuchung politischer Implikationen der Entstehungszeit ebenfalls unmöglich macht. Der Schwerpunkt der Untersuchungen dieser Arbeit wird daher auf der ersten Version, der Avot deRabbi Nathan a (ARNa), liegen.

2. Die Person Jochanan ben Zakkai

Die Herkunft des Jochanan ist unbekannt. Erste Hinweise auf seine Person finden wir in der Avot der Mischnah, nach denen er der jüngste Schüler des Hillel war. Dieser wiederum gilt als Begründer der talmudischen Behandlungsweise der Lehre, einer Interprätationsweise, die sich logisch an die Exegese klassischer griechischer Texte anlehnte und folgende Arbeitsschritte implizierte: 1.) Ableitung a minori ad majus, 2.) Ableitung durch Analogie, 3.) Konstruktion einer Erzählungsfamilie auf der Basis einer Passage (Suche nach einer Gemeinsamkeit oder Gesetzmäßigkeit), 4.) Konstruktion einer Erzählungsfamilie auf der Basis zweier biblischer Passagen, 5.) das Generelle und das Besondere, das Besondere und das Generelle, 6.) Erklärung durch die Bedeutung einer anderen, ähnlichen Passage, 7.) Deduktion aus dem Kontext.[1] Die Hillelsche Form der Exegese öffnete Türen für eine Interpretation, die nicht nur textimmanente Betrachtungsweisen, sondern auch die Bezüge zu anderen Texten herstellte und somit den Bezug auf lebensnahe Bereiche erweiterte. Einigen Mishnahstellen (z. B. Mishnah Shab. 16.7 und 22.3) zur Folge ging Jochanan zwischen 20 und 40 n.Chr. mit seiner Frau und seinem Kind nach Arav in Galiläa (in der Nähe von Sepphoris), um dort zu lehren und zu arbeiten. Welchen Beruf Jochanan dort ausübte ist unbekannt. Seine Motivation Jerusalem zu verlassen um in einer anderen Stadt zu arbeiten geht zurück in die talmudische Zeit, in der die Funktion des Rabbi kein Amt war, welches von einer zentralen Verwaltung entlohnt wurde. Um nicht in die Abhängigkeit eines Patriarchen zu geraten und nur der Torah verpflichtet zu sein übten die Rabbinen neben ihrer Lehrtätigkeit so einen weiteren Beruf aus. Zu der Zeit als Gamaliel I den Vorsitz der Pharisäer hatte (um 40 n.Chr.) kehrte Jochanan nach Jerusalem zurück und verfasste nach seinem Tode die Pastoralbriefe an die jüdische Diaspora. Gemeinsam mit Gamaliels Sohn, Simeon ben Gamaliel, übernahm Jochanan die Spitze der Pharisäer, der wahre Grund für eine solche Doppelspitze bleibt im Dunkeln; lediglich Vermutungen versuchen, Licht in diese Gegebenheit zu bringen. Neusner beleuchtet diese von zwei Seiten. Einerseits hatte Jochanan in den Jahren seiner Lehrtätigkeit und Assistenz von Gamaliel sicherlich ein gehöriges Maß an Autorität gewonnen, wovon uns auch eine Stelle der Sota (in Tosefta) berichtet, in der Jochanan das Gesetz der Todesstrafe für Ehebrecherinnen revidierte. Andererseits ist es, aus seiner späteren Vita folgernd, wahrscheinlich, dass er, in Opposition zu Simeon, der Friedenspartei angehörte, welche einen Kampf gegen die Besatzungsmacht ablehnte.[2] Simeons Teilnahme am Revolutionskonzil des Jahres 66 wird durch Josephus belegt, während Jochanan in diesem Zusammenhang nicht erwähnt wird. Jochanans Kommentar zu den antiheidnischen Unruhen des Jahres 40 verdeutlicht hingegen die friedfertige Gesinnung Jochanans und seine Opposition zu den Zeloten. Während der Regentschaft Caligulas (37-41n.Chr.) hatte dieser angeordnet, zwecks göttlicher Verehrung seiner selbst, Bildnisse oder Altäre zu errichten. Während die heidnische Minderheit Javnehs dem Befehl des Kaisers entgegenkam und einen Altar errichtete, zerstörten die Juden diesen kurze Zeit später. Jochanan kommentierte diesen Vorgang so:

”Zerstört nicht ihre Altäre, sodaß ihr sie nicht mit euren eigenen Händen wieder aufbauen müßt. Zerstört nicht die aus Ziegeln, damit sie euch nicht sagen können, ‚kommt und baut sie aus Stein‘.”[3]

Ein nicht genau datierbarer Kommentar (Sifré Deut. 192) Jochanans zu einer Textzeile aus dem Deuteronomium, welcher die Offiziere verpflichtet, Männer, die soeben ein Haus errichtet haben (Familiengründung), oder ängstlich sind, vom Militärdienst zu befreien, zeigt ebenfalls Jochanans Gesinnung. Jochanan kommentierte diese Schrift folgendermaßen:

”Dieses Gesetz wurde uns gegeben, damit die Städte nicht zu Friedhöfen werden.”

Er sagte: ”Kommt und seht wie sehr der Allgegenwärtige sich der Ehre seiner Kreaturen erbarmte. Verantwortlich den Verzagten und Ängstlichen gegenüber, wenn der Kommandeur durch die Reihen geht wird er sagen: ‚Vielleicht hat jemand ein Haus gebaut, vielleicht hat ein anderer eine Frau (betrothed) und wer auch immer, laßt ihn Zeugen dafür bringen‘. Die Ausnahme ist der Verzagte und Ängstliche...”.

Jochanans Ziel lag offensichtlich darin, zu zeigen, wie wichtig eine dauerhafte Ansiedlung der Juden im Land war und dass ein Krieg die Arbeit von Generationen zerstört.

Seine stärksten Gegner in der Gemeinde waren jedoch die Sadduzäer, eine Sekte, welche die mündliche Überlieferung sowie die Deutung biblischer Texte ablehnte und ausschließlich das geschriebene Gesetz als Richtschnur des Glaubens anerkannte. Jochanan vertrat offenbar die Partei der Pharisäer bei einigen Streitigkeiten mit den Sadduzäern bezüglich der Reinheitsgesetze. Die jüdischen Gesetze verlangten von Arbeitern im Tempelbezirk die rituelle Reinheit. Hatte ein Arbeiter nun gegen die Reinheitsgebote verstoßen, konnte er, gemäß einer Verfügung der Pharisäer, das Maß seiner Unreinheit durch ein Bad abschwächen, so dass er selbst zwar bis an den Abend unrein blieb, jedoch seinem Werkzeug, sowie seinem Werk keine Unreinheit übertrug. Diese Auslegung der Pharisäer stieß auf starken Wiederstand der Sadduzäer, welche eine stringente Beachtung der Gebote forderten.[4] Die pharisäische Interpretation und Umsetzung dieses Gesetzes erleichterte dem einfachen Volk, welches tagtäglich mit größerer Unreinheit als die Priester und Pharisäer konfrontiert war, den Umgang und die Auswirkungen der Reinheitsgebote und setzte sich dadurch trotz des Widerstandes der Sadduzäer durch. Weiterer Streit zwischen beiden Parteien entbrannte um die genaue Datierung des Pfingstfestes und um das Erbrecht. Mit den Priestern stritt Jochanan um das Heiratsrecht von Familien unreiner Abstammung in die Priesterkaste. Jochanan versuchte diese Novilierung durchzusetzen, scheiterte jedoch daran, dass die Priester sich vorbehielten das Reinheitsurteil festzulegen.[5]

3. Die jüdische ”Revolution”

Zur Zeit des Aufstandes war Gessius Florus, ein Grieche aus Kleinasien, Prokurator von Judäa. Aufgrund seiner Abstammung bevorzugte dieser bei allen Entscheidungen die heidnische griechische Bevölkerung, aus der sich unter seiner Herrschaft auch ein Teil der Truppen rekrutierte. Die Besteuerung der Bevölkerung, die schon zuvor als ungerecht empfunden worden war, nahm zu wodurch eine hohe Verschuldung verursacht wurde. Der erste Akt des Aufstands war daher auch die Verbrennung der Archive in Jerusalem, in denen alle Schuldscheine der Nation aufbewahrt wurden. Unruhen in der Stadt Caesarea veranlassten den Prokurator Florus zu verschärften Maßnahmen gegen die Bevölkerung, was eine Stadtflucht der jüdischen Bevölkerung zur Folge hatte. Als Florus beschloss, den Tempelschatz in Jerusalem zu beschlagnahmen, auch wenn dies selbst die Mehrheit des gemäßigten Flügels der Pharisäer auf die Seite der aufstandsbereiten Zeloten brachte. Der Befehl des Priesteroberen Eleazar ben Hananja, die Opfer zum Wohle des Kaisers einzustellen, wirkte wie ein Aufstandsfanal für Juden in nahezu allen Regionen des Landes. Lediglich einige jüdische Zentren im Norden, wie Sepphoris und Tiberias, beteiligten sich nicht an den Unruhen. Im Jahr 66 konnten die Juden einige militärische Erfolge verbuchen. Es gelang ihnen ganz Jerusalem unter ihre Herrschaft zu bringen, sowie einige Burgen und Festungen, wie die in Massada. Da der Prokurator von Judäa nicht selbst über ein stehendes Heer verfügte, war er auf Hilfe des römischen Stadthalters von Syrien angewiesen. Da das Eintreffen der Truppen jedoch einiges an Zeit erforderte, konnten die Juden sich militärisch darauf vorbereiten; ein Vorteil der im Herbst 66 n.Chr. zur Niederlage des Cestius Gallus führte. Neros Reaktion bestand in der Entsendung seines besten Feldherrn Vespasian, dem Eroberer Britanniens. Nachdem Vespasian mit einem 60.000 Mann starkem Heer die jüdischen Truppen unter Joseph ben Matitjahu, dem späteren Chronisten Josephus Flavius, in Galiläa besiegt hatte, stand der Weg frei nach Judäa. Zu den militärischen Verlusten der jüdischen Truppen kam im Jahre 67 n.Chr. ein heftiger Führungsstreit der Jerusalemer Juden, bei dem es der zelotischen Partei gelang, die Oberhand zu gewinnen. Vespasian konzentrierte sich zunächst auf die Eroberung der an Jerusalem angrenzenden Gebiete, um die Einfuhr militärischer und wirtschaftlicher Güter in die Stadt und eine Flucht aus der Stadt zu verhindern. In diese Zeit, noch vor der Ausrufung Vespasians zum Kaiser im Juli 69 n.Chr., fällt die Legende von der Flucht Jochanans aus der belagerten Stadt.

[...]


[1] Neusner (B), S. 36

[2] Neusner (B), S.68/69

[3] ARNb, Kap.31

[4] Neusner (B), S.77

[5] Neusner (B), S.86

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Legende des Jochanan ben Zakkai und ihre politischen Dimensionen
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Veranstaltung
Israel - Palästina - Heiliges Land. Von der Landnahme bis zu den Kreuzzügen
Note
2,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
21
Katalognummer
V125261
ISBN (eBook)
9783640310760
ISBN (Buch)
9783640309795
Dateigröße
442 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Legende, Jochanan, Zakkai, Dimensionen, Palästina, Heiliges, Land, Landnahme, Judentum, Rabbinisch, Kreuzzüge, Thora, Menora, Mischnah, Israel
Arbeit zitieren
MA Guido Maiwald (Autor:in), 1999, Die Legende des Jochanan ben Zakkai und ihre politischen Dimensionen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125261

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