Um 820/ 830 entstand der Stuttgarter Bilderpsalter, der mangels näherer Kenntnisse über seinen
Entstehungskontext, die Künstler beziehungsweise Künstlerwerkstatt oder etwaige Auftraggeber nach
seinem Aufbewahrungsort benannt wurde. In der Landesbibliothek von Baden-Württemberg (Bibl. fol.
23) in Stuttgart befindet sich seit mehr als 200 Jahren die Handschrift, die aufgrund der reichen
Ausstattung mit 316 farbigen Bildern und mehr als 470 biblischen Einzelszenen, die den Text auf 340
Pergamentseiten schmücken, illustrieren und kommentieren, den Zusatz Bilderpsalter erhielt. Seine
Pergamentblätter sind in Holzdeckel mit Schafsleder eingebunden und weisen heute einen sehr
unterschiedlichen Erhaltungszustand auf.
Auf 26,5 auf 17,5 cm messenden Seiten mit einem sehr unregelmäßigen Schriftspiegel enthält der
Psalter in lateinischer Sprache die gallikanische Fassung der 150 Psalmen des Alten Testaments, die,
nachdem sie in den ersten Jahrhunderten des jungen Christentums nur zur Lesung verwandt wurden,
dann dem zentralen gottesdienstlichen Gesang sowohl in der Messe als auch im kirchlichen
Stundengebet dienten. Da die Psalmen zudem in den Antwortgesängen der Lesung und bei
Prozessionen, der Kirchweihe und den Gebeten für Kranke und Tote Anwendung fanden, rückten sie
neben dem Evangeliar an eine zentrale Stelle im christlichen Gottesdienst5.
Obgleich in dem Psalter an keiner Stelle ein Hinweis auf seine Herkunft oder seinen
Entstehungskontext gegeben wird, gilt es inzwischen in der Forschung als erwiesen, dass das Kloster
St. Germain-des-Prés in der Nähe von Paris als Entstehungsort bezeichnet werden kann, wenn auch die
Frage nach dem Auftraggeber oder der Provenienz noch immer ungeklärt ist.
Wahrscheinlich kam die kostbare karolingische Handschrift in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts unter
Herzog Carl Eugen von Württemberg in die Württembergische Landesbibliothek, die dieser 1765
gegründet hatte. Licht in das Dunkel der Vorgeschichte versucht Helmut Boese zu bringen, wenn er
behauptet, dass einem Aktenstück der Bibliothek zufolge die Übernahme des Psalters in kurfürstlichen
Bestand sich auf den 19.April 1787 datieren lasse. Demnach schenkte Daniel Gottlieb Friedrich Faber,
zu diesem Zeitpunkt Obertribunalrat in Stuttgart, dem Kurfürsten die Handschrift, um sich
wahrscheinlich für eine Beförderung zu bedanken oder zu empfehlen. [...]
Inhaltsverzeichnis Seite
1. Wiederentdeckung nach 1000 Jahren — Eine Einffihrung zum Stuttgarter Bilderpsalter
2. Der Stuttgarter Bilderpsalter
2.1. Originaleinband und Farbfraß — Erhaltungszustand und Maße der Handschrift
2.2. Datierungsversuch fiber ein Rautenmotiv? - Die Initialen
2.3. 316 Bilder mit 470 Einzelszenen — Die Illustrationen
2.3.1. Braune Vorzeichnung und mehrfiguriges Titelbild - Aufbau und Anfertigung
2.3.2. Von lavierendem, zeichnerischem Stil zu kleinformatiger Deckmalerei - Der Gestaltungswandel der Illustrationen
2.3.3. David, der Psalmendichter, und der Passionszyklus — Themen und Bildinhalte
3. Drei Traditionsstrange — Einordnung des Stuttgarter Bilderpsalters
4. Literaturverzeichnis
4.1. Primarliteratur/ Quelle
4.2. Sekundarliteratur
5. Anhang
1. Wiederentdeckung nach 1000 Jahren – Eine Einführung zum Stuttgarter Bilderpsalter
Um 820/ 830 entstand der Stuttgarter Bilderpsalter, der mangels näherer Kenntnisse iiber seinen Entstehungskontext, die Kiinstler beziehungsweise Kiinstlerwerkstatt oder etwaige Auftraggeber nach seinem Aufbewahrungsort benannt wurde. In der Landesbibliothek von Baden-Wiirttemberg (Bibl. fol. 23) in Stuttgart befindet sich seit mehr als 200 Jahren die Handschrift, die aufgrund der reichen Ausstattung mit 316 farbigen Bildern und mehr als 470 biblischen Einzelszenen, die den Text auf 340 Pergamentseiten schmiicken, illustrieren und kommentieren, den Zusatz Bilderpsalter erhielt1. Seine Pergamentblätter sind in Holzdeckel mit Schafsleder eingebunden und weisen heute einen sehr unterschiedlichen Erhaltungszustand auf2.
Auf 26,5 auf 17,5 cm messenden Seiten mit einem sehr unregelmäßigen Schriftspiegel3 enthält der Psalter in lateinischer Sprache die gallikanische Fassung4 der 150 Psalmen des Alten Testaments, die, nachdem sie in den ersten Jahrhunderten des jungen Christentums nur zur Lesung verwandt wurden, dann dem zentralen gottesdienstlichen Gesang sowohl in der Messe als auch im kirchlichen Stundengebet dienten. Da die Psalmen zudem in den Antwortgesängen der Lesung und bei Prozessionen, der Kirchweihe und den Gebeten fiir Kranke und Tote Anwendung fanden, riickten sie neben dem Evangeliar an eine zentrale Stelle im christlichen Gottesdienst5.
Obgleich in dem Psalter an keiner Stelle ein Hinweis auf seine Herkunft oder seinen Entstehungskontext gegeben wird, gilt es inzwischen in der Forschung als erwiesen, dass das Kloster St. Germain-des-Prés in der Nähe von Paris als Entstehungsort bezeichnet werden kann, wenn auch die Frage nach dem Auftraggeber oder der Provenienz noch immer ungeklärt ist.
Wahrscheinlich kam die kostbare karolingische Handschrift in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts unter Herzog Carl Eugen von Wiirttemberg in die Wiirttembergische Landesbibliothek, die dieser 1765 gegriindet hatte6. Licht in das Dunkel der Vorgeschichte versucht Helmut Boese zu bringen, wenn er behauptet, dass einem Aktenstiick der Bibliothek zufolge die Übernahme des Psalters in kurfiirstlichen Bestand sich auf den 19.April 1787 datieren lasse. Demnach schenkte Daniel Gottlieb Friedrich Faber, zu diesem Zeitpunkt Obertribunalrat in Stuttgart, dem Kurfiirsten die Handschrift, um sich wahrscheinlich fiir eine Beförderung zu bedanken oder zu empfehlen. Vermutlich handelte es sich um Familienbesitz, der unter dem Großvater Gottlieb Friedrich Faber, Leibarzt am herzoglichen Hof in Neuenstadt, in die Familie gekommen sein konnte7.
Explizit findet der Stuttgarter Bilderpsalter erstmals 1000 Jahre nach seiner Entstehung wieder Erwahnung bei dem englischen Bibliograph Thomas Frognall Dibdin, Bibliothekar des Earl of Spencer, fiir den er auf einem Europabesuch im August 1818 auch in Stuttgart Halt machte. In seinem Reisebericht „A bibliographical, antiquarian and picturesque tour in France and Germany" (1821) gibt er eine kurze Beschreibung und Einschatzung des Werkes8.
"I will begin with a Psalter, in small folio, which I should have almost the hardihood to pronounce of the tenth - but certainly of the early part of the eleventh - century. The text is executed in lower-case roman letters, large and round. It abounds with alluminations, running horizontally, and embedded as it were in the text. [...]9".
Nachdem aufgrund einer Vorsichtsmaßnahme der Stuttgarter Bilderpsalter zusammen mit anderen Handschriften der Wiirttembergischen Landesbibliothek in die Benediktinerabtei Beuron verlegt worden war, unterzog ihn Jakob Eschweiler einer genauen Untersuchung und schuf dabei die kurzen Bildbeschreibungen, die die Basis fiir den von ihm angeregten Untersuchungsband zum Stuttgarter Psalter bildeten10. 1968 wurden dann die Ergebnisse detaillierter Untersuchungen des Psalters11 unter kunsthistorischen, textkritischen und palaografischen Aspekten veroffentlicht sowie 1965 der dazugehorige erste Faksimile-Band mit der farbigen Reproduktion aller Bilder. Fiir Ernst Kitzinger begann damit eine ernsthafte Beschaftigung mit der Stuttgarter Handschrift, wenn er auch noch einen großen Klarungsbedarf, vor allem hinsichtlich der kunsthistorischen Einordnung, sieht12. In den seit der Veroffentlichung des Untersuchungsbandes von 1965 vergangenen vierzig Jahren hat sich keine weitere Studie so eingehend mit dieser Handschrift befasst, zu der es keine aktuelle Literatur gibt.
Zunachst soll der Stuttgarter Bilderpsalter mit seinen allgemeinen Daten naher vorgestellt werden. Dann wird auf die Datierungsversuche anhand der Initialen eingegangen, bevor die Illustrationen anhand ausgewahlter Beispiele mit ihrem Aufbau, dem Darstellungswandel innerhalb der Handschrift sowie den Darstellungstypen und Themen vorgestellt werden. Am Ende soll eine kurze Einordnung der Handschrift in den kunsthistorischen Kontext vorgenommen werden.
2. Der Stuttgarter Bilderpsalter
2.1. Originaleinband und Farbfraß – Erhaltungszustand und Maße der Handschrift
Bis heute befindet sich der Stuttgarter Bilderpsalter in seinem Originaleinband: zwei an den Kanten etwas abgeschragten Holzdeckeln mit graugelbem Schafsleder iiberzogen. Dieser Einband ist mit Streicheisenliniierung verziert, bei der je ein Rechteckrahmen mit diagonaler und rautenförmiger Aufteilung wechselt. Im oberen Teil des Vorderdeckels ist ein Pergamentzettel aus dem 15. Jahrhundert mit der Aufschrift „Psalterium David eum exposicione reali depicta" angebracht, wahrend auf der Innenseite der beiden Buchdeckel sich je ein Doppelblatt aus einer westdeutschen oder ostfranzösischen Handschrift von Boethius „De arithmetica" befand. Dagegen enthielt der Buchriicken Streifen aus einem Brevier der ersten Halfte des 15. Jahrhunderts, die jetzt vorn und hinten eingebunden sind13.
Die urspriinglich 170 Blatter setzen sich aus 21 Quaternionen und einem Doppelblatt zusammen, wovon heute noch 168 Blatter und 4 Stiicke mit Schriftresten erhalten sind, das erste Blatt der ersten Lage sowie das auf Blatt 129 folgende sind dagegen verloren14. Die Anordnung der Lagen, von denen der zweiten bis siebten ein Buchstabe zugeordnet ist, sieht folgendermaßen aus:
„[1 Bl. fehlt], 1-7; 8-15 B; 16-23 C; 24-31 D; 32-39 E; 40-47 F; 48-55 G; 56-63; 64-71; 72-76, 76a, 77, 78; 79-86; 87-94; 95-102; 103-110; 110a, 111-117; 118-125; 126-129, [1 Blatt fehlt], 130-132; 133-140; 141-148; 149-156; 157-164; 165 und 1 ungezahltes Bl., das schon friih als Deckspiegel gedient hat15".
Da mehrfach Farbschichten iibereinander gemalt wurden sowie die Qualitat der Pergamentblatter, die deutlich Haar- und Fleischseite erkennen lassen, uneinheitlich ist, liegen recht unterschiedliche Erhaltungszustande vor. Manche Blatter sind stark abgerieben und an einigen Stellen ist das Pergament durch Farbfraß (Kupferacetat) völlig zerstört. Hinzu kommen Korrekturen und Rasuren im Text sowie Zerstörungen der als anstößig empfundenen Illustrationen oder von Illustrationsausschnitten wie etwa in fol. 50v, wo offenbar das mannliche Geschlechtsorgan entfernt wurde. Ob auch Ausbesserungen und Ubermalungen erfolgten, muss noch durch eine technische Untersuchung geklart werden16. Kurz nach der Fertigstellung kamen wohl die Randglossen des ersten Teiles hinzu17, wohingegen die Foliierung mit arabischen Ziffern der Zahlung der Psalmen nach Luther folgend erst im 17. Jahrhundert vorgenommen wurde18.
Auf 26,5 mal 17,5 cm grol3en Seiten ist in 24 Zeilen in einem sehr unregelmaßigen Schriftspiegel pro Seite der lateinische Psalmentext nach der gallikanischen Fassung19 angeordnet, bei dem sich zwei Hande unterscheiden lassen mit Ausnahme von fol. 78v, das von einer dritten Hand stammt. Die erste Hand, die fol. 1r bis fol. 60r sowie fol. 83 r Z. 9 bis fol. 164v verfasste, könnte dem anerkannten Paläografen Bernhard Bischoff zufolge identisch mit dem Meister der Ausstattung und dem Rubrikator sein20. In roter Farbe sind tberschriften in Majuskeln den Psalmen vorangestellt, teilweise durch eine farbige Initialzeile ergänzt, fiir die ganz am Anfang auch Silber verwendet wurde, das inzwischen schwarz geworden ist21.
Die beiden Schreiber weisen schlichte klare Schriftziige auf, die dem Frankreich des 9. Jahrhunderts zugeordnet werden können, jedoch keiner der bisher erforschten französischen Schreibschulen, so dass weiterhin die Zuordnung zu St. Germain-des-Prés möglich bleibt. Bei einem Abgleich mit einigen der etwa 50 bis 60 erhaltenen Handschriften des Skriptoriums entdeckte Bernhard Bischoff, dass zwar keine identischen Schriften mit den beiden Händen des Stuttgarter Psalters erkennbar sind, sich jedoch mehrere Charakteristika, die mit dem Stuttgarter Bilderpsalter iibereinstimmen, in Handschriften aus St. Germain-des-Prés aus ungefähr der Zeit um 820-830 nachweisen lassen22.
2.2. Datierungsversuch über ein Rautenmotiv? - Die Initialen
Jeder Psalm beginnt mit einer durchschnittlich iiber fiinf Zeilen reichenden Initiale, die in den ausgesparten Text, von wenigen Ausnahmen abgesehen, als Einzelbuchstabe eingefiigt wurde, wobei Unziale und Kapitalbuchstabe willkiirlich wechseln23. Anhand von Größe und Schmuck einer Initiale lässt sich nicht unbedingt die Bedeutung des Psalms ablesen24.
Entscheidend fiir St. Germain-des-Prés ist die ungewöhnliche Verwendung der Rautenform als quadrat- oder rautenförmige Einzelform und nicht als Flächenmuster, die Aufschluss iiber die Herkunft des Psalters geben soll. Dabei tritt das Rautenmotiv einfach oder mit kreuzförmiger, diagonaler Unterteilung auf wie im C von fol. 4v oder dem I fol. 12v sowie in verschiedenen Variationsmöglichkeiten wie etwa dem mittleren Vierpass in dem E von fol. 17v oder dem D fol. 25v sowie dem B auf fol. 41r. Klar strukturiert dieses Motiv die Initiale, indem es zum Beispiel wie in dem C von fol. 4v die Gelenkstelle akzentuiert. Auffällig ist diese immer wiederkehrende Betonung strukturell bedeutsamer Stellen des Initials durch das Rautenmotiv sowie die Unterbrechung der Felderreihe der Fiillmotive25. Aufgrund der Ubereinstimmungen dieses fiir St. Germain-des-Prés als charakteristisch bezeichneten Rautenmotivs sowie einiger historischer und paläografischer Beziehungen hoffen Forscher wie Florentine Miitherich und Bernhard Bischoff mit Schriften um den Stuttgarter Psalter die tberlieferungsliicke schließen zu können, die bisher zwischen älteren Handschriften aus der Zeit von Irmino26 und späteren Handschriften des Skriptoriums bestanden27. Dennoch kann diese Zuordnung zu St. Germain-des-Prés nicht als vollkommen gesichert gelten.
An der Ausfiihrung der Initialen der Handschrift waren mehrere Hände beteiligt. So versah der fiihrende Meister die ersten 60 Blätter sicher und phantasiebegabt selbst mit Initialen, wurde jedoch ab fol. 60v von einer schwächeren Hand abgelöst, was zu Vereinfachungen und Qualitätsminderungen fiihrt, bis ab fol. 83r erneut Veränderungen eintreten, die sich nicht klar zuordnen lassen. Aufgrund der sehr engen Verbindungen zwischen Initialen und Schrift wurde in der Forschung sogar iiber die Möglichkeit von Identitätsiiberschneidungen diskutiert28.
Durch die ganze Handschrift hindurch dominiert als häufigste Schmuckform die Blattornamentik, wie sie als Trifolium mit aufgesetzter Knospe auch die Abläufe des C von fol. 4v ziert, wobei deutlich die grafisch vorgegebene Bogenform des C Art und Ausgestaltung der Blattornamentik beherrscht. Stets ordnet sich die kiinstlerische Gestaltung der Initiale im Stuttgarter Bilderpsalter seiner grafischen Form, die zusätzlich durch eine feine braune Konturlinie betont wird, unter29.
So finden sich häufig bei gebogenen Formen Pflanzen- oder Tierornamente, während bei geraden Formen eher geometrische Muster verwendet werden. Die Ranke scheint im Gegensatz zu dem äuBerst variabel verwendeten Flechtwerk eher als Abstraktum, denn als bewegliches Element gesehen worden zu sein30.
Einen Ausnahmefall im Initialschmuck bildet das „B" am Anfang von Ps 1 (fol. 2r), das doppelt so hoch wie die durchschnittliche Initiale ist und mit der stehenden Christusfigur zu einer „komplizierten Gesamtkontur" verbunden ist31.
2.3. 316 Bilder mit 470 Einzelszenen – Die Illustrationen
2.3.1. Braune Vorzeichnung und mehrfiguriges Titelbild - Aufbau und Anfertigung
Von den 316 Bildern verteilen sich die 470 Einzelszenen auf die Weise, dass jeder Psalm mindestens ein Bild, meist zwei, drei, selten jedoch mehr aufweist, je nach Länge und Inhalt des Psalms.
In der Breite des Schriftspiegels ist die Illustration als Streifenbild in den Text eingefiigt, möglichst nahe an den Stellen, zu denen ein inhaltlicher Bezug besteht32.
Zudem driickt sich INTähe zwischen Text und Bild auch dadurch aus, dass die Illustrationen häufig ohne Rahmen oder lediglich mit einer diinnen braunen Konturlinie in den Text eingefiigt sind33. Bei fol. 27r grenzt die braune Konturlinie an drei Seiten die Illustration gegeniiber dem Text ab, so dass eine enge Verbindung schon rein formal besteht. 27r bildet allerdings eine der Ausnahmen im Stuttgarter
file:///C:/Users/EATHEN~1/AppData/Local/Temp/msohtmlclip1/01/clip_image015.gif" style="height:3px; width:628px"/>Bilderpsalter, da hier weder ein reines Streifenbild noch eine Bildseite vorliegen. Etwa drei Viertel der Seite wird von der hochrechteckigen Illustration eingenommen34, die durch eine diinne, braune Konturlinie in zwei Register geschieden ist. Beide Register zeigen Kreuzigungsszenen, das obere Christus am Kreuz, das untere die Gewänderteilung. Fast alle Illustrationen der Stuttgarter Handschrift sind jedoch nicht in mehreren Szenen innerhalb eines Bildfeldes aufgebaut35. Stattdessen verteilen sich thematisch einander zuzuordnende Szenen auf mehrere Streifenbilder wie etwa auf fol. 92v und den folgenden Blättern, wo in Illustrationspaaren jeweils zwei der 10 ägyptischen Plagen gezeigt sind.
Bevor allerdings die Illustrationen eingefiigt werden konnten, wurde zunächst der Psalmentext geschrieben und dabei sowohl Platz gelassen fiir Illustrationen und Initialen als auch bei den Aussparungen bereits die Form des Bildes beriicksichtigt. Dem Schreiber miissen die Miniaturen, die eingefiigt werden sollten, bekannt gewesen sein, vielleicht lagen sie ihm sogar vor36. Besonders deutlich wird dies an fol. 2r, wo der erste Psalmenvers die Bogenform des Initials B („Beatus vir qui non abiit") nachvollzieht. Trotz der genauen Aussparungen gehen Teile der Miniaturen häufig iiber den braun konturierten Bildrand hinaus und ragen bis in den Schriftraum oder den Blattrand hinein, wie dies auf fol. 32v oder fol. 91v besonders augenfällig wird, da hier Illustrationsteile um etwa die halbe Höhe des Bildfeldes iiber das mit Konturlinie und dem monochromen Hintergrund als Farbfläche begrenzte Streifenbild hinaus gefiihrt werden. Aber auch innerhalb der Register werden die Konturlinien nicht absolut gesetzt, so dass bei fol. 27r das Messer des Soldaten im unteren Register vollständig im oberen ausgebildet ist und die Hinterläufe des Löwen weit bis in das untere Register hinein ihre Fortsetzung finden. Zudem endet der flächige Farbhintergrund selten am inneren Rand, selbst wenn die Miniaturen bis dorthin weitergefiihrt sind und auch die Konturlinie teilweise durchgezeichnet ist, wie dies sehr gut in der Illumination auf fol. 27r sichtbar ist. Doch auch wenn Miniaturteile in den Text hineinragen, kommt es fast nie zu einer Kollision der Buchstaben mit dem Bild. Beide finden vielmehr eine Balance zueinander.
Nachdem der Textteil beendet war, entstanden die Initialen oder Initialenteile in unmittelbarem Zusammenhang mit den Bildern, zum Beispiel das „B" von Beatus bei Ps I (fol. 2r)37. Als letztes wurden die roten Kapitalbuchstaben von dem Rubrikator eingefiigt.
Stellenweise sind einzelne Personen oder Bildgegenstände zusätzlich mit Tituli gekennzeichnet wie in fol. 81r oder fol. 96r oder eine kurze Bildbeischrift ist im Rand neben der Illustration ergänzt wie in fol. 73r ein Hinweis zur Exegese des Psalms in einer christologischen Deutung.
[...]
1 Im Durchschnitt kommt auf 10 Psalmenverse eine Illustration, so Eschweiler (Eschweiler, Jakob: Illustrationen zu altlateinischen Texten im Stuttgarter Bilderpsalter, in: Texte und Arbeiten. Beiträge zur Ergriindung des älteren lateinisch christlichen Schrifttums und Gottesdienstes. Colligere Fragmenta. Festschrift fiir Alban Dold zum 70. Geburtstag am 7.7.1952, 1952, S. 49-51, hier: S. 49); „The largest assemblage of pictures to have come down to us from the Carolingian period", befand Hans Belting (zitiert nach Kitzinger, Ernst: Der Stuttgarter Bilderpsalter, in: The Art Bulletin, Bd. 51/ 1, März 1969, S. 393-397, hier: S. 393).
2 An fol. 50v wurden Rasuren vorgenommen, während das Pergament von fol. 155v von Griinspan angegriffen ist.
3 Die Behauptung von Frede (Nachwort in: Gordan, Paulus: Es ist der Herr. 12 Betrachtungen zu Bildern des Stuttgarter Bilderpsalters, Beuron 1976, S. 57) der Schriftspiegel betrage stets 19,5 auf 11,6-11,8cm lässt sich an der Handschrift nicht nachweisen.
4 Löffler, Karl: Ein karolingischer Bilderpsalter, in: Zeitschrift fiir Biicherfreunde, 17. Jahrgang, Leipzig 1925, S. 83-95, hier: S. 86; Eschweiler: Illustrationen, S. 50; Frede (Gordan: Der Herr, S. 57) geht so weit, diese Fassung des Gallicanum als eine Vulgata „aus dem nordöstlichen Frankreich der Zeit 770 bis 790" zu benennen ohne einen Beleg anzufiihren.
5 Thiel, Erich Josef: Die liturgischen Biicher des Mittelalters. Der Psalter, in: Börsenblatt fiir den Deutschen Buchhandel aus dem Antiquariat X, Frankfurter Ausgabe, 23. Jahrgang, 17. 0ktober 1967, S. 2389-2392, hier: S. 2389; Miitherich, Florentine: Die verschiedenen Bedeutungsschichten in der friihmittelalterlichen Psalmenillustration, in: Friihmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts fiir Friihmittelalterforschung der Universität Miinster, Bd. 6, Berlin [u.a.] 1972, S. 232-244, hier: S. 233.
6 Hoffmann, Wilhelm: Einfiihrung, in: Der Stuttgarter Bilderpsalter. Bibl. Fol. 23, Wiirttembergische Landesbibliothek Stuttgart, 2 Bde., Stuttgart 1965-1968, Bd. 2, 1968, S. 9-14; Als Variante gibt Löffler (Löffler: Karolingischer Bilderpsalter, S. 85) an, dass Herzog Carl Eugen die Handschrift von dem Kölner Sammler Baron Hiipsch erworben habe, ohne jedoch seine Vermutung näher zu begriinden.
7 Boese, Helmut: Zum Stuttgarter Bilderpsalter, in: Codices manuscripti. Zeitschrift fiir Handschriftenkunde, 6/ 1, 1980, S. 1-8, hier: S. 5-7.
8 Mit der Datierung tat sich Dibdin (Dibdin, Thomas Frognall: A bibliographical, antiquarian and picturesque tour in France and Germany Bd. 3, London 21829, S. 27) offensichtlich schwer, denn er verschätzte sich um knapp 200 Jahre. Auch Waagen (Waagen, Gustav Friedrich: Kunstwerke und Kiinstler in Baiern, Schwaben, Basel, dem Elsass und der Rheinpfalz Bd. 2, in: Waagen, Gustav Friedrich: Kunstwerke und Kiinstler in Deutschland, 2 Bde., Leipzig 1845, Bd. 2, Leipzig 1845, S. 183-184) lag mit seiner Zuordnung ins 10. Jahrhundert und Hinweisen auf romanische Elemente der Handschrift recht weit von der Realität entfernt.
9 Dibdin: Tour in France and Germany, S. 27.
10 Kitzinger: Stuttgarter Bilderpsalter, S. 394; Nordenfalk, Carl: Der Stuttgarter Bilderpsalter, in: Zeitschrift fiir Kunstgeschichte, Bd. 32, Miinchen [u.a.] 1969, S. 158-170, hier: S. 158-159.
11 Allerdings ist bei der Zuordnung des zitierten Psalmentextes mit der genannten Bibelstelle ab fol. 11r ein Fehler unterlaufen, so dass der genannte Psalm 9, 23 nicht mit dem Bibelpsalm (Ps 10, 2) iibereinstimmt. So entspricht dem Psalmentext zu fol. 11v nicht Ps 9, 29-30, sondern Ps 10, 8-9, zu 12r nicht Ps 9, 35-36, sondern 10, 14-15 und zu fol. 12v nicht Ps 10, 2-3, sondern 11, 1-2. Ab fol. 13r ist dann statt dem genannten Psalm jeweils der darauf folgende Psalm gemeint (zu fol. 13r statt 10, 5-6 11, 5-6). Vgl. den Bibeltext (Die Bibel. Einheitsiibersetzung der Heiligen Schrift. Gesamtausgabe, Stuttgart 1980) mit dem Untersuchungsband (Eschweiler, Jakob [u.a.]: Der Inhalt der Bilder, in: Der Stuttgarter Bilderpsalter. Bibl. Fol. 23, Wiirttembergische Landesbibliothek Stuttgart, 2 Bde., Stuttgart 1965-1968, Bd. 2, 1968, S. 55150). Dieser Zuordnungsfehler unterlief auch bereits De Wald (De Wald, Ernest T[heodore]: The Stuttgart Psalter. Biblia Folio 23, Wiirttembergische Landesbibliothek Stuttgart, in: Illuminated Manuscripts of the Middle Ages [Princeton] 1930).
12 Kitzinger: Stuttgarter Bilderpsalter, S. 397; Trotz des „Triumvirats von Sachverständigen" bleiben fiir Nordenfalk (Nordenfalk: Stuttgarter Bilderpsalter, S. 159-160) Fragen offen, neben die Kritikpunkte treten wie die Neigung zur Oberinterpretation der Illustrationen und Traditionsstränge sowie die Ambition, „um jeden Preis eine eigene Meinung zu haben" (Nordenfalk: Stuttgarter Bilderpsalter, S. 159).
13 Bischoff, Bernhard: Die Handschrift. Palaografische Untersuchung, in: Der Stuttgarter Bilderpsalter. Bibl. Fol. 23, Wiirttembergische Landesbibliothek Stuttgart, 2 Bde., Stuttgart 1965-1968, Bd. 2, 1968, S. 15-30, hier: S. 15;Vgl. auch De Wald: Stuttgart Psalter, S. 5; Abweichend aul3ert sich Löffler (Löffler: Karolingischer Bilderpsalter, S. 86), der von 165 beschriebenen Blattern sowie zwei Blattresten spricht, aus 22 Quaternionen zusammengesetzt.
14 Bischoff: Handschrift, S. 15.
15 Bischoff: Handschrift, S. 16.
16 Miitherich, Florentine: Die Stellung der Bilder in der friihmittelalterlichen Psalterillustration, in: Der Stuttgarter Bilderpsalter. Bibl. Fol. 23, Wiirttembergische Landesbibliothek Stuttgart, 2 Bde., Stuttgart 1965-1968, Bd. 2, 1968, S. 151222, hier: S. 155; Eschweiler: Illustrationen, S. 50-51; Neben Erganzungen von Auslassungen im Text durch den ersten Schreiber (z.B. fol. 30v, fol. 42r, fol. 105r, fol. 160v) treten sowohl einzelne kleine karolingische Korrekturen und Zusatze (z.B. fol. 29r, fol. 49v, fol., fol. 138r, fol. 157r) als auch Korrekturen und Rasuren vom 9. bis zum 16. Jahrhundert (Bischoff: Handschriften, S. 19-20). Die Rasuren bei Geschlechtsteilen, sogar von Tieren, merkt auch Löffler (Löffler: Karolingischer Bilderpsalter, S. 85 -86) an und erganzt die Spuren starker Benutzung der Handschrift, die Beschadigung mancher Bilder durch Löcher sowie durch Mausefral3.
17 Löffler: Karolingischer Bilderpsalter, S. 86; Miitherich: Bedeutungsschichten, S. 234.
18 Bischoff: Handschriften, S. 20.
19 Löffler: Karolingischer Bilderpsalter, S. 86; Eschweiler: Illustrationen, S. 50.
20 Bischoff: Handschriften, S. 16-18.
21 Löffler: Karolingischer Bilderpsalter, S. 86.
22 Bischoff: Handschriften, S. 20-25; Vgl. Ful3note 17; Irtenkauf, Wolfgang (Hrsg.): Stuttgarter Psalter, in: Stuttgarter Zimelien. Wiirttembergische Landesbibliothek. Aus den Schätzen ihrer Handschriftensammlung, Zimelienkatalog, Stuttgart 1985, S. 18; Auch Löffler (Löffler: Karolingischer Bilderpsalter, S. 86) versuchte anhand der Schrift eine Zuordnung, die ihn in die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts beziehungsweise auf den Anfang des 10. Jahrhunderts verwies.
23 Das „B" kommt als Capitalis sowie in unzialer und halbunzialer Form vor.
24 Vgl. Miitherich, Florentine: Die Initialen, in: Der Stuttgarter Bilderpsalter. Bibl. Fol. 23, Wiirttembergische Landesbibliothek Stuttgart, 2 Bde., Stuttgart 1965-1968, Bd. 2, 1968, S. 31-54, hier: S. 31.
25 Miitherich: Initialen, S. 39-40; 1959 teilte Wilhelm Koehler kurz vor seinem Tod in einem Gespräch mit Bernhard Bischoff diesem mit, dass er der Oberzeugung sei, dass St. Germain-des-Prés als Entstehungsort des Psalters gesehen werden miisse. Nach der Sichtung von Koehlers Unterlagen iiberpriifte Miitherich dessen Vermutung, dass das ornamentale Rautenmotiv in dem Stuttgarter Psalter als ein Erkennungsmerkmal fiir die Zuordnung der Handschrift gelten könne (Kitzinger: Stuttgarter Bilderpsalter, S. 394).
26 Nach 794 wurde Irmino, der in enger Verbindung zum karolingischen Königshaus stand, zum Abt von St. Germain-des-Prés gewählt. Von ihm, der zum letzten Mal 823 Erwähnung in einem Fragment eines Benefizialverzeichnisses fand, soll das
Polyptychon von St. Germain-des-Prés gestiftet worden sein, auch wenn dies nicht als gesichert gilt, da der Text erst im Vorfeld einer mensa fratrum vor 829 zusammengestellt wurde, so Hägermann (Hägermann, Dieter: Irmino, Abt v., in: Bautier, Robert-Henri: Lexikon des Mittelalters, 9 Bde, Miinchen 1980-1998, Bd. 5, Miinchen 1991, Sp. 662-663).
27 Miitherich: Initialen, S. 43; Bischoff: Handschriften, S. 20-25; Bischoff gibt an, dass er die kalligrafischen Hände des Stuttgarter Psalters nicht in identischen Schriften wiederentdecken konnte. Jedoch finden sich mehrere Charakteristika dieser Handschrift auch in anderen Schriften aus St. Germain-des-Prés aus der gleichen Zeit wieder. Am offensichtlichsten treten fiir Bischoff (Bischoff: Handschriften, S. 25) Parallelen mit dem Kopenhagener Eusebius zu Tage, was eine zeitliche Einordnung auf 820-830 unterstiitzt.; Vgl. Ful3note 13.
28 Miitherich: Initialen, S. 35-38, besonders S. 38.
29 Miitherich: Initialen, S. 31; Vgl. auch Löffler: Karolingischer Bilderpsalter, S. 86.
30 Miitherich: Initialen, S. 32-34; Vgl. auch Löffler: Karolingischer Bilderpsalter, S. 86.
31 Miitherich: Initialen, S. 32.
32 Bereits Eschweiler (Eschweiler: Illustrationen, S. 49) verwies auf die äuBerst enge Beziehung zwischen Text und Bild. Allerdings könnte die Stellung der Illustrationen im Text ohne eine starke Abgrenzung durch einen Rahmen auch ein Hinweis darauf sein, dass der Stuttgarter Bilderpsalter in der INTähe antiker Rotuli anzusiedeln ist und noch nicht die stilistische Weiterentwicklung zur vorangestellten, summarischen Bildseite vollzogen hat (Vgl. Weitzmann, Kurt: Illustrations in Roll and Codex. A study of the origin and method of text illustration, in: Studies in manuscript illumination, 6 Bde., Princeton [1947-1969], Bd. 2, Princeton2 1970, S. 83, S. 89, S. 93 und S. 100).
33 Löffler (Löffler: Karolingischer Bilderpsalter, S. 92) stellt fest, dass in manchen der Fälle, in denen Text und Bild nicht unmittelbar nebeneinander stehen, kurze Erläuterungen die Illuminationen begleiten.
34 Weitere grol3formatige Illustrationen finden sich nur vereinzelt innerhalb der ganzen Handschrift, etwa fol. 158v sowie fol. 163v (annähernd quadratisch) oder fol. 165r (einzige Bildseite).
35 Ausnahmen bilden zum Beispiel fol. 4r und fol. 56r mit zwei Szenen innerhalb eines Bildfeldes.
36 Miitherich: Psalterillustration, S. 154. Sowohl kleine Vorzeichnungen der Illustratoren als auch Vorlagen in Form anderer Handschriften sind denkbar.
37 Miitherich: Psalterillustration, S. 154; Vgl. Stuttgarter Bilderpsalter, S. 18; Zu der Forschungskontroverse siehe Anhang.
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