In der vorliegenden Diplomarbeit wird untersucht, welchen Einfluss kollektive Erinnerung und offizielle Geschichtsschreibung auf die Bildung kollektiver Identitäten haben und speziell auf Israel bezogen, wie und ob aus der Erinnerungskultur an die Shoah Handlungsmotivationen im gegenwärtigen Konflikt abgeleitet und diese mit Bezug auf die Shoah legitimiert werden. Der Focus im theoretischen Bereich der Arbeit liegt in erster Linie auf der Entstehung kultureller Gedächtnisse und kollektiver Identitäten speziell auf den Dynamiken, die sie in Großkollektiven wie Nationen entwickeln, in denen mehrere Erinnerungsdiskurse und Gruppenidentitäten der gesamtgesellschaftlichen Integration bedürfen. Des weiteren wird der Frage nachgegangen in welchem Verhältnis moderne Geschichtswissenschaft und kollektive Erinnerung zueinander stehen. Ist eine echte Trennung von Geschichtswissenschaft und kollektiver Erinnerung in der gelebten Realität einer Gruppe überhaupt möglich, vor allem, wenn ihr Gegenstand eine zentrale Rolle im kulturellen Gedächtnis des Kollektivs einnimmt und exponiert zur Identitätskonstruktion herangezogen wird, wie die Shoah in Israel? Hier schließt sich die Rezeption der Entwicklung der Shoah-Erinnerung in Israel von der Gründung des Staates bis heute an. Untersucht wird hier, welchen Stellenwert die Erinnerung an die Shoah zu den verschiedenen Zeiten im Selbstbild der jüdischen Israelis einnahm und warum sie immer wieder Eingang in tagespolitische Diskurse und Entscheidungen fand. Kommt es in Zeiten der äußeren Bedrohung durch Selbstmordanschläge oder andere außen- und innenpolitischen Unsicherheitssituationen zu einer verstärkten Projektion der Shoah-Erinnerung auf die Gegenwart? Dieser Frage wird im dritten Teil der Arbeit an Hand einer Zeitungsanalyse nachgegangen.
Inhaltsverzeichnis
- 0. Einleitung
- I. Kollektive Erinnerung, kollektive Identität und Geschichte
- 1. Kollektive Erinnerung und kollektive Identität
- 1.1. Kollektives Gedächtnis nach Maurice Halbwachs
- 1.1.1. Die kollektive Bedingtheit des Gedächtnisses
- 1.1.2. Erinnerungsfiguren – Konservatoren des Gedächtnisses
- 1.1.3. Kritische Anmerkungen
- 1.2. Jan Assmanns Theorie der Zweidimensionalität des kollektiven Gedächtnisses
- 1.2.1. Das kommunikative Gedächtnis
- 1.2.2. Das kulturelle Gedächtnis
- 1.3. Kollektive Identitätsbildung und ihre Dynamiken
- 1.3.1. Zur Funktion fundierender Erinnerungen bzw. Mythen
- 1.3.2. Bildung kollektiver Großidentitäten
- 1.3.3. Kollektive Identitäten im Konflikt
- 1.1. Kollektives Gedächtnis nach Maurice Halbwachs
- 2. Geschichte der Widerpart des Gedächtnisses?
- 2.1. Halbwachs und Nora
- 2.2. Aleida Assmann – Eine vermittelnde Theorie
- 2.3. Geschichtlicher Kanon - Wenn Geschichte zur fundierenden Erinnerung wird
- 2.4. Darstellbarkeit der Shoah - Nachdenken über eine andere Art der Geschichtsschreibung
- 3. Exkurs: Geschichte und kollektive Erinnerung in der jüdischen Tradition - Der Erbe der Staates Israel
- 4. Fazit
- 1. Kollektive Erinnerung und kollektive Identität
- II. Shoah-Erinnerung in Israel
- 1. Entwicklung der Shoah-Erinnerung
- 1.1. Erste Phase: Von Helden und Lämmern – Die Anfangsjahre
- 1.2. Zweite Phase: Ein Prozess und zwei Kriege - Beginn des öffentlichen Erinnerns
- 1.2.1. Der Eichmann-Prozess
- 1.2.2. Der Sechs-Tage-Krieg
- 1.2.3. Der Yom-Kippur-Krieg
- 1.3. Dritte Phase: Arafat der neue Hitler – Begin und die Inflation der Shoah-Vergleiche
- 1.3.1. Menachem Begin
- 1.3.2. Die Erste Intifada und der Golfkrieg
- 1.3.3. Oslo
- 1.4. Vierte Phase: Die Weltanschauung des „Neuen Antisemitismus“ und gesellschaftliche Veränderungen in Israel
- 1.4.1. Die Zweite Intifada und die Theorien vom „Neuen Antisemitismus“
- 1.4.2. Eine Gesellschaft in Veränderung
- 2. Instrumentalisierte und manipulierte Erinnerung - Die Sicht der Neuen Historiker
- 2.1. Die Neuen Historiker - Das Shoah-Tabu wird aufgebrochen
- 2.2. Die hegemoniale Erinnerungsmatrix
- 2.2.1. Offiziell-israelische Geschichtsinterpretation
- 2.3. Erinnerungsagenturen
- 2.3.1. Historiker
- 2.3.2. Schulen
- 2.3.3. Feste und Orte der Erinnerung
- 2.3.4. Medien
- 2.3.5. Beispiel: Polenfahrten
- 2.4. Tuvia Frilings und Yehuda Bauer – Kritik an den Neuen Historikern
- 2.5. Dan Bar-Ons Konzept der israelischen Identität
- 2.5.1. Die monolithische Phase der Vergangenheit
- 2.5.2. Die Auflösung der monolithischen Identität in der Gegenwart
- 2.5.3. Schritte zu einer dialogischen kollektiven Identität
- 2.5.4. Die Situation nach dem Beginn der Zweiten Intifada
- 1. Entwicklung der Shoah-Erinnerung
- III. Zeitungsanalyse
- 1. Vorgehensweise
- 2. Die Jerusalem Post
- 3. Die Analyse
- 4. Fazit - Kollektive Identität?
- VI. Schlussfolgerung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Diplomarbeit untersucht die Wechselwirkungen zwischen Holocaust-Erinnerung und dem arabisch-israelischen Konflikt in der israelischen Öffentlichkeit zwischen 2000 und 2006. Ziel ist es, die Rolle der Holocaust-Erinnerung in der Konstruktion und Dynamik kollektiver israelischer Identität zu analysieren.
- Holocaust-Erinnerung in Israel und ihre Entwicklung über die Zeit
- Der Einfluss des arabisch-israelischen Konflikts auf die Holocaust-Erinnerung
- Die Rolle von Erinnerungsagenturen (Medien, Schulen, etc.)
- Konzepte kollektiver Identität und ihre Bedeutung im Kontext des Konflikts
- Analyse der israelischen Sicherheitsdoktrin und ihrer Beziehung zur Opfer-Identität
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein. Kapitel I behandelt theoretische Grundlagen zu kollektiver Erinnerung und Identität, sowie die Beziehung zwischen Geschichte und Gedächtnis. Kapitel II analysiert die Entwicklung der Shoah-Erinnerung in Israel, unterteilt in verschiedene Phasen, und beleuchtet die Perspektiven der „Neuen Historiker“. Kapitel III beschreibt die Vorgehensweise und die Ergebnisse der Zeitungsanalyse der Jerusalem Post, fokussiert auf die Darstellung des Konflikts und die Verwendung von Holocaust-Vergleichen.
Schlüsselwörter
Holocaust-Erinnerung, arabisch-israelischer Konflikt, kollektive Identität, kollektives Gedächtnis, Sicherheitsdoktrin, „Neue Historiker“, Israel, Zeitungsanalyse, Erinnerungspolitik, Opfer-Identität.
- Arbeit zitieren
- Dipl.-Pol. Bettina Sommer (Autor:in), 2007, Holocaust-Erinnerung und israelisch-arabischer Konflikt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125630