Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Was ist Stress?.
2.1 Stressoren und Stressreaktionen
2.2 Stressentstehung im Gehirn
2.2.1 Erkenntnisse aus der Psychoneuroendokrinologie
2.2.2 Die zwei Achsen der Stressreaktion
2.3 Stressbedingte Veränderungen im Gehirn…
2.4 Körperliche Auswirkungen von Stress...
2.5 Ausgewählte Stressmodelle…...
2.5.1 Allgemeines Adaptationssyndrom nach Hans Selye
2.5.2 Die klassisch kognitiv-transaktionale Stresstheorie von Richard S. Lazarus….…
3. Stressbewältigung durch Joggen ..…...
3.1 Joggen als langsamer Dauerlauf.
3.2 Vorsorgeuntersuchung und Setting des langsamen Dauerlaufs…...…
3.3 Gesundheitliche Auswirkungen des Joggens…..…..…
3.3.1 Ausgewählte körperliche Auswirkungen. …..
3.3.2 Auswirkungen auf die Psyche.
3.4 Theorien zur Erklärung der psychischen Auswirkungen des Laufens….
3.4.1 Endocannabinoidhypothese
3.4.2 Transiente Hypofrontalitätshypothese (THH)
4. Anwendung des langsamen Dauerlaufs im Kontext der Sozialen Arbeit
4.1 Laufen und Joggen in der Schulsozialarbeit
4.2 Laufen mit Asylbewerbern und unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen
4.3 Laufen bei Kindern mit einer ADHS
5. Fazit .….
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Verlauf des allgemeinen Adaptionssyndroms nach Selye…
Abb. 2: Transaktionales Bewältigungsmodell von Lazarus…
Abb. 3: Persönlichkeitsmodell von Eysenck.
Einleitung
Das Phänomen Stress scheint heute allgegenwärtig zu sein, bald täglich stößt man in Zeitungen, Reportagen, Umfragen und medizinischen Berichten auf diesen Begriff, der noch im vorigen Jahrhundert völlig unbekannt war und erst in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts von Hans Selye eingeführt wurde (Vgl. Bette, Karl-Heinrich, Körperspuren, S.35, 1989). Auch wenn dieser Begriff überstrapaziert wird wie kaum ein anderer und nahezu in jedem Zusammenhang benützt wird, hat er doch nichts von seiner Aktualität verloren. Im Gegenteil, Stress ist heute aktueller denn je. Jede Woche werden 112 Millionen Menschen aufgrund stressbedingter Symptome behandelt, und Forscher gehen davon aus, dass 75 bis 90 Prozent aller Besuche bei Allgemeinärzten mit Stress zusammenhängen, da fast jedes körperliche System von Stress beeinflusst wird (Vgl. Elkin, 2007S. 36 f). Dabei dürfte wohl allein das Lesen einer Statistik über Stress ausreichen, tatsächlich Stress zu empfinden. So wird geschätzt, dass in den USA stressbedingte Ausfälle der Industrie jährlich 200 bis 300 Milliarden US-Dollar kosten. Auch wenn sich dies auf berufstätige Erwachsene bezieht, bleiben auch junge Menschen längst nicht mehr von den Auswirkungen von Stress verschont (Vgl. Elkin, 2007, S. 35).
Was früher eher ein Problem von überforderten Managern war, ist heute in sämtlichen gesellschaftlichen Schichten virulent und betrifft auch schon Kinder und junge Menschen in alarmierend hohen Zahlen (Vgl. Lehrhaupt & Meibert, 2011, S. 66). Als junge Menschen bezeichnet in diesem Zusammenhang das Achte Buch Sozialgesetzbuch (Vgl. § 7, Abs. 1 Nr.4 SGB VIII) Personen, die noch keine 27 Jahre alt sind. Diese werden schon in frühen Jahren mit den Wertidealen der Leistungsgesellschaft konfrontiert und bekommen suggeriert, dass sie nur etwas wert sind, wenn sie etwas für die Gesellschaft leisten, wobei der Wert des Menschen häufig an seiner Arbeitsleistung gemessen wird. Schulischer Stress, Stress in der Freizeit und Konflikte mit den Eltern sind die Folge, deren hohe Erwartungen an ihre Kinder allzu oft enttäuscht werden müssen (Vgl. Seiffge-Krenke & von Irmer, 2007, S. 72)
Wurde „steinzeitlicher Stress“ noch durch Bewegung und körperliche Aktivität kompensiert, ist dies in unserer bewegungsarmen und bequemen Gesellschaft häufig nicht mehr möglich, weshalb Belastungssituationen oft nicht angemessen verarbeitet werden und zu einem nachhaltigen Spannungsaufbau führen können. Daher hat in den vergangenen 20 Jahren das Interesse an der Stressthematik sowohl in der Fachwelt, als auch bei stressgeplagten Laien immer weiter zugenommen. Ein Grund dafür sind die Veränderungen in den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Industrieländer, zum anderen erhält die Wissenschaft beständig neue Erkenntnisse über neurobiologische und biochemische Abläufe bei Stress und dessen gravierende gesundheitliche Auswirkungen (Vgl. Kaluza, 2007, Vorwort).
Was die moderne Stressforschung als Hilfsmittel anbieten kann, ist nicht etwa eine neue Erfindung unserer Zeit, sondern körperliche Aktivität in Form der natürlichen Fortbewegungsform des Menschen, nämlich des Laufens bzw. des langsamen Dauerlaufs. Dessen vielfältige positive Auswirkungen auf Körper und Psyche rückten in den letzten Jahren verstärkt ins Interesse von Forschern und sind im Gegensatz zu Psychopharmaka praktisch frei von Nebenwirkungen, erzielten in Studien teils jedoch die gleichen Behandlungserfolge. Auch ist der langsame Dauerlauf nicht auf eine Altersgruppe beschränkt und kann schon von Kindern durchgeführt werden. Dabei kann einerseits die mangelnde Bewegung der Gesellschaft und andererseits die erhöhte Stressbelastung gezielt angegangen werden und beide Bereiche können vom Laufen und Joggen profitieren.
Von dieser Form der Stressbewältigung fasziniert, kontaktierte der Autor alle 20 Hochschulen in Bayern, an denen Soziale Arbeit gelehrt wird, und fragte nach, ob dort im Studienplan Inhalte zum langsamen Dauerlauf vermittelt werden. Es wurden 18 Rückmeldungen zurückgeschickt, die alle ein derartiges Angebot verneinten und auf bewegungsorientierte Verfahren wie Tanztherapie hinwiesen. Einzig die Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt bietet ein Seminar zum langsamen Dauerlauf an. Daher stellt sich die Frage, ob Joggen als effektive Methode zur Stressbewältigung in der Sozialen Arbeit bisher unterschätzt wurde.
2. Was ist Stress?
Um das Stressgeschehen in seiner Komplexität besser zu verstehen, werden zunächst Stressoren und die Stressreaktionen erörtert, daraufhin wird erklärt, welche Folgen Stress im Gehirn und im Körper verursacht. Den Abschluss bilden zwei Theorien zur Stressentstehung von Richard Lazarus und Hans Selye.
Die Stressreaktion an sich ist nichts „Gefährliches“, sondern stellt die normale biologische Antwort des Körpers auf Bedrohungen des körperlichen und seelischen Gleichgewichts dar. Dabei umfasst die Stressantwort eine breite Palette an biologischen Vorgängen, die allesamt der Aktivierung und Mobilisation von Energie dienen. Es handelt sich hierbei also um einen ganz normalen biologischen Vorgang, der von der Natur im Laufe der Evolution als ein Programm zur Sicherung des eigenen Überlebens in gefahrvollen Situationen entwickelt wurde. Für die menschlichen Vorfahren kam beispielsweise bei einer Konfrontation mit einem gefährlichen Tier nur der Kampf oder die Flucht infrage. Durch stressbedingte Hemmung von regenerativen Körperfunktionen und Aktivierung von Atmung und Herz- Kreislauffunktion bereitet die Stressreaktion daher auf eine Kampf- oder Fluchtreaktion vor und war für die menschlichen Vorfahren überlebenswichtig (Vgl. Kaluza, 2007, S. 16, S. 19).
In der heutigen Gesellschaft gibt es jedoch nur noch sehr wenige lebensbedrohliche Situationen, die durch Kampf- oder Flucht gelöst werden könnten, dennoch reagiert der Körper darauf wie vor Urzeiten. Die physischen Gefahren wurden zunehmend durch soziale und psychologische Belastungen ersetzt, für deren Bewältigung diese angeborene Reaktion nicht mehr geeignet ist und wodurch das Individuum, ohne Möglichkeit zu Kampf oder Flucht, in ständiger Anspannung lebt (Vgl. Elkin, 2007, S. 44 f). Die Art und Weise, wie nun Menschen mit Problemen und belastenden Emotionen umgehen, wird in der Fachsprache Coping genannt (Vgl. Davison, Hautzinger und Neale, 2007, S. 236).
Ausgehend von dieser ursprünglich positiven Sicht auf Stress gibt es auch heute noch Stress, der als positiv angesehen wird. Dieser Eustress geht einher mit positiven Gefühlen, freudiger Erregbarkeit und dem Gefühl, einer Herausforderung gewachsen zu sein. Demgegenüber steht der Dysstress, der bei zu hoher subjektiver Belastung und Überforderung auftritt und von dem üblicherweise die Rede ist, wenn von Stress gesprochen wird. Dieser Dysstress ist es auch, der bei Chronifizierung zu den weitreichenden Stresssymptomen führt, die im Folgenden noch genannt werden (Vgl. Hansch, 2014, S. 7; Schmidt, Stoll und Ziemainz, 2000, S. 70 f).
2.1 Stressoren und Stressreaktionen
Zum Verständnis der Auswirkungen des Joggens auf die Stresswahrnehmung ist es wichtig, zunächst die Entstehung und die Auswirkungen von Stress zu analysieren.
Kennzeichen des Stressgeschehens ist ein Zusammenwirken von gesellschaftlichen Verhältnissen, individuellen Erlebnis- und Verhaltensweisen sowie biologischen Prozessen, die sich gegenseitig selbst bedingen . Mit dem Begriff der Stressreaktion werden alle Prozesse bezeichnet, die von einem Individuum als Antwort auf einen Stressor in Gang gesetzt werden. Stressreaktionen zeigen sich in vielfältiger Weise auf der körperlichen Ebene. Sie beeinflussen darüber hinaus die Art und Weise des Denkens und Fühlens und sie äußern sich in beobachtbaren Verhaltensweisen. Stressreaktionen betreffen den ganzen Menschen mit Herz- und Kreislaufsystem, mit Gefühlen, Gedanken und den damit verbundenen Handlungen. Die Stressreaktion ist eine sehr umfassende körperliche Antwort auf Belastungen, die alle wichtigen Organsysteme und -funktionen beeinflusst (Vgl. Kaluza, 2007, S.16 ff; Gerber, 2008, S. 107; Schmidt et al., 2000, S. 69, 73 ff; Davison et al., 2007, S. 235). Beyer & Lohaus (2007, S. 14 f) sprechen hierbei auch von Stresserleben auf der physiologisch-vegetativen Ebene, der kognitiv-emotionalen Ebene und der verhaltensbezogenen Ebene. Mit physiologisch-vegetativen Symptomen beschäftige sich vor allem die biologische Stressforschung, wobei bei Kindern unter Dauerstress als körperliche Beschwerden vor allem Erschöpfung sowie Kopf- und Bauchschmerzen geäußert würden. Kognitiv-emotionale Stressreaktionen bezögen sich dagegen auf belastende Gedanken und könnten auf längere Sicht zur Genese psychischer Störungen beitragen. Auf der verhaltensbezogenen Ebene wird Stress auch für Außenstehende sichtbar, da dazu Überaktivität und Hektik, aber auch Konzentrationsprobleme gehörten.
Auffallend ist vor allem die Individualität des Stresserlebens, die bei jedem Menschen differenziert. So klagen manchen Personen bei Stress über Verdauungsbeschwerden, während wieder andere Schulter- und Nackenschmerzen aufgrund von Muskelverspannungen bemerken (Vgl. Kaluza, 2007, S. 9, S. 28 f; Schmidt & Schleiffenbaum, 2000, S. 68 f).
Wird der Körper aktiviert, geht dies auf der Gefühlsebene einher mit Emotionen wie Ärger, Hass oder Angst. Aufschaukelnd wirkt dies zusätzlich auf der kognitiven Ebene mit Gedankenspiralen, alles dreht sich zunehmend um die bedrohliche Situation. Ebenso wie die Stressreaktion an sich, sind auch die auslösenden Stressoren hochgradig variabel. Das sind allgemein Anforderungen, deren erfolgreiche Bewältigung als subjektiv bedeutsam, aber unsicher eingeschätzt wird. Stress entsteht also immer erst dann, wenn eine Diskrepanz zwischen der Anforderung einerseits, und den individuellen Bewältigungskompetenzen andererseits besteht. Das Stresserleben ist dabei umso intensiver, je höher die Anforderungen im Verhältnis zur eigenen Leistungsfähigkeit eingeschätzt werden (Vgl. Kaluza, 2014, S. 6 ff).
Da Stressoren völlig unterschiedlich kategorisiert werden können, ist die folgende Aufzählung daher nur eine Möglichkeit von vielen. Es gilt allerdings anzumerken, dass einzelne Stressoren nicht voneinander abgegrenzt werden können, sondern gemeinsam zum Stresserleben beitragen (Vgl. Beyer et al., 2007, S. 12 f).
Es kann beispielsweise unterschieden werden zwischen Elementaren Außenstressoren wie Hitze oder Hunger, Daily Hassles, wie z. B. Haushaltsarbeiten , Sozialsystemische Außenstressoren wie Arbeitslosigkeit oder Verarmung, kritische Lebensereignisse, wie der Tod Nahestehender und in Innenstressoren wie Traumata oder körperliche Erkrankungen (Vgl. Hansch, 2014, S. 6 f, S. 59 f; Schmidt et al., 2000, S. 68 f).
Wie Befragungen zeigen, wird die Stressbelastung von Kindern und Jugendlichen häufig vor allem von ihren Eltern völlig unterschätzt. Dabei werden zum Teil Werte erreicht, die mit denen von Erwachsenen vergleichbar sind oder diese sogar übersteigen. In diesem Zusammenhang wird jedoch kritisiert, dass Verfahren zur Stresserfassung von Kindern oder Erwachsenen unkritisch auch bei Jugendlichen eingesetzt werden (Vgl. Seiffge-Krenke, Gelhaar und Kollmar, 2007, S. 50). Dabei gibt es in der heutigen Zeit viele Belastungen, mit denen junge Menschen zurechtkommen müssen, wobei im Kindes- und Jugendalter zwischen mindestens drei großen Klassen von Stressoren unterschieden werden, nämlich normativen Stressoren, kritischen Lebensereignissen und alltäglichen Anforderungen und Problemen (Vgl. Seiffge-Krenke, 2007, S. 189; Beyer & Lohaus, 2007, S. 12 f).
Unter Normative Stressoren fallen Ereignisse, die bei den meisten Menschen einer Altersgruppe bei einem bestimmten Entwicklungsstand auftreten. Diese Stressoren gehen einher mit entwicklungsbezogenen, kontextuellen Aufgaben und Erwartungen von Familie, Freunden und Gesellschaft sowie mit veränderten Ansprüchen an sich selbst. Dazu gehören Schwierigkeiten beim Eintritt in den Kindergarten oder die Schule, Probleme beim Wechsel auf eine weiterführende Schule, bei Pubertätseintritt und bei der Entwicklung einer selbständigen Persönlichkeit. Der Umgang mit diesen Stressoren kann jedoch dadurch erleichtert werden, dass sie, im Gegensatz zu kritischen Lebensereignissen, nicht unvermittelt eintreten, sondern üblicherweise auf bestimmte Lebensabschnitte bezogen sind und Maßnahmen zu ihrer Bewältigung geplant werden können. In einer Längsschnittuntersuchung von Jugendlichen betrug die Belastung durch normative- und Alltagsstressoren 98%, die durch kritische Lebensereignisse lediglich 2% (Vgl. Seiffge-Krenke, Gelhaar und Kollmar, 2007, S. 49; Beyer & Lohaus, 2007, S. 12 f).
Kritische Lebensereignisse treten unvermittelt auf und sind im Gegensatz zu normativen Stressoren nicht an das Lebensalter gebunden. Hiervon ist üblicherweise nur eine relativ geringe Zahl von Jugendlichen betroffen, die Auswirkungen können jedoch tiefgreifend sein. Bei kritischen Lebensereignissen handelt es sich um extreme Belastungen, die oftmals eine Änderung von Alltagsroutinen und Neuanpassungen verlangen, wie die Scheidung der Eltern, ein Todesfall von Freunden oder Verwandten oder die chronische Erkrankung eines Jugendlichen. Wie aus Untersuchungen hervorgeht, korreliert eine Häufung kritischer Lebensereignisse in der Biographie positiv mit der Entwicklung von psychischen Störungen (Vgl. Beyer et al., 2007, S. 12 f).
Als alltägliche Anforderungen und Probleme (Daily Hassles) werden die Frustrationen und kleineren Schwierigkeiten bezeichnet, mit denen die meisten Menschen im Alltag zu kämpfen haben. Auch zukunftsbezogene Sorgen oder Schwierigkeiten im Umgang mit dem anderen Geschlecht gehören dazu. Da diese über einen längeren Zeitraum immer wiederkehrend auftreten, trägt gerade diese Beständigkeit zu einer erhöhten Belastung bei. Sie erweisen sich aufgrund ihrer Häufigkeit und Beständigkeit als wichtigere Prädikatoren für die Genese psychischer Störungen als kritische Lebensereignisse. Vor allem Kinder und Jugendliche sind besonders davon betroffen, da Erwachsene alltägliche Herausforderungen scheinbar besser akzeptieren können. Eine kompetente Bewältigung von Alltagsstress kann also als Schutzfaktor für psychisches und körperliches Wohlbefinden gelten (Vgl. Beyer et al., 2007, S. 13 f).
Aus einer Studie mit 342 untersuchten Schülern im Alter von 7 bis 18 Jahren geht hervor, dass im Kindes- und Jugendalter unter den stresserzeugenden Situationen Klassenarbeiten an erster Stelle stehen, gefolgt von Hausaufgaben und Streitigkeiten mit Nahestehenden, sowie ein Zeitmangel durch ein hohes Maß an Zusatzaktivitäten in der Freizeit. Alltägliche Anforderungen sind in den letzten 20 Jahren verstärkt untersucht worden, da sie sich gut zur Vorhersage von Anpassungsproblemen eignen, wobei deren Einfluss in manchen Studien sogar höher als der Einfluss kritischer Lebensereignisse ausfiel. Wichtig ist allerdings, dass diese drei Arten von Stressoren nicht unabhängig voneinander untersucht werden, da sie gemeinsam zum Stresserleben beitragen (Vgl. Kaluza, 2007, S. 15; Hansch, 2014, S. 59; Beyer et al., 2007, S. 12 f; Seiffge-Krenke, Gelhaar und Kollmar, 2007, S. 49, S. 59 f ).
2.2 Stressentstehung im Gehirn
Im vorherigen Kapitel wurden verschiedene theoretische Konzepte zur Stressentstehung erläutert. Nun soll auf die biochemischen Vorgänge eingegangen werden, durch die sich mentaler Stress tatsächlich auf körperlicher Ebene manifestiert. Dabei gilt es zu beachten, dass es sich hierbei um eine lebenswichtige Reaktion des Organismus auf Bedrohungen handelt und eine kurzzeitige Stressreaktion an sich nichts Pathologisches darstellt, sondern vielmehr eine gesunde Anpassungsfähigkeit an belastende Ereignisse repräsentiert. Die zentrale Steuerungszentrale für diese Stressreaktion stellt das Gehirn dar, im folgenden Abschnitt werden die einzelnen Hirnareale näher beleuchtet, die für diesen Prozess zuständig sind (Vgl. Kaluza, 2007, S. 20).
2.2.1 Erkenntnisse aus der Psychoneuroendokrinologie
Über seine fünf Sinne nimmt der Mensch ständig Informationen aus der Umwelt auf. Nach der Verwandlung in biologische Signale werden diese an das Gehirn weitergeleitet. Diese über die fünf Sinneskanäle einströmenden Informationen werden im Gehirn innerhalb kürzester Zeit verarbeitet und bewertet. Ausgehend von dieser Bewertung durch das Gehirn werden dann entsprechende Antworten in Gang gesetzt. Hierfür werden vom Gehirn mittels elektrischer Nervenimpulse und chemischer Nervenbotenstoffe, Neurotransmitter genannt, entsprechende Befehle beispielsweise an die Muskulatur gesendet. Auch werden Hormone zur Nachrichtenübermittlung für alle wichtigen Organe des Körpers produziert. Diese Signalverarbeitung läuft ständig ohne größere Auswirkungen nebenher ab. Werden die eingehenden Informationen jedoch als Gefahren oder Alarmsituation interpretiert, löst das Gehirn massive körperliche Reaktionen aus. Die ausgelöste Stressreaktion ist sehr komplex, als die wichtigsten beteiligten Hirnteile gelten die drei folgenden (Vgl. Kaluza, 2007, S. 20-22):
Der Hirnstamm ist der älteste Teil des Gehirns und schließt sich an das Rückenmark an. Er leitet die aus dem Körper kommenden Informationen an die höheren Hirnzentren weiter und ist für die automatisierten Lebensfunktionen zuständig, wobei er z.B. die Herzfrequenz, den Blutdruck und die Atmung kontrolliert. Für die Stressreaktion ist der sog. blaue Kern (Locus coeruleus) zwischen Gehirn und Rückenmark besonders wichtig, da seine Nervenzellen die Hälfte des für die Stressreaktion bedeutenden Neurotransmitters Noradrenalin produzieren (Vgl. a. a. O., 2007, S. 20 f).
Beim Limbischen System handelt es sich um ein um den Hirnstamm angeordnetes Areal von Nervenzellnetzwerken, die über auf- und absteigende Nervenverbindungen eine Brücke zwischen dem Großhirn und entwicklungsgeschichtlich älteren Hirnregionen bilden. Zum limbischen System gehören u. a. der Thalamus, der Mandelkern (Amygdala) sowie der Hypothalamus. Der Thalamus leitet als erste Schaltstelle für die Verarbeitung von über die Sinneskanäle einströmenden sensorischen Informationen Signale an die Großhirnrinde weiter, wobei im Thalamus selbst bereits eine erste grobe Bewertung der eingehenden Informationen stattfindet. Im Mandelkern sind emotionale Erfahrungen tief eingespeichert, weshalb er eine zentrale Bedeutung für die Auslösung von Emotionen, insbesondere von Angst hat und bei der Steuerung der Stressreaktion die führende Rolle einnimmt. Der Hypothalamus ist als Kontrollzentrum für die umfassende Regulation grundlegender vegetativer Funktionen (Körpertemperatur, Wasserhaushalt, Hunger und Durst) auch für den Hormonhaushalt im Körper verantwortlich. Wegen seiner Aufgaben wird das limbische System auch als das Eingeweide- und Gefühlshirn bezeichnet, da es gewissermaßen das Zentrum für die emotionale Intelligenz darstellt (Vgl. a. a. O., 2007, S. 21).
Die Großhirnrinde stellt den entwicklungsgeschichtlich jüngsten Teil des menschlichen Gehirns dar. Da sie für die bewusste Wahrnehmung und alle kognitiven Prozesse zuständig ist, wird sie auch als das „Denkhirn“ bezeichnet. Hier werden die von außen eingehenden Signale zu einem Eindruck vom Geschehen zusammengesetzt. Durch einen Abgleich mit abgespeicherten Erinnerungen an ähnliche Situationen wird eine Einschätzung der aktuellen Lage vorgenommen. Durch ihre Fähigkeit zur Antizipation kann sie außerdem anhand von ersten Hinweisen zukünftige Gefahrensituationen in der Vorstellung vorwegnehmen (Vgl. a. a. O., 2007, S. 21 f; Gerber, 2008, S.135-141).
Bei der Konfrontation mit einer potenziell gefährlichen Situation tauschen sich diese drei Hirnareale untereinander aus und es wird über die Auslösung einer Stressreaktion entschieden. Die von den Sinneszellen übermittelten sensorischen Informationen treffen zunächst im Thalamus, der ersten Schaltstelle, ein. Nach einer Weiterleitung zur Großhirnrinde findet eine genaue Informationsverarbeitung statt. Dafür wird ein Vergleich mit ähnlichen, bereits abgespeicherten Informationen durchgeführt. Eine Gefahrenreaktion wird vom Gehirn dann ausgelöst, wenn die Situation in der Erinnerung nicht zu bewältigen war oder dem Individuum Schaden zugefügt hat. Persönliche Erfahrungen, v. a. von starken Emotionen geprägte Vorerfahrungen, die sich das Gehirn gemerkt hat, sind somit für die Auslösung von akuten Stressreaktionen besonders wichtig. Kommt es im Großhirn aufgrund eines Erfahrungsvergleichs zu der Einschätzung, dass aktuell eine Gefahr vorliegt, dann veranlasst es, ausgehend vom Mandelkern im limbischen System, die Auslösung der Stressreaktionen. Starke Gefühle wie Angst und Wut können auftreten und führen zu weiteren körperlichen Stressreaktionen (Vgl. Kaluza, 2007, S. 21 f).
2.2.2 Die zwei Achsen der Stressreaktion
Wurde eine Situation als potenziell gefährlich eingestuft, leitet der vom Mandelkern alarmierte blaue Kern über die Sympathikus–Nebennierenmark- Achse die erste körperliche Aktivierungsreaktion ein. Der durch die Noradrenalin-Ausschüttung des blauen Kerns aktivierte Sympathikus, der Bestandteil des vegetativen Nervensystems ist und entlang der Wirbelsäule verläuft, innerviert alle wichtigen Organe und Gefäße. Sobald die Nebennieren erreicht werden, schütten diese das Stresshormon Adrenalin aus, das zusammen mit dem Noradrenalin den Körper durch Aktivierung von Atmung, Kreislauf und Energiebereitstellung auf Kampf oder Flucht vorbereitet. Kann das Individuum nun der Situation entkommen oder diese bewältigen, stoppt der blaue Kern das Aussenden von Alarmsignalen und durch das Erlöschen der sympathischen Erregung kommt der Organismus wieder zur Ruhe.
Stellt sich die Situation jedoch als unkontrollierbar heraus, bleiben Mandelkern und blauer Kern aktiv und es wird weiter Noradrenalin zur Aufrechterhaltung der sympathischen Aktivität freigesetzt. Die Aktivierung des limbischen Systems und der Großhirnrinde verstärkt sich, wodurch schließlich Nervenzellverbünde im Hypothalamu s erreicht werden. Damit setzt die zweite Stressachse ein, die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHNR-Achse) genannt wird. In der Folge findet eine ganze Vielfalt aufeinander abgestimmter hormoneller Reaktionen statt. Die Umsetzung von Nervenimpulsen in das Überträgerhormon CRF ( Kortikotropin-releasing-Faktor) stimuliert in der Hirnanhangdrüse die Sekretion des adrenokortikotropen Hormons (ACTH). Dieses führt, sobald es in die Nebennierenrinde gelangt, zur Bildung des zweiten wichtigen Stresshormons Kortisol. Dieses bereitet den Organismus auf eine länger anhaltende Belastungssituation vor, indem es z. B. Blutzucker bereitstellt und das Immunsystem hochfährt. Um eine überhöhte Stressreaktion zu vermeiden, ist das System durch einen Rückkopplungsmechanismus geschützt, welcher bei einem hohen Kortisolspiegel im Blut die Hormone CRF und ACTH hemmt (Vgl. Kaluza, 2007, S. 23-26; Gerber, 2008, S. 136 f.)
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