Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Strukturierung der Arbeit
2 Forschungsmethodik
3 Rechtsextremismusforschung
3.1 Einordnung der Begrifflichkeit Rechtsextremismus
3.2 Das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF)
3.3 Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) - Mitte-Studie
3.3.1 Ergebnisse der Mitte-Studie20/21
3.3.2 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Mitte-Studie
4 Kritische Männlichkeitsforschung
4.1 Connells Konzept der Männlichkeitskonstruktion
4.2 Die männliche Herrschaft nach Pierre Bourdieu
4.3 Homosoziale Männergemeinschaften nach Meuser
5 Männliche Sozialisation
5.1 Sozialisationsinstanz Familie
5.2 Sozialisationsinstanz Peer-Group
6 Jungenarbeit
6.1 Begriffsdefinition
6.2 Zielgruppen und Ziele
6.3 Lebenslagen von Jungen
6.3.1 Die Mikrodimension
6.3.2 Die Makrodimension
6.4 Angebote und Inhalte
7 Geschlechterreflektierte Rechsextremismusprävention
7.1 Rollenbewusstsein von Pädagogen und Pädagoginnen
7.2 Präventive und geschlechterreflektierte Herangehensweisen
8 Zusammenfassung und Diskussion der zentralen Ergebnisse
8.1 Zusammenstellung der Ergebnisse
8.2 Diskussion zu den Ursachen rechtsextremer Einstellungen bei Jungen
8.3 Diskussion hinsichtlich vorbeugender und effektiver Sozialer Arbeit
9 Fazit
Literaturverzeichnis
Wenn von Rechtsextremismus gesprochen wird, dann wird dies meistens mit Bildern von kahlköpfigen und gewaltbereiten Männern in Verbindung gebracht. Aus diesem Grund erscheint eine geschlechterspezifische Auseinandersetzung notwendig und sinnvoll.
Das Ziel in der vorliegenden Arbeit besteht darin aufzuführen, welche Kriterien für rechtsextreme Einstellungen bei männlichen Jugendlichen verantwortlich sein können und welche Rolle die Soziale Arbeit übernehmen kann. Dementsprechend wird folgende Forschungsfrage gestellt: „Welche Ursachen tragen dazu bei, dass männliche Jugendliche zu rechtsextremen Einstellungen neigen und kann Soziale Arbeit dem vorbeugend und effektiv entgegentreten?“
Um die Forschungsfrage zu beantworten, wurde eine systematische Literaturrecherche durchgeführt. Mit Hilfe der Forschungsmethode konnten Zusammenhänge zwischen gesellschaftsbedingten Gegebenheiten, stereotypischen männlichen Einstellungen und biographischen Ereignissen im Leben der Jugendlichen festgestellt werden. Auf den gefundenen Erkenntnissen aufbauend, kann Jungenarbeit im Kontext geschlechterreflektierter Rechtsextremismusprävention durch individuelle, soziale und historische Auseinandersetzung rechtextremen Einstellungen entgegen wirken.
Die noch junge Präventionsoption bedarf weiterer Forschung hinsichtlich ihrer und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, doch gilt sie schon jetzt als positive Ergänzung zu anderen präventiven Angeboten abseits der sozialen Arbeit.
Schlagwörter: Rechtsextremismus, Männlichkeit, Geschlecht, Jungen, Jungenarbeit, Geschlechterreflektierte Rechtsextremismusprävention
Right-wing extremism is usually associated with images of bald-headed men ready to use violence. For this reason, a gender-specific discussion seems necessary and sensible.
The aim of this work is to identify criteria responsible for right-wing extremist attitudes among young males and which role social work can assume, the following research question is asked: “Which causes contribute to male adolescents tend towards right-wing extremist attitudes and can social work counteract this preventively and effectively?“
In order to answer the research question, a systematic literature research was carried out. Based on the findings, a connection between social conditions, male attitudes and biographical events could be determined. Applying insights gained on social work with adolescent boys in the context of gender-reflective prevention of right-wing extremism may help counteract right-wing extremist attitudes. The research of extremis attitude prevention is still in its infancy, and requires further research with regard to its and social framework conditions. Despite that, it is already capable of providing a positive additional contribution to other preventive offers apart from social work.
Keywords: right-wing extremism, masculinity, gender, boys, young boys work, gender-reflective prevention of right-wing extremism
1. Einleitung
Im Rahmen der Einleitung wird an die Komplexität des Themas „Der (r)echte Mann – Eine geschlechterreflektierte Darstellung“ herangeführt. Im Folgenden werden für die Abschlussarbeit relevante Problem- und Zielstellungen erörtert, auf dessen Grundlage der Aufbau dieser Arbeit vorgestellt wird.
1.1 Problemstellung
„Es ist ein männliches Problem“ (Behr, 2021, zitiert nach Dreyhaupt, 2021) lautet die Schlagzeile in der Tagesschau vom 17. Juni 2021. Hintergrund der Berichterstattung ist die wachsende mediale Aufmerksamkeit an rechtsextremen Polizeistrukturen in der Bundesrepublik Deutschland. Der Polizeiwissenschaftler Behr (2021) verweist darauf, dass Rechtsextremismus in der Polizei ein maskulines Phänomen ist, das sich vor allem durch männliche Gruppenzugehörigkeit und Dynamik kennzeichnet. Auch in anderen Bereichen des deutschen Sicherheits- und Verteidigungsapparates werden Männlichkeit und Rechtsextremismus thematisiert. In einem Interview von Daniel Lücking (2021) macht die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) deutlich, dass Rechtsextremismus innerhalb der Bundeswehr ein Männerthema ist.
Diese zwei Beispiele sollen verdeutlichen, dass Rechtsextremismus allemal Geschlecht und konkrete Männlichkeitskonstruktionen und -praktiken tangiert und in Zusammenhang bringt. Männliche Überlegenheit, Gewaltaffinität und Geschlechterungleichheit sind dabei signifikante Merkmale rechtsextremer Strukturen. Der soldatische, heroische, kämpferische weiße Mann ist das Zentrum rechter Ideologie (Claus et al., 2010, S. 14-16). Diese Facetten rechtsextremer Männlichkeit werden, wie im ersten Beispiel, meist in Männerbünden, aber auch innerhalb Kameradschaften oder Wehrsportgruppen ausgelebt.
Die Thesen von Behr und Högl lassen sich mit Hilfe der Mitte-Studie 2020/2021 nochmals bekräftigen und wissenschaftlich belegen. Den Ergebnissen zu Folge sind Männer überproportional häufiger im rechtsextremen Spektrum anzutreffen als Frauen (Küpper et al., 2021, S. 94-95). Gleichzeitig ist laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV, 2021) die Zahl an Rechtsextremisten*innen im Jahr 2020 um 1320 auf 34750 Personen gestiegen (S. 53). Des Weiteren wuchs die Welle an rechtsmotivierten Straf- und Gewalttaten von 21290 im Jahr 2019 auf 22357 Vergehen im darauffolgenden Jahr an (BfV, S. 54). Dabei ist es wichtig zu betonen, dass die überwiegende Ausübung von Gewalt- und Straftaten durch Männer erfolgt.
Diese Umstände scheinen richtungsweisend zu sein und spiegeln sich bereits im Jugendalter wider. Laut den Resultaten des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen e.V. tendieren Jungen eher zu rechtsextremen Einstellungen als Mädchen (Krieg et al., 2020, S. 125).
In diesem Kontext bleibt, nach Claus et al. (2010), männliches Handeln geschlechtlich unmarkiert und findet in der öffentlichen Wahrnehmung und Rechtsextremismusforschung wenig Zuwendung (S. 10). Schlussfolgernd besteht in diesem Zusammenhang eine große Lücke, welche sowohl für die Sicherheit der Gesellschaft gravierend ist, wie auch als sehr problematisch für die Rechtsextremismusprävention betrachtet werden kann.
Herausfordernd ist diese Situation zudem, da Politiker, wie der AfD-Vorsitzende Björn Höcke, die Thematik „Männlichkeit“ instrumentalisieren. In einer Rede im November 2015 sagte er: „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken! Denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft. Und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!“ (Höcke, 2015, zitiert nach Bernhard, 2019).
Indessen rechtfertigt Höcke ein kämpferisches, alteingesessenes und altertümliches Männlichkeitsbild, welches in seinen Augen unter derzeitiger Entwicklung der Gesellschaft verschollen ist. Mokros et al. (2021) werfen Höcke in diesem Zusammenhang eine „männliche Opferideologie“ (S. 247) vor, welche deutsche Männer gezielt und bewusst zu Verteidigungs- und Angriffsmechanismen aufruft, um ein souveränes deutsches Volk zu gewährleisten. Dabei greift Höcke auf rassistische, sexistische, antifeministische und antisemitische Bilder und Rhetorik zurück, die den Kern für den austarierten Ist-Zustand männlicher Tristesse bilden (ebd.).
In Hinblick auf die kritische Männlichkeitsforschung wird der rechtsextreme Mann vor allem mit hegemonialen Männlichkeitskonzepten und tradierten Geschlechterrollen in Verbindung gebracht (Schad, 2009, S. 56-57). Kampfbereitschaft, Kameradschaften und eine „dehumanisierende und frauenfeindliche Orientierung“ (ebd., S. 57) sind der Status quo rechtsextremistischer „harter Männlichkeit“. Demgegenüber und in Anlehnung an traditionelle Männlichkeitsbilder wollen Rechtsextremisten „Beschützer der Frauen und der deutschen Nation sein.“ (Kersten, 1997, S. 111).
1.2 Zielsetzung
In der Problemstellung wird deutlich, dass Rechtsextremismus und die Kategorie Männlichkeit eng miteinander verknüpft sind. Besonders auffällig ist dabei, dass sowohl in öffentlichen Debatten als auch in wissenschaftlichen Diskursen die Verbundenheit von männlicher Geschlechtlichkeit und Rechtsextremismus wenig reflektiert wird. Vor allem im Zusammenhang männlicher Jugendlicher erscheint es mehr als sinnvoll präventive, geschlechterspezifische Angebote zu fördern, um die Jungen einerseits für vielfältige Männlichkeitsbilder zu sensibilisieren und andererseits vor dem Einstieg in rechtsextreme Strukturen zu schützen. Dementsprechend ergibt sich nachkommende Forschungsfrage:
„Welche Ursachen tragen dazu bei, dass männliche Jugendliche zu rechtsextremen Einstellungen neigen und kann Soziale Arbeit dem vorbeugend und effektiv entgegentreten?“
Die Forschungsfrage soll beantworten, warum eine geschlechterreflektierte Rechtsextremismusprävention notwendig und bedeutsam ist, aber auch aufzeigen, welche Entwicklung „Männlichkeit“ im Kontext Rechtsextremismus durchlaufen kann.
Um diese Aspekte nachvollziehbar darzustellen, werden in folgender Übersicht die Inhalte der Arbeit prägnant beschrieben.
1.3 Strukturierung der Arbeit
Nachdem im ersten Kapitel über die Problemstellung und Zielsetzung aufgeklärt wurde, wendet sich das zweite Kapitel der Forschungsmethodik zu. Dabei wird die systematische Literaturrecherche als angewandte Forschungsmethodik beschrieben.
Das dritte Kapitel befasst sich mit dem Thema „Rechtsextremismus“. Die Begrifflichkeit wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Dementsprechend soll an dieser Stelle eine klare Positionierung bzw. Einordnung erfolgen, um den weiteren Verlauf dieser Arbeit konstruktiv zu bearbeiten. Dabei dienen das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und die Mitte-Studie 20/21 als Hinführung in die weitere Thematik.
Im vierten Kapitel wird der Aspekt der Männlichkeit thematisiert. Mit Hilfe der kritischen Männlichkeitsforschung soll ein Einblick in das Phänomen „Männlichkeit“ in Bezug auf Rechtsextremismus aufgezeigt werden. Insbesondere sollen Connells Konzept der Männlichkeitskonstruktion, Bourdieus Aufsatz zur männlichen Herrschaft und Meusers Weiterentwicklung und Zusammenführung beider Konzepte, Aufklärung bieten.
Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit der männlichen Sozialisation. Hierbei soll die Bedeutung der Sozialisationsinstanzen der Familie und Peergroup für Jungen erläutert werden und wie diese eine rechtsextreme Einstellung fördern können. Im Kontext der Familie wird sich primär mit der Vater- Sohn-Beziehung bzw. dem Vaterverlust befasst.
Im sechsten Kapitel wird Bezug auf die Soziale Arbeit genommen. Dementsprechend wird auf die Jungenarbeit eingegangen und wichtige grundlegende Aspekte werden erläutert. Dabei stehen u.a. Ziele, Zielgruppen, Lebenslagen und inhaltliche bzw. methodische Ausarbeitungen im Vordergrund. Diese sollen der Leserschaft grundlegendes Wissen vermitteln, damit ein besseres Verständnis für das nächste Kapitel aufgebaut werden kann.
Das siebte Kapitel befasst sich mit der geschlechterreflektierten Rechtsextremismusprävention. In diesem Zusammenhang werden Voraussetzungen für pädagogische Fachkräfte thematisiert, bevor verschiedene Möglichkeiten und Ansätze in der konkreten Arbeit mit männlichen Jugendlichen dargestellt werden.
Das achte Kapitel besteht aus einer Zusammenführung der erarbeiteten Punkte und ihrer inhaltlichen Interpretation. Dabei werden Ergebnisse und Erkenntnisse diskutiert und erläutert, sowie Grenzen und Potentiale der Arbeit aufgezeigt.
Im letzten Kapitel dieser Abschlussarbeit werden in einem Fazit alle wesentlichen Aspekte zusammengefasst.
2. Forschungsmethodik
Die Abschlussarbeit wird mit Hilfe einer systematischen Literaturrecherche bearbeitet. Durch die Methodik der systematischen Literaturrecherche ist es möglich, vorhandenes Wissen in einem signifikanten Themengebiet kompakt zu beleuchten (Prexl, 2017, S. 8). Durch die Auseinandersetzung und dem Zusammenführen verschiedener Quellen, können neue Wissensstände für die Forschung generiert werden (ebd., S. 24). In diesem Sinne ist der inhaltliche und umfassende Themenkomplex von Rechtsextremismus ausschlaggebend für die Anwendung und Durchführung durch die systematischen Literaturrecherche.
Um einen erfolgreichen methodischen Ablauf zu garantieren, müssen einzelne Schritte beachtet werden. Dazu zählen:
„1. Definition der Fragestellung
2. Auswahl der Suchbegriffe
3. Auswahl der Datenbanken
4. Eingrenzung der Suche
5. Erarbeitung der Suchstrategie
6. Erarbeitung der gefundenen Literatur
7. Beschaffung der Literatur“ (Läzer et al., 2010, S. 5).
Im Folgenden wird im Kontext der Abschlussarbeit auf die jeweiligen Schritte eingegangen.
Im Zuge der systematischen Literaturrecherche konnte, durch eine prägnante Recherche im Word Wide Web und den Bibliotheken vor Ort, anschließende Forschungsfrage erfasst werden:
„Welche Ursachen tragen dazu bei, dass männliche Jugendliche zu rechtsextremen Einstellungen neigen und kann Soziale Arbeit dem vorbeugend und effektiv entgegentreten?“
Eine grobe Literatursichtung ist dementsprechend unumgänglich (Prexl, 2017, S. 31).
Im weiteren Verlauf wurden mit Hilfe der Forschungsfrage Suchbegriffe abgeleitet. Es kristallisierten sich die Begriffe „Rechtsextremismus“, „Männlichkeit“, „Jungen“, „Geschlecht“, „Jungenarbeit“ und „Prävention“ heraus. Die Suchbegriffe wurden nach den Kriterien der Boolschen Operatoren (und, oder, nicht) angewendet (Läzer et al., 2010, S. 6). Somit können im praktischen Teil der Recherche systematisch Merkmale ein- und ausgegrenzt und relevante Literaturen anschließend herangezogen werden (Prexl, 2017, S. 31). Im nächsten Schritt wurden Datenbanken ausfindig gemacht, die für den thematischen Schwerpunkt in Frage kommen (Läzer et al., 2010, S. 7). In diesem Fall konnten die Datenbanken der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken, die Universität des Saarlandes und die Universität Trier herangezogen werden. Des Weiteren konnte die Online Bibliothek der Internationalen Hochschule und die Plattform „Google Scholar“ als hilfreich und geeignet identifiziert werden. Das eigene Vorgehen, d.h. Schritte, Recherche und Auswahl sind festzuhalten (Prexl, 2017, S. 31-32). Darüber hinaus gehört es zur systematischen Literaturrecherche, Faktoren, wie Zeit, Medium und Sprache einzugrenzen (Läzer et al., 2010, S. 7). Daher wird sich auf deutschsprachige Bücher, Magazine und Artikel beschränkt. Auf einen zeitlichen Rahmen wurde verzichtet, um einen umfassende Übersicht zu erhalten.
Im folgenden Schritt wird eine passende Suchstrategie formuliert (Läzer at al., 2010, S. 7). Die oben genannten Suchbegriffe wurden somit in die jeweiligen Datenbanken eingegeben. Durch die Herangehensweise mit den Boolschen Operatoren, unter dem Einbehalt zur Eingrenzung von Zeit, Sprache und Medium, konnte eine Vielzahl an potentiellen Quellen entdeckt werden. Nachdem unpassende Quellen verworfen wurden, wurden die verbleibenden Literaturangaben auf ihre Qualität untersucht (Prexl, 2017, S. 32). Die Quellen wurden auf ihre Zitierfähigkeit geprüft, wonach Quellen umfassend und problemlos zugänglich sein sollten (ebd., S. 107-108). Im weiteren Verlauf wird festgestellt, inwieweit die Literatur relevant und sinnvoll für die Abschlussarbeit ist. Aus diesem Grund muss sie wissenschaftliche Qualitätskriterien erfüllen und theoriegeleitet, möglichst aktuell und generalisierbar sein (ebd., S. 108). Des Weiteren entsprecht die jeweilige Literatur den Kriterien, wenn sie in Relation zur Forschungsfrage steht (ebd., S. 109).
Alle wesentlichen Schritte wurden digital dokumentiert. Anschließend ist die Literatur beschaffen worden, woraufhin die Analyse der behandelten Literatur in den nächsten Kapiteln erfolgt.
3. Rechtsextremismusforschung
Rechtsextremismus ist in öffentlichen und wissenschaftlichen Belangen ein anhaltendes und präsentes Thema. Dieses Kapitel verschafft zunächst Klärung in Hinblick des Terminus „Rechtsextremismus“ und dient als Ausgangspunkt für das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) und der Mitte-Studie 20/21.
3.1 Einordnung der Begrifflichkeit „Rechtsextremismus“
Rechtsextremismus ist ein weitläufiger und komplexer Begriff in der Gesellschaft und Wissenschaft, weswegen keine einheitliche Definition vorliegt. Geschuldet ist dies seinem breiten Anwendungsbereich in unterschiedlichen, wissenschaftlichen Disziplinen und seinen verschiedenen, inhaltlichen Schwerpunkten und Auseinandersetzungen in öffentlichen Debatten. Diese führen zu konkurrierenden Definitionen und somit zu einer Definitionsvielfalt, welchen den Terminus in öffentlicher Wahrnehmung darstellt. Daher haben, je nach Kontext, differente Menschengruppen und Arbeitsbereiche ein anderes Verständnis von Rechtsextremismus (Rahner & Quent, 2020, S. 6). Der Soziologe Peter Rieker (2009) summiert die weite Spannbreite des Terminus Rechtsextremismus und erklärt, dass dieser als „Sammelbegriff für politische und soziale Orientierungs- und Handlungsweisen etabliert [ist], die sich gegen Demokratie und Rechtsstaat, ethnisch-kulturelle Vielfalt und Toleranz sowie die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus richten.“ (S. 12).
An dieser Stelle sei auf eine Gruppe von renommierten Expert*innen und Wissenschaftler*innen verwiesen, die im Rahmen der ersten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung eine „Konsensdefinition“ entwickelten, welche auf breite Zustimmung im Feld der Rechtsextremismusforschung stößt (Küpper et al., 2021, S. 80):
Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen [Hervorhebung weggelassen] . (Decker & Brähler, 2006, S. 20)
Folglich gelten Menschen, die einzelne Dimensionen befürworten, als offen gegenüber Rechtsextremismus. Personen, die eine Mehrheit an Elementen gutheißen, sind sich ihrer Überzeugung eher bewusst und tendieren stärker zu rechtsextremen Statuten. Menschen, die allen Ideologieelementen folgen, besitzen über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild (Küpper et al., 2021, S. 80).
Die Definition ist sehr weit gefasst, deshalb ist zu betonen, dass der Terminus „Rechtsextremismus“ fälschlicherweise oft als Synonym zu Begrifflichkeiten wie z.B. Neonazismus, Neofaschismus oder Rassismus genutzt wird. Diese Beispiele legen zwar Verbindungspunkte zum Rechtsextremismus dar, verweisen jedoch in Teilen auf unterschiedliche politische und soziale Kontexte (Hechler, 2012, S. 75). Um konkreter zu werden, deuten im politischen Sinne die Begriffe Neonazismus und Neofaschismus auf eine historische Referenz hin, nämlich die „des Faschismus oder die des Nationalismus, bei denen es sich jeweils um Selbstbeschreibungen der politischen Bewegung gehandelt hat.“ (Salzborn, 2018, S. 16). Rassismus beispielsweise sei als ein soziales Phänomen zu verstehen. Hierbei gestaltet sich die „eine“ Definition als schwierig, da Rassismus von ihren vielfältigen Erscheinungsformen und Funktionen abhängt (Melter, 2006, S. 18). Somit beschreibt Rassismus nicht nur Handlungen und Einstellungen von Einzelpersonen oder Gruppen, sondern hat sich auch in Gesetzen, privaten und staatlichen Institutionen manifestiert (ebd., S. 26). Zusammenfassend werden durch Rassismen Unterscheidungen begründet und legitimiert, die zu Ungleichheit führen (Lingen-Ali & Mecheril, 2017, S. 37).
Rechtsextreme Aktivitäten zeigen sich somit als facettenreich und als ein Zusammenspiel verschiedener Komponenten und Merkmale. So kann eine Person zwar diktatorische Verhältnisse ablehnen, sich jedoch als Befürworter rassistischer Handlung zeigen. Eine Untersuchung dieser einzelnen Attribute erscheint somit mehr als gerechtfertigt. Anschließend lässt sich festhalten, dass aufgrund des breiten Themenbereiches, dem der Begriff „Rechtsextremismus“ aktuell entspricht, sich eine einheitliche Definition als herausfordernd erweist. Virchow (2016) befürwortet eine Konkretisierung des Begriffes, wodurch eine kritische Reflexion zugänglicher gemacht werden und die Forschung aus den unterschiedlichen Disziplinen profitieren würde (S. 20). Somit könnten jeweilige Themenbereiche stärker systematisiert und Ergebnisse bilanziert werden (Verschiedene Schwerpunkte und inhaltliche Auseinandersetzungen (beispielsweise Verhaltensweisen oder Einstellungsmuster) führen zu einer Definitionsvielfalt, die ihn in seiner öffentlicher Wahrnehmung darstellt (Virchow, 2016, S. 21). In diesem Kontext bezeichnet er die Forschung gewissermaßen als „defizitär“ (ebd.). Gleichzeitig hebt er das Projekt zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit hervor und beschreibt dies als eine „Ressource für langfristig angelegte Forschung“ (ebd.). Dementsprechend widmet sich das nächste Kapitel dem Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.
3.2 Das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF)
Virchows Aussage ist insofern schlüssig, da das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) Antworten auf gruppenbezogene Ausgrenzungen und Abwertungen im Rahmen der Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ ausführlich, nachhaltig und empirisch beweist (Zick et al., 2008, S. 21). Die von der Forschergruppe um den Soziologen Wilhelm Heitmeyer basierende quantitative Studie umfasst zehn sogenannte „Folgen“, die jährlich von 2002 bis 2012 erschienen sind. Dabei gilt das primäre Augenmerk der Erforschung „menschenfeindliche[r] Attitüden und Verhaltensweisen“ (Heitmeyer, 2002a, S. 9) in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Im Folgenden soll das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit vorgestellt werden. Die Ergebnisse des Forschungsprogramms können in der Buchreihe „Deutsche Zustände“ -publiziert u. a. in Zusammenarbeit mit dem Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld - detailliert nachgelesen werden.
Das Konzept der GMF setzt wie die Konsensdefinition eine „Ideologie der Ungleichwertigkeit“ voraus (Heitmeyer, 2012, S. 10). Heitmeyer (2003) beschreibt diesen Zusammenhang in der zweiten Folge der Langzeituntersuchung folgendermaßen: „Werden Personen aufgrund ihrer gewählten oder zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit als ungleichwertig markiert und feindseligen Mentalitäten der Abwertung, Ausgrenzung etc. ausgesetzt, dann sprechen wir von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, so daß [sic!] die Würde der betroffenen Menschen antastbar wird oder zerstört werden kann.“( Heitmeyer, 2003, S. 14).
Ergänzend sei an diesem Punkt auf Beate Küpper (2016, S. 21 )zu verweisen, die die Ideologien der Ungleichwertigkeit als ein „gesellschaftliches Problem“ bezeichnet, „indem sie [die Ideologien der Ungleichwertigkeit] mit ihrer menschenfeindlichen und zerstörerischen Kraft fundamentale Werte und Rechte verletzten, zu denen sich Deutschland mit seiner demokratischen Verfasstheit, dem Grundgesetz und der Bindung an die Menschenrechte bekennt.“
Durch beide Perspektiven konkretisiert und schließt sich das Bild, dass die Ideologie der Ungleichwertigkeit nicht nur die soziale Ebene tangiert, sondern auch politische und ökonomische Ungleichheit entlang konstruierter Gruppenzugehörigkeit herstellt und aufrechterhält.
Heitmeyer (2002b) nimmt an, dass die Ungleichwertigkeit den Kern aller Elemente bzw. Vorurteile ausmacht und spricht vom „ Syndrom einer Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit “ (S. 21). Ursprünglich wurden sechs Elemente (Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Heterophobie, Etabliertenvorrechte, Sexismus) in der Konzeption der GMF analysiert und ausgewertet, welche bis zum Ende der Studie im Jahr 2012 auf insgesamt zwölf Elemente ausdifferenziert und erweitert wurde (Heitmeyer, 2002b, S. 20, 2012, S. 17). Die Anpassung der Elemente begründet sich mit der gesellschaftlichen Entwicklung. Zick et al. (2012) fassen es wie folgt zusammen: „Insofern ist die Erweiterung bzw. auch die Verkleinerung des Syndroms Reaktion und Ausdruck sozialer Veränderungen“ (S. 65).
Die einzelnen Elemente sind dabei nicht starr zu betrachten, sondern als fließend und ineinander greifend (Heitmeyer, 2002b, S. 22).
Abb. 1. Das erweiterte Syndrom Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Heitmeyer, 2012, S. 17
Küpper und Möller (2014) benennen die Komponenten von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit „als die zentrale Einstellungskomponente von Rechtsextremismus.“ (S.19). Zudem zählen weitere Facetten wie der Nationalismus, antidemokratische Einstellungen und die „Konsensdefinition“ zu den bedeutsamen und eng verzahnten Einflussfaktoren, die den Umfang von GMF beeinflussen und festlegen (ebd.). Demzufolge ist Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ein zentraler Bestandteil rechtsextremer Orientierung und charakteristisch für rechtsextreme Gruppen (Zick et al., 2017, S. 68).
Abschließend sei auf dieser Grundlage festzuhalten: Der im weiteren Verlauf dieser Abschlussarbeit vorkommende Terminus Rechtsextremismus beschreibt ein vielseitiges Einstellungskonstrukt, das auf verschiedenen Ungleichwertigkeitsvorstellungen beruht.
Nachdem die Langzeituntersuchung im Rahmen der Forschungsreihe „Deutsche Zustände“ im Jahr 2012 beendet wurde, schloss sich im Jahr 2014 das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung mit der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zusammen. Dadurch konnte das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in die von der FES veröffentlichten Mitte-Studien integriert werden.
Im Folgenden werden für die Abschlussarbeit relevanten Ergebnisse der Mitte-Studie 20/21 beschrieben.
3.3 Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) - Mitte - Studie 2020/2021
Bei der Mitte-Studie handelt es sich um eine Langzeituntersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung, die seit dem Jahr 2002 durchgeführt, und seit dem Jahr 2006 etwa alle zwei Jahre veröffentlicht wird. Vorrangig fokussiert sich die Studie an der gesellschaftlichen Mitte und generiert hinsichtlich rechtsextremer Einstellungen neue Erkenntnisse und beschreibt gleichzeitig ihre Entwicklung im Zeitverlauf (Schröter, 2021a, S. 13-14; Zick 2021a, S. 17). Dabei orientiert sich die Mitte-Studie in ihren Kriterien an der „Konsensdefinition“ (Küpper et al., 2021, S. 80).
3.3.1 Ergebnisse der Mitte-Studie 20/21
Die Befragung der Mitte-Studie 20/21 ereignet sich im Zuge der Corona Pandemie. Mit dem Hintergrund, dass bereits vor dem Ausnahmezustand rechtsextreme Einstellungen und Verhaltensweisen immer sichtbarer wurden und erstarkten, beschreibt Zick (2021a) die Pandemie als Motor radikaler, rechter Entwicklungen (S. 24). Exemplarisch seien hierfür propagierende Aussagen der Partei Alternative für Deutschland angeführt, wie dem Anfechten „einer homogenen „Volksgemeinschaft der Deutschen“ (ebd.) oder der Behauptung, dass „korrupte Eliten [das] Volk betrügen“ (ebd.). Abseits der politischen Gegebenheiten finden auch auf Anticoronademonstrationen zahlreiche Menschen aus verschiedenen Milieus (z.B. Esoteriker*innen, Rechtsextremisten*innen, Impfgegner*innen, etc.) und der gesellschaftlichen Mitte zusammen, die sich gemeinsam für verschiedene Verschwörungsmythen stark machen und die demokratische Souveränität gefährden (ebd., S. 25).
Dabei scheint sich die überwiegende Mehrheit der gesellschaftlichen Mitte über die anwachsende rechtsextreme Bedrohung bewusst zu sein. Laut der Mitte-Studie 20/21 nehmen 70,3 % der befragten Personen den Rechtsextremismus als die größte Bedrohung für die Bundesrepublik Deutschland wahr (Zick, 2021a, S. 27).
An den Telefoninterviews der Studie nahmen 821 Männer und 929 Frauen teil. An dieser Stelle sei angemerkt, dass das Durchschnittsalter der Teilnehmer*innen bei 53 Jahren liegt und von den insgesamt 1750 interviewten Menschen, nur 52 Personen zwischen 18 und 21 Jahren sind (Rump & Mayerböck, 2021, S. 37-38). 246 Teilnehmer*innen gehören der Altersgruppe zwischen 22 und 34 Jahren an. 387 Befrage geben an, dass sie zwischen 35 und 49 Jahren alt sind und zwischen 50 und 64 Jahren konnten 603 Menschen gezählt werden. 65 Jahre oder älter sind 431 Personen und 31 Teilnehmer*innen haben keine Angaben gemacht bzw. mit „Weiß nicht“ geantwortet. Die meisten Befragten haben die Hochschulreife oder einen gleichwertigen Abschluss erfolgreich absolviert. Demgegenüber haben ein Viertel der Studienteilnehmer*innen den Realschulabschluss gemeistert. (Rump & Mayerböck, 2021, S. 37-38).
Im Folgenden werden ausgewählte Untersuchungsgegenstände näher erläutert, die im Kontext der Abschlussarbeit sinnvoll und gewinnbringend erscheinen.
In der Mitte-Studie 20/21 ist festgestellt worden, „dass Männer häufiger zu rechtsextremen Einstellungen [tendieren]“ (Küpper et al., 2021, S. 94-95). In den einzelnen untersuchten Dimensionen weisen sie insgesamt einen höheren Anteil an rechtsextremer Einstellung auf als Frauen. Vor allem in der Dimension „Chauvinismus“ tendieren 10,4 % der befragten Männer zu „mehr Nationalstolz, Geltung und Macht für Deutschland und die Durchsetzung nationaler Interessen gegenüber anderer Länder“ (Küpper et al., 2021, S. 95), wohingegen der Wert der teilnehmenden weiblichen Personen bei 6,7 % liegt. Werden alle sechs Dimensionen zusammengefasst, ergibt sich folgendes Ergebnis: 2,1 % der männlichen Teilnehmer besitzen ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild; 1,2 % der Frauen befürworteten alle Dimensionen und verfügen somit über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild (Küpper et al., 2021, S. 95).
Mit Blick auf die Altersklassen äußert sich in der älteren Altersklasse (ab 61 Jahren) mit 3,4 % eine stärkere Neigung zum Rechtsextremismus hin als bei den Mittelalten (0,8%). Für die jüngeren Beteiligten zwischen 17 und 30 Jahren beträgt der Wert 1%. In der Dimension „Befürwortung Diktatur“ bejahen 4,7 % der jüngeren Generation solch ein Szenario, gefolgt von den Älteren mit 3,8 % und den Mittelalten mit 0,6 %. Keine Zustimmung seitens der 17 bis 30 jährigen gibt es in der Dimension „Antisemitismus“. Im Vergleich dazu befürworten 0,8 % der Mittelalten und 3,7 % der Älteren antisemitische Einstellungen. Hierbei sei erwähnt, dass in den Altersklassen nicht zwischen Geschlechtern differenziert wird (Küpper et al., 2021, S. 96-97). Küpper et al. (2021) machen darauf aufmerksam, dass nach Betrachtung und im Vergleich vorausgegangener Mitte-Studien, die rückläufige Entwicklung rechtsextremer Einstellungen in der jüngeren Altersklasse stoppe und stagniere (S. 96). Die Forscher*innen stellen fest, dass die Zustimmung in einzelnen Dimensionen angewachsen ist (ebd., S. 96).
Des Weiteren wird dem Bildungsgrad eine entscheidende Rolle zugewiesen. Küpper et al. (2021) stellen diesen „als … Schlüssel gegen menschenfeindliche und rechtsextreme Einstellungen“ (S. 96) dar. Gemäß den Expert*innen befürworten Personen mit niedrigen Schulabschluss eher rechtsextreme Einstellungen als Menschen mit einem weiterführenden und qualifikationsbedachten Bildungsweg. Dementsprechend ergibt sich folgende Statistik: Menschen mit einem niedrigen Schulabschluss verfügen tendenziell in allen Dimensionen einen höheren Wert als Menschen mit mittlerem und hohem Schulabschluss. Zum Beispiel liegen die Werte im Kontext eines niedrigen Schulniveaus in der Dimension Fremdenfeindlichkeit bei 7,7% und Chauvinismus bei 15,4%. Bei den Befragten mit einem mittleren (4,6 % und 8,1 %) und hohen (2,2% und 3,6%) Bildungsabschluss sind die prozentualen Angaben deutlich niedriger. Werden alle sechs Dimensionen zusammengefasst, verfügen 3,2% der Teilnehmer*innen mit niedrigem Schulabschluss ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. 1,3% der Befragten mit mittlerem Schulabschluss und 0,8% der Probanden mit hohem Abschluss fallen in diesem Zusammenhang ebenfalls in dieser Kategorie auf (Küpper et al., 2021, S. 98).
Insgesamt stellen Küpper et al. (2021) klar, dass eine Ambivalenz „in einem nicht ganz kleinen Teil der Bevölkerung [vorherrscht]“ (S. 111). Damit meinen die Autoren*innen, dass die Teilnehmer*innen das Phänomen Rechtsextremismus größtenteils ablehnen, jedoch zeitgleich einige Inhalte teilen. Es ist ein Widerspruch in sich und zeugt von einer gewissen Verdrossenheit. Konkret heißt es in diesem Zusammenhang und unter Vorbehalt aller Ergebnisse, dass 12,1 % der Befragten eine gespaltene Positionierung zu rechtsextremen Einstellungen haben und jede bzw. jeder Siebte offen für rechtsextreme Ideologien ist (Küpper et al., 2021, S. 85). Dies erleichtert es Täter*innen Einfluss zu nehmen und Propaganda zu treiben, welche die demokratischen Grundsätze gefährden kann.
Ein Blick auf die Resultate gemäß dem Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit verstärkt diesen Eindruck.
3.3.2 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Mitte-Studie 20/21
Die Mitte-Studie 20/21 widmet den Facetten der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ein eigenständiges Kapitel (Zick, 2021b, S. 183). Die Erhebung der Daten wurde in folgenden Elementen erfasst: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus – klassisch, Antisemitismus – israelbezogen, Muslimfeindlichkeit, Abwertung von Sinti_zze und Rom_nja, Abwertung asylsuchender Menschen, Sexismus, Abwertung homosexueller Menschen, Abwertung von Trans*Menschen, Abwertung wohnungsloser Menschen, Abwertung langzeitarbeitsloser Menschen und Etablierungsvorrechte (Zick, 2021b, S. 184-185). Im Folgenden werden die Auswertungen in Bezug auf Geschlechtlichkeit, Alter und Bildungsgrad grob thematisiert. Daher werden zur Veranschaulichung und aus Platzgründen nur einzelne und sehr auffällige Elemente behandelt.
An der Befragung haben 852 männliche und 898 weibliche Personen teilgenommen. Im Geschlechtervergleich lässt sich feststellen, dass Männer in fast allen Elementen eine höhere menschenfeindliche Einstellung aufweisen als Frauen. Lediglich im Bereich der Muslimfeindlichkeit (11,6%) und der Abwertung von Sinti_zze und Rom_nja (16,4%) fallen die Werte bei weiblichen Personen knapp höher aus. Im Vergleich dazu scheinen 10,2% der männlichen Teilnehmer muslimfeindliche Einstellungen zu bejahen und 16,3% der Männer eine abwertende Haltung gegenüber Sinti_zze und Rom_nja zu vertreten. Die größte Differenz zwischen männlichen und weiblichen Befragten ergibt sich in der Abwertung von langzeitarbeitslosen Menschen. Laut der Studie werten 31,1% der männlichen und 19,5% der weiblichen Befragten diese ab (Schröter, 2021b).
Hinsichtlich der Altersgruppen lässt sich pauschal konstatieren, dass überwiegend Menschen über 61 Jahren zu feindseligen Einstellungen neigen. Befragte zwischen 31 und 60 Jahren neigen zwar weniger zu menschenfeindlichen Einstellungen als Personen ab 61 Jahren, jedoch sind ihre Werte teilweise deutlich höher als bei der jüngeren Generation. Beispielhaft seien an der Stelle die positive Einstellung gegenüber Etabliertenvorrechten genannt, welche in der Altersgruppe zwischen 17 und 30 Jahren einen Wert von 13,1% beträgt und in der Gruppe der Mittelalten ein Ergebnis von 29,4% aufweist. Der niedrigste Wert der jüngsten Altersgruppe spiegelt sich in der Abwertung von wohnungslosen Menschen wider (0,9%). Einzig in Hinblick rassistischer Merkmale fällt die junge Altersgruppe besonders auf. 5,9% der Befragten scheinen eine rassistische Haltung entwickelt zu haben, wohingegen der Anteil von den 31-60 jährigen mit 5,1% niedriger ist. Menschen ab 61 Jahren sind in dieser Hinsicht mit einem Wert von 7,8% federführend (Schröter, 2021b).
Personen mit einem niedrigen Schulabschluss weisen in allen untersuchten Elementen einen höheren Wert auf als Menschen mit einer weiterführenden Schulqualifikation. Am eindrücklichsten kann dies anhand der Abwertung von asylsuchenden Menschen und dem Zugeständnis von Etabliertenvorrechten veranschaulicht werden. So liegt der Wert bei der Abwertung von Asylsuchenden bei 48,6%. Im Vergleich dazu liegt der Wert bei Personen mit mittlerem Bildungsniveau bei 41,4% und bei den Befragten mit einem hohen Schulabschluss bei 20,6%. Betreffend der Etabliertenvorrechte kann festgestellt werden, dass 42,7% der Befragten mit einem niedrigen Schulabschluss diese befürworten. Der Wert bei den „Mittleren“ umfasst 28,1% und bei Menschen mit hohem Schulabschluss liegt dieser bei 12,5% (Schröter, 2021b).
In Anbetracht der Ergebnisse stellt Zick (2021b) generell fest: „Je stärker eine Person den Vorurteilen gegenüber einer Gruppe zustimmt, desto stärker nimmt sie auch Vorurteilen gegenüber anderen Gruppen zu.“ (S. 193). Das bedeutet, dass beispielsweise fremdenfeindliche Vorurteile gegenüber Muslimen und Sinti_zze und Rom_nja stark miteinander korrelieren. Demgemäß sind präventive Angebote unentbehrlich, um diesem Ausmaß entgegen zu treten. Um in der Abschlussarbeit die Präventionsmöglichkeit im Kontext Männlichkeit und Rechtsextremismus zu erläutern, bedarf es vorab eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konstrukt der Männlichkeit.
4. Kritische Männlichkeitsforschung
Eine Auseinandersetzung zwischen Männlichkeit und Rechtsextremismus findet innerhalb der kritischen Männlichkeitsforschung statt. Dabei stehen extreme rechte Vorstellungen über Geschlecht und Männlichkeit in Verbindung zu dominanten Konzepten der Mehrheitsgesellschaft (Volpers, 2020, S. 35). Dieses Zusammenspiel wird im Folgenden mit Hilfe unterschiedlicher Konzepte erläutert.
4.1 Connells Konzept der Männlichkeitskonstruktion
Das Idealbild eines Mannes wird im rechtsextremen Milieu durch eine „soldatische Männlichkeit“ verkörpert und charakterisiert (Virchow, 2010, S. 46; Volpers, 2020, S. 36). Dieses Konstruktionsereignis ist historisch bedingt und geht auf die Zeiten des Nationalsozialismus zurück, als Männer „Soldaten“ wurden und sich für den Kampf und Krieg entschieden (Volpers, 2020, S. 36). Damit einher wurde der Status solcher Männer aufgewertet und eine „soldatische Männlichkeit“ galt im heutigen Sinne als „hegemoniale Männlichkeit“ (ebd.). In diesem Zusammenhang stellt auch die australische Forscherin Connell (2013) fest, dass das Konstrukt des soldatischen Mannes in rechtsextremen Strukturen überlebt hat und bis heute präsent ist (S. 38). Männlichkeit ist in diesem Kontext gleichzusetzen mit heterosexueller Einstellung, Kompromisslosigkeit, Härte, Kampfbereitschaft, dem Dienst am Volke und Nation sowie der Familiengründung (Virchow, 2010, S. 42). Mit Ende des Krieges und dem Beginn der Entnazifizierung verlor diese Form von Männlichkeit an Status und wird bis dato von der Mehrheitsgesellschaft deutlich abgelehnt (ebd., S. 39).
Connell (2015) bezeichnet hegemoniale Männlichkeit „als jene Konfiguration geschlechterbezogener Praxis …, welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimationsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet“ (S. 130). Sie weist darauf hin, dass Männlichkeit und Weiblichkeit in sich relationale Konzepte sind und fügt hinzu, dass abseits des biologischen Geschlechtsunterschiedes, sich Männer (und Frauen) von ihrer Art und Weise und ihrem Bezug zu anderen Männern (und Frauen) unterscheiden (ebd., S. 120-122). Das bedeutet, dass neben weiblichen Personen auch Männer aus einem marginalisierten oder untergeordneten Milieu bzw. Verhältnis abgewertet werden (Hechler, 2012, S. 78). Um eine konkrete Vorstellung zu erhalten, wer einem hegemonialen Männlichkeitsideal im aktuellen Zeitgeist entspricht, führt Bitzan (2016) exemplarisch Manager in Unternehmen an (S. 348). Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive untermauert Connell (2015) diesen Standpunkt mit der Begründung, dass vor allem Führungspositionen in Institutionen von Männern besetzt sind und sich ihre Persönlichkeit auf die Institution und ihre internen Abläufe abfärbt (S. 126). Im Kontext von alltäglichen Gegebenheiten und Bedingungen in der Umwelt verfügt das Konstrukt hegemonialer Männlichkeit zusammenfassend über die meiste Macht und Anziehungskraft. Dementsprechend gilt es als dominantes Männerbild in der Gesellschaft (Bitzan, 2016, S. 347).
Zurückführend auf hegemoniale Ansichten von Männern im Rechtsextremismus werden hinsichtlich der Konstruktion von Weiblichkeit weder das biologische noch das soziale Geschlecht voneinander unterschieden. Die Kategorie Weiblichkeit wird als naturgegebene Tatsache angesehen und dient der Fortpflanzung. Es liegt in der weiblichen Natur „Mutter für ihre Kinder zu sein“ (Lehnert, 2010, S. 95) und auch innerhalb der Volksgemeinschaft[1] eine fürsorgende Rolle einzunehmen. Die (deutsche) Frau, die die „ Hüterin der Rasse“ (ebd.) darstellt, muss im Sinne rechtsextremer Männer beschützt werden. An diesem Punkt bildet das rechtsextreme Weltbild von Männern ein Paradoxon, da Frauen für ungewöhnlich idealisiert werden. Weiblichkeit ist ein zu verteidigendes Gut, welches einerseits die Legitimation für den Kampf mit anderen Männern rechtfertigt, andererseits die Beschützerrolle rechtfertigt und das „wahre“ Männlichkeitsideal aufrecht erhält (Volpers, 2020, S. 48). Jedoch ist die vermeintliche Idealisierung nur auf die Rolle als Mutter bezogen, andere Faktoren im Sinne von feministischer Einstellungen werden abgelehnt und abgewertet (ebd.). Auch vermeintliche, weibliche Charakteristika werden mit „Schwäche“ assoziiert, welche die Abhängigkeit an den Mann und die weibliche Wertlosigkeit verdeutlichen soll (ebd.). Nach rechtsextremer Logik werden damit Abweichungen heterosexueller Normen verhindert (Lehnert, 2010, S. 97). Darüber hinaus verhindert eine klare Trennung von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ die Vermischung weiblicher und männlicher Eigenschaften, womit folglich richtige „Kerle“ und wirkliche Frauen entstehen (ebd., S. 98). In diesem Kontext verweist Lehnert (2010) darauf, dass sich solch„rechtsextreme Vorstellungen über die Geschlechterordnung bis weit in die Mitte unserer demokratischen Gesellschaft“ (S. 99) wiederfinden.
[...]